Menschliches, Allzuäffisches

Samstag, 14. November 2009

Es ist keineswegs so, dass das, was man als das Faschistische oder Totalitäre bezeichnet, nur eine Spielart menschlicher Niedertracht ist, an denen eine kleinere, vielleicht auch etwas größere Gruppe chronisch erkrankt ist. Beide für sich und beide gemeinsam sind nicht Auswurf einer genetischen Mutation, nicht mal Resultat einer mangelhaften Bildung und Moralerziehung. Das Denken in faschistischen und totalitären Niederungen ist nicht nur der Sport einer Handvoll Radikalisierter am sogenannten rechten Rand des politischen Spektrums. Es ist auch kein Wettbewerb biederer Bürgersgestalten, die aus der politischen Mitte heraus, in zurückhaltender Lammfrömmigkeit natürlich, in den faschistischen Gedankenkadaver pieksen. Nein, betroffen sind wir alle davon!

Alle Menschen leiden darunter; der Faschismus und die totalitäre Verfahrensweise schlummern in uns, werden beizeiten geweckt und sind dann schwer an der Leine zu halten. Auch in aufgeklärten Kreisen grassiert das plumpfaschistische Unterbewusstsein, jede noch so souveräne Denkweise kann unerwartet davon angefallen und zerfleischt werden. Aufgeklärte Kreise! Damit ist nicht die bürgerliche Mitte gemeint, denn die steht mit dem Machterhalt auf Du und Du, nicht mit der Aufklärung und der Mündigmachung aller Menschen. Generell ist das, was wir heute aus Mangel an Begrifflichkeit Faschismus nennen, keine pervertierte Erscheinungsform des rechten Spektrums, des linken freilich noch weniger - der Faschismus, so angelegt von Mussolini, später von den anderen bestiefelten Reiterhosenfetischisten übernommen, war eine Lehre der Mitte, ein Vermittler zwischen linkem Populismus und rechtem Konservatismus. Aus der Mitte entsprang der Stuß! Klassenkampf ade, denn der Sozialismus der Faschisten war die Einheitsfront, das Anpacken des Stricks von derselben Seite, kein Gegeneinanderziehen mehr. Nein, die bürgerliche Mitte, das Gewinsel darum, dass eine Partei alle Volksschichten befrieden sollte, der Volksparteigedanke eben, ist letztlich die humanistisch angepinselte Version des niedersten Braun-Instinkts. In der Mitte reift der Faschismus; aus der Mitte keimte er; sie war das Obdach um Linkes wie Rechtes zu kanalisieren und zusammenzuführen. Alles was da am rechten Rand herumblödelt, ist damit die Erweiterung der bürgerlichen Mitte, eine kleinbürgerliche Variante, die den Stammtisch völkisch bevölkert. Es ist der Rand der rechten Mitte, Tummelplatz des Stehkragen- und Springerstiefelproletariats.

Dennoch ist niemand jenseits solcher Mitten davor gefeit, sich ins Faschistische und Totalitäre zu verirren. Dazu muß man nicht Anhänger der Mittigkeit sein, auch nicht deren Fechser in zugeknöpftem Polohemd mitsamt elegantem Hosenträger und wohlpoliertem Eierkopf. Jeden kann es treffen, selbst den, der in bester Absicht durchs Leben wandelt. Schnell wird aus dem Wandeln Stechschritt und aus dem aufrechten Gang Marschtritt. Das geht schon los, wenn wir dazu übergehen, dem faschistoiden Bürgertum die Pest, eine Terrorbande oder eine Wand zur letzten Ansicht an den Kragen zu wünschen. Blitzartig springt der Faschist hinter den Windungen unserer Gedankenwelt hervor. Wir ersinnen uns eine bessere Welt, in der wir uns von denen, die einst in der Mitte Einheitsfronten vorbeteten, schützen müssen. Das ist die Geburtsstunde von Staatssicherheiten, die Geburtsstunde des Totalitarismus in bester Absicht und mit gutem Willen. Das Faschistische ist kein Fremdling, kein Parasit im Körper des Gerechten, es ist die braune Seite des Menschlichen, Allzumenschlichen - eine Seite des Menschen, man möchte annehmen: jedes Menschen. Der Faschismus in uns ist das weitergesponnene Vorurteil, die unausgereifte Ausreifung des Ressentiments. Wer ertappt sich nicht dabei, im Anderen, wenn er so ganz anders scheint, erstmal einen Sonderling, Idioten, Böswilligen, Feind gar zu sehen?

