Eine Buchrezension

Dienstag, 5. April 2011

Von Hartmut Finkeldey in "Kritik und Kunst", erschienen am 2. April 2011.

Vor kurzem bekam ich, das ist in der Literaturszene auch 2011 so üblich, von meinem Verlag ein Rezensionsexemplar eines Verlagskollegen zugeschickt. Ob ich nicht in meinem Blog. Und überhaupt. Was Freundliches schreiben und so. Über Roberto De Lapuente, "Auf die faule Haut", Renneritz Verlag 2011, ISBN 978-3-940684-13-4. Nun, ich war dagegen. Denn wie sähe das denn aus! Wir seien hier ja nicht bei Hegemanns unterm Sofa. De Lapuente empfehle ich zwar seit Jahren sowieso per Dauerverlinkung, und der Vertrag mit Renneritz ist längst unterschrieben – sowohl schamlose Gefälligkeitsgutachten als auch literarisches Klinkenputzen dürften als Motiv also ausfallen. Dennoch: ich mochte nichts schreiben über seinen Essay-Band! Bis ich mich von einem Freund habe überzeugen lassen. „Biste denn wirklich von seinem Band überzeugt?“ Bin ich. „Dann schreib. Und was die Dumm-Mucker, would-be-Zuträger und Untersteller faseln, kann Dir egal sein.“ Und somit lesen Sie im Folgenden eine kleine Lobrede, die ich natürlich mit der Hoffnung verbinde, sie möge Roberto De Lapuente und Jork Heinemann die Finanzierung ihres Zweit-Rolls-Royce erleichtern. Zumal auch für Klein-Hartmut als mal wieder was abfällt.
„An ihren Worten soll man sie verkennen“ – so setzt De Lapuente im längsten Essay seines neuen Bandes an, und er meint jene Worte, mit denen diese Gesellschaft ihre Aufgeregtheiten, ihre Unwahrheiten, ihre Erbarmungslosigkeit verbal organisiert. Dieses Leitmotiv durchzieht seine Arbeit: In ruhigem Ton werden Verkennungen benannt, also Verlogenheiten und vor allem, De Lapuentes Thema, die Gewalt sichtbar, die jenen Verkennungen innewohnen. Böse Zungen nennen ihn einen Moralisten – womit sie sogar recht hätten, bedächten sie nur, dass ein Moralist, also Menschenkenner, das Gegenteil von einem Moralprediger ist.
Muslim-Haß oder Waffenhandel – er schenkt allen ein. Mein persönlicher Lieblingsessay: „Versöhnend komisch“. De Lapuente erinnert an den Komiker – er war wohl wirklich einer, wenn auch nur in der Zweitbedeutung – Weiß Ferdl, NSdAP-Mitglied, dessen Albernheiten, dessen Untertanen-Klamauk und Polit-Zoten mit Humor in etwa soviel zu tun hatten wie die vaterländischen Gesänge des Kommersbuchs mit Gedichten. Sein berüchtigster Auftritt war ein Gastauftritt im Nazi-Propagandafilm „Wunschkonzert“, in dem er, bezeichnend, den Song „Bin ich froh, ich bin kein Intellektueller“ zum Besten gab. Und De Lapuente wagt es, vermutlich nicht einmal vor Kühnheit zitternd: Er sieht Beziehungen zwischen Weiß Ferdls damaligem Herrenmenschengedröhne über Arbeitslager und jenem abendshowkompatiblem Klamauk, der heute billige Possen auf Kosten Wehrloser reißt. Ich höre es schon, das Dumm-Gestammel: Wie könne De Lapuente es denn wohl wagen! Nazis und Kapitalisten, Arbeitslose und Juden, in einen Pott und überhaupt…! Er wagt es, und er wagt es zu Recht, denn es geht ihm um Denkmuster, um das Aufsuchen von Verkennungen. Weiß Ferdl hat sowenig pro Massenmord votiert wie der durchschnittliche RTL-Klamauk heute Waffenhandel, Rassismus oder Erwerblosenschikaniererei befürwortet. Beide machten und machen einfach nur ihren Job. „Weiß Ferdl hat es damals nicht böse gemeint – und die Spaßvögel von heute, sie meinen es auch nicht so.“ (150) Natürlich nicht. Die meinen gar nichts mehr. Und wissen tun sie noch weniger. Hartz-Schmarotzki-Witzchen in einer Zeit, in der psychisch kranke Erwerblose, Kostgänger also, Leute, die nichts leisten sondern immer nur der allein seligmachenden Arbeitswut auf der Tasche liegen, in den Tod schikaniert und sanktioniert werden, das können sie. Mehr haben sie nicht drauf. Die Pose der souveränen Non-Correctness gibt es gratis dazu. Und wer sich von solcherart Klamauk partout nicht bespaßen lassen möchte, gilt als schmallippiger Spielverderber.
Gegen genau diese Haltung, gegen die „Voliere, die Freiheit auftischt“ (Im Käfig, 151), schreibt De Lapuente seit Jahren an. Das wird im Titelessay noch einmal besonders deutlich: Gegen die „entfesselte Arbeitsraserei“ (103), von der sowohl der Kapitalismus als auch sein intelligentester Kritiker begrifflich gebannt waren, macht De Lapuente den Schwiegersohn des Letzteren stark. Ist die Abkehr vom Effizienzfetisch, das Einfordern zweckfreier Faulheit progressiv oder Rückkehr idealistischer Verbrämung? Die Linke war sich da nie einig. Für De Lapuente, der sehr genau weiß, dass es ein Leben vor der Revolution gibt (und ein Recht auf Glück in ihm), ist das keine Frage. Sich dem Diktat der Stechuhr – heute wohl: Des Einlog-Protokolls – nicht zu beugen ist ihm kein unehrenhaftes Verhalten, „sondern vollkommen menschliche, völlig legitime Verhaltensweisen“ (110). Ganz abgesehen davon, dass, wer auf der faulen Haut liegt, auch zu faul etwa zum Kriegführen sein dürfte. Ein Argument, das nicht mehr unterlaufen werden kann: Der Faulheit gehört demnach wirklich die Zukunft. Ihrem Lob zumindest die literarische Gegenwart.

2 Kommentare:

strangeai 5. April 2011 um 15:04  

Das Buch muss noch warten bis der Urlaub die nötige Muße bringt - aber es liegt geduldig bereit.

Als Ode an die Faulheit gefällt mir auch die "Anekdote von der Senkung der Arbeitsmoral" von Heinrich Böll sehr gut:
http://www.jungegew.de/Arbeit/Boell_Arbeitsmoral.htm

Granado 5. April 2011 um 20:20  

Gab's die "Anekdote" nicht schon B. Traven?

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