Bloß kein Gedenken daran verschwenden

Donnerstag, 14. November 2013

oder Über Gedenktage und ein kurzes In eigener Sache.

Da kamen sie am Wochenende wieder zusammen, die feinen Damen und Herren und ihr Betroffenheitsmob. War ja Jahrestag des Pogroms von 1938. Da musste man Bekenntnis ablegen, veranschaulichen, dass man immer daran denkt, nie vergisst, das Nie wieder! verinnerlicht hat. Eigentlich wäre das ein Gedenktag typisch linken Kolorits gewesen. Aber ich tue mich als Linker heute schwer damit, mit gediegener Miene diese Gedenkelei zu begleiten.

Für mich kann das keine Gedächtniskultur sein. Sie ist durchdrungen von Verlogenheit. Man gedenkt völlig richtig der Übergriffe, unter denen damals Juden zu leiden hatten, verhält sich aber ruhig, wenn aktuell die geistige Vorbauarbeit geleistet wird, die auch damals den Aktionen zuvorkamen. Wo sind denn die standhaften Gedenkenträger, wenn wieder mal ein blöder Hund Abhandlungen zu Kopftuchmädchen schreibt oder man zeitungsübergreifend gegen Roma und deren blonden Nachwuchs keift? Was da in manchem Kommentarbereich der Online-Ausgaben zu lesen war, das waren theoretische Pogrome, Stimmen wie aus jenem Blatt von Julius Streicher, das schon vor 1938 Stimmung machte. Wir leben halt immer noch in einem fruchtbaren Schoß.

Sicher, die Gedenken sind frei. Man kann Gedenktage begehen wie man mag. Aber was nützt da ein Gedenktag, wenn man den Inhalt des Gedenkens im Alltag vergisst? Heute in sich gehen und morgen wieder wegschauen, wenn Schwarze in der Bahn kontrolliert werden, nur weil sie schwarz sind? Ist es das? Hat das Gedenken nicht sprachlich etwas mit den Gedanken zu tun? Und kann es eine Gedenkkultur in allgemeiner Gedankenlosigkeit überhaupt geben? Ich denke, man sollte bloß kein Gedenken daran verschwenden, wenn man es nicht alltäglich lebt.

Apropos Gedankenlosigkeit. Im Ersten lief am Jahrestag der Reichspogromnacht der Film Rommel. Schönes Gedenken, mit dem anständigsten aller deutschen Generale. Mittags Kranzniederlegung und Bekenntnis zum Nie wieder! und abends dann Zeitvertreib mit einem Nazi, der Mensch geblieben ist.

Das ist, als ob man jährlich den Hochzeitstag feiert, im alltäglichen Leben allerdings ohne einem Bewusstsein von Partnerschaft lebt. Wer sein Eheleben alltäglich (er-)lebt, der muss seinen Hochzeitstag auch nicht zu einer metapysisch verquasten, fast schon transzendenten Schicksalsstunde verklären. Verheiratet ist man schließlich das ganze Jahr und nicht nur an irgendeinem Tag im April, Juli oder November. Ihn mit der üblichen Romantika zu würdigen ist letztlich nur dann gehaltvoll, wenn man die Ehe mag, in der man lebt. Wenn man sie (und gar den Partner) hasst, dann ist der Strauß Rosen nur wohlriechende Verlogenheit oder eben die traditionelle Eintrittskarte zum jährlichen Gedenksex.

Als Antifaschist ein ursprünglich antifaschistisches Bekenntnis nicht teilen zu wollen, weil es so ausgehöhlt und entleert ist, dass es den bitteren Erfahrungen unseres zeitgenössischen Alltags gar kein ethischer Ratschlag mehr sein kann, das ist schon ein dolles Kunststück unserer Zeit. Wenn das Gedenken nicht an den 365 Alltagen des Jahres als verinnerlichtes Lebensgefühl stattfindet, dann findet es auch zu festem Datum nicht statt. Dann ist es nur gesellschaftliches Ereignis, zu dem man sich gut anzieht und nett spricht. Dann ist es eine schöne Tradition, die man gerne hat, weil sie so einen guten Eindruck vermittelt.

Das wollte ich heute noch loswerden, bevor ihr mich loswerdet. Für diese wenigen Sätze hatte ich noch etwas Zeit. Aber nun ist der Laden dicht. Ab heute geschlossen. Für einige Tage. Aus familiären Gründen. Gedenktage schaffen.


9 Kommentare:

Martin 14. November 2013 um 07:08  

Da wäre noch diese volkstümelnde Wetten dass-Sendung zu erwähnen, in der die US-Sängerin Miley Cyrus auftrat, die kürzlich einen antisemitischen Ausfall hatte (http://www.spiegel.de/panorama/leute/miley-cyrus-laestert-in-interview-ueber-70-jahre-alten-juden-a-927596.html) sowie die Musik-Wette der beiden Kinder, die Lieder des bräunlichen "Volksrockers" Andreas Gabalier erraten sollten (http://mobil.derstandard.at/1326503965463/Volksrocker-bei-Stermann--Grissemann-Der-Junge-und-das-Kreuz)...

