Jammert nicht... singt!

Mittwoch, 3. März 2010

Ihr jammert nur, raunzt und zetert - dabei geht es denen da unten, denen in Afrika, in der Dritten Welt halt, wirklich schlecht. Aber ihr seid es, die lamentiert - ihr schluchzt und heult. Die von drunten, die aus Afrika, die neiden sich keinen noch so winzigen Bissen, die begehen ihre Armut würdevoll, solidarisch geradezu, im Vollbesitz ihrer restlichen Kräfte. Sie schuften und werkeln, tun Arbeit, die nicht annähernd anständig vergütet wird, singen oder summen dabei fröhliche Melodeien, dass einem das Herz nur so aufgeht. Denen geht es wirklich schlecht, aber sie tirilieren, üben ihre Armut in würdevollem Zeremoniell aus, handhaben ihre Not mit spielender Leichtigkeit, sind nicht aufeinander neidisch, sind sich nicht eifersüchtig, kennen keine Missgunst.

In Verzückung geraten diese Millionäre aus dem Fernsehen, wenn sie von den Armen, von diesen würdevollen Afrikanern schwärmen, die ihr hartes Leben nicht so verbittert bestreiten, wie mancher Armer ihrer Heimat. Tränen haben sie in den Augen, wenn sie Herden von Schwarzen in verschlissenen und durchgescheuerten Klamotten, aufgetragen auf spindeldürren Körpern, beobachten dürfen; Herden, die freudvoll ihrem Tagwerk folgen, fidel zirpend und mit sich selbst und ihrem Herrgott im Reinen, im zufriedenen Einklang. Kaum aus ihren Fliegern entstiegen, würgen diese Millionäre ihre Tränenkanäle solange, bis ihnen Bäche von Salzlake die propperen Bäckchen herabrinnen, flennen in Fernsehkameras und lassen sich über die Majestät der schwarzen Armen aus, über deren vornehmes Ertragen, über die fast schon philosophische Erhabenheit ihres Elends.

Dann deuten sie gen Objektiv, deuten auf den Zuseher, den sie dahinter vermuten - den Zuseher, der in diesen Breitengraden heimisch ist, und verurteilen ihn, weil dieser undankbar sei, ständig nur jammere, raunze, zetere. Weil er keift, wenn man ihm schwere körperliche Arbeit darbringt und nicht freundvolle Hosiannas anstimmt, nicht singt, wie der Neger fernab, dieser beschwingte und vergnügte Menschenschlag, diese Bedürftigen mit Grandezza. Wie abgestoßen sie von den Armen hierzulande sind, lassen sie sich anmerken; wie angeekelt von diesem Fehlen natürlicher Würde, die jedes Hungerleiders Charakter schmeicheln würde, verpassen sie nicht zu betonen. Weil die hier ansässige Armut nicht diese natürliche Vornehmheit besitzt, weil sie sich beschwert und unzufrieden mit der Handvoll Brotkrumen ist, die man ihr vorwirft, sind sie von den hiesigen Armenheeren abgestoßen. Weil die Brotkrumen hierzulande ausladender gereicht werden müssen, weil erst bei halben Brotlaibern ein klein wenig das Jammern, Raunzen und Zetern beruhigt werden kann, sind sie der Armen in ihrer Heimat überdrüssig.

Nur der Kinder nicht; nur nicht, wenn von Kinderarmut in den Industrieländern gesprochen wird. Dann treten sie wieder ganz betreten aus ihrem schweren, millionenschweren Leben heraus, salzige Nässe auf den Pausbacken, übers feiste Kinn strömend, und toben begeistert von der Würde armer Kinder, die nicht wimmern, die gelassen ihr Schicksal akzeptieren, die eine wunderbare, ja fast schon göttliche Anmut besitzen in ihrem Elend. Und dann helfen sie den Kindern so wie den Afrikanern - legen ihnen harte Arbeit ans Herz, verteilen drei Brösel mehr und wenden sich angewidert ab, wenn aus dem Kind später ein Erwachsener in Armut geworden ist, der die Schnauze von seiner Bedürftigkeit voll hat und es auch lauthals hinausposaunt. Was, so fragen sich diese Millionäre, was haben wir nur falsch gemacht, dass diesem kleinen Menschlein seine natürliche Würde abhanden gekommen ist? Sendet mehr Bilder aus Afrika, heißt es dann, druckt mehr Fotos von Strohhütten, vor denen abgemagerte Schwarze einen lustigen Chor bilden, vor denen sich lächeln und zufrieden ihren Gürtel enger schnallen, dabei feixend und quietschemunter der Lebendigkeit und Lebensfreude frönend.

