Welche Chancen? Welche Chancen!
Mittwoch, 2. Oktober 2013
Was hätte aus den beiden Deutschland erwachsen können. Welche Chance! Und wie schrecklich vertändelt sie wurde. Statt eines besonnenen Verfassungspatriotismus' machten derber Nationalismus und konsumorientierte Lust auf die D-Mark den Prozess der Annäherung unter sich aus. Eingewickelt von einem Konservatismus, der die Alternativlosigkeit der Zerschlagung aller DDR postulierte, um damit in den Almanach deutscher Geschichte zu gelangen, flößte man dem Osten Wettbewerb, deregulierte Märkte und Ellenbogenmentalität ein.
Vor einiger Zeit fiel mir Grass' Tagebuch von 1990 in die Hände. Unterwegs von Deutschland nach Deutschland nannte er es. Welche Chancen! Er beschrieb einen Brandt, der zunächst noch von Könförderation sprach, aber zu einer moralischen Absegnung einer populistischen Wiedervereinigung nach den Spielregeln des Westens getrieben wurde. Einen Lafontaine als Kanzlerkandidaten, der den Zusammenschluss so nicht wollte, ihn aber proklamieren musste, wenn er überhaupt eine Chance haben wollte, die kommenden Wahlen zu gewinnen. Und er nennt all die hoffnungsfrohen Stimmen aus der DDR, die von einer Reform und Überarbeitung des Sozialismus sprachen, die dann ganz schnell als Romantiker diffamiert wurden. Die D-Mark hat sie denunziert.
Wir Nachgeborene des geteilten Deutschlands, wir, die wir Kinder waren, als die Teilung beendet wurde, wissen heute kaum, dass der Anschluss der DDR an die Bundesrepublik, gemeinhin als Wiedervereinigung bekannt, keine geschichtliche Alternativlosigkeit war. Dass es Chancen gab, die Vorzüge beider Systeme zu verbrüdern. Welche Chancen? Selbst die damals noch junge Angela Merkel soll das in jenen Tagen der Wende gehofft und gesagt haben. Das Zitat ist aber kaum mehr auffindbar. Entweder war es gut gelogen oder es ist nicht mehr genehm. Zwei Jahrzehnte voller Verklärung und Vergessen haben den Blick für die Tatsachen und die damaligen Möglichkeiten verschleiert.
Was bleibt ist die Arroganz des Westens. Die Großspurigkeit des Siegers. Ist die gerecht? Waren die Facharbeiter der DDR zu blöd, um qualitativ hochwertig zu arbeiten? Hatten sie Aufstiegsmöglichkeiten ohne Leistung? Welche Chancen? Waren die Führungskader einfach alle nur dämlich? Das ist jedenfalls die Lesart des Mainstreams seit Jahren. Ostalgie bedeutet nicht nur Rotkäppchen-Sekt, Sing, mei Sachse, sing oder sozialistische Offenheit in puncto Freikörperhultur. Ostalgie bedeutet heute auch immer: Es war nicht alles schlecht in der DDR - nein: es war alles sehr schlecht. Darin gefällt sich dieses Westdeutschland, in das das Ostdeutschland aufgenommen wurde.
Ist diese Überheblichkeit also gerecht? Monika Maron, nicht gerade als Verklärerin der ostdeutschen Wirklichkeit bekannt, fragt sich in ihrem Essay Ich war ein antifaschistisches Kind, weshalb die Westdeutschen ihr "eigenes Wohlergehen nur noch als eine gerechte Folge ihrer ehrlichen Arbeit ansahen, nicht aber auch als einen geographischen Glücksfall. Läge Schwaben an der Oder, läge Leipzig am Rhein ... Dann hießen die Schlagzeilen in den Zeitungen heute vielleicht: Wieder hunderttausend Demonstranten in Stuttgart." Wenn Leipzig diesen direkt Weg nach Rotterdam, einen Zugang zur Welt gehabt hätte: Was für Optionen hätten sich da ergeben. Welche Chancen!
War es alleine der Sozialismus, der chancenlos machte? Auch. Die Isolation, in die sich der real existierende Sozialismus verstrickte, in die er aber auch gedrängt wurde, gebar keine Chancengleichheit. Und der Rest war Zufall, war historisch gewachsene Prämisse, war geographisches Pech. Das sind aber Faktoren, die keine Rolle mehr spielen, die im Orkus, in den emsige Geschichtsschreiber ihnen unliebsame Elemente ihres Themas hineinstopfen, verschwunden sind. Der Westen tut so, als habe auch der Osten seine Chance gehabt. Ihr habt es vermasselt, spotten sie. Man sollte zurückfragen: Welche Chancen?
