Die Entdeckung der Welt

Dienstag, 22. Oktober 2013

Die katholische Kirche scheint unter Papst Franz zurück zum Erdboden finden zu wollen. Sie soll realistischer werden und ihre Ideale trotzdem nicht verraten. Von diesem Dualismus könnte die im Neoliberalismus gefangene Politik lernen.

Auf den Weg zurück zur Erde.
Der Papst gab vor einigen Wochen einer Jesuiten-Zeitschrift das erste große Interview seines Pontifikats. Was da durchschimmerte war ein "linker Katholizismus", der von der lateinamerikanischen Befreiungstheologie gelernt hat. Die Medien haben den Inhalt dieses Interviews doch nur weitestgehend oberflächlich erfasst. Franz geht es nicht lediglich um Schwule und um in der Kirche benachteiligte Frauen, sondern um eine General-Verweltlichung der Kirche. Er fordert eine Annäherung an die moderne Welt wie sie ist. Eine Einbeziehung ihrer Erscheinungen. Dazu gehört unter anderem auch, sich der Problematik des Kapitalismus zuzuwenden. Dass der zunehmend Menschen in einen globalen Discount-Markt verfrachtet, muss von der Theologie zur Kenntnis genommen und kirchlich aufgegriffen werden.

Die letzten Pontifikate waren von einer Transzendierung der katholischen Vorstellungen geprägt. In der sollte es unter anderem keine Homosexuellen und nur wenig Frauen geben. Über Ausbeutung wurde möglichst wenig gesprochen. Das alles waren ja nur Sorgen der Welt. Die Kirche stand darüber. Dass es gleichgeschlechtliche Liebe gibt, kreidete man einer irren Welt an. Frauen, die kirchliche Ämter anstrebten, tat man als Modesünde ab. Franz wirbt dafür, die Welt so anzunehmen wie sie ist. Back to the rootes, das heißt auf katholisch: Zurück zur Erde - und die Vielfalt anerkennen, tolerieren, einbinden.

Die politische Linke warf der katholischen Kirche gerne vor, dass sie zu viel in ihrem Ideal stöbere, sich in ihrer Abgehobenheit nicht mehr um das kümmere, was den Menschen und den Gläubigen wichtig erschien, was ihnen Sorgen bereitete. An der Realität richtete sie sich gar nicht mehr aus. Dieselbe Linke warf (und wirft) der als Marionette der neoliberalen Agenda fungierenden Politik das glatte Gegenteil dessen vor. Sie vermesse die Wirklichkeit nur an Finanzierbarkeiten und Sachzwängen, sei völlig realpolitisiert. Rückgrat um Ideale zu erhalten und zu pflegen habe sie nicht. Sie verwässere die Ideale der Demokratie zugunsten eines Marktes, der gegenteilige Vorstellungen von der Welt habe.

Insofern könnte die Politik von der katholischen Kirche unter dem amtierenden Papst lernen. Die plant ja nicht weniger als einen „realpolitisch konzeptionierten Idealismus“. Ein an Idealen geknüpftes Heranschieben an die Realität. So ein Konzept würde unserer politischen Kultur auch nicht schaden. Wenn man so will, ist die katholische Kirche im Begriff, ihren Extremismus aufzugeben. Sie installiert (zunächst nur theoretisch) einen Dualismus, der den Materialismus hienieden einbindet und dabei den Idealismus weiterhin hochhält. Eine Politik, die diesen Dualismus plante, würde sich von den Spin-Doctors des Neoliberalismus emanzipieren. Die im Fatalismus der Märkte gefangene Menschheit würde wieder zu einer Gattung werden, die ihr Dasein nach wenigstens etwas freieren Willen gestalten könnte.

Man darf nur hoffen, dass die katholische Kirche bei ihrer „Entdeckung der Welt“ nicht in jenen Strudel der Beliebigkeit abdriftet, in den die evangelische Kirche teilweise geraten ist. Neulich sagte mir eine evangelische Pfarrerin, dass ihre Kirche weltbezogener sei. Denn sie theologisiere so: Eine Ehe sei besser als zwei, zwei besser als drei und immer so weiter. Das sei gesunde Pragmatik. Mir ging da jegliches Ideal ab. Das klang hedonistisch und Partnerschaft war da nicht mehr als ein austauschbares Sonderangebot. Kann man nicht ein Ideal, ein Vollkommenheitsmuster hervorheben und das etwaige Scheitern daran als menschliche Normalität trotzdem einkalkulieren?

Wie beliebig die evangelische Kirche in ihrer Weltlichkeit doch ist, zeigte sich zur Zeit, da Schröder die Agenda 2010 durchrang und Bischof Huber diesen pragmatischen Reformgeist lobte. Damals empfahl er der EKD auch, sich betriebswirtschaftlich vernünftiger zu organisieren. So sollte man in Rom eine weltlichere Ausrichtung natürlich nicht verstehen.


