Auf der Suche nach dem rechten Linken

Freitag, 19. August 2016

Die Wege der Revolution:
Unergründlich.
Kommen wir mal zu was Romantischem. Zu Herrn Stephan Erdmann. Er hat gut gesprochen vor zwei Wochen. Als er sich »auf die Suche nach einer Linken« begab. Dies ging zu Herzen, wenn man es denn nur am linken Fleck trägt. Es war aber nicht nur romantisch, sondern sehr erbauend. Das Wort »links«, es kam gefühlt in jedem Satz als Substantiv und Adjektiv vor. Wie ein Hallelujah. Da muss man nicht mehr nachdenken, es reicht die Repetitio. Romantisches und Erbauendes sind keine logischen Kategorien. Das Herz ist ein mieser Logiker, es rutscht in den Bauch und wird dann zu so einem Bauchgefühl. Leider hüpft es selten in den Kopf. Im Text des Genannten sind aber leider viele Ungereimtheiten drin, Ungereimtheiten, die man nur stehen lassen kann, wenn man das Ganze als literarische Übung betrachtet, als künstlerische Freiheit, die keiner genauen Prüfung standhalten muss. Phantasie kann ungeprüft gelesen werden, Kritik an der fehlenden Kritik allerdings, tja, da muss man einen prüfenden Blick anwenden.

Fangen wir mit Marx an, dessen »Kapital« laut Autor das Drehbuch dieser Phase der Geschichte sein soll. Das hat was Eschatologisches, wenn man so tut, als habe ein Mann des 19. Jahrhunderts das 21. Jahrhundert schon gekannt. Marx war progressiver Ökonom, er sah die Entwicklungen seiner Zeit und verstieg sich in eine Empirie, die nicht ergebnisoffen angewandt wurde, sondern im Hinblick auf ein Ziel, auf die sozialistische Revolution. Die jedoch blieb in der Form, wie er dachte, dass sie über uns komme, weitestgehend aus. Der Mann war ja kein Nostradamus, er konnte gewisse technische Fortschritte nicht erahnen, Amazon und Facebook, Medialisierung und Mikroprozessoren und vieles andere mehr, kann man bestimmt in einer marxistischen Exegese-Runde zwischen den Zeilen herausdeuten, wenn man nur will und verbissen genug danach stöbert. In der Heiligen Schrift kann man schließlich auch zu jedem Bereich des Lebens etwas finden. Kommt immer darauf an, in welche Richtung der Exeget einzuschlagen gedenkt. Man muss nur Stichworte suchen. Die Dynamiken, die Marx zu sehen glaubte, die haben sich massiv verändert. Und das nicht erst seit gestern. In dieser Beziehung, so scheint mir, kam er nie ganz über das hegelianische Geschichtsbewusstsein hinaus. Was untermauert: Der Mann war auch nur Kind seiner Zeit und eben keine Stimme des 21. Jahrhunderts.

Es ist allerdings richtig, »Das Kapital« ist und bleibt eine Leitlinie für die Kapitalismuskritik, das ist gar keine Frage. Aber ein Drehbuch ist es sicherlich nicht; kein Skript mit starren Dialogen und statischen Szenebildern. Wenn uns die Geschichte des Kapitalismus eines lehrt, dann das: Er ist flexibel, windet sich und jede Krise, in die er taumelt, fängt er - oft mehr schlecht als recht, meist auf Kosten der Wehrlosen - insofern ab, dass er aus dem Trümmern seiner selbst aufsteigt, um sich in Metamorphosen neu zu entfalten.

Wir saßen doch selbst vor einigen Jahren in unseren Sesseln und bloggten allesamt, dass nun, da die Krise manifest wurde, Menschen ihr Haus, ihren Job und ihre sozialen Bindungen verloren, während Banker schwer litten, weil sie ein Jahr auf Boni verzichten mussten ... wir saßen doch alle hier herum und warteten, dass jetzt vielleicht was Neues kommen könne. Das Ende des Kapitalismus, wir sahen es doch ganz deutlich. Wie Marx seinerzeit, der 1848 auch schon voller Tatendrang war, nur um zu sehen: Is nicht! Da beschloss er, die Zeit sei noch nicht reif, sie komme noch. So richtig ist sie nie gekommen, wenn wir ehrlich sind. Das heißt jetzt nicht, dass wir uns mit dem abfinden müssen, was uns dieses System aufhalst. An dieser Stelle, in der unzufriedenen Systemimmanenz, setzt meines Erachtens sinnvolle Kritik an, nicht außerhalb des Systemkomplexes.

