Wieder einer der fehlen wird

Mittwoch, 20. November 2013

Mit 86 Jahren kann man schon mal sterben. Insofern überrascht der Tod Dieter Hildebrandts nicht besonders. Da muss man realistisch sein. Keiner lebt ewig und nicht alle haben eine Garantie auf einen vollen Hunderter. Und trotzdem ...

Die besten Tage des Kabarettisten Hildebrandt habe ich nicht erlebt. Dazu bin ich zu jung. Was ich rückblickend oder als sein Spätwerk sah, war voller kabarettistischer Grandezza. Ein Clown war der Mann, der seinem Publikum unvollendete Sätze in den Geist legte, ganz sicher nicht. Er sagte mal, dass er keine Witze mache, sondern Pointen. Und das sei eine ernste Angelegenheit. Das merkte man ihm an. Er witzelte und frotzelte sich nicht durch die Kabarettszene, sondern hatte ein Anliegen: Der Macht auf die Finger und auf das Maul schauen. Es ins Groteske ziehen, Denkanreize liefern und den Ernst der Lage komödiantisch kenntlich machen. "Politik muss man nicht achten, man muss auf sie achten", hat er mal gesagt. Das tat er auf seine ganz spezielle Weise.

Hildebrandt trat gerne als Naivling auf, der viele Fragen stellte und sich die Antworten selbst gab. Manchmal auch, ohne den Antwortsatz zu beenden. Mit dem Ansatz solcher Antworten ließ er seine Zuhörer zurück. Kabarett war für ihn keine Lektion, die er den Leuten erteilen wollte, sondern ein Denkanstoß.

"Politik ist nur der Spielraum, den die Wirtschaft ihr lässt", hat er mal festgestellt. In den letzten Jahren hat er würdige Nachfolger gefunden. Man denke nur an Schramm. Auch eine grandiose Gestalt des politischen Kabaretts. Aber Sätze auf diese oben genannte Weise so sehr auf das Wesentliche zu reduzieren, das konnte wahrscheinlich nur Dieter Hildebrandt. Manchmal habe ich ohnehin den Eindruck, dass es im deutschen oder deutschsprachigen Kabarett keine Äußerung mehr gibt, die es nicht schon vorher als Zitat von Hildebrandt gab.

In den letzten Tagen und Wochen geisterte immer wieder ein treffliches Zitat über die Sozialdemokratie durch meinen Kopf: "Die SPD hat sich noch in jede Hose gemacht, die man ihr hingehalten hat." Es stammt natürlich auch von Hildebrandt und es passt aktuell ganz ausgezeichnet. Dieser Satz bringt die Koalitionsverhandlungen der Sozialdemokraten mit der Union auf den Punkt. Und damit wären wir beim Punkt: 86 Jahre ... erfülltes Leben ... schon alt - der übliche Quatsch, den man so sagt. Wir hätten diesen Dieter Hildebrandt noch nötig gehabt. Dringend sogar. Die Zeiten, die da kommen, wären eine schöne Spielwiese für ihn gewesen.

Wieder einer der fehlen wird. Ich denke da an Kreisler, an Degenhardt, an Semprún und Saramago. Ausgerechnet jetzt, da ihr kritischer Verstand im Verbund mit ihrer künstlerischen Kraft so notwendig gebraucht würde. Irgendwie habe ich den Eindruck, dass wir in unserer neoliberalen Zukunft mehr und mehr auf uns selbst gestellt sein werden. Ganz alleine ohne eine künstlerische Inspiration. Sie sterben uns alle weg.


6 Kommentare:

Anonym 20. November 2013 um 17:02  

Schöner Nachruf Roberto.

Er wird fehlen. Unser Glück ist das noch einige wenige gute Kabaretisten die Stimme erheben.

Anhänger des 04.08.1789

Hartmut B. 20. November 2013 um 18:06  

Danke Roberto für den würdigen Nachruf.

Er war mehr als ein "Eulenspiegel" der Nation....

Die kritischen Geister, wie Du schriebst sterben aus.

Jetzt ist es Aufgabe der Jüngeren die Kritik nicht aufzugeben....
Und genau das beinhaltet Dein Blog.
Darüber bin ich froh und dankbar.

Mach weiter so und vielen Dank für Deine tollen Artikel!

BlueLion 20. November 2013 um 18:43  

Wie war das treffende Wort aus "Das Boot"?
“Der Alte” zu Thomsen in Das Boot:
“Philipp, das ist nicht mehr die alte Gang. Jetzt kommen die Quexe. Die nassforschen Typen. Die Maulhelden.”

Braman 20. November 2013 um 20:48  

Was soll das Gejammer?
Natürlich war und ist Herr Hildebrandt ein Inspiration, ein wahrer und leider einsamer Könner auf seinem Gebiet! Ich habe ihm gerne und oft zugehört, habe viel von ihm gelernt und bedaure seinen Abschied sehr.
Aber anstatt zu Jammern, selber denken, selber sehen wo die Schwachstellen sind in unserer Gesellschaft und sie (so wie Roberto) auf zeigen. Öffentlichkeitswirksam werden, jeder so gut er es kann, und jeder kann sich verbessern.

In diesem Sinne MfG: M.B.

Anonym 21. November 2013 um 08:52  

@Braman 20:48 20Nov13

Ich kann mich dem nur anschließen. Trauer ist angebracht, Jammern nicht.
Es gibt so viele würdige Nachfolger.
Ich nenne da nur mal Georg Schramm oder H.G. Butzko oder Wilfried Schmickler oder Max Uthoff oder Bruno Jonas oder Volker Pispers ...
Die Liste ist lang und ließe sich noch verlängern.

MEINT ANMERKER

Gisela Weber 21. November 2013 um 09:21  

Auch ich bedanke mich für den Nachruf und die Würdigung der Arbeit von Dieter Hildebrandt.

Ich habe seine Auftritte im Fernsehen immer als Sensation wider den Mainstream erlebt.

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