Handeln und schuldig werden
Mittwoch, 13. Juli 2016
Ständig wieder, wenn ich mit bestimmten Leuten auf Willy Brandt zu sprechen komme, kräuseln sie deren Nasenflügel und sie werfen mir vor, ich wäre ein Romantiker. Hat der Mann in seiner Amtszeit nicht den Radikalenerlass angesegnet? Berufsverbote unter einen Sozi, fast so, wie bei den Nazis. Das ist ein alter Vorwurf von ganz ganz links. Es sind in der Regel dieselben Kollegen, die sich aber schrecklich darüber ärgern, dass einer wie der Höcke »unsere Kinder« unterrichten durfte. Als man ihm dieses Privileg entzog, jubelierten sie. Radikale haben in Schulen nichts verloren. Und diese Einschätzung ist richtig. Wer Schießbefehle verlangt und Flüchtlinge entmenschlicht, der sollte genausowenig einen solchen Dienst an der Allgemeinheit tun, wie Leute, die einst jubelten, als da Überlegungen reiften, wonach »der Typ in der Uniform [...] ein Schwein« sei, auf den »natürlich [...] geschossen werden« könne.
Der so genannte Radikalenerlass also. Brandt hat sich Jahre später, wenn nicht entschuldigt, so doch immer wieder gerechtfertigt. Vielleicht sei er ein Fehler gewesen, befand er mit zeitlichem Abstand. Wahrscheinlich war er von seiner Grundidee kein absoluter Fehler, sogar aus vielen Gründen nötig. Natürlich auch, um ganz praktisch zu bleiben, um schulischer und generell behördlicher Infiltration von Sympathisanten von brutalen Gewaltverbrechern keine Agitationsplattform zu gewähren. Man hatte es immerhin mit der Sympathisantenszene von Mördern zu tun, mit gnadenlosen Häschern, die paranoid genug waren, eine Mär zu erzählen, in denen sie als arme verfolgte Anstandsbürger vorkamen und die dann auch noch von vielen geglaubt wurde. Von vielen, die es glauben wollten. Nun gut, das führt jetzt zu weit. Es geht um den Radikalenerlass und nicht um das innerbetriebliche Klima dieser sich politisch färbenden Mörder, die letztlich doch sattsam apolitisch waren.
Vieles wurde vielleicht zu grob gehandhabt mit dem Erlass, nahm die Form von Kommunistenhatz an. Ein gewisser Herr Erdmann von gegenüber, der hat das auch schon mehrfach genau so bezeichnet: Kommunistenhatz. Oberflächlich betrachtet dürfte er nicht mal falsch liegen. Aber ein Berufsverbot, wie er es nannte, war er ja auch nur bedingt. Der Mann ist, wie so viele, die die Grundidee der Sozialdemokratie verächtlich abtun, ein Spezialist darin, die Dinge so hinzustellen, dass am Ende genau das rauskommt, was rauskommen soll. Solche stellen ihren Idealismus über alles und merken dabei nicht, dass ihnen der Bezug zur Welt, wie wir sie vorfinden, vollkommen abhanden kommt. Bedingt war es nur ein Berufsverbot, weil man ja arbeiten konnte und durfte. Selbst dann, wenn man in den Ruch kam, irgendwie Sympathisant gewaltbereiter Kreise zu sein. Nur durfte man halt nicht mehr für den Staat arbeiten, für den öffentlichen Dienst. Einen Staat, den man ja ohnehin ablehnte. Was soll daran denn bitte verwerflich sein?
Wenn ein Staat nur ansatzweise glaubt, er müsse sich und seine Bürger schützen, so muss er Personen, die sich radikal zu Gewalttätern bekennen, auch so gut wie möglich aus seinen Insitutionen heraushalten. Das ist das eine. Damals kam aber noch dazu, dass Brandt eine Entspannungspolitik mit dem Osten anstrebte und die Konservativen im eigenen Land glaubten, die Sowjets marschierten nun bald ein. Diesen Ängsten musste man begegnen, wollte man sich an der Macht halten, um weiter an der eigenen Marschroute festhalten zu können. Diese Entspannung brachte ja viele Verbesserungen für die Menschen, die Kontakte ins andere Deutschland pflegten. Hätte ein Bundeskanzler damals kaum oder jedenfalls nur unzureichend auf diese Machtprobe mit Terroristen reagiert, wäre das Tauwetter aufgrund eines Bonner Machtwechsels womöglich entfallen und wo das geendet hätte, bleibt als Antwort schuldig.
