Der Alltag und der Kriegsausbruch

Samstag, 10. Mai 2014

Kurz nach dem Aufstehen fragte mich mein Kind, ob es denn jetzt einen Dritten Weltkrieg gäbe.
   »Wer sagt denn sowas?«, fragte ich es.
   »Sagen alle. Überall. Bei Facebook und in der Schule und im Fernsehen.«
   »Ich glaube nicht. Mach dir keine Sorgen«, beruhigte ich sie fast ein wenig so wie jene Mutter, die in Camerons »Titanic« ihren Kindern ein Märchen vorlas, als der Kahn schon so gut wie abgesoffen war.
   »Es ist kompliziert. Aber einen Weltkrieg wird es nicht geben.«
   »Ich finde das schlimm, wenn Leute Streit haben und dann alle reingezogen werden«, sagte es naiv.
   Ach Kind, wie recht du hast, dachte ich mir. Gerade an so Dingen wie Krieg sieht man, wie weitsichtig Kinder und Narren wirklich sind.
   »Jetzt mach dich fertig, du musst zur Schule und ich zur Arbeit.«

Ich zog mich an, schnürte mir die Schuhe, stieg ins Auto und düste zum Job. Schwitzte. Ärgerte mich wie üblich über allerlei. Kam mal wieder zur Einsicht, dass es schwer verdientes Geld ist. Saß meine Stunden ab, fuhr heim und landete nach einem Schiss vor dem Rechner, flößte der Tastatur einen Text zum Wahl-O-Mat ein, wilderte danach in meiner geheimen Schublade mit von mir bis dato nicht veröffentlichen Manuskripten und feilte ein wenig an einem solchen. Vielleicht wird ja doch nochmal was daraus. Mal wieder ein Buch wäre nicht übel. Letztendlich landete ich im Grafikprogramm, um mir ein Bild für den Wahl-O-Mat-Text zu gestalten. Der übliche Trott halt. Tretmühle. Strukturen.

Dazwischen räumte ich die Spülmaschine ein, mischte mir einen Fleischteig für Frikadellen, erledigte zwei Telefonate und stellte fest, dass die Kaffeemaschine entkalkt gehört. Ich schrieb einen Einkaufszettel und wusch Wäsche. Zum Bettwäsche wechseln hatte ich keine Laune. Dann bearbeitete ich eine Antwortmail an einen Fan und ignorierte die Post eines Spinners und schickte meinen Text für den »Heppenheimer Hiob« an die Redaktion. Dann formte ich die Frikadellen und mehlierte sie.

Ich küsste meine Frau als sie heimkam. Machte mir eine Tasse Kaffee. Ob das Entkalken hilft, damit er weniger beschissen schmeckt? Danach Alltag im Hausstand: Besorgst du die Einkäufe am Freitag? Ist der Staubsauger noch immer in der Werkstatt? Wieso wollen diese Arschlöcher die Garantieleistung nicht erfüllen? Gucken wir heute mal wieder eine Folge »Breaking Bad«?

Beim Essen erzählten wir uns den Tag. Mein Kind erzählte von dummen Zicken und blöden Kerlen in der Schule. Im Radio dudelte was von der Ukraine. Keiner hörte richtig hin. Die Lage eskaliere, sagte eine Stimme. Aber mein Kind ist lieber sauer, weil ich es für heute nicht mehr ins Internet lasse. Und ich bin sauer, dass wir es jeden Tag neu ausdiskutieren müssen. Ich frage meine Frau, was die da über die Ukraine gesagt haben. Sie antwortet: »Es gibt wohl Krieg. Machst du die Spülmaschine an?«

Fünf Minuten Zigarette auf dem Laubengang. Die Busse fahren in der Ferne vorbei. Der ewig gleiche Trott der Busfahrer. Der Pizzabote fuhr vor, klingelte bei einem Nachbarn. Ein Paketzusteller fährt viel zu schnell. Der Hausmeister stutzt die Hecke. Der Kerl von Gegenüber guckt schon wieder einen Porno. Ich sah wippende Schenkel und hautfarbene Bereiche auf der Mattscheibe. Dessen Nachbar sitzt auf seinem Balkon und popelt. Ich lasse einen ziehen. Alles ist wie immer.

Ich ging nochmal schnell aufs Klo. »Como come el mulo, caga el culo«, hat mein Vater immer gesagt. Wie der Esel frisst, so kackt er. Mir fiel auf dem Pott ein, dass ich bald mal wieder nach Ingolstadt will. In Gedanken auf die Couch. Noch ein wenig Sudoku ausfüllen. Dann »Breaking Bad«. Im Bett las ich noch etwas. Zwei Bücher parallel, wie ich es seit Jahren tue. Nach vielen Jahren mal wieder »Der Pate« und eine Geschichte des Kommunismus. Ich schlafe ohne Probleme ein. Irgendwo wird gestöhnt - es stört nicht. Ich schlafe durch.

