Europa geht schwanger
Montag, 30. November 2009
Berlusconi in Italien, der Kärcherisierer der vom Thron Frankreichs in die Banlieues herabwinkt, wachsende Abscheu gegen Homosexuelle im Baltikum, Schießbefehle an der spanischen Grenze in Afrika, Internierungslager im Namen der EU, zudem eine Riege posierender Intelligenzler in Deutschland, die gegen Arm und Fremd stürmt. Und dann auch noch die Schweiz, kein eidgenössischer Radikaler, nein: das eidgenössische Volk selbst, das sich emporschwingt, gegen Minarette marschiert - als würden Minarette die autochthone Lebensqualität beeinträchtigen.
Es läßt sich immer weniger leugnen, Europas Schoß ist feucht noch - oder wieder. Dieser Kontinent geht schwanger mit Engstirnigkeit, Spießbürgertum, Kleinkariertheit, mit der Diktatur des Kleinbürgers. Dabei sind es nicht nur intellektuelle Jammergestalten, die ihren sozialrassistischen Senf in jede Furche schmieren, nicht nur Machtmenschen, die als demokratisch legitimierte Tyrannen ihr Bluthandwerk betreiben, es sind die europäischen Völker selbst, die per Volksentscheide oder Umfragen dem braunen Abendland ihre Hochachtung aussprechen. Man darf annehmen, auch in Frankreich oder gerade hier in Deutschland, nachdem Hetzer in den letzten Monaten immer öfter ein öffentliches Forum erhalten haben, wäre die Frage nach den Minaretten nicht wesentlich anders ausgefallen. Religions- und Glaubensfreiheit hin oder her: für Europa gelten solche Grundrechte mittlerweile als gutmenschlerische Auswüchse, als Entwicklungen, die man schnellstens wieder zurückschrauben sollte. Gutmenschentum nennt man solche Grundrechte inzwischen, die mehr kosten als einbringen, die solchen zugute kommen, die lediglich Rechte einfordern, ansonsten aber nichts als Gegenleistung aufbringen können.
Das alles spielt sich im Rahmen eines Vertragswerkes ab, das Europa in den Militarismus zwingt, Handel nur mit solchen erlaubt, die keine Schutzzollpolitik betreiben. Dass man damit viele Staaten der Dritten Welt mit der Nase noch tiefer in den Kothaufen des Elends drückt, interessiert die Verfechter des Vertragswerkes dabei wenig. Ein strafferes Europa steht auf der Agenda, Notstandsgesetzgebung nebst Todesstrafe inklusive. Ein Europa der strammen Zügel, freihändlerisch bis zur Militärintervention, zentralistisch und bürokratisch, ausgestattet mit einem Parlament, das plaudern darf, ohne Kompetenz und Einflussnahme auf sich zu vereinigen. Demokratische Strukturen hemmen, hindern, machen den Wirtschaftsgranden das Leben sauer. Das Lissaboner Europa gaukelt auch weiterhin Demokratie vor - es gilt den Schein zu wahren, so zu tun als ob. Parlamentarische Plauderbuden eignen sich dazu hervorragend.
Und das Aufbegehren der Europäer? Der Widerstand Europas standhafter Demokraten? Fehlanzeige! Es mag einzelne Europäer ärgern, wie das Vertragswerk über die Köpfe hinweg aufgepflanzt wurde, aber rege Gegenwehr war nicht feststellbar. Selbst dort, wo man per Referendum mitgestalten durfte, flaute das laue Lüftchen des Widerstands unspektakulär ab. Kein Wunder, denn all das geschieht in einer Zeit, in der Europa mit Vorstellungen schwanger geht, die eigentlich schon längst mehr oder minder abgetrieben schienen. Man suggerierte den Massen, dass die Trächtigkeit lediglich noch eine Fehlentwicklung am Rande sei, eine Erscheinung in Reihen einiger Radikaler und Ewiggestriger. Das war nicht nur ein Irrtum, das war ein famoses Ablenkungsmanöver. Während auf die faschistischen Splitterparteien gedeutet wurde - und weiterhin gedeutet wird -, treibt das Faschistische, mindestens aber die Hitler-Formel (Amery), wie ein Splitter ins europäische Fleisch.
Lissaboner Europa und die sich heranpirschende Engstirnigkeit, kruder Nationalismus, überheblicher Okzidentismus gehen verliebt Hand in Hand, passen vortrefflich zueinander. Da werden unnütze Esser verhetzt, Senioren zum Unkostenfaktor, Andersdenkende drangsaliert und ausgeschlossen, Homosexuelle zu Krankhaften, Sinti und Roma zu Sündenböcken, Moslems zu Gewaltverbrechern - alles schleichend, in schöner europäischer Gemütlichkeit, mit langsam verschärfender Dosierung. Wie soll in einem Europa, das keinen klassischen Liberalismus mehr kennt, Toleranz mehr und mehr verliert, das immer tiefer in den (sozial-)rassistischen Sumpf gerät, wie soll in einem solchen spießigen und kurzsichtigen Europa, in dem die Einfältigkeit täglich heimischer wird, Auflehnung gegen Sozialabbau, Demokratiedefizit und Lissaboner Vertrag stattfinden? Es entspricht zuletzt dem Zeitgeist, all das hinzunehmen, auch wenn es wehtut, wenn es einem selbst Schaden zufügt; es dient doch letztlich nur der guten Sache, dient dazu, unnütze Esser und sonstiges Gesocks in die Schranken zu weisen.