Dieselbe Frage stellt der Westen denen, die ihr erstes Leben im Osten hatten. Welche Chancen? Was habt ihr denn gehabt und gemacht? Klar, jeder hatte seinen Job, war in einer Gemeinschaft der Werktätigen aufgehoben, konnte noch als Rentner in die Kantine seines Ex-Arbeitgebers gehen. Aber was waren denn das für Jobs? Unnötige. Künstlich erzeugte. Das ist jedoch nur der westliche Blick auf die Dinge. Der pekuniäre Blick. Dass man mit allen Mitteln versuchte, den Menschen eine sichere Basis zu ermöglichen, wird verunglimpft und als Sozialromantik verlacht. Dabei wäre es lobenswert. Und genau dieser Versuch eines besseren Konzeptes wäre die Essenz des Ostens gewesen, die wir in den Westen hätten tröpfeln lassen sollen.
Der Vorwurf der Romantik ist ja nicht falsch. Wenn eine Ehe kracht, dann denken beide Seiten gerne an die besseren Tage zurück. Sie denken an romantische Stunden und fragen sich: Wohin ist das alles geraten? So ist es auch beim Sozialromantiker. Aber was ist daran falsch? Wohin kämen wir ohne Romantik? Die realpolitische Welt ist eine traurige und eine hoffnungslose Welt. Ohne Romantik gelangen wir dorthin, wo wir heute stehen. Die Marktwirtschaft nimmt keine Rücksichten auf menschliche oder gesellschaftliche Befindlichkeiten, sie ist sich Selbstzweck. Das jedenfalls war in dieser DDR-Wirtschaft, die natürlich marode war, die selbstverständlich Makel kannte - ich will das nicht bestreiten! -,nicht der Fall. Ob sie marode war, weil sie den Anspruch erfüllen wollte, für die Menschen gemacht zu sein, oder weil sie ein isoliertes und vom Westen nicht als Partner akzeptiertes System war, lassen wir mal dahingestellt. Zumindest der Gedanke, dass es mehr gibt zwischen Aktienkursen und Profitaussichten hätte man mitnehmen können. Doch: Vergeudet! Abgelehnt! Welche Chancen!
Wir leben stattdessen in einem Land, in dem allerlei westliche Künstler meinen, sie hätten die Wende verursacht. In einem so pathetischen Klima ist kein Platz für Gedankenspiele, was uns aus dem Osten hätte bereichern können. Wenn ein fickriger alter Mann mit Schlapphut in die Kameras nuschelt, dass sein Sonderzug nach Pankow der Anfang vom Ende der DDR war und ihm dabei auch noch Fans bestätigend zujubeln und die Presse das unkommentiert abdruckt, dann ist es keine Zeit dafür, über die Chancen zu sprechen, die uns entgangen sind. Welche Chancen!, wird deshalb nur als Ausruf ewiggestriger Kader abgetan.
Vielleicht brauchen wir noch mehr zeitlichen Abstand. Knapp ein Vierteljahrhundert ist nicht viel Distanz. Wir brauchen deutlich mehr. Und wir brauchen eine ordentliche Krise des Siegersystems. Ginge es diesem vereinten Deutschland so, wie es derzeit den Spaniern oder Griechen geht, was würden sie wohl über ihren Westen sagen, der den Osten erlegt hat? Würden sie sagen, es sei nicht alles Gold, was glänzt? Würden sie schwermütig an den Osten denken und flüstern Welche Chancen! und an Zeiten denken, da es mehr Gewissheit gab, mehr Planbarkeit eines kleinen Menschenlebens? Möglich, dass in hundert Jahren, gibt es da die Bundesrepublik noch, sich ganz anders über diesen Osten erinnert wird.