Sich dabei zu ertappen, erschüttert zuzeiten, darf uns aber nicht entmutigen. Es ist des Menschen Eigenart, in sich das Vorurteil zu tragen. Was er letztlich daraus macht, wie er damit umgeht, mit welchen Erkenntnissen er dieser faschistischen und totalitären Keimzelle begegnet, unterscheidet ihn von solchen, die sich dem Vorurteil bedingungslos ausliefern. Und man ertappt sich nicht selten im Braunen. Was?, einen Mörder vor Gericht verteidigen! Der gehört anstandslos eingebuchtet! Oder: Fahr doch zu, Tattergreis! Mach schon! Man sollte jedem siechen Klappergestell ab Siebzig aufwärts den Schein entziehen! Oder: Der Vater dieses Kerls war ein hakenbekreuzter Menschenschlächter! Der Sohn, ja diese ganze Sippe der Vonundzus, das sind doch alle die gleichen Bestien! - Pars pro toto lebt es sich sonniger - nicht nur für den Freund unkomplizierter Lösungen. Zuweilen reizt auch den Auf- und Abgeklärten die Einfachheit der Dinge. Um sorgenlos ins Grüne hinauszufahren, eignet sich manchmal vorzüglich das Braune. In der Bräune der Sichtweisen ruhen jene Zeitreserven, die die Spazierfahrt ins Grüne erst verlängern.

Die Kunst ist es, sich davon nicht leiten, verführen, reizen zu lassen. Den Protagonisten der bürgerlichen Mitte sieht man die Zerrissenheit an, ihre Gratwanderung, einerseits dem Faschistischen nicht erliegen zu wollen, andererseits aber immer wieder das runzelige Fleisch der niedersten Triebe belebend und beatmend. Um am Rande, dort wo der kleinbürgerliche Steckling am Stammtisch prostet, wo Kahlköpfe aneinandergereiht stehen wie eine endlose Kette von Hoden, unterdrückt man das triste Allzumenschliche gar nicht erst. Dort ist man ganz ungestüm Mensch, so sehr, dass man wiehert, grunzt, kläfft. Doch das Vorurteil, der skeptische Blick auf den Anderen, dieses Metafaschistische, es ruht in allen, auch fern der Mitte, auch dort, wo der Volksmund das politisch Linke verächtlich macht.

Die Kunst des Aufgeklärten liegt darin, sein eigener Dompteur zu sein, sich und seine törichten Impulse im Griff zu behalten, sie zu überdenken und nur als Vorstufe zur Erkenntnisgewinnung zu bewerten. Seinen Faschismen Herr zu sein, seinen Totalitarismen Einhalt zu gebieten, noch bevor sie stofflich werden, und sei es nur stofflich in Form einer Schallwelle: wenn Aufklärung überhaupt etwas bedeutet, dann das Ideal, seine kleinkarierten Ressentiments, seinen Hass, seine Vergeltungssucht, seine Rachegelüste nicht über sich siegen zu lassen. Kurz gesagt, sich dagegenzustemmen, den Faschismus in sich zu kennen und zu dressieren zu verstehen, kann als hohe Kulturleistung anerkannt werden. Wo Kultur wegbricht, wird Platz frei für Gewalt. (August Everding) Wo der Allzumenschliche äffisch in den Dschungel brüllt, da frönt im Gegenlicht der Aufgeklärte jener Kultur der gebändigten dunkelbraunen Seite.

Der Mensch als jenes Wesen, das sich selbst sein kann, was es will. Man könne nichts für seine Triebe, entschuldigt man sich heuchlerisch an den Stammtischen. Auch aus der Mitte erklingt Verständnis für solche, die ihre Niedertracht nicht unter Kontrolle haben. Sie sind, was sie sind, aber nicht was sie sein wollen. Insofern ist ihr Allzumenschliches ein Sammelsurium aus Affekten und voreiligen Schlüssen, unfreier Wille, Auswurf elektronischer Impulse. Dem wahren Wesen des Menschen, kommen sie damit nicht nahe. Sie sind im Grunde noch immer dieselben alten Affen.

17 Kommentare:

maguscarolus 14. November 2009 um 08:35  

Die Sehnsucht nach der "einfachen Welt" als Wurzel faschistoiden, totalitären Denkens.