Führt ihn vor, den glücklichen Habenichts mit dunkler Pigmentierung, zerrt ihn am Nasenring heran, damit der unzufriedene Lump, dieser reiche Arme von hier, irgendwann doch noch kapiert, dass er nur unser Herz berührt, wenn er seine Not mit stoischer Überlegenheit billigt, wenn er ihr mit Würde entgegentritt. Die Würde des Menschen, so erklären sie dann romantisch, dabei an den edlen Armen denkend, diesem Adligen der Bedürftigkeit - die Würde des Menschen, sei immer noch unantastbar! Unantastbar und unersetzbar für den Hungerleider selbst. Denn er hat ein würdevolles Benehmen an den Tag zu legen, wenn er gehört, wenn er verstanden, wenn er bemitleidet werden will. Wenn er will, dass ihm vielleicht ein bisschen geholfen werden soll. Dann braucht es auch kein Bekenntnis zur Menschenwürde als Einleitung des Grundgesetzes mehr. Denn wenn selbst der Habenichts natürliche Würde erwirkt hat, warum soll ein Gesetz dann noch an eine Würde erinnern müssen, die dann sowieso jeder von Haus auf, von Geburt auf, von Erziehung weg mit sich trägt?

Wenn auch hierzulande die Armut trällert, anstelle zu jammern, dann sollte die Menschenwürde kein Thema mehr für die Verfassung sein, weil die Verfassung des Menschen, seine Befindlichkeit also, die Verfassung überflüssig machen würde. Wer im Leiden singt, der braucht keine Würde aus Gesetzestexten mehr - der hat sie sich schon gesichert...

10 Kommentare:

Anonym 3. März 2010 um 02:21  

Ja, singt!

Auf den Barrikaden.
Oder in den Lagern der Arbeitslosenanstalt.

Ihr habt es in eurer Hand.
Gemeinsam!

Spielt mir das Lied vom Tod.
Vom Tod des Kapitalismus.
Spielt, ihr Spieler, ihr Player, ihr Global Player!
Spielt bis er verrecke.
Der Kapitalismus.

Dann, Völker der Erde, singt.
Singt vom Leben, von der Wahrheit, von der Zukunft.
Singt von der Freude.

Singt von der Befreiung!

PS
Unternehmer sind es, die jammern und Menschen, die still und unbeachtet leiden. Um zu singen, muss man hierzulande schon sternhagelvoll sein.
Die Lebensqualität bzw. Zufriedenheit eines "Kunden" der Arbeitslosenverwahranstalt ist zweifellos schlechter als die einer Textilarbeiterin in Bangladesch.

gerhard 3. März 2010 um 09:08  

Ja, es ist das von den Herrschenden mit Polemik und Häme gewürzte "Armuts-Abstandsgebot" zwischen Trikont und Überflussgesellschaften, das immer wieder gerne bemüht wird, um das "Prekariat" in seine Schranken zu weisen.

Die Liste läßt sich noch beliebig fortsetzen: Seien wir doch froh, dass in Deutschland Frauen "nur" vergewaltigt und geschlagen werden; in einigen Entwicklungsländern werden Witwen verbrannt und jungen Mädchen die Genitalien verstümmelt.

Was regt sich der deutsche Spießer über Schlaglöcher in den Strassen auf, woanders gibt es gar keine Strassen - nur Sandpisten. Und schließlich hat der Millionär doch seinen "Cheyenne" oder "Tuareg" für unwegsame Verkehrsadern in der Metropole.

Unzufrieden mit der medizinischen Versorgung? Dann schaut doch mal nach Afrika, die Menschen dort wären froh, wenn sie überhaupt eine Praxisgebühr zahlen KÖNNTEN.

Und bitte nicht meckern über die verschimmelte Plattenbauwohnung. Das ist noch Luxus gegenüber einer Lehmhütte in der hinteren Mongolei.

