Nach bestem Gewissen
Montag, 23. November 2009
"Was ist denn mit Ihnen los, Herr B.? Sie klingen krank, am Ende haben Sie die Schweinegrippe", empfing des Sachbearbeiters Stimme schroff und lieblos. "Sagen Sie schon, sind Sie krank?"
"Nein, bin ich nicht", platzt es keuchend, dem Husten nahe aus dem verschwollenen Gesicht hervor. "Ich habe kein Attest, geschätzter Herr Sachbearbeiter, daher bin ich nicht krank. Sie haben mich ja gelehrt, wie man guten Willen zeigt."
"B., seien Sie kein Narr! Sie husten, sind verschleimt, das merkt man doch. Sie sind krank, gehören ins Bett."
B. sackte kraftlos auf seinem Stuhl zusammen, klotzte irrwitzig durch den Raum, schwieg aber, ließ seine fiebrige Verfassung wortlos auf die Szenerie wirken. Bemerkte nach einer Weile, dass der Blick des Gegenübers ihn fixierte, stierte seinerseits zurück, kramte Taschentücher hervor und spuckte mehrmals in deren Herzen grünlich marmorierte Schleimklumpen.
"Herr B., ich weise Sie darauf hin, dass Sie ansteckend sein könnten. Mann, Sie kommen hierher und gefährden meine Gesundheit. Gehen Sie bitte umgehend zum Arzt", sorgte sich der staatliche Erfüllungsgehilfe mit angsterfüllter Miene.
"Sehen Sie, es kann sein, dass mich die Schweinegrippe quält, das schließe ich gar nicht aus. Aber wo kein Befund, da keine Krankheit. Daher zeige ich guten Willen, so wie man es von mir erwartet, lasse mir keinen Befund ausstellen, damit ich nicht in den Ruch der Krankheit gerate."
"Aber mit dieser kindischen Sturheit gefährden Sie Ihre Mitmenschen, gefährden Sie mich! Ich möchte niemanden empfangen müssen, der so rotzt und schnieft, wie Sie es momentan tun", entrüstete es sich vom anderen Ufer des Schreibtisches.
"Ja, jetzt ist Ihnen die vage Krankheit, diese Krankkeit, die keine ist, sondern nur eine sein könnte, wenn sie auf offiziellem Papier stünde, eine Herzensangelegenheit. Jetzt, da Sie fürchten, dass meine mögliche Krankheit auch bei Ihnen Krankheit möglich macht, da wollen Sie keinen zu guten Willen am Werk sehen, da soll sich der Krankheitsträger Ihnen zuliebe seiner Krankheit bekennen. Aber ich verhalte mich ganz korrekt, ich bin Ihrer Einladung gefolgt, hier erschienen, habe mich nicht per Attest entschuldigen lassen, verlange nun von Ihnen, dass Sie sich meiner annehmen."
Der Sachbearbeiter starrt stumpft zu B., nestelte sich verträumt am Kragen, kratzt sich dreimal an derselben kahlen Stelle des Kopfes, gab kurz gesagt seinem Unwohlsein Gestalt. "Herr B., Ihr guter Wille ehrt Sie ja, aber Sie nehmen in Kauf, dass Menschen zu Schaden kommen. Guter Wille! Aber wo bleibt da das gute Gewissen?"
"Wo war Ihr gutes Gewissen? Wo war es, als Sie mir klarmachten, dass ich zwei Beine habe, solange es keinen Befund zur Einbeinigkeit gäbe? Da wußten Sie nichts vom Gewissen, nur von meinem guten Willen wollten Sie damals sprechen, den Sie indes für gefährdet ansahen. Jetzt eifere ich Ihnen nur nach, bin brav und willig, krank wahrscheinlich auch, denn subjektiv betrachtet muß ich ja feststellen, dass meine Gelenke und Glieder müde sind, der Kopf brummt, der Rotz bis unterm Anschlag steht, der Hals kratzt, außerdem glühe ich wie wild. Aber das ist subjektiv, einen objektiven Blick lasse ich nicht darauf werfen, denn ich befinde: meine Befindlichkeit braucht keinen Befund", sprach B. und schloss die Ausführungen mit einem Orchester aus Hustenmeer und Schnäuzstössen.