Das trifft's.

klaus baum 14. November 2009 um 11:40  

>>Die Kunst des Aufgeklärten liegt darin, sein eigener Dompteur zu sein, sich und seine törichten Impulse im Griff zu behalten, sie zu überdenken und nur als Vorstufe zur Erkenntnisgewinnung zu bewerten.<<

genau das war und ist der impuls für meinen essay über archer gewesen:

http://www.klaus-baum.info/essays-zur-literatur/klaus-baum-radioessay-macdonald/

Anonym 14. November 2009 um 14:35  

"Die Kunst des Aufgeklärten liegt darin, sein eigener Dompteur zu sein, sich und seine törichten Impulse im Griff zu behalten, sie zu überdenken und nur als Vorstufe zur Erkenntnisgewinnung zu bewerten."

Tja und eben diese Fähigkeit zu entwickeln, traue ich dem gemeinen Durchschnittsmenschen nicht zu.

Anonym 14. November 2009 um 19:57  

Lieber Roberto J. de Lapuente,

treffend formuliert - Es kann einem schon bei harmlosen nachmittäglichen Kaffeekränzchen so gehen, dass die Fratze des Faschismus einem anstart. So heute bei mir, ein tödlicher Unfall - es waren ja "nur" Russlanddeutsche, und die wären für das fahren mit hoch-ps-Autos ja bestens bekannt, und zwar kaum, dass die den Führer schein haben. Themenwechsel, bei Ausbildung von eigenen Kindern der Satz "Jedem das Seine". Man muss schon bei der herzkranken Mutter, und der Lieblingsschwester, auf die Zähne stehen, um nicht laut zu protestieren - gegen den Alltagsfaschismus, der sich anscheinend wie eine Pestbeule festmacht - Durch den kleinen Faschisten - auch bei Nichtdeutschen - vorhanden. Wie erähnt, du hast es treffend auf den Punkt gebracht wie immer, aber der Satz "Sie sind im Grunde noch immer dieselben alten Affen." ist eine Beleidigung für die "alten Affen", die sich sicher anständiger aufführen als jeder Mensch. Oder kennen die "alten Affen" den Sozialdarwinismus, und die soziale Apartheid gegen Unterschichten? Ich glaube nicht.

Dennoch, wie bereits erwähnt, vortrefflich formuliert - In jedem von uns wohnt ein kleiner Hitler, aber wir bekämpfen diesen wenigstens, wenn der sich zeigen sollte.

Gruß
Nachdenkseiten-Leser

PS: Apropo Rußlanddeutsche, ich erlebte vor Jahren einen Polen, der gar nicht gut auf die "gute alte Zeit" zu sprechen wir, die mein Vater erlebt hat - in Westdeutschland, kurz nach dem II. Weltkrieg. Dies war mir noch verständlich, da Polen ja unter dt. Besatzung zuerst, und wohl - abgesehen von Rußland - am Meisten gelitten hat, aber was mir schleierhaft war ist, dass derselbe Pole, der sich bei mir gegen die positiven Erinnerungen meines Vaters, der damals ein Kind war, verwahrte, etwas vorurteilsbehaftetes gegen Rußlanddeutsche hatte - ja sogar behauptet hat er erkenne die auf hundert Meilen an ihrem Outfit. Ergo gibt es die kleinen Faschisten, wie du völlig richtig schreibst, in jedem von uns - auch in mir - aber wir kämpfen täglich dagegen an, was uns ebent von anderen unterscheidet, die einfach ihre Vorurteile herunterbeten als wären die die 10 Gebote der Bibel.

Frank Powers 15. November 2009 um 00:29  

Einher mit dem Imzaumhalten der eigenen tendenziell faschistoiden Denke geht die Entwicklung der eigenen Moral, der Werte bzw. der Bewertungen, an denen wir unser Handekn ausrichten und von denen wir uns leiten lassen: Ist es der "dumpfe Stammtisch"? Oder ist's was Höheres, vorgeblich oder gar wahrhaftig Edleres als das?