Es ist leider auch einer der großen Schwächen des Textes von Erdmann, dass er damit beginnt, links mit progressiv gleichzusetzen - was im übrigen eine gute und richtige Definition ist -, aber einige Zeilen später findet er dann, dass Linke die Überwindung des Systems fordern müssen, wenn sie Linke sein wollen. Fortschritt durch Austritt? Oder praktischer gefragt: Wie genau schreitet man denn fort, wenn man sich aus dem Staub macht?

Wahrscheinlich müssten wir uns genau hier über das einig werden, was »die Linke« zu sein hat. Für die einen ist sie all das, was nicht rechts ist. Andere finden, dass alles, was irgendwie ein guter Ansatz sein könnte, automatisch in die Linke wandert. Emanzipatorische Geschichten zum Beispiel. Aber ich denke, wie ich schon vor Wochen erläutert habe, dass links vor allem eine ökonomische Haltung ist, somit eigentlich ein recht spärliches Betätigungsfeld. Ich kenne eine ganze Reihe von Leuten, die sich arg links geben und zu antirassistischen Demos laufen oder sich beim CSD engagieren, die aber überhaupt keinen Bezug zu Verteilungsfragen haben, die sich nicht zu Hartz IV äußern, nicht zu Freihandelsabkommen und die sogar glauben, dass die soziale Frage lange überwunden ist, womit jetzt andere Kämpfe, eben die oben genannten, geführt werden müssten. Das ist meines Erachtens allerdings nicht links, es ist ein Lebensgefühl, das sich links angemalt hat, in etwa wie der Che Guevara in einem Werbespot für einen Kleinwagen oder der rote Stern als Accessoire an der Wand einer schnieken Jungbänkerwohnung. Andere die ich kenne, die greifen die soziale Frage auf, kümmern sich aber wenig um die Homophobie im Lande, pflegen keine Meinung zum Feminismus und so weiter. Diese Leute sehe ich aber trotzdem als Linke an, weil sie das Materielle als Meta-Frage akzeptieren. (Das tue ich jedenfalls so lange, wie sie sich nicht abfällig gegenüber diesen Gesellschaftsgruppen äußern und sich ihnen gegenüber liberal geben.) Über die materielle Schiene regelt man viele andere Gesellschaftsfelder gleich mit. Es ist die Wurzel.

Und an dieser Stelle müsste ich erneut die alte Leier zupfen. Revolution und was kommt dann? Wie arrangiert man es, warum wird es dann besser, et cetera, et cetera. Hatten wir doch schon alles. Für mich ist es allerdings Vermessenheit, wenn jemand so tut, als könne man alles, was es schon gibt, einfach so überwinden, wie wenn es nie da gewesen wäre. Man fängt doch nie wirklich neu an, man tut nur so. Im Privaten ist es doch oft nicht so viel anders, wenn die Leute ihren Neuanfang feiern und dann nach einer Weile merken, dass sie aus ihrer Haut gar nicht rauskönnen und dort dann weitermachen, wie sie das Alte beendet haben. Hier hat man realistisch zu sein. Realpolitisch. Das Beste aus dem machen, was da ist. Daran arbeiten, es schleifen, es formen, es reformieren. Für Erdmann ist das schon rechts, aber dann larmoyant darauf hinweisen, dass man Menschen mit seinen Anschauungen als Extremisten und Fundamentalisten beschimpft.

Letzteres halte ich für eine Doppelmoral mit christlicher Vorprägung. Wir sind halt in diesen Gefilden alle christlich vorgestanzt, ob wir wollen oder nicht. Das ist zum Beispiel auch so eine Erkenntnis, die man annehmen muss, mit radikalem Sprech entkommt man seiner Sozialisierung auch nicht. Und so ein bisschen christlich kommt mir Herr Erdmann dann auch zuweilen vor. Er schreibt so viel davon, wie es sein sollte, wie Linke sein sollten und dann moralisiert er, weil sie so nicht sind. Das ist so theologisch, so lutherisch auch. Dazu dieser eschatologische Hang. Wohin soll das führen? Doch nur in eine inneres Konzil, in dem eine innere Stimme das Primat der Unfehlbarkeit predigt. Och bitte, das kommt uns alten Katholiken doch bekannt vor, das hatten wir doch schon. Wer so tickt, der kann einfach nur rechts sein ... War nur Spaß, so verkehrt bist du nicht. Du bist visionärer. Und das braucht man auch. Alles zu seiner Zeit. Achso - und komm doch mal zum Jackpod. Wir müssen reden ...