Ein schlechtes Beispiel gibt uns das Andenken an die Hitlerjahre. Erst verschwieg man, dann sah man ein, dass man Mitschuld trug. Man sagte voller pazifistischen Drang Nie wieder Auschwitz! und meinte damit, nie wieder Krieg, nie wieder Unterdrückung. Daher Zurückhaltung und ausgewogene Außenpolitik. Irgendwann sagte ein Außenminister Nie wieder Auschwitz! und daher: Bundeswehreinsatz im Ausland. Aus der Passivität würde Offensive. Was man da als Leitmotiv aus der Hand gab: Welche Chancen! Und übrigens: Nicht alle waren damals Verbrecher. Stimmt ja auch. Aber wenn man die Berichte heute so sieht, glaubt man, Hitler habe gegen das ganze Volk und gegen das Militär gestanden. Wie kann man das erklären? So werden jene Jahre zur unerklärbaren Zeit, zum Unfall der Geschichte. Das ist die Haltung, die schon kurz nach dem Krieg aktuell war, damals, als noch alle schwiegen.
Das soll als Beispiel dienen: So wandelt sich der Blick einer Gesellschaft auf Ereignisse über Jahre. Und wer möchte denn behaupten, dass in hundert Jahren nicht festgestellt wird, dass dieses Ostdeutschland vielleicht viele Mängel hatte, aber auch ein hehres Motiv, das man dann leider mit Eintritt der DDR in die BRD aufgab. Welche Chancen!
Vielleicht mag es dann ein Rückbesinnung auf humanistische Ideale geben, etwas mehr Milde und Rücksicht. Das Prinzip Hoffnung. Solange werfen wir alle Menschen, gleich wie klug, gleich aus welcher Einkommensklasse, in den Wettbewerb, in dem weniger Begabte untergehen und weniger Potente darben. Man gibt ihnen aber verbrämende Schlagworte an die Hand, nennt das System chancengerecht und stellt fest: Wer will, der kann. Die meisten fragen sich aber nur Welche Chancen? und glauben, anders kann es nicht sein, weil sie es anders nicht mehr kennen.
Wir Nachgeborene des geteilten Deutschlands, wir, die wir Kinder waren, als die Teilung beendet wurde, wissen heute kaum, dass der Anschluss der DDR an die Bundesrepublik, gemeinhin als Wiedervereinigung bekannt, keine geschichtliche Alternativlosigkeit war. Dass es Chancen gab, die Vorzüge beider Systeme zu verbrüdern. Welche Chancen? Selbst die damals noch junge Angela Merkel soll das in jenen Tagen der Wende gehofft und gesagt haben. Das Zitat ist aber kaum mehr auffindbar. Entweder war es gut gelogen oder es ist nicht mehr genehm. Zwei Jahrzehnte voller Verklärung und Vergessen haben den Blick für die Tatsachen und die damaligen Möglichkeiten verschleiert.
Was bleibt ist die Arroganz des Westens. Die Großspurigkeit des Siegers. Ist die gerecht? Waren die Facharbeiter der DDR zu blöd, um qualitativ hochwertig zu arbeiten? Hatten sie Aufstiegsmöglichkeiten ohne Leistung? Welche Chancen? Waren die Führungskader einfach alle nur dämlich? Das ist jedenfalls die Lesart des Mainstreams seit Jahren. Ostalgie bedeutet nicht nur Rotkäppchen-Sekt, Sing, mei Sachse, sing oder sozialistische Offenheit in puncto Freikörperhultur. Ostalgie bedeutet heute auch immer: Es war nicht alles schlecht in der DDR - nein: es war alles sehr schlecht. Darin gefällt sich dieses Westdeutschland, in das das Ostdeutschland aufgenommen wurde.
Ist diese Überheblichkeit also gerecht? Monika Maron, nicht gerade als Verklärerin der ostdeutschen Wirklichkeit bekannt, fragt sich in ihrem Essay Ich war ein antifaschistisches Kind, weshalb die Westdeutschen ihr "eigenes Wohlergehen nur noch als eine gerechte Folge ihrer ehrlichen Arbeit ansahen, nicht aber auch als einen geographischen Glücksfall. Läge Schwaben an der Oder, läge Leipzig am Rhein ... Dann hießen die Schlagzeilen in den Zeitungen heute vielleicht: Wieder hunderttausend Demonstranten in Stuttgart." Wenn Leipzig diesen direkt Weg nach Rotterdam, einen Zugang zur Welt gehabt hätte: Was für Optionen hätten sich da ergeben. Welche Chancen!