Lieber Roberto, herzlichen Dank für diesen sehr überlegten und nachdeklich stimmenden Text. Wenn Du Dich für die (wissenschaftliche Seite der) Moral interessierst, hier könntest du (wenigstens für den Anfang) fündig werden:

http://www.manwithahorn.de/2009/10/das-problem-mit-der-moral-teil-1.html

flatter 15. November 2009 um 01:51  

So einfach sehe ich das nicht und verweise auf die "Dialektik der Aufklärung":
"Faschismus", zumal Nationalsozialismus, ist kein plumper triebgesteuerter Affekt. Das "wahre Wesen des Menschen" steht dem auch nicht entgegen. Die organisierte Massenvernichtung ist mit reinem Affekt gar nicht zu bewerkstelligen, im Gegenteil: Es bedarf eines gewaltigen Maßes an(Selbst-)Beherrschung, um aus dem Ressentiment organisierte Gewalt werden zu lassen. Solcher Faschismus ist eine Form der "Aufklärung", Ideologie ist kein äffisches Rudelphänomen. Ideologie, auch und gerade die Faschistische, ist sogar äußerst strenge Moral und "Erkenntnis". Sie erkennt für "richtig" und "falsch", sei es in losgelassener "Wissenschaft", sozialen Standards oder einem Wertekanon. Die faschistische Ideologie umfasst alle Ressourcen, die auch eine bessere Gesellschaft begründen: Normen, Grenzen, Wirtschaften, individuelles Handeln, nicht zuletzt Selbtsbeherrschung. Ich erinnere nur an die Exekutivkräfte, die an der Errichtung der Vernichtungslager beteiligt waren: Diese empfanden in aller Regel nicht Vergnügen, sondern Horror und Ekel, was sie freilich nicht daran hinderte, ihre Aufgabe zu erfüllen.
Es bedarf etablierter Tabus und einer organisierten Empfindsamkeit gegen Angst - die eigene und die der anderen, um das zu verwirklichen, was gemeinhin optmistisch als "human" bezeichnet wird. Das kann, je nach Situation, mal mit mehr, mal mit weniger Selbtsdisziplin erreicht werden.
Ich halte es für fatal, "faschistische" Tendenzen als etwas auch nur annähernd Einfaches begreifen zu wollen.
Demokratische Kultur stellt sich auch dann noch lange nicht ein, wenn man nur die Ressentiments unterdrückt. Es ist zwar wichtig, diese zu kanalisieren und dafür zu sorgen, daß sie nicht die Oberhand gewinnen. Dies aber ist eine Aufgabe, die sich nicht mit Triebunterdrückung erfüllen läßt, sondern im Gegenteil indem dem Animalischen, Unkultivierten ein adäquater Platz in der Kultur eingeräumt wird.
(Ich halte an dieser Stelle ein und entschuldige mich für diesen Wortschwall ;-)

Anonym 15. November 2009 um 10:41  

"[...]Es bedarf eines gewaltigen Maßes an(Selbst-)Beherrschung, um aus dem Ressentiment organisierte Gewalt werden zu lassen. Solcher Faschismus ist eine Form der "Aufklärung", Ideologie ist kein äffisches Rudelphänomen.[...]"

@flatter

Ich würde dir ja gerne Recht geben, aber diesen Angriff auf die "Aufklärung" kann ich dir so nicht durchgehen lassen - Der Faschismus/Nationalsozialismus ist kein Ergebnis der "Aufklärung". Würdest du dies so stehen lassen, dann hättest du vom Oberaufklärer der Gegenaufklärung im 21. Jahrhundert gelernt - Lies mal das Buch von Alan Posener "Benedikts Kreuzzug". Dieser Papst verdreht nämlich auch die Tatsache, dass es eben die Unvernunft und die Unterstützung der religiösen Moralapostel waren, die zum Holocaust geführt haben - Nicht die "Aufklärung" sondern die Gegenaufklärung ist Schuld am Holocaust. So meine Meinung dazu.

Die Gegenaufklärung/-reaktion meldet sich ja derzeit - mit diversen Tatsachenverdrehungen - nicht allein bei der röm.-kath. Kirche wieder zu Wort. So wollen uns Neoliberale predigen was wir unter "Gerechtigkeit" zu verstehen haben - dies hatten wir schon einmal, was direkt zum Faschismus geführt hat. Davon wollen die diversen Gegenaufklärer ablenken, und dazu gehört eben auch der Frontalangriff auf die "Aufklärung", die uns, nach neoliberaler Lesart, direkt zum Faschismus geführt hat. Eine Tatsachenverdrehung eben, auf die auch Menschen wie du leider reinfallen. Die anderen erwähnten Punkte teile ich, teilweise, aber den Frontalangriff auf die Tradition der "Aufklärung" lasse ich - als Kant-Fan - so nicht stehen.