6 Kommentare:

Hartmut 19. August 2016 um 12:20  

Hallo Roberto,
so wie mich Erdmanns Selbstgerechtigkeit oft abstößt, so schwach ist Deine Kritik an seinem Beitrag. Du beginnst damit, dass Du ihn nennst, dann aber Marx kritisierst. Sicher konnte der gute Mann die Flexibilität des Kapitalismus von heute nicht voraussehen, aber die grundlegenden Gesetzmäßigkeiten, nach denen er tickt, nebst seinen Schwächen und seiner immanenten Selbstzerstörung hat er ausführlichst beschrieben. Und daran hat sich auch bis heute nichts geändert. Es gehört nicht viel dazu, zu begreifen, dass es nicht mehr weit hin sein kann, bis auch die größte Flexibilität keine Rendite mehr ermöglicht, wenn alles und jeder ausgepresst ist. Gerade aktuell scheint der Kapitalismus sich ja wieder in eine Form, die auch Marx erlebte, zurück zu entwickeln.
Und Deine Kritik am Erdmann'schen Revolutions-Danach erinnert mich an die Konservativen, die von den Linken stets ein 800-seitiges fertiges Gesellschaftskonzept mit Glücksgarantie erwarten und den Hämischen geben, wenn man ihnen das nicht auf den Tisch packt (davon abgesehen, dass es sie weder lesen würden, noch überhaupt interessiert). Ja, Revolution hat etwas erratisches und keiner weiß heute, wie es danach weiter geht. Trotzdem reicht es eben DOCH, im Bewusstsein, dass es so nicht mehr weiter gehen kann, erst mal "nur" "dagegen" zu sein und gegen die Auswüchse zu demonstrieren, ohne gleich Rede und Antwort stehen zu können, wie die Welt nach einer Revolution aussieht.
Ja, es gibt einen Streitpunkt innerhalb der Linken, ob sich der Kapitalismus (wieder) so weit zähmen lassen kann, dass er für eine Mehrheit lebenswert ist, oder ob er besser "gleich ganz" überwunden werden sollte - mit all dem alten Ballast, mit dem man dann auf seinem Rücken "neu anfängt". Weißt DU es denn mit Sicherheit, ob sich der Kapitalismus "reformieren" lässt? Ich beneide Erdmann und Dich. Beide seid Ihr Euch so sicher, der eine, dass es keinen Zweck mehr hat, der andere glaubt daran, dass Kapitalisten vernünftig werden und sich überzeugen lassen, oder dass die sPD sozialdemokratisch wird. Dabei wusste schon Marx, wie die sich verhalten, wenn die Rendite gewisse Prozentstufen überschreitet. Und genau so haben sie sich auch verhalten.
Was ist so ungewöhnlich an einem "christlichen" Erdmann? Ich habe Zeit meines Lebens nie verstanden, wieso Linke etwas gegen Jesus haben (müssen) - ganz im Gegenteil. Kann man sich bzgl. "Klientel" und Ziele für den Menschen bessere Verbündete vorstellen?
Einladung zum Jackpod? Na, da habt Ihr Euch ja letztens als BGE-Ablehner gegenüber den Befürwortern genau so verhalten, wie Du es hier Erdmann vorwirfst.
Mich schmerzen diese in meinen Augen sinnlosen Fingerhakeleien zwischen Linken. Jetzt, wo man gegen die aufgegangene Saat des Neoliberalismus (AfD und Co) keinen Stich mehr sieht, geht man sich gegenseitig an - und die eben Genannten feixen sich einen und werden immer stärker. Und die Dümmsten unter den Linken merken es nicht einmal, wenn sie zusätzlich noch den nützlichen Idioten geben (der Aufreger um Wagenknechts Äußerungen zu den Problemen, die eine große Zahl Flüchtlinge darstellt). Gott sei Dank scheinen das in den diversen Foren die Leser eher geschnallt zu haben, als die wohlmeinenden "Edelfedern". Wäre nicht das erste mal, dass sich die Diskussionen als ergiebiger erweisen als der jeweils auslösende Artikel.

