Ausländerkriminalität
Freitag, 12. August 2016
Frau Snyder war eine schrecklich dumme Person. Ihre letzten Erledigungen in Freiheit zeugten davon. Wie sie aber versuchte von sich abzulenken, das zeugt davon, dass es auch kluge Momente im Dummen gibt. Selbst blöde kann man noch Augenblicke erfahren, in denen das Genialische im Ansatz durchschlägt. Genutzt hat es Frau Snyder jedoch nichts, sie hat ihr Alibi dann doch wieder zu dumm arrangiert. Hätte sie es geschickter angestellt, man hätte es ihr vielleicht abgenommen und schon einen Italiener gefunden, den man die Sache in die Schuhe schieben könnte. Italienische Einwanderer, Menschenskind, das waren doch Tiere aus Südeuropa. Gesindel, die den braven Amerikanern den Job wegnahmen und dabei auch noch langsam und schlecht arbeiteten. Wenn man sich die ganze Nacht im dolce vita herumtreibt, um Verbrechen zu begehen, war man am Arbeitsplatz halt übermüdet. Das wusste man seinerzeit doch. Das wusste auch Frau Snyder. Man konnte gar nicht dumm genug sein, um das nicht zu wissen.
Ruth Snyder war eine junge Hausfrau und Mutter aus Queens und seit einigen Jahren mit ihrem Albert, wohl einem Langweiler wie es hieß, verheiratet. Mit 33 Jahren fühlte sie sich allerdings zu jung für eheliche Ödnis. Also zog sie sich Abwechslung an Land, einen Liebhaber, der sich als Korsett-Verkäufer verdingte. Nach zwei Jahren heimlicher Zusammenkünfte, im Jahr 1927 um genauer zu sein, sollte dann der langersehnte Moment des jungen Glückes eintreten, was bedeutete, dass dem Alten ein Unglück widerfahren musste. Das Schicksal war fies und so stellte sich ein solches leider nicht von alleine ein. So einigten sich die Liebenden, ihre Zukunft selbst in die Hand zu nehmen und Albert aus dem Leben scheiden zu lassen. Diesmal sollte es endgültig sein; Frau Snyder hatte wohl schon öfter probiert, ihren Gatten zu vergiften, was ihr stets misslang. Nun sollte der Liebhaber den ihr angetrauten Nebenbuhler töten und Ruth sicherte indes zu, alles so auszustaffieren, dass es wie ein arglistiger Raubmord aussah. Eine Summe aus der Lebensversicherung winkte außerdem als Starthilfe für das Paar.
Nachdem sie Albert chloroformiert hatte, erwürgte der Liebhaber den Sedierten mit einem Stück Draht. Als er seine Ruth verwitwet hatte, eilte er zum Bahnhof und reiste mit dem Zug nach Syracuse ab, einen Ort, der einige hundert Meilen entfernt lag, um sich dort in einem Hotel ein Alibi zu erwerben. Ruth Snyder alarmierte die Polizei und erzählte den Constables unter Tränen, dass sie und ihr lieber Mann im Bett von zwei dunkelhäutigen und riesenhaften Männern überfallen worden seien, die eine unverständliche Sprache schwatzten. Doch ihre Aussage und der vorgefundene Tatort erlaubten keinen stimmigen Tathergang. Der Polizei war ziemlich schnell klar, dass Ruth Snyder log, denn die von ihr präsentierten Puzzleteile ließen sich nicht kombinieren. Weder war ihre Bettseite benutzt worden, noch hatte das eheliche Kind, das im Nebenzimmer schlief, die Täter gehört. Dabei hatte Frau Snyder ausgesagt, dass die Typen die Eingangstüre brutal aufgestemmt hatten. Diese war aber im tadellosen Zustand. Wie man es drehte oder wendete, es passte einfach nicht zusammen. Der als gestohlen zu Protokoll gegebene Schmuck tauchte dann letztlich auch wieder auf, Frau Snyder hatte ihn unter ihre Matraze gesteckt.