Würden sich heute mehr Menschen des eigenen Verstandes bedienen, frei nach Kant, sähe die Welt besser aus, und es gäbe die oben erwähnten Versuche vielleicht, die aber sämtlich ins Leere läufen würden.

Fazit:

Ich heilige nicht die komplette "Aufklärung", aber ich differenziere klar zwischen "Aufklärung" und "Gegenaufklärung" - letztere feiert derzeit dank CDU/CSU/FDP + dt. Papst fröhliche Wiederauferstehung.

Gruß
Nachdenkseiten-Leser

PS: Schau mal den Film "1900", der sich mit der Entstehung des Faschismus in Italien beschäftigt, auch dort wird klar, der Faschismus ist kein Produkt der "Aufklärung" sondern der Gegenaufklärung - auch damals schon - der großbürgerlichen und konservativen Kreise in Italien, zur Niederhaltung der "kleinen Leute" und Arbeitnehmer.

Anonym 15. November 2009 um 10:45  

Ich denke, das der durch das Vorurteil bedingte "Faschismus" nicht in allen schlummert. Gordon W. Allport trifft diesbezüglich in "Die Natur des Vorurteils" die hilfreiche Unterscheidung zwischen "Vorausurteil" und "Vorurteil" und untersucht dann wie und warum aus Vorausurteilen, Vorurteile werden. Das nur als Anmerkung, um die Problematik vielleicht theoretisch zusätzlich zu vertiefen.

Geheimrätin 15. November 2009 um 13:04  

Faschismus und die Furcht vor der Freiheit

Erich Fromms

Antwort auf die Frage, warum totalitäre Ideologien und Bewegungen wie Faschismus und Bolschewismus auf die Menschen des 20. Jahrhunderts eine derartige Anziehungskraft ausüben: Um sich über das Gefühl seiner Bedeutungslosigkeit in einer ungeheuren Maschinerie hinwegzutäuschen, greift das Individuum zu „Fluchtmechanismen“, die den Sinn haben, Angst und Isolierung zuzudecken. Fromm beschreibt drei Fluchtmechanismen: „autoritäre Tendenzen“, „Zerstörungstrieb“ und „automatische Anpassung“. In allen drei Fällen besteht die Crux darin, dass eine „Freiheit von“ nicht durch eine Sinn stiftende „Freiheit zu“ ergänzt wird. Im Gegensatz zu Freud erkennt Fromm keinen biologischen „Todestrieb“ an: „Der Trieb zum Leben und der Trieb zur Zerstörung sind nicht voneinander unabhängig, sondern stehen zueinander in umgekehrtem Verhältnis: Je mehr der Lebenstrieb durchkreuzt und unterbunden wird, umso stärker der Trieb der Zerstörung. Je mehr sich das menschliche Dasein entfalten kann, umso geringer die Kraft der Zerstörung und umso seltener. Der Zerstörungstrieb ist die Folge des ungelebten Lebens.“

In „Psychoanalyse und Ethik“ (1947) leistet Fromm Pionierarbeit für die Psychoanalyse – hatte Freud doch behauptet, dass seine Tiefenpsychologie keinen Bedarf an ethischen Untersuchungen habe. Demgegenüber ist Fromm der Meinung, dass eine humanistische Ethik die Grundlage jeder psychoanalytischen Praxis sein müsste. In Anlehnung an Aristoteles, Spinoza und John Dewey empfiehlt humanistische Ethik dem Menschen vor allem, sich autonom und kraftvoll zu entwickeln. Im Gegensatz zur autoritären Ethik, die menschliches Gutsein ständig durch das „immanente Böse“ bedroht sieht, sagt Fromm: „(. . .) so gewinnt ein Mensch, der sich seiner eigenen Kräfte bewusst ist und sie produktiv verwendet, an Stärke, Glauben und Glück. (. . .) Das Erlebnis von Freude und Glück ist nicht nur (. . .) das Ergebnis eines produktiven Lebens, sondern auch dessen Stimulans.“
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Nun erleben wir aber, wie dieser Freiheitsbegriff vollkommen auf den Kopf gestellt, in seinem Namen wird das Grundgesetz ausgehölt, werden Überwachungsmaßnahmen ausgeweitet, Bürger-und Arbeitnehmerrechte abgebaut, Kriege geführt, sozial benachteiligte werden stigmatisiert, es wird gehetzt und gespalten, gelogen und betrogen. Die Furcht vor der Freiheit, führt dazu dass die Freiheit allein dem Markt zugschrieben wird, während sie dem Menschen mehr und mehr genommen wird. Wie kann der Mensch frei sein, wenn er dem Markt zum Fraß vorgeworfen wird? Die Lämmer wählen wieder ihre eigenen Schlächter..Von Pogromen und geistigen Brandstiftern

