Missioniert

Freitag, 5. Februar 2010

Aus der Abfalltonne starrend, sich des Stickigen und Dunstigen bei geschlossener Tonnenklappe ereifernd, begegnen einem eigentümliche Rechtsgelehrte. Rechtsgelehrte, die nicht aus Profession an die Tonnen treten, die lediglich aus Passion anwaltlich tätig werden. Moralingeschwängerte Gestelle von beständig verbeugendem und verneigendem Wuchs, stets den erhobenen Zeigefinger in Lüfte emporreckend, während sie weiterhin fortlaufend in Verneigung verweilen. Nach oben liegend und knicksend, nach unten emporreckend und belehrend!

Vom Müllhaufen herabblickend, sich über Atemlosigkeit und beißenden Geruch aufregend, trifft man sonderbare Advokaten. Aufgeputschte, von Moral und Bigotterie stimulierte Personen, mittels Moralin-Infusionen abgefüllte Moralwächter, immer das letzte Wort habend, dauernd sittenstrenge Weisheit auf den Müllhaufen werfend; gleichsam werfend, wie gestern und vorgestern ihren aufgerissenen, von Soßenresten und Hähnchenknochen spritzenden Müllbeutel. Sagt man, sein Heim auf dem Müllhaufen stinke einem, sagen sie, alles sei halb so schlimm; sagt man, der Wirtschaftsfaschismus brauche Menschen im Dreck, sagen sie, nana, mach' mal halblang!; sagt man, nach Aufmerksamkeit heischend, man spüre eine Art gelbe Markierung auf der Brust, sagen sie Frevel! und zetern und plärren und halten einem ihre Bibel vor die Nase und beginnen umgehend mit ihrem exorzierenden Ausfahrwort und erteilen dem ausgetriebenen Dämon ewigliches Rückkehrverbot.

Auf der Müllhalde lungernd, mit Atemnot und gewollter chronischer Kurzatmigkeit fechtend, erhält man regelmäßig Besuch vom Exorzisten. Sie erklären einem, wie man mit seinem Dilemma umzugehen hat, wie man es zur Schau stellen darf. Sie zeigen Wege auf, wie man für sich selbst den Eindruck erwecken kann, etwas über seine Ausweglosigkeit gesagt zu haben, ohne wirklich etwas gesagt zu haben. Wege, die in züngelnden Predigten, in Schlangengesäusel unterbreiten, dass die Pein fein umschrieben, bieder und sachlich dargelegt, mit hehren Worten und unter Umgehung wahrer, aber stinkender Tatsachen abgebildet werden soll. Wege, die das Ziel umgehen und nicht geradewegs ins Herz des Zielorts führen sollen. Wege, die das Leben der Müllhalde erträglich machen sollen, damit in der Ferne, weitab vom Gestank des Mülls, Menschen nicht beginnen, sich der Müllhalde zu schämen, damit sie nicht in Scham verfallen, weil es Menschen gibt, die sich in ihren Abfällen nisten. Damit jene Orte fernab am Horizont der Halde nicht anfangen nachzudenken - nachzudenken, wie man die Halde und ihre Bewohner beseitigen und von der Bildfläche verschwinden lassen kann.

Auf der Deponie, zwischen Unrat und Ratlosigkeit, soll Entmutigung und Verzweiflung und Trostlosigkeit nicht mit Namen genannt werden. Dozierende, mahnende, mit dem Zeigefinger gestikulierende Müllmänner, bis zu den Knien in Gummistiefeln vom Schmutz behütet, betreten den Müllberg, verbreiten das Evangelium ihrer Herrn, die frohe Botschaft züchtiger Sprache, in der liederliches und anstößiges Vokabular verboten, in der vulgäre Scheißhausbegriffe geächtet, in der die ungeschminkte Wahrheit vom Gestank und der Pein verpönt, in der polemische Metaphern und historische Vergleiche illegal sind. Evangelisten in Gummistiefeln, Müllmänner mit Grundausbildung in den Müllverbrennungsanlagen der Gesellschaft, in denen sie gelernt haben, unliebsam und unnütz Gewordenes, zu verfeuern. Bibel und Schwert, Herrenmoral und Feuerwerfer, begleiten sie bei ihrer Mission, bei ihre eifrigen Sendung, begleiten sie auf Bergrücken, begleiten sie in Schluchten, begleiten sie durch alle Landschaften der Deponie. Unnachgiebig missionieren sie, treiben den Heiden schlüpfriger Sprache den Dämon aus, belehren und fackeln ab, um der Deponie die Sprache der feinen, der verfeinerten Gesellschaft zu schenken. Eine Sprache, in der lächelnd geweint und frohlockend gelitten wird; eine Sprache, die nicht behindern, die Produktionsabläufe störungsfrei belassen soll.

