Facie prima

Dienstag, 30. März 2010

Heute: Die Staatsmännische, Angela Merkel


Innenpolitisch mit drögem Blick, verdöst in Stellungnahmen, häufig benebelt in der Debatte, blüht Angela Merkel immer dann auf, wenn sie die deutschen Grenzen überwunden hat. Das heißt, sie blüht nicht unbedingt selbst auf: sie wird blühend gemacht. Auf internationalem Parkett wird aus der innenpolitischen Schlaftablette mit Pagenschnitt, eine stahlharte, unbarmherzige Staatsfrau, die unerbitterlich ihren überstaatlichen Nimbus als iron lady speist. Man macht sie zur Retterin von Klimakonferenzen, zur europäischen Wohlstandswahrerin, zur unnachgiebigen Nein-Sagerin, zum defensor fidei des wirtschaftlichen Europa - das Schlafpulver mit Richtlinienkompetenz, es wird verbrämt, wird umgeschrieben und mit passenden Bildern unterstrichen. Im Inlande vor Müdigkeit nuschelnd, liest sie im Ausland mit erhobener Stimme Leviten, deutelt mit dem Finger, putzt herunter, bleibt entschieden und strikt, weicht kaum einen Zentimeter zurück. Eine aufgehende, energische Person, die in dieser Weise innerhalb Deutschlands unbekannt ist.

Sich in Auslandsabenteuer zu stürzen, weil zuhause kein Ruhm zu machen ist: das ist wahrlich nichts Neues, haben schon ganz andere gemacht. Welche Diskrepanz zwischen der Innen- und der Außenkanzlerin herrscht, selbst in der medialen Darstellung, das ist allerdings fast schon ein Novum. Wie eine gespaltene Persönlichkeit, mimt Merkel außerhalb deutschen Territoriums die staatsmännische Dame, die mit dem Auftrag aller Deutschen im Rucksack, zur arroganten Schaustellung ihrer Machtfülle aufläuft. Mit ihr sei nicht gut Kirschen essen, wird suggeriert. Sie mahnt, rügt, tadelt. Auffällig ist, dass die Außenkanzlerin oft den Finger belehrend oder mahnend schwingt; die Innenkanzlerin hat selbst dazu kaum Kraft. Sie wirkt, als würde sie schon heute ihre Rolle als elder statesman einstudieren, schon jetzt für ihre Zukunft als eiserne Mutter Europas üben. Die Presse schreibt die Kanzlerin zur europäischen Gestalt um, zum Advokaten aller Deutschen; die Fotographen flankieren diese Anwaltschaft, lichten sie in enthusiastischer Positur ab. Die schlafmützige, ab und an traumtänzerische Innenkanzlerin, sie darf international nicht zum Zuge kommen. Dabei ist unerheblich, ob Merkel ihr Phlegma wirklich im heimischen Kleiderschrank zurücklässt oder ob es lediglich aus der Szenerie retuschiert wird. Sie hat energisch zu wirken, selbst wenn sie phlegmatisch bis ins Mark ist - Abhilfe haben die Medien zu schaffen, sie müssen der Fleisch gewordenen Schlafmützigkeit unter die Arme fassen.