Anonym 14. November 2013 um 09:09  

Martin: Ergänzung. Auch der Moderator Markus Lanz schleimte sich zu Anfang der Show mit einer positiven Bemerkung zum 9. November 1989 beim Saalpublikum ein, ohne auch nur ein Wort über den 9. November 1938 zu verlieren.

Anonym 14. November 2013 um 09:19  

ANMERKER MEINT

Tja, es ist schon ein Kreuz(Sic!)mit den sogenannten Gedenktagen und der damit einhergehenden Heuchelei. Andrerseits können sie vielleicht doch auch sensibilisierend wirken, manchmal gar politisierend. Letzlich ist von den Lippenbekenntnissen derer da oben nicht viel zu erwarten, vielleicht aber von den Graswurzeleien, die nicht locker lassen und nach solchen Gedenktagen wieder mit mehr Aufmerksamkeit rechnen können. Die Erinnerung an die dunkelste Zeit deutscher Geschichte darf nicht aufgegeben werden. Sie kann Warnung sein und auch Mut zum Widerstand heute befördern. Darin sehe ich - bei aller von Dir aufgezeigten Widersprüchlichkeit - weiterhin eine Chance.

MEINT ANMERKER

Eric 14. November 2013 um 14:15  

Nebenbei bemerkt: hier in Berlin hatte man (sei's über RBB oder anderes Medium oder "Gedenkfeierlichkeiten") in den letzten Wochen den Eindruck, dass Juden die einzigsten Opfer der Nazis waren. Kein oder kaum ein Wort zu Roma/Sinti, Kommunisten, Schwule, Behinderte, Kriegsgefangene usw...

Ist mir nur mal so aufgefallen...

Ansonsten sprichst Du mir wieder mal aus dem Herzen, Roberto!

Schönen Gruß aus Kreuzberg

maguscarolus 14. November 2013 um 15:44  

Die Hohl-und Verlogenheit offizieller Gedenktage (genau so wie diese unseligen "Tag, Woche, Monat, Jahr von Irgendwas"-Verfügungen) widert wohl Jeden an, der als unverbesserlicher philosophisch aufgeklärter Romantiker an ein wahrhaftiges Wesen der Dinge glaubt.

Ich fürchte allerdings, dass wir noch sehr sehr sehr lange werden warten müssen, bis unsere politischen "Eliten" selber vom Inhalt ihrer Sonntagsreden überzeugt sein, mit ihrer Person dahinter stehen und auch danach handeln werden.

Anonym 14. November 2013 um 18:24  

@Eric

Mit Sholomo Sand gibt es bereits einen der führenden israelischen Intellektuellen, der genau dies anprangert - man müßte nämlich von 11 Millionen Nazi-Opfern sprechen (die 6 Millionen Juden mit eingerechnet deren man jedes Jahr gedenkt)

Sein neuestes Essay ist eine Abrechnung mit genau dieser Gedenkpolitik, die auch in Israel dazu führt, dass man nur der jüdischen Opfer gedenkt, aber die anderen Opfer des Nazi-Terrorsystems komplett unter den Tisch kehrt.

Gruß
Bernie

ulli 14. November 2013 um 19:12  

Ich habe vor ein paar Jahren ebenfalls einen solchen Gedenktag geschaffen. Herzlichen Glückwunsch!

pillo 15. November 2013 um 01:09  

Wenn die Berliner in ihrer schnoddrigen Art Mahnmale als "Kranzabwurfstellen" bezeichnen, bringen sie es auf den Punkt. Oft handelt es sich dabei wirklich um nichts anderes.

Hohle Rituale, die im Grunde nur noch vollzogen werden, weil man dies eben schon immer so gemacht hat. Immer am Tag X die gleichen Nasen, die gleichen Reden, die gleichen "Dokumentationen" im TV, die gleichen Nachrichtenmeldungen, usw. usf.

Man kann die Uhr danach stellen - 27. Januar, 13. Februar, 8. Mai, 17. Juni, 20. Juli, 13. August, 1. September, 9. November,... Ist es da nicht verständlich, dass sich immer mehr Menschen genervt und angewidert abwenden?

So gesehen verwundert es mich überhaupt nicht, dass die gleichen Leute, die heute noch mit (gespielter?) Betroffenheit vor einem Mahnmal stehen, schon am nächsten Tag eine Politik weiter voran treiben, die den Weg für neue Untaten bereitet.

Anonym 20. November 2013 um 00:27  

Gaanz ruhig brauner. Das tausendjährige Reich ist gerade mal 80 Jahre alt - das wird schon noch...

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