ad sinistram 19. August 2016 um 13:32  

Nee, Marx kritisiere ich gar nicht. Warum auch? Marx ist kein Erlöser. Diese Haltung kritisiere ich. Marx selbst hat sich ja auch nicht als Erlöser gesehen.
Zum Podcast: Nein, wir wollten diskutieren. Aber es wurde unmöglich gemacht und dann waren die Burschen ja auch bald schon raus und fertig war die Nummer.
Und nein, man muss innerhalb der Linken diskutieren, denn das Versagen der Linken hat meines Erachtens auch damit zu tun, dass man einfach immer so tat, als könne man diese extremen Positionen auf der linken Seite einfach mal so stehen lassen. Damit hat man ganz wesentlich vergessen, was die Priorität linker Politik ist. Das aber mache ich Erdmann gar nicht zum Vorwurf. Aber Eschatologie. Ich bin zu alt dazu, vielleicht habe ich mittlerweile das Gefühl, dass ich auf Heilsverkündigungen nicht mehr warten kann, weil mir die Zeit davonläuft.
Nächster Punkt, du siehst, ich pflücke sie wahllos aus deinem Kommentar: Nein, ich sehe das nicht mal für ungewöhnlich an, dass jemand Christ und Linker ist. Erdmann behauptet das aber von sich ja nicht. Ich wollte nur darauf aufmerksam machen, dass er manchmal verbockt wie die katholische Kirche auftritt.
Ich will von niemanden ein 800-seitiges Konzept. Das wäre auch Unsinn. Der Vergleich meiner Position mit Konservativen ist insofern nicht passend, weil es den Konservativen darum geht, einfach so weiterzumachen. Ich aber will ja nicht so weitermachen, weigere mich aber auch so zu tun, als könne man aus der Konkursmasse des Neoliberalismus nicht wieder etwas machen. Es gibt Instrumente und Mittel, um das vom Menschen gemachte kapitalistische System zu bändigen, tun wir bitte nicht immer so, als sei der Mensch nicht mehr Herr über seine Schöpfungen.
Ich würde mich freuen, wenn Erdmann, wenn Duke zu uns kommen würde. Nicht, weil ich ihn in die Pfanne hauen will. Nochmals: Der Mann macht gute Arbeit. Er setzt Punkte und Marken. Er darf nur nicht glauben, dass seine Thesen dann auch ein Katalog sein können, um Gesellschaft zu verändern. Er liefert Hintergrundmusik, die uns Linken gefallen kann, aber in dieser Welt hat nicht den Marsch spielt. Das ist nichts Schlimmes, das ist nichts Wertloses. Aber wenn er dann so tut, als seien alle anderen nicht ganz dicht, weil sie nicht seine Hintergrundmusik pfeifen, dann muss ich sagen: Nee, das kannst du keinen vorwerfen.

Peinhart 19. August 2016 um 14:00  

Ausschlaggebend für die Entscheidung 'Reform oder doch gleich Revolution?' ist nicht zuletzt die Frage, ob diese Ökonomie überhaupt noch reformierbar ist, dh ob ihr 'Geschäftsmodell', das bekanntlich auf der Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft zur Akkumulation von Kapital beruht, überhaupt noch tragfähig ist. Wenn nicht, und es gibt eine Reihe von guten Gründen, das anzunehmen, dann läuft ein reformistischer Kurs Gefahr, mindestens ebenso zu scheitern wie der Neoliberalismus. 'Mindestens' deshalb, weil der Neoliberalismus es ja immerhin geschafft hat, den Ausbeutungsgrad in einem Maße zu erhöhen, das beizubehalten einem 'linken' Projekt ja nicht unbedingt gut zu Gesicht stünde.

Einem linken reformistischen Projekt könnte so das Schicksal beschieden sein, die generelle Unhaltbarkeit dieses Systems nur noch früher aufzuzeigen, sprich mit Pauken und Tromitten in Chaos, Zusammenbruch und Kapitalstreik zu enden. Was das auch für künftige linke Ansätze bedeuten würde, muss wohl nicht näher ausgeführt werden. 'Links' liefe Gefahr, 'endgültig' zu den Akten gelegt zu werden und einem straff neofeudalistischen Projekt erst recht den Boden zu bereiten.

Zur Beantwortung dieser Frage, und der ebenfalls wichtigen Frage, ob und wie Keynesianismus nach dem Ende von Bretton Woods in einer 'globalisierten' Welt frei flottierenden Kapitals überhaupt noch möglich wäre - eben dazu bräuchte es diese so penetrant immer wieder eingeforderte Theorie. Guter Wille allein ist nicht genug, und auch der 'Keynesianismus in einem Land' ist ja am Beispiel Frankreichs vor noch nicht allzulanger Zeit schon einmal gescheitert.