War es alleine der Sozialismus, der chancenlos machte? Auch. Die Isolation, in die sich der real existierende Sozialismus verstrickte, in die er aber auch gedrängt wurde, gebar keine Chancengleichheit. Und der Rest war Zufall, war historisch gewachsene Prämisse, war geographisches Pech. Das sind aber Faktoren, die keine Rolle mehr spielen, die im Orkus, in den emsige Geschichtsschreiber ihnen unliebsame Elemente ihres Themas hineinstopfen, verschwunden sind. Der Westen tut so, als habe auch der Osten seine Chance gehabt. Ihr habt es vermasselt, spotten sie. Man sollte zurückfragen: Welche Chancen?
Dieselbe Frage stellt der Westen denen, die ihr erstes Leben im Osten hatten. Welche Chancen? Was habt ihr denn gehabt und gemacht? Klar, jeder hatte seinen Job, war in einer Gemeinschaft der Werktätigen aufgehoben, konnte noch als Rentner in die Kantine seines Ex-Arbeitgebers gehen. Aber was waren denn das für Jobs? Unnötige. Künstlich erzeugte. Das ist jedoch nur der westliche Blick auf die Dinge. Der pekuniäre Blick. Dass man mit allen Mitteln versuchte, den Menschen eine sichere Basis zu ermöglichen, wird verunglimpft und als Sozialromantik verlacht. Dabei wäre es lobenswert. Und genau dieser Versuch eines besseren Konzeptes wäre die Essenz des Ostens gewesen, die wir in den Westen hätten tröpfeln lassen sollen.
Der Vorwurf der Romantik ist ja nicht falsch. Wenn eine Ehe kracht, dann denken beide Seiten gerne an die besseren Tage zurück. Sie denken an romantische Stunden und fragen sich: Wohin ist das alles geraten? So ist es auch beim Sozialromantiker. Aber was ist daran falsch? Wohin kämen wir ohne Romantik? Die realpolitische Welt ist eine traurige und eine hoffnungslose Welt. Ohne Romantik gelangen wir dorthin, wo wir heute stehen. Die Marktwirtschaft nimmt keine Rücksichten auf menschliche oder gesellschaftliche Befindlichkeiten, sie ist sich Selbstzweck. Das jedenfalls war in dieser DDR-Wirtschaft, die natürlich marode war, die selbstverständlich Makel kannte - ich will das nicht bestreiten! -,nicht der Fall. Ob sie marode war, weil sie den Anspruch erfüllen wollte, für die Menschen gemacht zu sein, oder weil sie ein isoliertes und vom Westen nicht als Partner akzeptiertes System war, lassen wir mal dahingestellt. Zumindest der Gedanke, dass es mehr gibt zwischen Aktienkursen und Profitaussichten hätte man mitnehmen können. Doch: Vergeudet! Abgelehnt! Welche Chancen!
Wir leben stattdessen in einem Land, in dem allerlei westliche Künstler meinen, sie hätten die Wende verursacht. In einem so pathetischen Klima ist kein Platz für Gedankenspiele, was uns aus dem Osten hätte bereichern können. Wenn ein fickriger alter Mann mit Schlapphut in die Kameras nuschelt, dass sein Sonderzug nach Pankow der Anfang vom Ende der DDR war und ihm dabei auch noch Fans bestätigend zujubeln und die Presse das unkommentiert abdruckt, dann ist es keine Zeit dafür, über die Chancen zu sprechen, die uns entgangen sind. Welche Chancen!, wird deshalb nur als Ausruf ewiggestriger Kader abgetan.
Vielleicht brauchen wir noch mehr zeitlichen Abstand. Knapp ein Vierteljahrhundert ist nicht viel Distanz. Wir brauchen deutlich mehr. Und wir brauchen eine ordentliche Krise des Siegersystems. Ginge es diesem vereinten Deutschland so, wie es derzeit den Spaniern oder Griechen geht, was würden sie wohl über ihren Westen sagen, der den Osten erlegt hat? Würden sie sagen, es sei nicht alles Gold, was glänzt? Würden sie schwermütig an den Osten denken und flüstern Welche Chancen! und an Zeiten denken, da es mehr Gewissheit gab, mehr Planbarkeit eines kleinen Menschenlebens? Möglich, dass in hundert Jahren, gibt es da die Bundesrepublik noch, sich ganz anders über diesen Osten erinnert wird.