Realpolitik nennt man diesen ganzen Komplex. Es ist was ziemlich Widerliches, wenn man genau nachfragen will. Deswegen komme ich darauf zu sprechen. Vieles was realpolitisch ist, das ist mehr als unschön, manchmal ist es richtiger Dreck. Wahrscheinlich auch nicht ideal - und ideell schon gar nicht. Da sind wir wieder bei Toller, der wusste, dass man in der Verantwortung stehend nicht immer idealistisch bleiben könne. Der Handelnde macht sich schuldig. Brandt las in jungen Jahren Toller, so wird berichtet. Er haderte nachher wie der alte Meister aus der Münchner Rätezeit. Verantwortung, das ist wahrhaft ein Scheißgeschäft. Realpolitik bedeutet nicht immer im Einklang mit seinen Wertevorstellungen leben zu können. Dumm ist es auch gelaufen damals, nicht jeder Kommunist war für die RAF. Aber um bei Toller zu bleiben: »Muss der Handelnde schuldig werden, immer und immer? Oder, wenn er nicht schuldig werden will, untergehen?« Und untergehen, das ist keine Option, wenn man etwas bewirken will. Was nicht heißt, dass man allen Idealismen preisgeben darf.
Das ist es, was man als linker Mensch in Deutschland jetzt begreifen sollte. »Wir« brauchen die Verantwortung. Regierung vor sich hertreiben aus der Warte der Opposition, das war eine Weile in Ordnung. War ausreichend, als es nur gegen den Merkelismus ging. Aber mit dem massiven Rechtsruck hat sich alles gewandelt. Jetzt muss man handeln, um eben nicht schuldig zu werden. Idealistisch aus der Opposition zu wettern, reicht nicht mehr aus. Idealismus auch als Partei zu bewahren, die die Regierungsarbeit nicht scheut, das wäre im Sinne des Wortes ideal. Aber jetzt brauchen wir ein Bewusstsein zur Realpolitik und die Gewissheit, dass nicht alles so gelingen kann, wie wir es uns ausmalen. Was nicht heißt, dass die Agenda 2010 entschuldigt ist, als realpolitischer Kompromiss gewissermaßen. Denn genau das war sie ja nicht.
Die Linke braucht einen Radikalenerlass. Sie sollte sich die Radikalen selbst erlassen. Nicht so, wie es die Schröderianer gemacht haben. Die haben alles aufgegeben, keine letzte Grenze mehr gehabt. Grenzen müssen sein, manches ist nicht verhandelbar. Wer aber verändern will, der muss auch manchmal etwas tun, was einem nicht schmeckt. So ist Demokratie. Man wägt ab und holt das Beste raus. Mit Reinheit macht man sich schuldig. Siehe Brandt und wie er Europa veränderte.
Der so genannte Radikalenerlass also. Brandt hat sich Jahre später, wenn nicht entschuldigt, so doch immer wieder gerechtfertigt. Vielleicht sei er ein Fehler gewesen, befand er mit zeitlichem Abstand. Wahrscheinlich war er von seiner Grundidee kein absoluter Fehler, sogar aus vielen Gründen nötig. Natürlich auch, um ganz praktisch zu bleiben, um schulischer und generell behördlicher Infiltration von Sympathisanten von brutalen Gewaltverbrechern keine Agitationsplattform zu gewähren. Man hatte es immerhin mit der Sympathisantenszene von Mördern zu tun, mit gnadenlosen Häschern, die paranoid genug waren, eine Mär zu erzählen, in denen sie als arme verfolgte Anstandsbürger vorkamen und die dann auch noch von vielen geglaubt wurde. Von vielen, die es glauben wollten. Nun gut, das führt jetzt zu weit. Es geht um den Radikalenerlass und nicht um das innerbetriebliche Klima dieser sich politisch färbenden Mörder, die letztlich doch sattsam apolitisch waren.
Vieles wurde vielleicht zu grob gehandhabt mit dem Erlass, nahm die Form von Kommunistenhatz an. Ein gewisser Herr Erdmann von gegenüber, der hat das auch schon mehrfach genau so bezeichnet: Kommunistenhatz. Oberflächlich betrachtet dürfte er nicht mal falsch liegen. Aber ein Berufsverbot, wie er es nannte, war er ja auch nur bedingt. Der Mann ist, wie so viele, die die Grundidee der Sozialdemokratie verächtlich abtun, ein Spezialist darin, die Dinge so hinzustellen, dass am Ende genau das rauskommt, was rauskommen soll. Solche stellen ihren Idealismus über alles und merken dabei nicht, dass ihnen der Bezug zur Welt, wie wir sie vorfinden, vollkommen abhanden kommt. Bedingt war es nur ein Berufsverbot, weil man ja arbeiten konnte und durfte. Selbst dann, wenn man in den Ruch kam, irgendwie Sympathisant gewaltbereiter Kreise zu sein. Nur durfte man halt nicht mehr für den Staat arbeiten, für den öffentlichen Dienst. Einen Staat, den man ja ohnehin ablehnte. Was soll daran denn bitte verwerflich sein?