Wahlsieg der NSDAP

Wenngleich Art und Ausmaß damaliger Wählerwanderungen nicht exakt bestimmbar sind, lässt sich schließen, dass überwiegend nationalkonservative und liberale, protestantische Mittel- und auch Oberschichtwähler zur NSDAP gewandert waren. Besonders stark wurde Hitlers Partei offenbar vom „alten Mittelstand“ (selbstständige Handwerker, Einzelhändler, kleine und mittlere Unternehmer, freie Berufe und Bauern) und vom „neuen Mittelstand“ (Beamte und vor allem Angestellte) gewählt. Auch von der um sieben Prozent gestiegenen Wahlbeteiligung konnte sie stärker als andere Parteien profitieren, das heißt Jungwähler und bisherige Nichtwähler gewinnen.
quelle

Menschen verrohen also, wenn sie keinen Zugang zu ihrer eigenen, schöpferischen Quelle mehr haben, je trister, eingepferchter und versklavter sie ihr Dasein fristen, desto unmenschlicher, brutaler und egoistischer äußert sich ihr Handeln, die eigene Ohmacht führt zu Machtstreben in Form von Dominanzverhalten und Unterdrückung Schwächerer. Sado-Masochismus wird zur Gesellschaftsform (Erich Fromm, Psychoanalyse des Faschismus)

Anonym 15. November 2009 um 13:29  

Weil immer wieder mal auf die "Dialektik der Aufklärung" verwiesen wird... Könnte jemand vielleicht mal knapp zusammenfassend die Thesen aus diesem Buch wiedergeben? Bloß für diejenigen, die sie noch nicht gelesen haben ;)

antiferengi 15. November 2009 um 14:03  

Die Kunst des Aufgeklärten liegt darin, sein eigener Dompteur zu sein, sich und seine törichten Impulse im Griff zu behalten, sie zu überdenken und nur als Vorstufe zur Erkenntnisgewinnung zu bewerten.

Schon merkwürdig. Neben Klaus Baum, und Anonym war es auch dieser Satz an dem ich mich festgehangen habe. Ist es aber nicht gerade eine, - sagen wir "gesteuerte" Form von Selbstreflektion, was zum Schluss immer nur eine Form der Erkenntnisgewinnung zulässt, - welche letztendlich gefährlich ist? Eigene, unabhängige Selbstkontrolle zu entwickeln, - ist etwas sehr schwieriges, und zugegeben, die wenigsten kriegen das in den Griff. "Angeleitete" Selbstreflektion, und damit auch Selbstkontrolle, ist das was ich als Teil der Probleme unserer Zeit ansehe. ("Gender Mainstreaming", z.B. ? ). Anonsten, denke ich, habe ich den Text schon richtig verstanden, und denke auch das, "alles" in "jedem" steckt, - aber irgendjemand, treibt immer Schindluder mit diesem Wissen.

Anonym 15. November 2009 um 14:34  

"[...]Anonsten, denke ich, habe ich den Text schon richtig verstanden, und denke auch das, "alles" in "jedem" steckt, - aber irgendjemand, treibt immer Schindluder mit diesem Wissen.[...]"

Es mag schon sein, aber wie kommt es dann, dass es auch - damals wie heute - löbliche Ausnahmen von "alles" in "jedem" steckt - gibt? Ich denke da z.B. an Georg Elser, der Hitler einmal in die Luft sprengen wollte, und damit viele Millionen Leben gerettet hätte - Elser war, so wie ich es gehört habe, ein "einfacher Mensch" und "Einzelgänger", aber dennoch, oder gerade deswegen?, war er nicht anfällig für die Nazi-Ideologie. Wie kommt so etwas zustande? Es gibt ja auch heute wieder Menschen, die die neoliberale Propaganda als Faschismus des 21. Jahrhunderts durchschauen, wenn die auch nicht aktiv werden - wie kommt so etwas zustande? Wir Menschen sind wohl doch zu mehr fähig, was eigenes Denken angeht, als wir selbst - in unserer Negativität über unser eigenes "Ich" - über uns denken.