Ein schlechtes Beispiel gibt uns das Andenken an die Hitlerjahre. Erst verschwieg man, dann sah man ein, dass man Mitschuld trug. Man sagte voller pazifistischen Drang Nie wieder Auschwitz! und meinte damit, nie wieder Krieg, nie wieder Unterdrückung. Daher Zurückhaltung und ausgewogene Außenpolitik. Irgendwann sagte ein Außenminister Nie wieder Auschwitz! und daher: Bundeswehreinsatz im Ausland. Aus der Passivität würde Offensive. Was man da als Leitmotiv aus der Hand gab: Welche Chancen! Und übrigens: Nicht alle waren damals Verbrecher. Stimmt ja auch. Aber wenn man die Berichte heute so sieht, glaubt man, Hitler habe gegen das ganze Volk und gegen das Militär gestanden. Wie kann man das erklären? So werden jene Jahre zur unerklärbaren Zeit, zum Unfall der Geschichte. Das ist die Haltung, die schon kurz nach dem Krieg aktuell war, damals, als noch alle schwiegen.
Das soll als Beispiel dienen: So wandelt sich der Blick einer Gesellschaft auf Ereignisse über Jahre. Und wer möchte denn behaupten, dass in hundert Jahren nicht festgestellt wird, dass dieses Ostdeutschland vielleicht viele Mängel hatte, aber auch ein hehres Motiv, das man dann leider mit Eintritt der DDR in die BRD aufgab. Welche Chancen!
Vielleicht mag es dann ein Rückbesinnung auf humanistische Ideale geben, etwas mehr Milde und Rücksicht. Das Prinzip Hoffnung. Solange werfen wir alle Menschen, gleich wie klug, gleich aus welcher Einkommensklasse, in den Wettbewerb, in dem weniger Begabte untergehen und weniger Potente darben. Man gibt ihnen aber verbrämende Schlagworte an die Hand, nennt das System chancengerecht und stellt fest: Wer will, der kann. Die meisten fragen sich aber nur Welche Chancen? und glauben, anders kann es nicht sein, weil sie es anders nicht mehr kennen.
22 Kommentare:
Ein sehr schöner, engagierter Artikel aus dem Herzblut spricht.
Wenn ich die Wiedervereinigung sehr kurz beschreiben müsste würde ich sagen es war eine Feindliche Übernahmen. Aber nicht wie viele meinen die Übernahme des Ostens durch den Westen.
Wenn ich die Geburtstagsparty Ackermanns im Kanzleramt ansehe; die Beratung der Politik durch Finanzinstitute; das Schreiben von Gesetzentwürfen durch Anwaltskanzleien... dann sehe ich es als eine Feindliche Übernahme Ost- und Westdeutschlands durch das Kapital.
Die Dreiteilung in Legislative, Judikative und Exikutive ist nur mehr Theater. Tatsächlich werden wir regiert und gesteuert durch Finanzinstitute, Medienkonzerne und Aktiengesellschaften.
Der 3.Oktober ist der Feiertag der
Brave New World!
Hätte die damalige deutsche Regierung eine konvergente Wiedervereinigung von BRD und DDR unternommen, dann hätten wir die transatlantischen "Freunde" so sehr verärgert, dass ich mir gar nicht ausmalen mag, was hätte passieren können – man schaue sich nur an, was mit Carsten Rohwedder passiert ist, der ja nichts weiter wollte, als unter der Regie der Treuhand ein paar DDR-Staatsbetriebe in genossenschaftlich geführte Firmen umzuwandeln. Nach seinem termingünstigen Ableben kam die Hamburger Bankierstochter Birgit Breuel an die Spitze der Treuhand, womit das Thema "genossenschaftlich" ultimativ vom Tisch war.
Man sollte Manches nicht vergessen!
"Wohin kämen wir ohne Romantik?"
Dazu passt ganz gut Mark Twain:
"Trenne dich nie von deinen Illusionen und Träumen. Wenn sie verschwunden sind, wirst du weiter existieren, aber aufgehört haben zu leben."
Zur Wirtschaft: Ein westdeutscher hoher leitender Angestellter sagte, dass z.B. in der Trabantfabrik in Zwickau die Arbeitsorganisation damals sehr viel besser war, als es bis heute in Deutschland in der Autoindustrie der Fall ist. Er ist wohl unverdächtig genug, irgendwie etwas schönreden zu wollen.
Ansonsten: Ich war in meinem Bezirk Teilnehmerin des Runden Tisches, des allgemeinen und der für die musische Erziehung der Kinder. Mir kommen heute noch die Tränen, dass nichts von den vielen tollen Vorschlägen und Gedanken in die Tat umgesetzt werden konnte.