Dieses Europa nimmt alles hin, nimmt selbst die Unmenschlichkeit hin, um sich selbst im Wohlstand zu halten. Aufwiegler aller europäischen Nationalitäten predigen, dass die Abgrenzung gegen alles, was nicht "mit uns" ist, notwendig geworden ist in einer Welt, die sich zunehmend inhuman gestaltet. Dass sie mit ihrem Predigten mitwirken an der Inhumanität wollen sie nicht begreifen. In diesem Europa ist ein neues Szenario in gewichsten Stiefeln nicht mehr nur denkbar, es ist beinahe gewiss. Uns droht kein Auschwitz, man wiederholt unpopuläre Schweinereien nicht - man produziert neue. Was droht ist ein Europa, in dem sozial Minderwertige in Ghettos gepfercht werden, sosehr, dass die heutigen Banlieues wie kleine Idylle wirken. Was am Horizont schimmert ist ein Europa der Moslemfeindlichkeit, wo Moslems vielleicht noch wohnen dürfen, jedoch nicht frei und gleich, sondern unter den Argusaugen der abendländischen Hüter, mit Einreisevertrag und dem Damoklesschwert der stets möglichen Ausweisung über den Köpfen. Es schimmert uns ein Europa entgegen, in dem junge Menschen ohne Aufgabe zwangsrekrutiert, interniert, zur Disziplin verpflichtet werden - auch das stand schon auf dem Plan eines europäischen Landes. Es erwartet uns ein Europa der straffen Zügel, in dem die Völker auf Linie getrimmt werden, kleiner Spielraum links und rechts der Linie anerkennend, in dem gedacht wird, was gedacht werden soll. Kurz und schlecht: Ein Europa der Unmenschlichkeit, wo Menschenrechte zwar existieren, nicht aber allzu ernst genommen werden. Es droht ein kleinkariertes Europa, inklusive Hatz auf Kopftücher und bärtige Männer, übler Nachrede an Arbeitslosen als gesellschaftlicher Standard und massenkonformer Sport, ebenso wie es zunehmend sportlicher wird, häufig Kranken und anderen unkalkulierbaren Humanrisiken mit Schmähung zu begegnen. Es winkt uns eine Art verbales Blutbad entgegen, ein Schlachtfest an allem, was dem kleinbürgerlichen und krämerischen Europa im Wege steht, an jenen, die mehr Geld kosten, als sie monatlich erwirtschaften können und freilich an denen, die selbst in dritter oder vierter Generation als unliebsame Gäste begutachtet werden.
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Es läßt sich immer weniger leugnen, Europas Schoß ist feucht noch - oder wieder. Dieser Kontinent geht schwanger mit Engstirnigkeit, Spießbürgertum, Kleinkariertheit, mit der Diktatur des Kleinbürgers. Dabei sind es nicht nur intellektuelle Jammergestalten, die ihren sozialrassistischen Senf in jede Furche schmieren, nicht nur Machtmenschen, die als demokratisch legitimierte Tyrannen ihr Bluthandwerk betreiben, es sind die europäischen Völker selbst, die per Volksentscheide oder Umfragen dem braunen Abendland ihre Hochachtung aussprechen. Man darf annehmen, auch in Frankreich oder gerade hier in Deutschland, nachdem Hetzer in den letzten Monaten immer öfter ein öffentliches Forum erhalten haben, wäre die Frage nach den Minaretten nicht wesentlich anders ausgefallen. Religions- und Glaubensfreiheit hin oder her: für Europa gelten solche Grundrechte mittlerweile als gutmenschlerische Auswüchse, als Entwicklungen, die man schnellstens wieder zurückschrauben sollte. Gutmenschentum nennt man solche Grundrechte inzwischen, die mehr kosten als einbringen, die solchen zugute kommen, die lediglich Rechte einfordern, ansonsten aber nichts als Gegenleistung aufbringen können.
Das alles spielt sich im Rahmen eines Vertragswerkes ab, das Europa in den Militarismus zwingt, Handel nur mit solchen erlaubt, die keine Schutzzollpolitik betreiben. Dass man damit viele Staaten der Dritten Welt mit der Nase noch tiefer in den Kothaufen des Elends drückt, interessiert die Verfechter des Vertragswerkes dabei wenig. Ein strafferes Europa steht auf der Agenda, Notstandsgesetzgebung nebst Todesstrafe inklusive. Ein Europa der strammen Zügel, freihändlerisch bis zur Militärintervention, zentralistisch und bürokratisch, ausgestattet mit einem Parlament, das plaudern darf, ohne Kompetenz und Einflussnahme auf sich zu vereinigen. Demokratische Strukturen hemmen, hindern, machen den Wirtschaftsgranden das Leben sauer. Das Lissaboner Europa gaukelt auch weiterhin Demokratie vor - es gilt den Schein zu wahren, so zu tun als ob. Parlamentarische Plauderbuden eignen sich dazu hervorragend.
