Die, die laut Nein schreien und still Ja ankreuzen

Donnerstag, 28. November 2013

oder Ein Nein wäre ein Ja zum demokratischen Grundgedanken.

Am 6. Dezember ist der Tag, an dem der Typ mit dem Sack kommt. Und es wird in diesem Jahr der Tag sein, an dem der Mitgliederentscheid bei den Sozialdemokraten beginnt. Das heißt folglich: Dieses Jahr gibt es für uns nichts aus dem Sack, aber sehr wahrscheinlich auf den Sack.

Als gestern der Morgen graute, graute dem Morgen. Denn nun wussten wir, dass man sich über Nacht auf eine Große Koalition geeinigt hatte. Seither werden die Kommentatoren des Zeitgeschehens nicht müde, die Sozialdemokraten als die Sieger der Verhandlungen zu stilisieren. Das geschieht, um die SPD-Mitglieder einzuschwören, um sie auf Kurs zu bringen. Sie sollen glauben, dass das Kabinett Merkel III, musikalisch von einer sozialdemokratischen Agenda untermalt wird. Bei Maischberger konnte man schon vorher erfahren, dass Merkel eigentlich eine sozialdemokratische Kanzlerin sei. Das ist ein unglaubliches Kunststück in einer Zeit, da nicht mal die Sozialdemokraten sozialdemokratisch sind.

Wo genau liegt der sozialdemokratische Gewinn an einem Mindestlohn, der nicht für alle gilt und den man auch relativ einfach umgehen kann? Vom flächendeckenden Charakter des Mindestlohns spricht keiner mehr. Nahles scheint das Wort flächendeckend geradezu verlernt zu haben. Und wie man die soziale Schieflage ein bisschen begradigen möchte, ohne die höchste Stelle der Steigung abzusenken, sprich: ohne Steuern für Reiche zu erhöhen, das kann doch beim besten Willen kein sozialdemokratischer Erfolg sein.

Ich will den Sozialdemokraten jetzt auch nicht einreden, sie sollten Nein sagen, weil das Programm nicht richtig sozialdemokratisch ist. Ich persönlich sehe das zwar so. Aber ich glaube ja auch, dass sozialdemokratisch etwas völlig anderes als die SPD ist. Vorratsdatenspeicherung, Freiheit für Reiche und Wimperntusche auf den Niedriglohnsektor sind ja gewissermaßen seit Jahren das Konzept dieser postsozialdemokratischen Partei gewesen. So sieht halt auch die geplante Zusammenarbeit mit der Union aus.

Ach, ich bin mir sicher, die Sozialdemokraten sagen ab den 6. Dezember laut Nein. Kreuzen aber still Ja an. Wie immer. Sie werden schwere Bedenken haben, sich winden, rumeiern, sich deprimiert abwechselnd am Arsch und am Kopf kratzen und viele Argumente gegen die Große Koalition auflisten. Sozialdemokraten machen das wie andere Leute Sudoku. Als Zeitvertreib quasi. Sie sehen die These, widersprechen mit allerlei Antithesen und gehen gleich darauf die Synthese ein. Und das schaffen sie, ohne gleich Hegelianer zu sein. Sozis legen so eine Art thailändischer Höflichkeit an den Tag, sagen auch Ja, wenn sie Nein meinen.

Hätte die Merkel doch die absolute Mehrheit errungen. Rückblickend wäre mir das lieber gewesen. Dieses Szenario hätte letztlich mehr mit parlamentarischer Demokratie zu tun gehabt, als die koalitionäre Megalomanie die jetzt ansteht. Daher, Sozis, sagt Nein! Nicht, weil das Programm eine Farce ist, weil man euch einlullt mit eurem Sieg bei den Verhandlungen über die Union. Das ist alles Unsinn und nicht der Rede wert. Sagt Nein, weil das der Demokratie besser täte. Übernehmt also Verantwortung und weigert euch, in einem Land leben zu müssen, in dem es eine Opposition nur noch auf dem Papier gibt.


8 Kommentare:

Anonym 28. November 2013 um 07:57  

"Wimperntusche auf den Niedriglohnsektor",der Koalitionsvertrag flächendeckend sozialdemokratisch geschminkt. Leider wird es wie schon gehabt, die Basis wird dieser dick angemalten Leiche zustimmen

Anonym 28. November 2013 um 09:41  

ANMERKER MEINT:

Da gibt es doch die alte Volksweisheit: Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht.
Der Krug scheint noch 4 Jahre gehen zu wollen, bis er vollends zerDEPPErt ist.