Ich glaube, nicht zuletzt der Unwille, sich damit und mit dem historischen Scheitern desselben eben nach dem Ende von Bretton Woods ernsthaft auseinanderzusetzen ist einer der Gründe dafür, dass sich auch 'gestandene Linke' leider immer mehr in reine Verschwörungstheorien zu flüchten scheinen, die oft genug noch dazu 'rechts offen' sind. Auch der Neoliberalismus ist nicht nur mit (diesmal 'bösem') Willen durchgesetzt worden, wenn auch natürlich handfeste und wirkmächtige Interessen diesen Kurs nach Kräften unterstützt und dabei natürlich auch kräftig manipuliert haben. Aber es gab eben vor allem auch konkrete materielle Gründe dafür, dass es seit den 70ern so nicht mehr weiterging, dass der Ausbeutungsgrad massiv erhöht wurde und dennoch das Kapital zu allerlei lustigen Schuldenkonstruktionen greifen musste, um sein weiteres Wachstum wenigstens auf dem Papier noch simulieren zu können.

Das ist alles weit mehr als nur eine Frage der 'Haltung' und des 'Willens'.

Troptard 19. August 2016 um 17:20  

"Wenn uns die Geschichte des Kapitalismus eines lehrt, dann das: Er ist flexibel, windet sich und jede Krise, in die er taumelt, fängt er- ..., insofern
ab, dass er aus den Trümmern seiner selbst aufsteigt, um sich in Metamorphosen neu zu entfalten."

Und diese historische Erfahrung soll nun ein Beleg dafür sein, dass das auch in Zukunft so funktioniert. Sowas nennt man wohl Geschichtspositivismus. Den Glauben an die Wiederkehr eines immergleichen Zyklus. Eine endlose Kette von Krise, Bereinigung auf Kosten von... und dann ein neuer Zyklus bis zur nächsten Krise.

Wenn man daran glaubt, wäre es aus links-reformistischer Sicht doch vollkommen kontraproduktiv, Reformen anzumahnen. Im Gegenteil wäre darauf zu insistieren, dass die Entwertung von Lohnarbeit, Unternehmen, Banken und Kapitalvermögen sich möglichst schnell und unnachgiebig gegen Einzelinteressen durchsetzt, um den neuen Aufschwung schnell herbeizuführen.

Und weil es verdammt danach nicht aussieht, deshalb sprudeln Wirtschaft und Politik vor lauter Ideen all das zu schlachten, was sich im Bewusstsein der Menschen als sozialer Fortschritt im Kapitalismus und als stabile Schranke gegen die Verwertungslogik des Kapitals angesehen wird.

Weit gefehlt! Sozial das war gestern, Reformen d.h. heute sozialer Rückschritt.
Bei den Reformisten von Links werde ich einen schlimmen Verdacht nicht los:

Selbst ihnen müsste aufgefallen sein, dass ihre Beschwörungsformeln an den Staat auf keine Resonanz stossen, dass sie unerhört bleiben. Warum also die Angriffe gegen Linke, die den Kapitalismus nicht für reformierbar halten und Emanzipation statt Barberei fordern.

Ist ihnen der Kapitalismus so wervoll, dass sie ihn gegen Links verteidigen müssen?

Wenn man die Verteilungsfrage anspricht, dann sollte man sich schon darüber im Klaren sein, woraus die Ungleichheit resultiert. Das hat etwas mit den Einkommensquellen in unserer Gesellschaft zu tun, ob mein Einkommen aus Lohnarbeit resultiert oder aus Betriebsvermögen stammt.