Und das Aufbegehren der Europäer? Der Widerstand Europas standhafter Demokraten? Fehlanzeige! Es mag einzelne Europäer ärgern, wie das Vertragswerk über die Köpfe hinweg aufgepflanzt wurde, aber rege Gegenwehr war nicht feststellbar. Selbst dort, wo man per Referendum mitgestalten durfte, flaute das laue Lüftchen des Widerstands unspektakulär ab. Kein Wunder, denn all das geschieht in einer Zeit, in der Europa mit Vorstellungen schwanger geht, die eigentlich schon längst mehr oder minder abgetrieben schienen. Man suggerierte den Massen, dass die Trächtigkeit lediglich noch eine Fehlentwicklung am Rande sei, eine Erscheinung in Reihen einiger Radikaler und Ewiggestriger. Das war nicht nur ein Irrtum, das war ein famoses Ablenkungsmanöver. Während auf die faschistischen Splitterparteien gedeutet wurde - und weiterhin gedeutet wird -, treibt das Faschistische, mindestens aber die Hitler-Formel (Amery), wie ein Splitter ins europäische Fleisch.
Lissaboner Europa und die sich heranpirschende Engstirnigkeit, kruder Nationalismus, überheblicher Okzidentismus gehen verliebt Hand in Hand, passen vortrefflich zueinander. Da werden unnütze Esser verhetzt, Senioren zum Unkostenfaktor, Andersdenkende drangsaliert und ausgeschlossen, Homosexuelle zu Krankhaften, Sinti und Roma zu Sündenböcken, Moslems zu Gewaltverbrechern - alles schleichend, in schöner europäischer Gemütlichkeit, mit langsam verschärfender Dosierung. Wie soll in einem Europa, das keinen klassischen Liberalismus mehr kennt, Toleranz mehr und mehr verliert, das immer tiefer in den (sozial-)rassistischen Sumpf gerät, wie soll in einem solchen spießigen und kurzsichtigen Europa, in dem die Einfältigkeit täglich heimischer wird, Auflehnung gegen Sozialabbau, Demokratiedefizit und Lissaboner Vertrag stattfinden? Es entspricht zuletzt dem Zeitgeist, all das hinzunehmen, auch wenn es wehtut, wenn es einem selbst Schaden zufügt; es dient doch letztlich nur der guten Sache, dient dazu, unnütze Esser und sonstiges Gesocks in die Schranken zu weisen.
Dieses Europa nimmt alles hin, nimmt selbst die Unmenschlichkeit hin, um sich selbst im Wohlstand zu halten. Aufwiegler aller europäischen Nationalitäten predigen, dass die Abgrenzung gegen alles, was nicht "mit uns" ist, notwendig geworden ist in einer Welt, die sich zunehmend inhuman gestaltet. Dass sie mit ihrem Predigten mitwirken an der Inhumanität wollen sie nicht begreifen. In diesem Europa ist ein neues Szenario in gewichsten Stiefeln nicht mehr nur denkbar, es ist beinahe gewiss. Uns droht kein Auschwitz, man wiederholt unpopuläre Schweinereien nicht - man produziert neue. Was droht ist ein Europa, in dem sozial Minderwertige in Ghettos gepfercht werden, sosehr, dass die heutigen Banlieues wie kleine Idylle wirken. Was am Horizont schimmert ist ein Europa der Moslemfeindlichkeit, wo Moslems vielleicht noch wohnen dürfen, jedoch nicht frei und gleich, sondern unter den Argusaugen der abendländischen Hüter, mit Einreisevertrag und dem Damoklesschwert der stets möglichen Ausweisung über den Köpfen. Es schimmert uns ein Europa entgegen, in dem junge Menschen ohne Aufgabe zwangsrekrutiert, interniert, zur Disziplin verpflichtet werden - auch das stand schon auf dem Plan eines europäischen Landes. Es erwartet uns ein Europa der straffen Zügel, in dem die Völker auf Linie getrimmt werden, kleiner Spielraum links und rechts der Linie anerkennend, in dem gedacht wird, was gedacht werden soll. Kurz und schlecht: Ein Europa der Unmenschlichkeit, wo Menschenrechte zwar existieren, nicht aber allzu ernst genommen werden. Es droht ein kleinkariertes Europa, inklusive Hatz auf Kopftücher und bärtige Männer, übler Nachrede an Arbeitslosen als gesellschaftlicher Standard und massenkonformer Sport, ebenso wie es zunehmend sportlicher wird, häufig Kranken und anderen unkalkulierbaren Humanrisiken mit Schmähung zu begegnen. Es winkt uns eine Art verbales Blutbad entgegen, ein Schlachtfest an allem, was dem kleinbürgerlichen und krämerischen Europa im Wege steht, an jenen, die mehr Geld kosten, als sie monatlich erwirtschaften können und freilich an denen, die selbst in dritter oder vierter Generation als unliebsame Gäste begutachtet werden.