Ich bin gebürtiger DDR Bürger und gehe langsam auf die 60 Jahre Leben zu.
Ich gehe nicht nur auf das Alter zu, sondern gleichzeitig auf die Altersarmut, weil ich wenig verdiente und arbeitslos war, in der angedienten Bundesrepublik.
Die Mauer möchte ich nun wirklich nicht zurück, aber mehr Menschlichkeit, Mitgefühl und echte Lebenschancen täten diesem Land gut.
Ja, Herr Lapuente, Sie haben recht, es wurden 1990 viele Chancen vertan, um aus diesem, nun größeren Land für ALLE Bürger lebenswerter zu machen.
Ich möchte meinen Eintritt in die Rente möglichst nicht mehr erleben, denn dann geht es mir noch schlechter, als es jetzt schon ist!
Meine Sorge gilt vielmehr meinen Enkelkindern, denen es möglichst nicht noch schlechter gehen soll, sie sollen nur eine lebenswertere Zukunft haben!
Von gesichtslosen Menschen zur gesichtslosen, gemeinsamen Gesellschaft.
http://www.zeitgeistlos.de/zgblog/2013/die-gesichtslosen-alten/
"Chancen, die Vorzüge beider Systeme zu verbrüdern"? Ohne überhaupt darüber zu rätseln, worin diese jeweiligen, verbrüderungsbedürftigen Vorzüge bestanden haben könnten, kann man diese Ansicht verneinen.
Chancen, selbst etwas Anderes aufzubauen, hätte der Osten gehabt, wenn die Bevölkerung die erlangte Souveränität ("Wir sind das Volk") bzw. Macht als eine solche Chance begriffen hätte.
75% der ostdeutschen Bevölkerung votierten jedoch im März 1990 dafür, dem Westen gegenüber als Bittsteller aufzutreten. Baten um den "richtigen" Pass, die "richtige" Währung und einen Gebrauchtwagen.
("Helmut, nimm' uns an die Hand")
Und wundern sich bis heute, dass sie nicht für voll genommen werden.
(das schreibt ein Ostdeutscher)
http://www.ddr89.de/ddr89/texte/land.html
So wie Westdeutschland nach dem 2. Weltkrieg umfänglich ein Produkt "Made in USA" wurde, schien sich für die DDR und den überwiegenden Teil seiner Bevölkerung, nach deren "Implosion", ebenfalls keine andere Option anzubieten, als sich aus falsch interpretiertem Eigennutz und die ihn befördernden Verlockungen, die Interessen des Westens zu eigen zu machen.
Alsbald desillusioniert, sprach mancher zu recht von vertanen Chancen, ein alternatives Gesellschaftsmodell zu entwickeln und zu institutionalisieren.
Doch erst wenn der deformierte, destruktive Kapitalismus der westlichen Welt aufgrund seiner "Hyperlogik" ebenfalls implodiert, besteht die erneute Chance, so möchte man zumindest hoffen, dass sich ein anderes, gerechteres und menschenwürdiges Gesellschaftssystem etabliert.
Na, immerhin haben wir de Grünen Pfeil bekommen. "Bei Rot rechts abbiegen". In der Politik wird dieses Prinzip seither konsequent eingesetzt.
Words for chance
Danke.
Um dieGeschichte der beiden deutschen Staaten zu verstehen, muss man ein bisschen ausgreifen in die Zeit der 1950-er Jahre,Stichworte Wiederaufrüstung, Militarismus im Westen, Angebot von Stalin ein neutrales Mitteleuropa zu schaffen.
Warum wurde diese Chance nicht genutzt? Der Westen, Großbritannien und vor allem die USA hatten überhaupt kein Interesse, ein neutrales Mitteleuropa mit einem durch einen Volksentscheid wiedervereinigtem Deutschland zu schaffen, stattdessen erklärten sie den Kalten Krieg, um peu a peu wie nach einem imperialistischen Lehrbuch ihre Macht vor allem durch das Militärbündnis Nato zu garantieren. pazifistische mögliche Lösungen wurden von Adenauer abgewürgt.
Dies sind die Fakten, die durch den Kalten Krieg geschaffen wurden.
Interessant ist, dass sich nach Ende dieses Kalten Krieges die Sowjetunion friedlich aus ihrem Machtimperium zurückgezogen hat, der Westen jedoch versucht hat, so weit wie möglich seine Einflusssphäre zu erweitern, was geradezu eine Verhöhnung der Idee Gorbatschows vom Europäischen Haus bedeutete.
