Ich wähle die Sozis!

Samstag, 24. Mai 2014

Um »xxxmeinxxx xxxreich xx Europa« zu verhindern.

Eigentlich wollte ich ja schreiben, dass ich morgen nicht kann. Keine Zeit habe. Keine Lust. Nicht von meiner Couch runter will. Vorwände vorbringen, weshalb ich dieses sich gegen die Europäer organisierende Europa (Stichwort: »keine Sozialunion«) ignorieren und nicht wählen werde. Eigentlich. Aber dann habe ich überlegt und mir gedacht, dass es nichts bringt, mit verschränkten Armen und Schmollmund dazusitzen. Wahrscheinlich bringt es auch nichts, gerade das nicht zu tun. Man verstehe mich nicht falsch. Ich will niemanden zur Wahl motivieren. Es ist legitim, wenn man nicht gehen will. Die Ereignisse der letzten Jahre haben begünstigt, dass man resigniert und verdrossen wird.

Aber dann ist da ja auch noch dieses TTIP, dieses Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten, das von fast allen gewollt ist. Selbst Gabriel wirbt nun dafür. Merkel hat zwar behauptet, dass man keine Angst haben müsse, Sozial- und Qualitätsstandards würden nicht angetastet, »im Gegenteil« hat sie sogar gesagt. Aber was heißt das schon? Und was bitte meint sie mit »im Gegenteil« ? Will sie etwa den USA europäische Standards aufnötigen? Aber der Putin ist natürlich derjenige, der größenwahnsinnig ist, oder wie?

Was ist überhaupt von der Zusage einer Frau zu halten, die bereits aus der NSA-Geschichte eine endlose Geschichte des Zurückruderns und Zauderns machte? Wie will sie denn garantieren, dass die durch TTIP installierten Schiedsgerichte so urteilen werden, dass sie die europäischen Standards nicht antasten? Und ihr kameradschaftlicher Gegenspieler Schulz hat letztens dasselbe gesagt. Er wolle natürlich Qualität auf den Tellern erhalten. Aber wie er die Schiedsgerichtverfahren kontrollieren will, dazu hat er nichts gesagt. Er wurde aber auch nicht im Detail gefragt. Wie üblich. Mir schwant, dass man viel gegen diesen kalkulierten Deregulierungsakt im Sinne deutscher Billigheimer nicht machen kann.

Überhaupt gehe ich nur zur Europawahl, weil ich mit diesem Austeritätseuropa nicht einverstanden bin. Der Kurs der Regierung Merkel ist nicht haltbar. Er zerreißt Europa. Auf ihrem Wahlplakat deutet sie es ja kodiert an. »xxxmeinxxx xxxreich xx Europa«. An der Peripherie hat dieses neue deutsche Sendungsbewusstsein schon doll mitgemischt und so an der Destabilisierung der Region mitgewirkt.

Noch habe ich Europa ja nicht ganz aufgegeben. Vielleicht wird ja noch was daraus. Aber sicher nicht mit den amtierenden Parteien. Nicht mit den Merkelisten und den Sozialdemokraten um Gabriel, die jetzt plötzlich ganz auf EU-Kurs ihrer im Hosenanzug steckenden Richtlinienkompetenten sind. Da muss man schon was anderes wählen. Jetzt bei der Europawahl und dann bei den nächsten nationalen Wahlen auch. Immer quasi. Derzeit eignet sich die richtige Sozialdemokratie dazu. Noch. Das muss nicht ewig so bleiben. Wir passen uns eben alle mal an. Komisch nur, dass diese Sozialdemokratie derzeit unter dem Namen »Die Linke« zu Wahlen antritt. Denn die Sozialdemokratie ist ja kein schlechter Weg, wenn sie richtig gemacht wird. Geirrt hat sie sich immer mal wieder in ihrer Geschichte. Aber ein Irrweg war sie deshalb noch lange nicht. Man muss sie halt mal wieder wählen. Warum hat bis heute eigentlich kein Gericht verfügt, dass dieses Plagiat mit Namen »Sozialdemokratische Partei Deutschlands« verboten wird? Auf einem Twix-Riegel darf doch auch nicht »Diätlebensmittel« stehen.