Dazu ein kurzer Text aus meinem Skript "Der Saustall":
UNICEF, UNESCO, “Brot für die Welt”, die “Deutsche Welthungerhilfe” und andere Organisationen verweigern hartnäckig ihren Beitrag zur BESEITIGUNG der Ursachen des Elends im Trikont. Im Gegenteil. Sie verfolgen diejenigen und greifen sie an, die den für das Elend Verantwortlichen in Politik, Forschung, Finanzmanagement und Medien das Handwerk legen wollen. Auf der anderen Seite verschaffen sich die Protagonisten und Protagonistinnen während der Benefitz-, Spendensammlungs- und Solidaritätsveranstaltungen ein kollektives Hochgefühl, das in Reden und durch gegenseitige Bestätigung des eigenen Anstandes bei gut gekühltem Champagner noch gesteigert wird. Hier ist die Elite der “Gutmenschen” unter sich. Würde bei dieser Gelegenheit aber einer (z. B. einer wie ich) verkünden, es müsse um eine egalitäre Versorgung der Menschen weltweit gehen, würde er den Hass der Anwesenden auf sich ziehen. Erklärt dagegen ein millionenschwerer Medienstar oder eine steinreiche Talk-Moderatorin während eines Festessens, sie habe soeben symbolisch die Patenschaft über ein Kind aus einem Hungerland übernommen, sind ihr stehende Ovationen gewiss.

epikur 3. März 2010 um 09:58  

Prof. Christoph Butterwegge hat diesbezüglich einen tollen Satz gesagt: "Armut unter Armen ist erträglich. Armut unter stinkendem Reichtum ist nicht zu ertragen". Und genauso ist es in Deutschland!

gerhard 3. März 2010 um 13:39  

Zu Dir Daniel fällt mir sponatn ein Zitat von Ulrike Meinhof ein: "Wenn wir die Revolution nicht vorantreiben, kommt der Faschismus als Strafe."

lorenz 3. März 2010 um 13:43  

ob lapuente eine komm. revolution haben will ist fraglich. kommunist ist der sicher nicht.

Die Katze aus dem Sack 3. März 2010 um 15:47  

So geschieht es also: Wenn die (finanziell abgesicherten) Starken, den Schwachen aufzeigen, dass es noch Schwächere unter (und zwar ganz weit unten) ihnen gibt. Und dann?

Sinkt also nicht zu tief, aber wenn ihr unten angekommen seid, dann singt?!

Robert Reich 3. März 2010 um 16:54  

Ein bekannter Kabarettist hat solche Vergleiche sinngemäß so erklärt:

Ein Mann kommt zum Arzt und erklärt diesem seine Leiden. Da nimmt ihn der Arzt mit auf den Friedhof, zeigt auf ein Grab und sagt:'Der da da liegt, der hat wirklich gelitten'.

Dieses elendige Heuchlerpack mit dem ermahnend erhobene Finger, oft Hauptverantwortlich für die Zustände in der Dritten Welt.

MfG Robert

Anonym 4. März 2010 um 10:59  

Die Armen weltweit zuelebrieren keineswegs ihre Armut in Würde, sondern überall gibt es sehr viel Neid, Missgunst und sogar buchstäblich tödlichen Hass. Man bringt sich um wegen eines kleinen finanziellen Vorteils. Der Westen und sein Konsum ist das Vorbild, dem mit aller Macht nachgestrebt wird - von den Armen in Afrika und von den Armen in Deutschland.

landbewohner 4. März 2010 um 18:21  

willi
na ja - nicht alle - aber ich fürchte, was die breite masse betrifft, da hast du recht.

Uli von Auch gut! 7. März 2010 um 11:55  

Es ist ja eigentlich nicht meine Art, auf fremden Blogs Werbung zu machen, aber durch diese weit geöffnete Tür muss ich einfach gehen.
Wir singen nämlich (im Sinne des ersten Kommentators):
www.myspace.com/auchgutdieband

Wir singen, weil es uns ein Herzensanliegen ist, möglichst viele Menschen zum Denken anzuregen, nicht um ihnen unsere Meinung aufzuzwängen, sondern um sie zu einer eigenen, reflektierten Meinung aufzufordern.

Aber wenn Sie, Herr Lapuente, keine Werbung in Ihren Kommentaren möchten, kann ich auch das gut verstehen. Ich werde den Blog trotzdem voller Hochachtung weiterlesen!

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