Es bestand durchaus eine Perspektive des Dritten Weges, u.a. auch von Mitterand unterstützt, der vorsah, die damalige DDR durch eine Konföderation mit der BRD zu verbinden.
Diese Chance wurde jedoch aufgrund imperialistischer Interessen der einzig noch verbliebenen Supermacht unterbunden.
Dieses hehere Motiv...
"Und wer möchte denn behaupten, dass in hundert Jahren nicht festgestellt wird, dass dieses Ostdeutschland vielleicht viele Mängel hatte, aber auch ein hehres Motiv"
...das sprechen doch nicht einmal Gegner des Sozialismus' diesem ab. Die Rhetorik lautet da doch stets: "Nett gemeint, aber funktioniert nicht, wie man sieht."
Nein, es ist nicht das hehere Motiv, auf dessen Anerkennung man noch Hundert Jahre warten müsste. Dieses hehere Motiv ist Grundlage allen Diskurses um den Sozialismus, und das nicht erst seit heute, nicht erst seit diesem Jahrzehnt oder diesem Jahrhundert!
Aber wenn man als Hinführung zu diesem Punkt eine Sichtweise auf das Dritte Reich der Art "nicht alle waren Verbrecher, nicht alles war schlecht" gelten lässt, bedient man sich dann etwa nicht Eva Herman und Konsorten?
danke für den Artikel. Nach 23 Jahren "Wiedervereinigung" bringt mich der Gedanke, wie wir abgezogen wurden, immer noch zur Weißglut, leider habe ich erst viel zu spät verstanden, was da wirklich abgegangen hast, habs damals einfach so hingenommen, wird schon alles sein Richtigkeit haben. Hatte es aber nicht, und wenn hier ein Ostdeutscher Schreiber schreibt, das man ja was hätte tun können, dann irrt er sich gewaltig, der Fahrplan stand fest und wurde eingehalten.
Als "Betroffener", DANKE Roberto! Die Hoffnung starb, als HK mit seinen "blühenden Landschaften" kam (die sich mit unkrautwüstigen Gewerbegebieten inzwischen erfüllt haben)und damit waren alle Vorstellungen eines demokratischen Sozialismus waidwund.
In beiden Fällen ging es doch um Überwindungen als Erlösung!
Als ob man sich nach der Wende 1945 einen runden Tisch hätte vorstellen können mit Verhandlungen um Fortführung von Eigenarten, die dem Nazideutschland eigen waren!
Als ob man sich nach der Wende 1989 einen runden Tisch hätte vorstellen können mit Verhandlungen um Fortführungen von Eigenarten, die der DDR eigen waren!
Mal wieder klasse formuluiert genau den Punkt getroffen.
Linke Grüße
Michel D.
Ich "freue" mich schon auf die blühenden Jubelsendungen, die morgen im Fernsehen bis zum Erbrechen genudelt werden.
Der Bericht "Unser Wirtschaftswunder" in der ARD zeigt deutlich wie verlogen das Märchen vom Wohlstand ist, der durch Fleiß (also arbeitsame Zielstrebigkeit) erreicht wurde. Der Mythos Ludwig Erhard verliert plötzlich seinen Glanz. Wird die offizielle Geschichtsschreibung wissenschaftlich durchleuchtet und durch Bezug auf bisher geheim gehaltene Quellen hinterfragt, dann wird deutlich wie sehr wir Menschen uns im aktuellen Zeitgeschehen durch selbst ernannte Meinungsbildner (Politiker, Journalisten, Verbandsvertreter) beeinflussen lassen. Selbst denken ist anstrengend und erfordert den Willen Informationen abseits der veröffentlichten Meinung zu sammeln. Es ist leicht hinterher zu sagen: das habe ich nicht gewusst! Also aus Bequemlichkeit Chancen vertan.
Eine Verbrüderung war der Zusammenschluss nun wirklich nicht. Eher feindliche Übernahme durch das Kapital. „Erst kommt eben das große Fressen und dann die Moral“.
Dieser Beitrag zeichnet ein treffendes Bild dieser Zeit bis in´s Heute.