Warum so konformistisch sein und wählen? Rechtfertigt man damit nicht eine Institution, die die wenigsten Menschen in der herrschenden Art und Weise wollen? Aber was sollen da erst all die rechtspopulistischen Anti-Europäer sagen, die sich zur Wahl stellen? Die müssten viel eher in Zwiespalt verfallen. Europa so gut es geht aufheben und dennoch ins Europäische Parlament einziehen wollen: Das nenne ich mal schizophren. Als ob man einen Bagger von der Baggerschaufel und nicht vom Führerhäuschen aus bedienen will. Internationalismus war ja von je her eine Angelegenheit der Linken, ein sozialdemokratisches Konzept, wenn man so will. Und man braucht ja ein Gegengewicht gegen diese Rechten, die nicht nur die europäische Integration, sondern auch noch gleich alle Reste der Aufklärung beenden wollen. Gegen die und den Mainstream, der »Austerität« zum Synonym für »Solidarität« erklärt.

Ich höre schon einige unken: »Alter, mit dieser richtigen Sozialdemokratie kommt kein Systemwechsel raus; schon gar nicht, wenn man die EU legitimiert.« Systemwechsel? Zu was? Man lernt dazu, irgendwann merkt man, dass man schattengeboxt hat und muss einsehen, dass es nicht um Wechsel, sondern um Änderungen geht. Oder mit den Schlussworten aus Jens Bergers neuen Buch: »Noch ist es nicht zu spät: Solange die Chance besteht, diese Fehlentwicklung friedlich zurückzudrehen, sollten wir diese Chance nutzen. Zivilisiert den Kapitalismus!«

Ich habe ihm bei einem Telefonat gesagt, dass diese Zivilisierung des Kapitalismus nach sozialstaatlichem und humanistischem Muster auch eine Art Sozialismus entstehen lässt. Marx hat das lange ganz genauso gesehen. Anders gesagt: Fuck the EU - aber wenn es sie schon mal gibt, muss man das Beste daraus machen. Für mich ist das derzeit immer noch die Sozialdemokratie, die sich jetzt »Die Linke« nennt.

11 Kommentare:

Anonym 24. Mai 2014 um 17:09  

Wenn Roberto nicht zur Wahl aufruft, dann mache ich es.
Meine Gründe:
1. Nichtwählen hat keine Auswirkung. Diese Politikerkaste wird sich immer legitimiert fühlen. Selbst wenn die Wahlbeteiligung bei 1% liegt. Dann wird behauptet, die Leute sind nicht wählen gegangen weil sie mit der Regierung so zufrieden sind.
2. Nur indem ich etwas anderes wähle, zeige ich den 'etablierten' Parteien "Euch wähle ich nicht"
3. Jeder Sitz für eine andere Partei fehlt den 'etablierten' Parteien. Nichtwähler ändern nichts an der Sitzverteilung, denn es werden nur die gültigen abgegebenen Stimmen gezählt.
4. Roberto hat eine informative Rubrik, in der er nach Wahlen immer die Prozente unter Berücksichtigung der Nichtwähler nennt. Stellt euch mal vor, wie unser Bundestag / unsere Landtage aussehen würden, wenn die Nichtwähler andere Parteien gewählt hätten. Wir hätten italienische Verhältnise und wären 'unregierbar'.

