De dicto

Mittwoch, 11. November 2009

"Diesen Doktor haben wir nicht mehr in Deutschland. Den Doktor unseres Vertrauens. Der eine Doktor sagt Ja, der andere Nein.
Dies ist das Chaos. Es ist auch die Zerstörung des Mythos des Doktors. Der Doktor weiß nicht, was das Beste für mich ist – und ich als Patient weiß es schon gar nicht."
- BILD-Zeitung, Franz Josef Wagner am 11. November 2009 -
Zum Gesagten sei angemerkt: Wagner mal wieder. Mal wieder theatralisch, melodramatisch. Aber nicht ohne Einblicke in seine Welt zu erlauben. In die Welt des Gutgläubigkeitsbürgers, der jede fadenscheinige Disziplin, die sich in Schlips und Kragen hüllt, als Wissenschaft Einzug in den öffentlichen Diskurs gehalten hat, für unabänderliche Wahrheit hält. Damit sei nicht erklärt, dass Mediziner Scharlatane wären, nur die weißen Götter, für das sich manches dieser Exemplare selbst halten mag, für die Wagner diesen Berufstand zu halten scheint, sind sie wirklich nicht.

Medizin ist keine exakte Wissenschaft. Sie gleicht oftmals eher einem Abwägen und Jonglieren mit Zahlenwerten. Die Diagnose eines Arztes ist keine Tatsache, die deckungsgleich mit den Leiden des Patienten geht. Der Arzt wägt zwischen Beschreibungen des Erkrankten und dem ärztlichen Erfahrungsschatz ab. Meistens trifft die Diagnose dann auch zu, generationenübergreifende Erfahrungswerte haben sich bewährt. Aber unumstößlich ist die Diagnose nie, sie ist ja eher Vermittlung zwischen dem subjektiven Ist des Patienten und dem objektiven Kann oder Könnte des angehäuften Erfahrungsschatzes. Deckungsgleich sind diese Positionen nie, weil auch Mensch und Mensch nicht deckungsgleich, weil wir alle unterschiedlich gestaltet und konditioniert sind. Bevor sich der Arzttitel durchsetzte (vom griech. arch-iatros, Herrenmediziner), war das Wort lachi gebräuchlich. Lachi stand für den Besprecher. Das Verhältnis zwischen Erkrankten und Heiler hatte mehr zur Grundlage als das Reichen von Medikamenten und Kräutern, es war ein Besprechungsverhältnis, der Heiler besprach sich mit seinen temporär Schutzbefohlenen, man stand sprechend auf einer Augenhöhe. Gesundheitsreformen der letzten Jahre sind gerade dabei, die letzten Reste dieses Unterredungsverhältnisses zu untergraben. Medizinische Behandlung wird zum Minutentakt, zur entfremdeten Beziehung zwischen anonymen und austauschbaren Mediziner und erkrankter Nummer.

Doch daran stößt sich Wagner nicht, was ihn irritiert ist, dass der Weißgötze seine Bedeutung verliert, dass er zum Geschöpf einer ungenauen Wissenschaft wird, damit zum Abbild der medizinischen Realität. Es heißt oft salopp, die Wissenschaft habe die Religion abgelöst, damit das Wissen den Glauben abgesetzt. Gerade die Medizin ist der Präzedenzfall dieser Behauptung. Denn der Mensch sehnt sich danach glauben zu dürfen, auch wenn er seinen Glauben als vermeintliches Wissen bemäntelt. Wo Gott verstorben ist, da nimmt der Mediziner seine Rolle ein. Wer ihn vom Altar stürzt, respektive, wo er selbst herabsteigt vom Sockel, da raubt man dem (Gut-)Gläubigen die bequeme Illusion. Wagner steht beispielhaft für diese Gesellschaftserscheinung. Nur wenige Menschen sorgen sich darum, dass dem Arzt immer weniger Zeit für das Arzt-Patienten-Verhältnis gestattet wird, dass er seine beratende und besprechende Stellung vernachlässigen muß. In ihrer bedingungslosen Gläubigkeit wollen sie den Messias, den allmächtigen Götzen im Weißkittel, der Heilung zum Schnellverfahren macht. Sprich nur ein Wort, so wird meine Seele (und mein Körper) gesund! Er soll ausbaden, was der geflohene Herrgott stehen und liegen ließ.