2 Kommentare:

BRAMAN 22. Oktober 2013 um 20:00  

Der Kommentar drückt ja Hoffnungen aus!
Sollte es aber Franziskus ernst meinen mit seinem (linken) Kurs der internen Toleranz und externen Kritik am Raubtier-Kapitalismus, dann lebt er wohl nicht mehr all zu lange.
Sollte ich (hoffentlich) mit meiner Einschätzung falsch liegen, dann könnte er ja in einem der einflussreichsten Wirtschaftsmächte der Welt (Deutschland) anfangen, Einfluss auf die sich hier "christlich" nennenden Parteien auszuüben auf das sie sich an der 'neuen', menschenfreundlicheren Lehre der RKK ausrichten.
Aber eher werden diese (Regierungs-)Parteien die Säkularisierung in Deutschland endlich einführen, die macht der Kirche(n) minimieren und weiter machen wie ihnen vom Kapital aufgetragen wurde.
Inzwischen ist das Kapital nicht nur mächtiger als jeder einzelne Staat sondern auch mächtiger als die Kirche (RKK).
Dann könnte er noch versuchen, die Kirchenmitglieder in seinem Sinne zu mobilisieren, aber auch da sehe ich eher schwarz da die Indoktrination durch das Neoliberale Weltbild inzwischen mehrheitlich stärker ist wie die Indoktrination durch die Kirche.

MfG: M.B.

Stefan Wehmeier 15. November 2013 um 12:42  

Es gibt keine wie auch immer geartete Moral, die ein harmonisches Zusammenleben sowohl untereinander als auch mit der Natur von mehr als 150 Menschen ermöglicht, denn nur bis zu dieser Grenze können sich alle noch gegenseitig kennen. Bleibt aber die Arbeitsteilung auf 150 Menschen beschränkt, gibt es keine Weiterentwicklung. Darum verharrte der Homo sapiens über einen Zeitraum von etwa 150.000 Jahren auf dieser Stufe des Urkommunismus, der alles andere als ein “paradiesischer Zustand” ist, sondern nur das nackte Überleben.

Für eine kulturelle Weiterentwicklung muss die Arbeitsteilung auf deutlich mehr als 150 Menschen ausgeweitet werden. Dazu ist die Solidarität ungeeignet, denn niemand ist mit anderen solidarisch, die er nicht kennt. Die einzige Motivation und – weil in den Anfängen der Kulturentwicklung das Wissen noch fehlte – auch die einzige Möglichkeit für eine koordinierte Arbeitsteilung zwischen vielen tausend bis zu einigen Millionen war zunächst die Machtausübung des Menschen über andere Menschen oder Menschengruppen. Dazu erfand der Kulturmensch die Götter: durch Schöpfungsmythen im kollektiv Unbewussten einprogrammierte, künstliche Archetypen, um aus Menschen willige “Arbeitsameisen” (Untertanen) zu machen. Eine solche frühe Kultur, eine zentralistische Planwirtschaft noch ohne liquides Geld (Ursozialismus bzw. Staatskapitalismus), war z. B. das vorantike Ägypten der Pharaonen, in der der einfache Arbeiter noch kein selbständig denkender Mensch war, sondern ein beliebig austauschbarer Leibeigener des Pharao. Der einfache Arbeiter dachte sich aber nichts dabei, verrichtete die ihm zugewiesene Arbeit und ließ sich mit einem Häufchen Getreide pro Tag füttern, denn er hatte keine Vergleichsmöglichkeit. Aufgrund der Programmierung seines Unterbewusstseins war er nicht in der Lage, sich ein anderes und besseres Leben, das er hätte begehren können, überhaupt vorzustellen.

Das Bewusstsein des Menschen arbeitet mit Worten und Zahlen, das Unterbewusstsein mit Bildern und Metaphern. Das Unterbewusstsein lässt sich programmieren und damit der Kulturmensch durch selektive geistige Blindheit an eine noch fehlerhafte Makroökonomie anpassen, indem elementare makroökonomische Zusammenhänge mit archetypischen Bildern und Metaphern exakt umschrieben und diese dann mit falschen Assoziationen und Begriffen verknüpft werden, an die der Untertan glaubt. Der Glaube an die falschen Begriffe erzeugt eine geistige Verwirrung, die es dem Programmierten so gut wie unmöglich macht, die makroökonomische Grundordnung, in der er arbeitet, zu verstehen; noch weniger kann er über die Makroökonomie, die in den Grundzügen seine Existenz bestimmt, hinausdenken. Diese Technik, die in früheren Zeiten – etwa bis zum 6. vorchristlichen Jahrhundert – noch eine exakte Wissenschaft war und die nur von eingeweihten Oberpriestern betrieben werden durfte, nennt sich “geistige Beschneidung von Untertanen”, bzw. Religion = Rückbindung auf künstliche Archetypen im kollektiv Unbewussten. Auch das, was heute “moderne Zivilisation” genannt wird, entstand aus der Religion:

Macht oder Konkurrenz

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