Wie Thomas Schaaf, Trainer von Werder Bremen, der Schlips und Kragen nur trägt, wenn sein Verein auf europäischer Bühne spielt, während er den heimischen Bundesligaalltag im abgegriffenen Trainingsanzug bestreitet, so putzt sich auch Merkel heraus - so läßt sie sich herausputzen. Sie soll als Lichtgestalt gelten, als Staatsfrau, die sich von niemanden in die Mangel nehmen läßt. Das ließe ihr Stolz, das ließe der Stolz ihres Volkes nicht zu. Sie erinnert in fataler Weise an jene operettenhaften Staatskasper des 20. Jahrhunderts, von denen man lieber nicht mehr spricht; sie erinnert an jenes Italien, dass heute wieder wie einst, jeden außenpolitischen Auftritt ihres Landesvaters, wie einen Erfolg feiert, auch wenn die Vorstellung nichts weiter als eine blamable Aufführung war. Eine Ikonographie entsteht, in der Merkel zur eisernen Kanzlerin gemeiselt wird. Dabei ist jene Merkel, deren Schädel auf dem Rumpf des ollen Bismarck montiert ist, nur der Gipfel der Geschmacklosigkeit. Was anhand der Montage unabweisbar wird, findet sich auch in den meisten Fotos, die die internationale Merkel abbilden. Die mater patriae, erhaben und voll Einsatzwille für die Interessen ihres Volkes - das ist die Ikonologie einer innenpolitischen Nachtwächterin, die außerhalb der Grenzen aufgeweckter wirken soll, als sie es je war.

8 Kommentare:

Stefan 30. März 2010 um 07:52  

Warum ist Facie so nah an Faeces...

epikur 30. März 2010 um 08:56  

Gut auf den Punkt gebracht!

Du solltest Dich öfters "Facie prima" widmen. Bringt viel Licht ins Dunkel und ich mag die Rubrik :-)

Anonym 30. März 2010 um 18:24  

Sie mahnt, rügt, tadelt.

Auf internationalem Parkett wird aus der innenpolitischen Schlaftablette mit Pagenschnitt, eine stahlharte, unbarmherzige Staatsfrau, die unerbitterlich ihren überstaatlichen Nimbus als iron lady speist.

Die "Wertekanzlerin" ist treffend beschrieben worden, so ist sie wirklich!

Anonym 30. März 2010 um 21:51  

Ob diese innenpolitische Schläfrigkeit von diesem wandelnden Hosenanzug nur einfach daher rührt, dass sie in der Innenpolitik ohnehin nur die Befehle des Kapitals, ihrer Hintermämnner und Auftraggeber auszuführen hat?
Wie könnte sie bei dieser trostlosen Sachlage ständig mit freudig geröteten Wangen und strahlenden Auge durch die Welt laufen?
Wie einstudiert ihr ganzes Verhalten in der Öffentlichkeit ist, beweist sie bei jedem Auftritt.
Sie ist eine Politiker-Marionette!
Was verlangt ihr also von ihr?

Bakunin

Anonym 31. März 2010 um 10:54  

Die Schläfrigkeit ist das, was sie ihren Wählern verordnet. Insoweit spielt sie "Vorbild" und weiß: "Gähnen ist ansteckend."

Es wäre doch katastrophal, wenn die Wähler aufwachen würden.....

Willi

Anonym 31. März 2010 um 11:58  

Die Staatsmännische?
Nein, die Religiöse, die Göttliche!

Denn, die Krise ist über uns gekommen.

Die Krise der Schuldenkanzlerin, die Krise der Bomm-und-Bust-Kanzlerin, der neoliberalen Kanzlerin.

Neoliberalitas germaniae herrscht.
Die - falsche und menschenverachtende - Religion, die uns in die Krise geführt hat!

Michel 31. März 2010 um 23:00  

Wobei man ja den Deutschen noch zu erzählen versucht, Merkel ziehe hier versteckt innenpolitisch die Strippen. Habe nie auch nur eine einzige politische Aktion innerhalb Deutschlands gesehen, die irgendwie direkt auf Merkel zurückfällt. Ob nicht jemand für sie die Strippen zieht, ihr Ministerpräsidenten aus dem Weg räumt und die Medien in freundliches Fahrwasser steuert, frage ich mich schon.

fxhakan 4. April 2010 um 09:03  

Wenn die Kanzerlin "die deutschen Grenzen überwunden hat", diesmal in Richtung Türkei, dann fühlt sich der Türke mit Migrationsvordergrund in mir irritiert und ausgegrenzt. Sie nimmt mich nicht mit auf die Reise, dennoch bin ich draußen und "unzugehörig"...

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