Grüße
Klotzkopf

Stefan Rose 24. Mai 2014 um 17:24  

Ich sehe, wir sind uns einig.

juerginskyi 24. Mai 2014 um 18:02  

Ich stimme in den "entscheidungserheblichen" Fragen zu. Daß eine Zivilisierung und Humanisierung des Kapitalismus auch eine Art Sozialismus entstehen ließe, ist aber eine eigenartige Hoffnung. Man konnte sie vielleicht in den 1970er-Jahren haben. Seit einiger Zeit schon betrachten wir aber die Rückabwicklung vieler Standards. Wer dies nur für bösen Willen der Regierenden hält, hat den Mechanismus des Kapitalismus nicht verstanden, fürchte ich...

maguscarolus 24. Mai 2014 um 21:21  

"Die Linke" zu wählen kann ich nur unterstützen. Sie ist wirklich die derzeit einzige sozialdemokratische Kraft in Deutschland - noch! Der Verfall durch Anpassung hat allerdings bei ihr auch schon begonnen, und wir sollten uns daran gewöhnen, dass man alle paar Jahrzehnte eine neue linke Partei brauchen wird.

Ravenbird 24. Mai 2014 um 22:09  

Nun ich denke auch nicht das Wahlen etwas bringen, gehe aber trotzdem wählen, zumal jetzt nach dem Fall der %-Hürde ein Prozent Stimmanteil reicht um ins EU-Parlament zu kommen. Und so wünsche ich mir dort möglichst viele kleine möglichst systemkritische Parteien die für Unruhe sorgen.

An Veränderungen auf diesen Weg glaube ich jedoch nicht. Die können nur durch Massenbewegungen und Organisation von Unten kommen. Durch massivsten Druck auf die Politiker und das System. Den von allein und freiwillig werden diese genauso wenig wie der Kapitalismus verschwinden!

PS. Ohne äußerst nervigen Captcha bzw. mit der Möglichkeit sich anzumelden und dann ohne Captcha zu kommentieren würde es wohl mehr interessante Kommentare geben.

Anonym 24. Mai 2014 um 23:35  

Wählen ist verkehrt! Das Wahlkreuz – ein Blankoscheck für die Macht
http://argudiss.de/node/41

Den Vortrag hab ich bei youtube gefunden und mich dann mal auf der Seite ein wenig umgehört.

Anonym 25. Mai 2014 um 03:26  

Geht zur Wahl. Macht Euer Kreuz, wo auch immer . Nichtwähler werden Nicht gezählt. Also wähle ich das kleinere Übel .

Anonym 25. Mai 2014 um 10:12  

ANMERKER MEINT:

Falls das heute am Wahlsonntag noch jemand liest: Ich wähle die Datenktitiker, weil es in Brüssel zu wenig Experten gibt, die die Daterei im Visier haben.

MEINT ANMERKER

Anonym 25. Mai 2014 um 16:56  

Wählen ist eigentlich eine Pflicht. denn jeder der nicht wählt, wählt auch. Leider sind die Wahlgesetze so, dass die abgegebenen Stimmen so bewertet werden, als wenn alle gewählt hätten - also gültig gewählt, über die wie auch immer bestehende Hürde, die gerade nun nicht vorhanden ist, also wirklich jede Stimme auch zählt und nicht unter den Tisch fällt.

Anonym 25. Mai 2014 um 21:46  

Nicht wählen ist wie nicht Zähneputzen... ! Irgendwann wird es braun... wie jetzt in Europa deutlich zu erkennen ist.

Anonym 25. Mai 2014 um 23:10  

Immerhin hat das "irgendwie linke" Lager laut aktueller ARD-Hochrechnung hinzugewonnen, Fake-SPD+echte Sozis+Grüne kommen auf 44 Prozent (2009 nur 39 Prozent), während die "bürgerlich-rechten" (inkl. AFD) 45 Prozent haben. 2009 reichte es bei CDU+FDP allein noch für 48 Prozent. Hier rechne ich allerdings nur die so genannten "großen" Parteien mit ein, wobei dieser Status im Fall der FDP natürlich schon fragwürdig ist...

Trotzdem auffällig, wie die Mainstream-Medien hauptsächlich auf den "Triumphen" der konservativen/rechten Seite herumreiten (die natürlich auch erschreckend sind).

Luna

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