Der Sachbearbeiter glotzte dümmlich, fühlte sich die Stirn, als würde das Fieber augenblicklich von ihm Besitz ergriffen haben, kümmerte sich kaum mehr um den frechen Racheengel, der sein steriles Kämmerlein zu einer Bastion aus Schleim und Tröpfchen verwandelt hat. "Das ist Ihre Rache, Herr B., oder? Sie rächen sich an mir."
"Wissen Sie, Herr Sachbearbeiter, Rache ist ein so böses und unpassendes Wort. Sie sollten nicht so negativ eingestellt sein. Ich räche mich nicht, aber wenn man mich schon fragt: Rache ist ein Menü, welches man am besten rotzig serviert, angereichert mit Bakterien, aushustend. Trotz allem, es ist keine Rache, ich vermute ja nur eine Krankheit, letzte Gewissheit könnte mir nur ein Arzt schenken. Und da wir beide keine Ärzte sind, müssen wir von meiner Gesundheit ausgehen. Das verlangt der gute Wille - meiner ebenso wie Ihrer."
Mit gefrorenem Gesicht verharrte der Sachbearbeiter auf seinem Sessel, überzeugt davon, dem ganzen Hopuspokus am effektivsten schweigend zu begegnen.
"Ich wäre selbst mit schwarzen Flecken in der Achselgegend heute erschienen. Das bin ich Ihnen schuldig, nicht mal die Pest könnte mich davon abhalten. Ohne Befund, das wissen Sie ja bestens, wäre selbst das modrige Bukett aufgebrochener Pestbeulen nichtig. Es ist wie mit dem Sprühregen erlesener Bakterien, den ich gleich durch Ihre Räumlichkeiten versprenge. Er ist zwar da, man nimmt die sprühende Feuchtigkeit an Armen, Wangen, Lippen wahr. Aber solange kein Befund erklärt, dass es sich dabei um schweinegrippalen Sprühregen handelt, sprechen wir von nichts anderem als von feuchter Aussprache. Rache oder dergleichen! Wie denn, wenn ich nicht mal sicher weiß, ob ich auch wirklich krank bin? Sie, lieber Herr Sachbearbeiter, müssen daher davon ausgehen, dass ich nach bestem Gewissen handle..."
"Nein, bin ich nicht", platzt es keuchend, dem Husten nahe aus dem verschwollenen Gesicht hervor. "Ich habe kein Attest, geschätzter Herr Sachbearbeiter, daher bin ich nicht krank. Sie haben mich ja gelehrt, wie man guten Willen zeigt."
"B., seien Sie kein Narr! Sie husten, sind verschleimt, das merkt man doch. Sie sind krank, gehören ins Bett."
B. sackte kraftlos auf seinem Stuhl zusammen, klotzte irrwitzig durch den Raum, schwieg aber, ließ seine fiebrige Verfassung wortlos auf die Szenerie wirken. Bemerkte nach einer Weile, dass der Blick des Gegenübers ihn fixierte, stierte seinerseits zurück, kramte Taschentücher hervor und spuckte mehrmals in deren Herzen grünlich marmorierte Schleimklumpen.
"Herr B., ich weise Sie darauf hin, dass Sie ansteckend sein könnten. Mann, Sie kommen hierher und gefährden meine Gesundheit. Gehen Sie bitte umgehend zum Arzt", sorgte sich der staatliche Erfüllungsgehilfe mit angsterfüllter Miene.