Nicht zuletzt ist diese Arztergebenheit dienlich. Sie reduziert den Arzt auf den Allwissenden, der schnell zu heilen imstande sein sollte - eben weil er allwissend ist. Langwierige Erholung und das Auskurieren von Krankheiten, das langsame Zurückführen in Gesundheit, dem Patienten Zeit zu lassen, um wieder zur vollen Kraft zu gelangen, verschwinden damit aus dem Blickfeld. Der Arzt als Mechaniker auf Akkordbasis, als Fast Food-Mediziner, der die schnelle Einsatzfähigkeit gewährleisten soll. Ein Gott hebt nur dem Arm oder blinzelt oder brummt nur so sei es!, und es ist vollbracht. Der weiße Gott, so wird gerne impliziert, könne dies ebenso, wenngleich mit anderen Handgriffen. Der Glaube nährt den Untertanengeist, egal wie die Glaubensinhalte lauten.

7 Kommentare:

creezy 11. November 2009 um 11:32  

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Fast-Food-Mediziner triff es auf's Auge, ein Arzt kann nicht jahrelange Lebensfehler eines bewusst bequem lebenden Patienten mal eben wegradieren. Vielen Menschen ist immer noch nicht klar geworden, dass sie selbst der Schlüssel zu ihrer Gesundheit sind und kein Arzt ihnen die eigene Verantwortung auf Rezept abnehmen kann.

Und gerade in diesen Tagen sieht man sehr deutlich das Dilemma, dass eben auch Ärzte nicht immer Antworten geben können. Und ja, vielleicht sind gerade die, die beispielsweise zum Thema Schweinegrippe-Impfung keine Antwort geben können, vielleicht die besseren Ärzte. Aber auch das weiß man nicht. Erstmals sind im großen Stil die Fachleute auf der Ärzteseite als auch die Fachleute auf der Patientenseite ratlos – das könnten ein Anfang sein.

Sehr guter Artikel, danke!

Heinzi 11. November 2009 um 12:56  

Ein Beitrag, der mir aus der Seele spricht. Ärzte sind oft so dermaßen von der exakten Richtigkeit ihrer Annahmen und der Wirksamkeit ihrer Medikamente überzeugt, das sie selbst einen Irrtum für ausgeschlossen halten und jede Erwiderung gegen ihre Autorität wird hart geahndet.


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Creezy, das

ein Arzt kann nicht jahrelange Lebensfehler eines bewusst bequem lebenden Patienten mal eben wegradieren. Vielen Menschen ist immer noch nicht klar geworden, dass sie selbst der Schlüssel zu ihrer Gesundheit sind und kein Arzt ihnen die eigene Verantwortung auf Rezept abnehmen kann.

Ist genau der Ersatz für den alles richtenden Arzt: Der Glaube verlagert sich vom alles heilenden Arzt zur alles heilenden Eigenverantwortung.
Das Krankheit einfach unberechnbar ist, das Menschen unter ihren genetischen Bestimmungen krank werden, die sozialen Bedingungen und so weiter... das verschweigen Apologeten der Gesundheitsselbstfürsorge gerne.

Solche Aussagen sind keinen Deut besser als die eines Scharlatans, der sofort Heilung verspricht. Sogar asozial der Anklang des Selbst-Schuld-Prinzips für Menschen die Krank werden. Dafür schon sollte man sie in einen Sack stecken und jeden Kranken einmal draufhauen lassen.

Echt wie mich diese Selbstgerechte asoziale Gesundheitsleistungsideologie anwidert.
Vermutlich hat sie ihren Ursprung in dem mangelnden Bewußtsein für die Tatsachen und den Wunschvorstellungen die Macht über den eigenen Körper und die eigene Gesundheit zu besitzen. Das ist aber schlicht Humbug.

Ja, man kann Sport treiben, aber es gibt auch Sportmuffel. Zwängen diese sich zum Sport, wäre es Kontraproduktiv weil ein erzwungener Sport Streß ist.
Wer sich zu einer Ernährung zwingt, die der eigene Körper nicht wirklich will, weil er dem Glauben aufsitzt, das sei einfach gesund so zu essen, der wird seinem Körper unter Umständen Schäden zumuten, möglicherweise wird ihn auch sein Glaube daran positiv beeinflussen.

maguscarolus 11. November 2009 um 13:03  

Von jeher vermisse ich bei der Mehrzahl der Mediziner die Bescheidenheit des Unwissenden – oder ist es gerade dieses Unwissen woraus zusammen mit dem sozialen Status die Überheblichkeit resultiert, die man bei vielen Medizinern zu Recht beklagt?

Allerdings ist wohl wahr, dass die überwältigende Mehrzahl der Patienten von ihrem Körper gar nichts verstehen und daher im Krankheitsfall nicht den Arzt als Wissenschaftler sondern den Schamanen aufsuchen, von dem nichts anderes als eine rituelle Zeremonie erwartet werden kann.