Wenn ein Staat nur ansatzweise glaubt, er müsse sich und seine Bürger schützen, so muss er Personen, die sich radikal zu Gewalttätern bekennen, auch so gut wie möglich aus seinen Insitutionen heraushalten. Das ist das eine. Damals kam aber noch dazu, dass Brandt eine Entspannungspolitik mit dem Osten anstrebte und die Konservativen im eigenen Land glaubten, die Sowjets marschierten nun bald ein. Diesen Ängsten musste man begegnen, wollte man sich an der Macht halten, um weiter an der eigenen Marschroute festhalten zu können. Diese Entspannung brachte ja viele Verbesserungen für die Menschen, die Kontakte ins andere Deutschland pflegten. Hätte ein Bundeskanzler damals kaum oder jedenfalls nur unzureichend auf diese Machtprobe mit Terroristen reagiert, wäre das Tauwetter aufgrund eines Bonner Machtwechsels womöglich entfallen und wo das geendet hätte, bleibt als Antwort schuldig.
Realpolitik nennt man diesen ganzen Komplex. Es ist was ziemlich Widerliches, wenn man genau nachfragen will. Deswegen komme ich darauf zu sprechen. Vieles was realpolitisch ist, das ist mehr als unschön, manchmal ist es richtiger Dreck. Wahrscheinlich auch nicht ideal - und ideell schon gar nicht. Da sind wir wieder bei Toller, der wusste, dass man in der Verantwortung stehend nicht immer idealistisch bleiben könne. Der Handelnde macht sich schuldig. Brandt las in jungen Jahren Toller, so wird berichtet. Er haderte nachher wie der alte Meister aus der Münchner Rätezeit. Verantwortung, das ist wahrhaft ein Scheißgeschäft. Realpolitik bedeutet nicht immer im Einklang mit seinen Wertevorstellungen leben zu können. Dumm ist es auch gelaufen damals, nicht jeder Kommunist war für die RAF. Aber um bei Toller zu bleiben: »Muss der Handelnde schuldig werden, immer und immer? Oder, wenn er nicht schuldig werden will, untergehen?« Und untergehen, das ist keine Option, wenn man etwas bewirken will. Was nicht heißt, dass man allen Idealismen preisgeben darf.
Das ist es, was man als linker Mensch in Deutschland jetzt begreifen sollte. »Wir« brauchen die Verantwortung. Regierung vor sich hertreiben aus der Warte der Opposition, das war eine Weile in Ordnung. War ausreichend, als es nur gegen den Merkelismus ging. Aber mit dem massiven Rechtsruck hat sich alles gewandelt. Jetzt muss man handeln, um eben nicht schuldig zu werden. Idealistisch aus der Opposition zu wettern, reicht nicht mehr aus. Idealismus auch als Partei zu bewahren, die die Regierungsarbeit nicht scheut, das wäre im Sinne des Wortes ideal. Aber jetzt brauchen wir ein Bewusstsein zur Realpolitik und die Gewissheit, dass nicht alles so gelingen kann, wie wir es uns ausmalen. Was nicht heißt, dass die Agenda 2010 entschuldigt ist, als realpolitischer Kompromiss gewissermaßen. Denn genau das war sie ja nicht.
Die Linke braucht einen Radikalenerlass. Sie sollte sich die Radikalen selbst erlassen. Nicht so, wie es die Schröderianer gemacht haben. Die haben alles aufgegeben, keine letzte Grenze mehr gehabt. Grenzen müssen sein, manches ist nicht verhandelbar. Wer aber verändern will, der muss auch manchmal etwas tun, was einem nicht schmeckt. So ist Demokratie. Man wägt ab und holt das Beste raus. Mit Reinheit macht man sich schuldig. Siehe Brandt und wie er Europa veränderte.
8 Kommentare:
Tja, dann wäre ja nun der Zeitpunkt erreicht, wo man mal diese unverhandelbaren Grenzen konkret benennt, sowie die Punkte, in denen sich "die anderen UNBEDINGT" bewegen müssten. Genau DA geht es eben wieder los: Von den Linken zu verlangen, in der NATO "Verantwortung übernehmen" sehen einige als Placet zu Kriegseinsätzen und damit als Aufgabe einer pazifistischen Kernposition, andere meinen, da geht was.