"Sehen Sie, es kann sein, dass mich die Schweinegrippe quält, das schließe ich gar nicht aus. Aber wo kein Befund, da keine Krankheit. Daher zeige ich guten Willen, so wie man es von mir erwartet, lasse mir keinen Befund ausstellen, damit ich nicht in den Ruch der Krankheit gerate."
"Aber mit dieser kindischen Sturheit gefährden Sie Ihre Mitmenschen, gefährden Sie mich! Ich möchte niemanden empfangen müssen, der so rotzt und schnieft, wie Sie es momentan tun", entrüstete es sich vom anderen Ufer des Schreibtisches.
"Ja, jetzt ist Ihnen die vage Krankheit, diese Krankkeit, die keine ist, sondern nur eine sein könnte, wenn sie auf offiziellem Papier stünde, eine Herzensangelegenheit. Jetzt, da Sie fürchten, dass meine mögliche Krankheit auch bei Ihnen Krankheit möglich macht, da wollen Sie keinen zu guten Willen am Werk sehen, da soll sich der Krankheitsträger Ihnen zuliebe seiner Krankheit bekennen. Aber ich verhalte mich ganz korrekt, ich bin Ihrer Einladung gefolgt, hier erschienen, habe mich nicht per Attest entschuldigen lassen, verlange nun von Ihnen, dass Sie sich meiner annehmen."
Der Sachbearbeiter starrt stumpft zu B., nestelte sich verträumt am Kragen, kratzt sich dreimal an derselben kahlen Stelle des Kopfes, gab kurz gesagt seinem Unwohlsein Gestalt. "Herr B., Ihr guter Wille ehrt Sie ja, aber Sie nehmen in Kauf, dass Menschen zu Schaden kommen. Guter Wille! Aber wo bleibt da das gute Gewissen?"
"Wo war Ihr gutes Gewissen? Wo war es, als Sie mir klarmachten, dass ich zwei Beine habe, solange es keinen Befund zur Einbeinigkeit gäbe? Da wußten Sie nichts vom Gewissen, nur von meinem guten Willen wollten Sie damals sprechen, den Sie indes für gefährdet ansahen. Jetzt eifere ich Ihnen nur nach, bin brav und willig, krank wahrscheinlich auch, denn subjektiv betrachtet muß ich ja feststellen, dass meine Gelenke und Glieder müde sind, der Kopf brummt, der Rotz bis unterm Anschlag steht, der Hals kratzt, außerdem glühe ich wie wild. Aber das ist subjektiv, einen objektiven Blick lasse ich nicht darauf werfen, denn ich befinde: meine Befindlichkeit braucht keinen Befund", sprach B. und schloss die Ausführungen mit einem Orchester aus Hustenmeer und Schnäuzstössen.
Der Sachbearbeiter glotzte dümmlich, fühlte sich die Stirn, als würde das Fieber augenblicklich von ihm Besitz ergriffen haben, kümmerte sich kaum mehr um den frechen Racheengel, der sein steriles Kämmerlein zu einer Bastion aus Schleim und Tröpfchen verwandelt hat. "Das ist Ihre Rache, Herr B., oder? Sie rächen sich an mir."
"Wissen Sie, Herr Sachbearbeiter, Rache ist ein so böses und unpassendes Wort. Sie sollten nicht so negativ eingestellt sein. Ich räche mich nicht, aber wenn man mich schon fragt: Rache ist ein Menü, welches man am besten rotzig serviert, angereichert mit Bakterien, aushustend. Trotz allem, es ist keine Rache, ich vermute ja nur eine Krankheit, letzte Gewissheit könnte mir nur ein Arzt schenken. Und da wir beide keine Ärzte sind, müssen wir von meiner Gesundheit ausgehen. Das verlangt der gute Wille - meiner ebenso wie Ihrer."
Mit gefrorenem Gesicht verharrte der Sachbearbeiter auf seinem Sessel, überzeugt davon, dem ganzen Hopuspokus am effektivsten schweigend zu begegnen.