Für mich persönlich war die Phase vom Beginn der Wende bis zur Vereinnahmung der Bewegung durch die Ära Kohl eine der schönsten in meinem Leben. Erstmalig hatte ich das Gefühl von echter Basisdemokratie, wie sie sein kann und soll. Jeder konnte sich einbringen und es wurde zwar wegen der Vorbedingungen oft kontrovers, aber stets offen und zielgerichtet debattiert, so wie es in PeWis Beitrag vom 02.10.2013 um 12:05 Uhr zum Runden Tisch erwähnt wurde.
Zu dieser Zeit habe ich das bedingt durch das noch junge Alter eher als Gefühl wahrgenommen denn bewusst, weil einfach die mentale Reife und das Wissen gefehlt hat.
Inzwischen durch die Prägungen der jetzigen gesamtdeutschen Realitäten und durch das Bewusstwerden gesellschaftlicher Zusammenhänge sieht man immer deutlicher, welcher Schatz damals vergeben wurde, es war wirklich eine Chance.
Leider ist auch auf dem diesjährigen Festakt in Stuttgart das Kleinreden der ehemaligen DDR auf Staatssicherheit, Mangelwirtschaft und sozialistische Doktrin am Leben vorbei der Grundtenor wie allgemein in den Medien.
Durch die eigenen Kinder erfahre ich, wie stiefmütterlich und ebenfalls reduziert auf die obigen Aussagen das Thema im Geschichtsunterricht behandelt wird, meist noch verbrämt durch die eigenen, meist ebenfalls zuvorderst negativen Einstellungen des Lehrers.
Das in diesem Land 40 Jahre lang Menschen gelebt haben, spielt nur eine untergeordnete Rolle.
Hat jemand diese Zeit nicht gekannt, muss der Eindruck entstehen, dass es ein privates Leben im Sozialismus gar nicht gegeben.
Ich trage die Erinnerung an diese Zeit jedenfalls in meinem Herzen und versuche dieses Wissen an die kurze Zeit des Aufblühens so weiterzugeben.
Irgendwann werden die jetzigen Beschränkungen genauso Geschichte sein wie der der damilgen DDR.
Danke für den sehr guten Artikel. Werde ich all denen schicken, die mich am liebsten nach drüben schicken würden, wenn es drüben noch gebe.
Und auf vorgeschriebnen Bahnen
Zieht die Menge durch die Flur;
Den entrollten Lügenfahnen
Folgen alle. - Schafsnatur!
Johann Wolfgang von Goethe, Faust - Zweiter Teil
Lieber Roberto J. De Lapuente,
schon lange verfolge ich mit Interesse Ihre Beiträge auf „ad sinistram“ und fühle mich immer irgendwie dabei angesprochen.
Der letzte Beitrag vom 02. Oktober 13 „Welche Chancen? Welche Chancen!“ gibt mir den Anlass, auf eine Äußerung des „Politikwissenschaftlers“ Arnulf Baring aus dem Jahre 1991 hin zu weisen. Nachfolgend nur ein Auszug – den ganzen Beitrag finden Sie in der Ausgabe Nr. 185, Juni 2013 im RotFuchs, Seite 16:
„Diffamierung von DDR – Bürgern erfüllt den Straftatbestand des § 130 - Herr Baring und die CDU“
Zitat: „ Das DDR – Regime hat fast ein halbes Jahrhundert seine Menschen verzwergt, ihre Erziehung und Ausbildung verhunzt. Jeder sollte nur ein hirnloses Rädchen im Getriebe sein, ein willenloser Gehilfe. Ob sich heute einer Jurist nennt oder Ökonom, Psychologe, Soziologe, selbst Arzt oder Ingenieur, das ist völlig egal. Sein Wissen ist über weite Strecken völlig unbrauchbar.“ usw. usf.!
Als Jahrgang 1941 und Rentner (Ost) ist es für mich heutzutage besonders bitter mit erleben zu müssen, wie auf der DDR – Geschichte herum getrampelt wird. Leute wie eben dieser Historiker Baring oder der Herr Hubertus Knabe oder der Staatsminister für Kultur und Medien Bernd Neumann, haben nichts begriffen vom Leben des kleinen Mannes in der DDR. Aber was rege ich mich da auf: Mit Bananen auf den Augen und den Blick auf die D –Mark fokussiert und den blühenden Landschaften sind wir den wehenden Fahnen hinterher gelaufen.
Alles Gute für Sie und auch weiterhin noch viele kritische Beiträge.
Mit herzlichen Grüßen aus dem Sächsischen
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