Wie auch immer: Ein guter Arzt ist aller Ehren wert, wird sie aber selten verlangen. Auch die Ausbeutungssituation, in der viele Klinik-Mediziner stehen, ist ein gesellschaftlicher Skandal. Verachten wir dafür den Dr.Raffke, mit oder ohne Prof. der gemeinsam mit seinen Pharmavertretern seine gesellschaftliche Stellung vorwiegend als Quelle privater Bereicherung missbraucht und dessen Leistungen oft nicht die Kassensätze wert sind, die dafür bezahlt werden.

epikur 11. November 2009 um 18:42  

Das Ärzte keine allwissenden Heiligen sind, durften wir vor nicht allzu langer Zeit in Deutschland miterleben. Die Rolle der Ärzte im NS wird schnell vergessen oder unter den Tepiich gekehrt, wenn es um den "Mythos Arzt" geht. Bis heute - für mich unverständlich - genießen Ärzte von allen Berufsgruppen das größte Vertrauen.

Auch sollten wir nicht wegen jeder Kleinigkeit gleich Pillen und Tabletten einwerfen, sondern mal ein wenig mehr auf uns selbst und unsere seelische Befindlichkeit hören.

Anonym 11. November 2009 um 18:45  

1673 hat schon Molière, im Theaterstück Le Malade imaginaire„ Der [nur] eingebildet Kranke“), sehr treffend die Unfähigkeit der keine Selbstzweifel kennenden Ärzte auf die Bühne gebracht. Als ich dieses Stück im meiner Jugend an einem französischen Gymnasium durcharbeitete, ist mir der gesunde Zweifel an die Allwissenheit der Ärzte vermittelt worden. Mein Dank geht deshalb heute noch an die "Éducation Nationale". Damals galt in Frankreich die Bildung noch als Grundrecht. Ich befürchte, dass, heute unter Sarkosy im neoliberalen Régime, dieses Grundrecht auch noch relativiert werden wird.

Der Anhänger des 04.08.1789 als treuer Leser von www.nachdenkseiten.de

landbewohner 11. November 2009 um 19:30  

was creezy da verlautbaren lässt is der schwachsinn den uns unsere herrschenden zur zeit so einreden wollen. blödsinn - auch säuglinge und kinder kriegen krebs - kommt vom rauchen nehm ich mal an oder weil die mutter hwg hatte.mein hausarzt hat haus und praxis bezahlt, ist nicht geldgierig und erzählt mir, daß er ähnlich negativ über medizin und konzerne denkt wie ich - und eben - auch hilflos ist, wenn er mir helfen soll. tenor: versuchen wir mal das, aber obs hilftß und ich kann dich überweisen, aber an erfolg glaub ich nicht. ehrlicher doc eben. das reicht mir. und was mir da an ärzten in der letzten vergangenheit über den weg gelaufen ist - bin chronisch krank und brauch die burschen - wissenschaftsgläubig - die wissenschaft beziehen sie aus den werbeprospekten der pharmafirmen - und egal ob hühnerauge oder haarausfall, die medizin is gut, nebenwirkungen gibt es keine - steht nix in der roten bibel - und sie müssen anders leben.
so ist die wirklichkeit.

Heinzi 12. November 2009 um 10:58  

Dazu fällt mir noch eine kleine Anekdote ein.

Mit einem nervtötenden wie peinlichen Fußpilz wurden mir von Arzt und Apotheker mehrere Salben und verschiedene Hygiene Tips gegeben. Kostenpunkt weit über 10 Euro für verschiedene Salben.

Eine kurzrecherche im Internet ergab folgendes: Salzbäder. Schon einfaches Kochsalz, 10 Minuten die Füßchen drin baden und sage und schreibe nach dem ERSTEN Fußbad ist das JUCKEN weg. Hartnäckig ist die Verpilzung trotzdem, brauchte viele Wochen täglich 2-3 mal Fussbad.
Die Salben haben nach Wochen nichts bewirkt, die Fußbäder machten es sofort vergessen, das diese Geißel einen befallen hat.

Auf die Nachfrage beim Apotheker hatte er so seltsam geantwortet das mir nur der Schluß übrig bleibt, daß ihm das absolut bekannt ist, er aber lieber mit wenig bis gar nicht wirksamen teuren Salben Geld verdienen will.

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Irgendwie kann ich mir nicht helfen. Die Pharmabranche erinnert zunehmend an eine organisierte Drogenkriminalität :-/

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