MEINT ANMERKER

ulli 28. November 2013 um 10:45  

Grundsätzlich halte ich die Mitgliederabstimmung für eine positive Sache. Die sollen sich halt gut überlegen, wofür sie stimmen. Auch manches aus dem Koalitionsvertrag, wie die doppelte Staatsbürgerschaft oder den Mindestlohn (der nun ja irgendwie schon kommt), finde ich wirklich positiv.

Ansonsten ist es wieder Politik der Mittelschichten für die Mittelschichten (siehe Mütterrente). Dies ist Ausdruck einer Gesellschaft, in der sich die oberen zwei Drittel (das obere Drittel der Bürger, dem es wirtschaftlich ausgesprochen gut geht, und das mittlere Drittel, dass sich zwangshaft einbildet, ebenfalls zum oberen Drittel zu gehören) gegen das untere Drittel der Gesellschaft verbündet haben. Zwar bringen die Medien Berichte, wie schlimm die Prekarisierung ist und wird viel lamentiert. Andrerseits weiß aber doch jeder, warum es beim Discounter so billig ist: Weil im Hintergrund all die ausgebeuteten Lohnsklaven unter Elendsverhältnissen die Waren herstellen, transportieren und verkaufen. In der Tat profitiert die Majorität von der Ausbeutung der Minorität. Und solange das ausgebeutete untere Drittel nicht laut und vernehmlich "Halt!" schreit, sondern immer nur still vor sich hin leidet und bei den Tafeln ansteht, wird sich daran auch nicht viel ändern.

Sledgehammer 28. November 2013 um 12:26  

Die Basis der Sozialrestdemokraten, in Gemeinheit mit ihren charakterlosen Scouts einen furchtsamen und gleichwohl fürchterlichen Haufen bildend, wird auf ihrem vorweihnachtlichen Ge- bzw. Besinnungsmarsch, die Kothaufen der Christlosdemokratzen als Wegmarkierung nutzend, von Schalmeienklängen bzw. Kakophonien der "Blödmaschinen" begleitet, erschöpft aber letztlich glücklich im vorbestimmten "Hintern" landen.

Sledgehammer 28. November 2013 um 16:58  

Deutsche Wirtschaftsnachrichten vom 24.09.2013:

"Goldman & Sachs wünscht Große Koalition für Deutschland"

Schlußfolgerung:
Die dumbe Mehrheit, vertreten durch ihre legitimierten Schmierenkomödianten, in Selbstverantwortlichkeit für die zukünftige Schlachtbankzuführung.

Anonym 28. November 2013 um 18:34  

„Hätte die Merkel doch die absolute Mehrheit errungen. Rückblickend wäre mir das lieber gewesen.“

Absolute Zustimmung!

Hätte die CDU die absolute Mehrheit errungen, hätte die SPD nicht nur genug Zeit sich für die Wahl 2017 zu positionieren, sie hätte auch Chancen gehabt zu gewinnen. Schließlich wäre dann endlich mal Merkel schuld an allem, was in den nächsten 4 Jahren so schiefläuft, so aber hat sie mal wieder einen Koalitionspartner, den sie verheizen kann.

Als Hagen Rether 2004 bei einem seiner Auftritte über die zukünftige Fussball WM 2006 redete und beiläufig meinte, „Da ist Angela Merkel knapp noch nicht Kanzlerin“ fand ich das lustig.

Als er irgendwann 2006 bei einem seiner Auftritte vorhersagte, die große Koalition werde bis 2009 durchwurschteln und die SPD so weit demontieren das wir uns schon auf Schwarz-Gelb freuen können, konnte ich auch noch Lachen. Zitat: „Das werden gute Zeiten fürs Kabarett!“

Aber als ich dann Herrn Rether Anfang dieses Jahres live sah, er über Steinbrück sprach und er nebenbei über Merkel meinte, „Ihnen ist schon klar, dass wir die Merkel jetzt 16 Jahre ertragen müssen oder?“ fand ich das nicht mehr witzig.

maguscarolus 30. November 2013 um 08:30  

Ich frage mich, ob die SPD-Granden den Untergang ihrer "Volkspartei" sehenden Auges in Kauf nehmen, nur um sich die eigene Pension zu vergolden, oder ob sie so dumm sind, Kankra Merkel immer noch zu unterschätzen.

stefanbecker 30. November 2013 um 13:05  

So langsam stirbt die Postdemokratie. Es lebe die Einheitspartei,es lebe die sozialchristliche Einheitspartei Deutschlands SCED.
Einfach nur noch grotesk.

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