Auf dem Schuttplatz, dem Abort reicher Leute, trifft man auf Gesandte ebendieser Leute. Botschafter des savoir vivre, des savoir parler, des Gewusst wie des Sprechens, des Berichtens, des Klagens. Bieder hat es abzulaufen, das Klagen wird angeklagt, zum Gejammer wohlhabender Habenichtse gekrönt, zum Verachtens- und Unterlassenswerten. Legaten belagern den Schuttplatz, zwängen sich zwischen Ramsch, Dreck, Grind, durchschreiten die ekelhaften Gestankschwaden in ihren eleganten Mänteln und lehren die Gosse das Sprechen, das sittsame Auftreten, das Benehmen vor dem Schlips und das Betragen vor den Kragen - sie lehren, damit es den Schlipsen und Krägen nicht an die Krägen geht; sie lehren es unbedarft, im guten Glauben, in der Hoffnung, im liebevollen Umgang liege der Hund, das heißt, eine friedvolle Welt, begraben. Und sie registrieren dabei nur selten, dass sie mit ihrer moralingetunkten Gesandtschaft und ihrem vorgehaltenen Kruzifix, auf das der Heiland, die direkte Rede nämlich, geschlagen wurde - sie merken nur selten, dass sie die Krägen der Krägen retten. Was sie aber ständig merken und wissen: wenn sie mit ihrer angeblichen Vernunft über die Halden ziehen, die Lehren ihrer Herrn predigend, dann wird das mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen und der eigene Kragen bleibt auch zukünftig blitzblank.

5 Kommentare:

Anonym 5. Februar 2010 um 10:30  

kennt man doch. wenn man heute sagt, daß die stimmung wie damals ist, gibt es ärger. heute ist alles viel besser und zivilisierter. haben die damals ab 33 sicher auch gesagt.

Ajax 5. Februar 2010 um 22:40  

Dieses "Abwiegeln" ist ein allgemeines (menschliches) Phänomen. Wenn ein Selbstmörder springen will, so erzählt man Ihm, das es sicher eine (für alles immer eine) Lösung gibt. Jedenfalls ist das im Krimi so. Dann geht der Film zu Ende und der Zuschauer geht davon aus es wird schon werden.

Anonym 6. Februar 2010 um 07:33  

Wenn man auf die beschissenen Zustände ansich hinweist, dann kommt von den Apparatschiks und Bonzen immer die Nazi- oder Kommunismuskeule. Prangert man die Todesopfer oder die Verletzung der Menschenrechte an oder zieht den Vergleich mit dem Faschimus, kommen die Drohungen mit Strafverfolgung wegen Beleidigung.

Gruß
Bernd

gitano 6. Februar 2010 um 09:46  

Die Mandarine, Intellektuellen der temperierten Mitte, selbstgefälligen Mimen des gesunden Menschenverstands und akademischen Verfechter des unaufgeregt Gescheiten beim Einsortieren, Philosophen des ne-nimis-Prinzips und alle anderen Vorzeiger ihrer sklerotischen Hirnkastl und verfetteten Herzen hast Du in dieser Schelte sehr gut getroffen.

Anonym 6. Februar 2010 um 17:30  

Zu der im obigen Kommentar kritisierten neuesten Medien-Gülle gegen Hartz 4 Empfänger noch folgender pasender Link:

http://de.news.yahoo.com/2/20100206/tpl-wirtschaftsweiser-will-hartz-iv-satz-ee974b3.html

Ob man schon von einer gezeilten und gut organisierten MedienKampangne sprechen kann?
Einges spricht für mich dafür!

mfg Bakunin

  © Free Blogger Templates Columnus by Ourblogtemplates.com 2008

Back to TOP