"Ich wäre selbst mit schwarzen Flecken in der Achselgegend heute erschienen. Das bin ich Ihnen schuldig, nicht mal die Pest könnte mich davon abhalten. Ohne Befund, das wissen Sie ja bestens, wäre selbst das modrige Bukett aufgebrochener Pestbeulen nichtig. Es ist wie mit dem Sprühregen erlesener Bakterien, den ich gleich durch Ihre Räumlichkeiten versprenge. Er ist zwar da, man nimmt die sprühende Feuchtigkeit an Armen, Wangen, Lippen wahr. Aber solange kein Befund erklärt, dass es sich dabei um schweinegrippalen Sprühregen handelt, sprechen wir von nichts anderem als von feuchter Aussprache. Rache oder dergleichen! Wie denn, wenn ich nicht mal sicher weiß, ob ich auch wirklich krank bin? Sie, lieber Herr Sachbearbeiter, müssen daher davon ausgehen, dass ich nach bestem Gewissen handle..."
11 Kommentare:
Sensationell!
Lieber Roberto,
ich wußte gar nicht, daß Du auch rabenschwarzen Humor kannst! :)))
Deine Glosse ist so beklemmend humorvoll, daß ich sie auch meiner Leserschaft nicht vorenthalten wollte und rüberkopiert habe.
Mit den besten Wünschen für GUTE BESSERUNG verbelibe ich als
(D)ein Fan
Bernd Kudanek
Man sollte nicht so unsensibel mit den hart arbeitenden Sachbearbeitern umgehen. Um deren Los zu erleichtern, könnte man ihnen vielleicht ein paar alte Sitzkissen aus dem Keller oder vom Dachboden schenken, eventuell mit ein paar wärmenden Decken für die kalten Amtsstuben.
Wenn da noch der eine oder andere Rattenfloh drin ist, tut das der guten Sache keinen Abbruch.
ich habe heute meinem nachbarn, der mit krächzender stimme am telefon sprch, empfohlen, zur ARGE zu gehen, um seine grippe ein wenig in der welt zu verbreiten.
Klasse!!
Rachegefühle und Boshaftigkeit sind - leider - auch Bestandteile meines Selbst. Ach was freue ich mich schon, wenn die FDP-wählende, arrogant-dümmliche gefühlte Mittelschicht feststellt, dass sie von der Heilsbringer-Partei für Steuerhinterzieher gnadenlos rasiert wird. Hurra ! Das wird wie Weihnachten und Ostern zusammen !
Herrlich, wenn der vermutete Anlass nicht in einer mittlerweile hoffentlich abgeklungenen Infektion des Autors liegen würde, wäre das Vergnügen über die Rache des verschnupften Mannes noch größer. Vielen Dank,es ist gut gelungen!
Ach Du meine Güte, was stellt sich dieser Sachbearbeiter aber auch überempfindlich an! In den USA, unser aller Vorbild, was eine freiheitliche Regulierung ohne Einschränkung der wahren Leistungsträger betrifft, geht man mit diesem Problem ganz locker um (hm, nun ja, oder auch nicht):
http://www.nytimes.com/2009/11/03/business/03sick.html?_r=2&sq=sick%20leave&st=cse&scp=4&pagewanted=all
Lieber Roberto!
Das war Kafka!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Und sonst alle Gute
salud
carlo
zu klaus baum
sehr gute idee!!
Jobangst drückt Krankenstand
So recht zum Jubeln für die Kapitalisten, der Arbeitslosenmasse sei Dank!
Aber wir sind noch nicht da, wo unser "großer Bruder" schon ist: Kürzlich erfuhr ich von einem Verwandten, der bei einer Werft in Virginia angestellt ist, dass ihm jetzt Krankheitstage auf den Urlaub angerechnet werden.
Es ist noch viel Platz nach unten!
Kommentar veröffentlichen