Und ich habe mich immer gewundert, wie Menschen im Angesicht sich ankündigender Weltenbrände einfach so weitermachten wie bisher. Ich stellte mir vor, dass man die Besonderheit der Situation hätte erkennen müssen. Aber keiner kommt aus seiner Tretmühle. Nicht mal, wenn Krieg droht.


8 Kommentare:

Anonym 10. Mai 2014 um 11:22  

Ist es richtig (in diesem Fall) Kinder zu belügen? Schafft man dadurch nicht die positiv Denker die wir hier dann beanstanden?

Und ja es wird einen dritten Weltkrieg geben solange die USA über ihre derzeitige militärische und finanzielle Macht verfügt. Die Amerikaner sind Kriegstreiber aus ihrer Arroganz heraus. Aber auch wenn der Kapitalismus vorher kollabiert werden wir uns danach, aus Hunger, gegenseitig an die Gurgel gehen.

Die Menschen sind so dermaßen abgestumpft. Es interessiert sie nicht was mit den anderen geschieht. Und was ich noch schlimmer finden ist das ich das Gefühl habe das sie es auch nicht interessiert was mit ihnen geschieht! Du fragtest mal in einen anderen Artikel "Ob wir es schaffen?" Ich glaube nicht!

anko

Anonym 10. Mai 2014 um 11:48  

Und hier vielleicht eine Erklärung, warum sich die Menschen so verhalten: http://chaosmitsystem.blogspot.de
Dieser Gedankenansatz könnte helfen, die Dinge zu verstehen.

Anonym 10. Mai 2014 um 16:52  

Der Kaffee schmeckt wirklich weniger beschissen, wenn man die Maschine entkalkt.

Anonym 11. Mai 2014 um 13:17  

Es wird keinen Krieg um die Ukraine geben!
Einen Bürgerkrieg in der Ukraine vielleicht schon, aber wenn erst einmal die Fußballweltmeisterschaft anfängt interessiert den hier ohnehin niemanden mehr.
Wer soll denn Krieg führen? Russland gegen die Nato? Wegen diesem wirtschaftlich unbedeutenden Land riskieren beide Seiten doch keinen Krieg, der die Weltwirtschaft gefährdet.
Und seine wir doch mal ehrlich, die meisten Deutschen hätten doch kein Problem damit, wenn die Ukraine an Russland fällt und nicht zum Empfängerland innerhalb der EU wird.
Und ich bin mir sicher die Merkel weiß das.

maguscarolus 11. Mai 2014 um 18:41  

>>Und ich bin mir sicher die Merkel weiß das.<<

Und genau so sicher ist es, dass die USA bereit sind, jedes Risiko einzugehen und ihre "Freunde" in dieses Risiko mit hinein zu treiben, wenn es darum geht, die Hand auf die innerasiatischen (und russischen) Bodenschätze zu legen - solange die USA (und die westliche Welt) von ein paar reichen Säcken regiert werden. Und die Ukraine scheint sich für die USA zum "Fuß in der Tür" zu entwickeln, will mir scheinen.

Was will die Merkel dagegen unternehmen - selbst wenn sie's wollte und nicht selber vom Marktradikalismus befallen wäre?

(Dem Vernehmen nach soll es noch ein paar kleine Kindlein geben die glauben, dass es den Amis um "Freiheit in der Ukraine" geht. LOL)

nightowl 12. Mai 2014 um 06:04  

Wow! Sehr schön beschrieben.
Doch wirklich ernst nimmt die Gefahr eines Krieges keiner, den ich kenne. Wäre es vielleicht anders, wenn es nicht "nebenan" wäre?

(...)Und es listet die Seele
Tag für Tag der Gebrauch uns ab.

(Hölderlin)

Anonym 13. Mai 2014 um 09:19  

Es herrscht schon lange wieder Krieg...gegen Griechenland, Spanien usw. Es heißt nur anders...Reformen, Rettungsschirme (für die Bankenverbrecher) bei denen es Menschen gibt, die kein Einkommen mehr haben und ihre Kinder ins SOS - Kinderdorf bringen müssen und froh sind, wenn sie überhaupt für ihr Liebstes einen Platz im Kinderheim bekommen.

Krieg? Da fällt mir Einstein ein, er wußte nicht, mit welchen Waffen der Dritte Weltkrieg ausgetragen wird, aber der Vierte, nämlich mit Stöcken und Steinen o.s.ä.

Ich verstehe nicht, wie man sich den größten Kriegstreiber der Welt zum Freund halten kann, aber egal....

Es ist schon unerträglich, daß uns die Medien alle Nase lang weismachen wollen/müssen, daß Putin der Böse ist.

Ich habe mich oft gefragt, wie konnte es sein, daß ein Hitler mal so mächtig wird.
Es ist immer das gleiche Spiel, anders, in veränderter Form, aber immer gleich.
Jetzt weiß ich es.
Es ist die unendliche...., wie Einstein schon sagte.

Anonym 24. Mai 2014 um 02:07  

Schöne Beschreibung ! So geht es sicherlich einigen in diesen Zeiten.
Ich fühlte mich beim Lesen wiederholt an Henry Miller erinnert...

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