Das war alles lächerlich genug, um dieses Liebespaar als dümmste Verbrecher aller Zeiten zu verbuchen. Es wurde aber noch plumper. Um die Polizei auf eine falsche Fährte zu locken, legte Ruth Snyder eine italienische Tageszeitung auf den Küchentisch, um zu unterstreichen, dass die Täter Fremde waren, Italiener natürlich, denn von den Italienern wusste man in jenen Jahren ja, dass sie Bestien waren. In einigen Wochen stand ja auch die Hinrichtung von Sacco und Vanzetti an, zweier italienischer Raubmörder mit anarchistischer Weltanschauung, die wahrscheinlich keine leichten Jungs waren, aber deren Prozess Jahre zuvor die groben Vorurteile und den rassistischen Reflex dokumentierten, mit der die amerikanische Gesellschaft gegenüber Italienern aufwartete. Beweise gab es gegen sie nicht. Man vermutete und das reichte damals zuweilen schon aus. Den Ermittlern in der Sache Snyder wollte es partout nicht in den Kopf, warum Mörder noch am Küchentisch Zeitung lesen sollten, bevor sie türmten. Als Befragungen im Umfeld ergaben, dass die arme Witwe bekannermaßen einen Galan hatte, der in derselben Nacht übereilt mit dem Zug aufbrach, war eigentlich schon lange klar, dass Ruth Snyder es nicht so mit der Wahrheit hatte. Sie endete, wie der arme Trottel, der sich eine Zukunft mit ihr aufbauen wollte, auf dem elektrischen Stuhl. Sacco und Vanzetti waren da schon Monate zuvor auf einer Apparatur dieser Art ermordet worden.
Wenn ich dieser Tage höre, welche Bestien zu uns ins Land kommen, dann denke ich manchmal an Ruth Snyder. Die Frau war offenbar nicht die hellste Kerze im Leuchter, aber dass man Ressentiments gelegentlich gut benutzen kann, um sich aus der Affäre zu stehlen, dass hat selbst sie kapiert. Also legte sie eine Zeitung aus, wollte die Fahndung auf irgendeinen armen italienischen Kerl hinlenken, der dann das Schicksal anderer italienischer Einwanderer geteilt hätte: Urteil durch Vorurteil. Das ist nämlich die Kehrseite der Ausländerkriminalität, der Umstand, warum mancher da draußen ganz froh ist, dass man diese Ausländerkriminalität weiterhin als liebgewonnenes Klischee zelebriert. So kann man ganze Silvesternächte Leuten in die Schuhe schieben, die bestimmt keine Chorknaben sind, aber eben auch nicht die Sexmonster, als die man sie zeichnete. Viele von denen, die vor einigen Monaten Vergewaltigungen anzeigten, standen zum Schluss so unglaubhaft wie Frau Snyder da. Hingerichtet wurden sie aber nicht. Das ist ein glücklicher Umstand, denn man sollte bei der Bereinigung der Statistik zur Inländerkriminalität nicht künstlich nachhelfen.
Ruth Snyder war eine junge Hausfrau und Mutter aus Queens und seit einigen Jahren mit ihrem Albert, wohl einem Langweiler wie es hieß, verheiratet. Mit 33 Jahren fühlte sie sich allerdings zu jung für eheliche Ödnis. Also zog sie sich Abwechslung an Land, einen Liebhaber, der sich als Korsett-Verkäufer verdingte. Nach zwei Jahren heimlicher Zusammenkünfte, im Jahr 1927 um genauer zu sein, sollte dann der langersehnte Moment des jungen Glückes eintreten, was bedeutete, dass dem Alten ein Unglück widerfahren musste. Das Schicksal war fies und so stellte sich ein solches leider nicht von alleine ein. So einigten sich die Liebenden, ihre Zukunft selbst in die Hand zu nehmen und Albert aus dem Leben scheiden zu lassen. Diesmal sollte es endgültig sein; Frau Snyder hatte wohl schon öfter probiert, ihren Gatten zu vergiften, was ihr stets misslang. Nun sollte der Liebhaber den ihr angetrauten Nebenbuhler töten und Ruth sicherte indes zu, alles so auszustaffieren, dass es wie ein arglistiger Raubmord aussah. Eine Summe aus der Lebensversicherung winkte außerdem als Starthilfe für das Paar.