Ulli 20. August 2016 um 10:50  

Man sollte an die jüngere Geschichte denken, also an den völligen Zusammenbruch des "real existierenden Sozialismus", wenn man die heutige Situation verstehen will. Sicher formulierten große Teile der westdeutschen Linken massive Kritik an der DDR, bzw. lehnten sie ab, dennoch war dieser real existierende S. immer eine Art Bezugsrahmen, ob man wollte oder nicht. Auch ich habe von der DDR nie viel gehalten (Ost-Berlin war so ziemlich der letzte Ort, an dem ich hätte leben wollen und die Mauer fand ich gelinde gesagt bizarr). Aber es war eine gewaltige Erfahrung, als die DDR-Bürger im Herbst 89 zu Millionen Richtung Westen strebten und durch die Grenzübergänge eine wahre Flut von hundertausenden emotional aufgelösten Menschen Richtung West-Berlin strömte. Die Menschen wollten den real existierenden Sozialismus schlichtweg nicht haben, sie waren froh, als es vorbei war. Ich denke, dass sich die Linke von diesen Ereignissen bislang nicht erholt hat. 1917 angetreten mit dem Ziel, Zwang und Ausbeutung zu beseitigen, endete der Versuch im Desaster. Andrerseits hat sich seitdem die "soziale Frage" wieder in einer Weise zugespitzt, die an den liberalen Kapitalismus des 19.Jahrhunderts erinnert. Aber bislang scheint es keine Alternative zu geben. Sicher wird sich das ändern und werden sich wieder neue soziale Modelle herausschälen, die eine Alternative zum heutige Kapitalismus sein können. Aber bislang ist da noch nicht viel zu sehen.

Mechthild Mühlstein 22. August 2016 um 01:41  

Natürlich mutet es seltsam an, wenn jemand behauptet, Karl Marx habe mit seinem Kapital »das drehbuch« für die heutige phase des kapitalismus geschrieben. So etwas kann man als geschwätz abtun. Marx hat das wirtschaftssystem analysiert, das er seinerzeit vorfand. Die gemeinheiten mit denen die menschen im heutigen bügerlichen staat konfrontiert sind hat er nicht gekannt. Auch wenn die gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen wirtschaft heute noch genau so gelten, wie er sie damals beschrieb.

Es ist sehr wahrscheinlich, daß der kapitalismus noch längst nicht ausreformiert ist. Nur bedeutet das leider gar nichts gutes. Was mit Schröders schöner agenda begann, ist noch nicht zu ende. Da gibt es mit sicherheit noch eine ganze menge, was man den menschen zumuten kann und sie werden es sich schritt für schritt auch zumuten lassen.

Und das ist ein punkt, in dem Karl Marx sich grundlegend geirrt hat: er hat geglaubt, daß die lohnarbeitenden massen sich die zumutung, den reichtum anderer erarbeiten zu müssen, ohne selbst die möglichkeit zu einem guten leben zu haben auf dauer nicht gefallen lassen würden. Heute lassen die leute sich es wie selbstverständlich einleuchten, daß das so etwas wie der »naturzustand« sei. Vom freiheitsgedöns, das mit dieser tollen einrichtung einhergeht ganz zu schweigen.

Es hat keinen sinn, sich innerhalb des kapitalismus auszumalen, wie schön das leben sein könnte, wenn die kapitalisten halt anders wären und mal anderen gesetzen folgen würden als jenen des kapitalismus. Das könnte den menschen, die immer wieder die welt aus der sicht der kapitalisten betrachten, um deren krisen zu bewältigen, eigentlich so langsam mal sauer aufstoßen.

Wenn mich einer fragt, ob ich denn revolution wolle, stelle ich die gegenfrage »was sollte ich denn sonst wollen?«

Ich habe es satt, mich auf den standpunkt der leute zu stellen, deren ziel es nie gewesen ist und nie sein wird, für mich und meinesgleichen ein gutes leben (wie bescheiden die vorstellung davon auch immer sein mag) zu schaffen.

Jedoch hat Marx schon gewußt, daß die revolution nicht einfach so »über uns kommt«, sondern daß die leute die schon selbst machen müssen, wenn sie bessere lebensverhältnisse wollen. Aus heiterem himmel wird keine revolution kommen. Ist im moment auch keine in aussicht. Die menschen sind derzeit eher bereit, sich weiter knechten zu lassen als mal darüber nachzudenken, wie ihre versorgung mit nützlichen dingen anders organisiert werden kann.

Innerhalb des kapitalismus sind wir zum scheitern verurteilt, weil wir uns immer wieder dem eigentum beugen müssen. Wir unterliegen dem diktat, etwas verkaufen zu müssen und können allein unsere arbeitskraft anbieten, weil wir sonst nichts haben. Von den meisten wird das als selbstverständlich betrachtet, obwohl das eine ungeheuerliche erpressung ist.

Was ist am kapitalismus mit seiner heutigen bürgerlichen demokratie so attraktiv, daß man den um jeden preis aufrecht erhalten möchte, auch wenn man längst erkannt hat, daß der für den großteil der menschheit unbekömmlich ist?

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