Ebenso von der sPD zu verlangen, sich glaubhaft von der HartzIV-Gesetzgebung und ihrer Verarmungspolitik zu verabschieden, dürfte für das AKTUELLE Führungspersonal eine nicht schluckbare Kröte sein, käme es doch einem Eingeständnis gleich, jahrelang mit ihrer Agendapolitik zur Verarmung und Teilung der Gesellschaft beigetragen zu haben. Wer von diesem Personal hätte die Stärke, das zuzugeben und vor allem, es selbst auszuhalten?
Ich glaube, dass es nicht so statisch ist, wie es manchmal wirkt. Und zur NATO, ich kenne die Einwände von ganz links. Ich bin mit dieser NATO nicht einverstanden. Aber ich bin auch nicht einverstanden damit, dass Linke immer nur raus, raus, raus wollen aus allem, was sie ablehnen. Wir müssen viel mehr rein, rein, rein. Und eine deutsche Regierung mit linker Beteiligung kann die NATO ja auch ein Stückchen beeinflussen. Das vergessen Linke gerne. Da wird zwar oft gepredigt, dass man Politik MACHEN kann, nicht immer nur Sachzwänge walten. Aber in solchen Fragen tun sie dann so, als würde der Sachzwang das Machen grundsätzlich erledigen. Das ist nicht stringent.
Der linke Düsseldorfer SPD-Bundestagsabgeordnete Karl-Heinz Hansen erfuhr in den 70er Jahren, als mit Willy Brandt ein prominter Antifaschist Bundeskanzler war, was dies in seiner Partei konkret bedeutete. Er hatte von der Bundesregierung verlangt, sich bei den USA dafür einzusetzen, daß das Berliner US-Document-Center mit Millionen Daten über Nazi-Aktivisten aus der Verwaltung der Alliierten in deutsche Hände überführt werde, damit auch deutsche Antifaschisten freien Zugang zu den Dokumenten bekämen, was bis dahin fast nur für Bürger der Kriegssiegerstaaten möglich war. Doch Willy Brandt lehnte ab; es befanden sich zuviele Hinweise auf Personen im US-Document-Center, die inzwischen die Seite gewechselt hatten und sich nach jahrelanger Treue zu den Nazis während des "Dritten Reiches" nun jahrelang als stramme Sozialdemokraten bewährt hatten. Brandt: "Wir wären von allen guten Geistern verlassen, wenn wir ... jetzt anfangen würden, nochmal das, was vor 35 Jahren ein gewisses Ende gehabt hat, aufrollen zu wollen. Das bringt uns innenpolitisch auch nicht einen Millimeter voran."
@Anonym von 8:01 Uhr: Und nu? Was willst du damit sagen?
Als Jahrgang 60 habe ich die Grundschulzeit auf einer heimeligen Dorfschule verbracht, fundiert Lesen, Schreiben und Rechnen gelernt, bischen Religion, Erdkunde und so. Dann kam ich auf das neue Städtische Gymnasium. Da liefen junge Lehrer mit Afrofrisuren, Schlaghosen und bunt bestickten Westen etc. herum, es wurde diskutiert und geduzt. Für mich als Landei, wie ein Schulbesuch auf Alpha Centauri - aber spannend und lehrreich ohne Ende.
Rückblickend fällt auf, dass diese "wilde" Zeit schon zwei Jahre später weitgehend zu Ende war. Zum Glück waren ein paar gut keimende Wurzeln gelegt und meine späteren Lehrer hatten viel Freude an mir. ;-)
Wenn die Linke überhaupt irgendetwas in diesem Land zum Besseren wenden will, wird sie Kröten schlucken müssen. Ich persönlich sehe da vor allem bei der Haltung zur NATO Verhandlungsspielraum. Was wäre für den Frieden in Europa gewonnen, träte Deutschland gleich morgen aus der NATO aus? Ein leerer Fleck auf der NATO Landkarte? Am Konfrontationskurs mit Russland würde das bestimmt nichts ändern. Gerade als Stimme der Vernunft könnte man innerhalb der NATO vielleicht Schlimmeres vermeiden.
Eine rote Linie ist für mich eine Verschärfung der Agenda 2010 und was die Linke unbedingt schaffen muss: Lohnpolitik muss ein deutlicher Schwerpunkt zukünftiger Innenpolitik sein.
Roberto 10:35: Wenn man ein wenig am Lack kratzt, kommt Rost zum Vorschein.
@Anonym von 14:25: Ja, Oxidation ist normal, eine Reaktion mit Sauerstoff. Wer Sauerstoff atmet, der macht sich letztlich schuldig. Mehr wollte ich ja gar nicht sagen.
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