Nachdem sie Albert chloroformiert hatte, erwürgte der Liebhaber den Sedierten mit einem Stück Draht. Als er seine Ruth verwitwet hatte, eilte er zum Bahnhof und reiste mit dem Zug nach Syracuse ab, einen Ort, der einige hundert Meilen entfernt lag, um sich dort in einem Hotel ein Alibi zu erwerben. Ruth Snyder alarmierte die Polizei und erzählte den Constables unter Tränen, dass sie und ihr lieber Mann im Bett von zwei dunkelhäutigen und riesenhaften Männern überfallen worden seien, die eine unverständliche Sprache schwatzten. Doch ihre Aussage und der vorgefundene Tatort erlaubten keinen stimmigen Tathergang. Der Polizei war ziemlich schnell klar, dass Ruth Snyder log, denn die von ihr präsentierten Puzzleteile ließen sich nicht kombinieren. Weder war ihre Bettseite benutzt worden, noch hatte das eheliche Kind, das im Nebenzimmer schlief, die Täter gehört. Dabei hatte Frau Snyder ausgesagt, dass die Typen die Eingangstüre brutal aufgestemmt hatten. Diese war aber im tadellosen Zustand. Wie man es drehte oder wendete, es passte einfach nicht zusammen. Der als gestohlen zu Protokoll gegebene Schmuck tauchte dann letztlich auch wieder auf, Frau Snyder hatte ihn unter ihre Matraze gesteckt.
Das war alles lächerlich genug, um dieses Liebespaar als dümmste Verbrecher aller Zeiten zu verbuchen. Es wurde aber noch plumper. Um die Polizei auf eine falsche Fährte zu locken, legte Ruth Snyder eine italienische Tageszeitung auf den Küchentisch, um zu unterstreichen, dass die Täter Fremde waren, Italiener natürlich, denn von den Italienern wusste man in jenen Jahren ja, dass sie Bestien waren. In einigen Wochen stand ja auch die Hinrichtung von Sacco und Vanzetti an, zweier italienischer Raubmörder mit anarchistischer Weltanschauung, die wahrscheinlich keine leichten Jungs waren, aber deren Prozess Jahre zuvor die groben Vorurteile und den rassistischen Reflex dokumentierten, mit der die amerikanische Gesellschaft gegenüber Italienern aufwartete. Beweise gab es gegen sie nicht. Man vermutete und das reichte damals zuweilen schon aus. Den Ermittlern in der Sache Snyder wollte es partout nicht in den Kopf, warum Mörder noch am Küchentisch Zeitung lesen sollten, bevor sie türmten. Als Befragungen im Umfeld ergaben, dass die arme Witwe bekannermaßen einen Galan hatte, der in derselben Nacht übereilt mit dem Zug aufbrach, war eigentlich schon lange klar, dass Ruth Snyder es nicht so mit der Wahrheit hatte. Sie endete, wie der arme Trottel, der sich eine Zukunft mit ihr aufbauen wollte, auf dem elektrischen Stuhl. Sacco und Vanzetti waren da schon Monate zuvor auf einer Apparatur dieser Art ermordet worden.
Wenn ich dieser Tage höre, welche Bestien zu uns ins Land kommen, dann denke ich manchmal an Ruth Snyder. Die Frau war offenbar nicht die hellste Kerze im Leuchter, aber dass man Ressentiments gelegentlich gut benutzen kann, um sich aus der Affäre zu stehlen, dass hat selbst sie kapiert. Also legte sie eine Zeitung aus, wollte die Fahndung auf irgendeinen armen italienischen Kerl hinlenken, der dann das Schicksal anderer italienischer Einwanderer geteilt hätte: Urteil durch Vorurteil. Das ist nämlich die Kehrseite der Ausländerkriminalität, der Umstand, warum mancher da draußen ganz froh ist, dass man diese Ausländerkriminalität weiterhin als liebgewonnenes Klischee zelebriert. So kann man ganze Silvesternächte Leuten in die Schuhe schieben, die bestimmt keine Chorknaben sind, aber eben auch nicht die Sexmonster, als die man sie zeichnete. Viele von denen, die vor einigen Monaten Vergewaltigungen anzeigten, standen zum Schluss so unglaubhaft wie Frau Snyder da. Hingerichtet wurden sie aber nicht. Das ist ein glücklicher Umstand, denn man sollte bei der Bereinigung der Statistik zur Inländerkriminalität nicht künstlich nachhelfen.
2 Kommentare:
Ich hatte jetzt eigentlich erwartet, dass das Erscheinungsdatum der auf den Küchentisch gelegten italienischen Zeitung frühestens den auf das Verbrechen folgenden Tag zeigte.
ja, so ist das halt mit den Problemen, die man so hat
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