Es gibt eben auch Menschen, die nicht "Schindluder" mit sich treiben lassen.....

Optimistischer Gruß
Nachdenkseiten-Leser

antiferengi 15. November 2009 um 14:44  

@Anonym
Also, - das ist jetzt ein wenig viel verlangt ;-)
Ich persönlich würde es als "Aufklärung über die Aufklärung" zusammenfassen, - aber diese Aussage ist ziemlich billig.
Überhaupt würde ich hier nicht von wissenschaftlichen Thesen sprechen. Bevor mich andere jetzt auseinanderreissen, - empfehle ich.
Da musst du selber durch.

antiferengi 15. November 2009 um 15:39  

@Anonym 14:34 ? Ich muss mich entschuldigen, - ich tue mich ein wenig schwer die Anonymen auseinanderzuhalten ;-) Sorry, mein Problem.

Wenn "alles" in "jedem" steckt, betrifft das ja nicht nur das, was anderen schaden könnte. Es ist ja auch eine Frage dessen, was man selber an sich weiterentwickeln will.

Wir Menschen sind wohl doch zu mehr fähig, was eigenes Denken angeht, als wir selbst - in unserer Negativität über unser eigenes "Ich" - über uns denken."

Hat doch was ;-) Klingt jedenfalls nach "selbstständiger", eigener Selbstreflektion. Die einen machens, - die anderen leider nicht.

klaus baum 15. November 2009 um 17:25  

@anonym, gehe doch bitte in eine uni-bibliothek und leihe dir vielleicht das buch von mir aus: die transzendierung des mythos. darin findest du eine zusammenfassung der dialektik der aufklärung. in dieser geht es u.a. um naturbeherrschung mit hilfe neuzeitlicher, an der kausalität orientierter physik, mathematik, chemie, biochemie, die allesamt unterm primat des profits stehen - und was dabei herauskommt, ist die naturzerstörung. naturbeherrschung wird zur naturzerstörung. dieses umkippen kann man dialektik heißen.

flatter 15. November 2009 um 23:37  

"Dialektik" der Aufklärung weist darüber hinaus auf den Umstand hin, daß Mythologie dereinst geltende Rationalität war und Rationalität immer in Mythlogie umschlagen kann. Aufklärung ist hier auch zu verstehen als Durchsetzung geltender Wahrheiten. Marcuse sprach von der "herrschenden Form des Realitätsprinzips". Insofern ist auch und gerade Ideologie "Aufklärung". Horkheimer/Adorno bezogen dies auf die "positivistischen" Wissenschaften und ihren absoluten Anspruch auf Gültigkeit/Wahrheit. Daher der Satz: "Aufklärung ist totalitär".
Die D.d.A. zusammenzufassen verbietet sich nicht nur ob deren Komplexität. Das Buch erschien ursprünglich unter dem Titel "Philosophische Fragmente".
Die Lektüre ist sehr zu empfehlen.

Anonym 18. November 2009 um 12:16  

Dazu möchte ich jemanden zitieren:
"Es ist nun gänzlich unmöglich, hier das aus traditionellen, massenpsychologischen und gesellschaftlichen Faktoren kompliziert gewirkte Ursachenbündel aufzudröseln, das sonst normale Menschen in einen psychischen Zustand versetzen mag, in dem sie bereit sind, über ihnen unbekannte Artgenossen herzufallen mit Hingabe und Begeisterung und in mörderischer Absicht.
[...]
Eines kann aber trotzdem gesagt werden: Alle diese [...] Faktoren bilden letztlich nur die äussere Fassade des Problems.
[...]
All diese Veranlagungen sind unserem Geschlecht von der Evolution während unvollstellbarer langer Epochen unserer Vorgeschichte angezüchtet worden, weil sie damals zum Überleben notwendig waren.
[...]
Wir sind damit mitten in der Schilderung der engen Beziehungen zwischen Demagogie und dem unter unserer Grosshirnrinde herumgeisternden Neandertaler. Demagogen verstehen zwar in aller Regel nicht viel vom Aufbau und der Entwicklung des menschlichen Gehirns. Der sich aus deren Besonderheiten für sie ergebenden Möglichkeit aber haben sie sich von alters her mit intuitiver Sicherheit bedient."
(Hoimar von Ditfurth, "Innenansichten eines Artgenossen")
Kurz: Faschismus ist eine Ideologie, die den Neandertaler in uns zu wecken weiss.

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