Auf der Überholspur

Freitag, 1. Juli 2016

Es geht aufwärts mit mir. Mein Name ist kein Hemmnis, kein Hindernis mehr. Ich könnte mit ihm sogar Teil der AfD werden, ohne dass sich jemand der Herkunft meines Nachnamens widmen würde. Das war aber vor etlichen Jahren noch anders. Mein Vater hätte mit demselben Namen niemals einen Aufnahmeantrag für die NPD geschickt bekommen. Natürlich nicht. Selbst der deutsche Durchschnittsbürger, der unverdächtig etwaiger solcher Mitgliedschaften war, hatte immer auch ein Interesse daran, sich darüber zu erkundigen, ob denn mein alter Herr nach Renteneintritt wieder zurück ginge nach Spanien. Fast vierzig Jahre in diesem Lande und die Leute hatten sich noch immer nicht an sein Dasein gewöhnt. Jetzt ist das anders, ich als zweite Generation bin nun akzeptiert, aufgenommen im Volkskörper. Werde nicht gleich aussortiert auf dem Stapel mit den Bewerbungsunterlagen in Personalbüros. Dafür danke ich. Nicht diesem weltoffenen Volk hier, nein, ich danke Kashib, Szymon und Metodi. Ihr Lieben, ihr seid die Streben der Leiter meines Aufstiegs.

Auf euch trete ich, um aufzusteigen. Auf euch und auf all die Afrikaner, die es jetzt so bei uns gibt. Wenn ich sage, dass ich auf euch trete, dann ist das nicht wörtlich, nicht verächtlich gemeint. Mehr so als billige Leiter-Metapher. Ich kann es nun auf der Leiter selbst zum Leiter schaffen, wenn ich das denn möchte. Irgendein Kashib ist immer da, dem ich weisungsbefugt sein darf. Jetzt loben sie mich explizit für meinen schönen Namen, keiner wundert sich mehr, dass ich trotz dieses Namens mit bayerischen Akzent spreche. Als Abkömmling eines Spaniers, na hört mal, da gehöre ich doch zu Europa, zum kultivierten Kreis. Ach, die Spanier, das waren doch immer grundanständige Leute. Vergessen die Zeit, da sie meinen Vater unterstellten, er würde nur deutsche Frauen schänden und gute deutsche Arbeit qualitativ unzureichend verrichten. Und dann wollte er nicht mal nach Hause zurück - nach Hause, womit nicht die Wohnung gemeint war, für die er die Miete aufbrachte, sondern ein Land, dem er vor Jahren den Rücken gekehrt hatte. Der gierige Wirtschaftsflüchtling. Aber damals waren solche Wirtschaftsflüchtlinge noch willkommen, denn auf den Feldern Russlands war die Arbeitskraft liegen geblieben, die ein Wirtschaftswunder halt mal braucht. Sie waren genauer gesagt eigentlich gar nicht willkommen, sie wurden nur benötigt. Und sollten dann auch bitte wieder abreisen, wie anständige Gäste das zu tun pflegen.

Kind von so einem war ich. Auch nicht besser als er. Die guten Seelen hatten wohl eher Mitleid mit Gastarbeiterkindern. Die armen Kleinen, so entzweigerissen zwischen Deutschland und ihrer Heimat. Ich wurde hier geboren, aber meine Heimat hatte mir zu fehlen. Überhaupt waren nicht alle schlecht, viele ausgesprochen freundlich, selbst zu meinem Vater. Aber zwischendrin gab es so gut wie immer Vorurteile, die durchschimmerten. Die dachten beispielsweise ernstlich, dass mein Vater aus einem Land käme, in dem es so gut wie keine elektrifizierten Haushalte gab. Andere glaubten, dass er nie Bildung erfahren hatte. Einer seiner Kollegen behauptete mal, dass Mallorca keine spanische Insel sei, sondern ein unabhängiges Inselreich. Er wettete sogar darauf. Zwei Kasten Bier hat das dieser Koryphäe deutscher Nachkriegsbildung gekostet. Ich fand immer, er kam viel zu billig davon. Nicht weil er so unwissend war, sondern weil er so arrogant war, seine Unwissenheit immer noch als etwas Höherwertiges anzusehen als das Wissen eines Ausländers. Deutsche Inkompetenz war halt immer noch mehr als fremde Kompetenz.

Zu viel habe ich von damals schon notiert. Über dieses dumpfe Lebensgefühl. Im Laufe der Jahre schrieb ich kontinuierlich darüber. Man unterschätzt, wie solche Erlebnisse und Familienerzählungen prägen. Über Jahre hinaus. Auch wenn alles rum ist, wenn man es abhaken könnte. Es sind letztlich meine prägenden Jahre gewesen, Sozialisierungsjahre, in denen ich den Grundstein meines Charakters und meiner Anschauungen legte. Aus jener Zeit weiß ich zum Beispiel, dass Integration in Deutschland ein fast unmöglicher Akt ist. Ich würde auch tatsächlich nie auf die Idee kommen, dieses Land als meine Heimat zu bezeichnen. Man kann sich in seiner Stadt wohlfühlen, kann ein gutes Umfeld haben, aber sobald es sich ins Nationale sublimiert, bin ich raus, spüre ich sofort einen Würgereiz. Aber in der letzten Zeit mache ich trotzdem neue Erfahrungen. Integration klappt letztlich doch. Nicht aus Anstrengungen heraus. Nicht etwa weil sich die Anpassung von Ausländern auszahlte und ebensowenig, weil die deutsche Gesellschaft entspannt genug wäre, Integration als einen Akt der Kommunikation zu verstehen und auch nicht - wie sie es dann wirklich tut - als einen Hammer, der lustig alles Überstehende in das knochenharte Stück Holz klopft, das gemeinhin als hölzerne Volksgemeinschaft verstanden wird.

Nein, weil man sich immer dann ins Konzept einpassen kann, wenn es welche gibt, die eine völlig neue Herausforderung darstellen. All die vielen Leute, die aus dem arabischen oder afrikanischen Raum zu uns kommen, die haben dem Spanischstämmigen einen Aufstieg beschert. Jedenfalls auf der Gesinnungsfront. Weil als Europäer, als ein Europäer wohlgemerkt, der nicht aus dem wilden Osten kommt, da bin ich den Urwüchsigen gleich sympathischer. Wie das Hemd einem näher als der Rock ist, so ist der Spanier einem näher als der Syrer. Ich bin das Hemd; Rock waren wir früher. Man hat Leute wie mich umgenäht, sodass man sie obenrum tragen kann.

Auf meinen Namen spricht mich kaum noch einer an. Mit so einen Namen ist man fast Deutscher. Das ist der Trost, den ich euch spenden will, ihr Neubürger und Arbeitssklaven aus dem Osten, irgendwann habt ihr es auch geschafft und ihr rückt auf, weil es eine neue Klasse von Menschen gibt, auf die man verächtlich herabschaut. Wer das dann sein soll, wird die Zeit weisen. Vielleicht die Amis oder Papuas und ihre außergewöhnlichen Essgewohnheiten. Oder wir rücken dann alle schön zusammen und sehen uns als eine Gemeinschaft an, weil die nächsten Aliens, die zu uns kommen, dann nicht nur fremd dem Wortsinne nach sind, sondern tatsächlich als Aliens, als Außerirdische zu uns kommen. Bis dahin dauert es noch ein wenig. Solange fröne ich meines Aufstieges. Dieses Land ist gut zu mir, weil es andere gefunden hat, zu dem es schlecht sein kann.

6 Kommentare:

Anonym 1. Juli 2016 um 08:20  

Danke für diesen Artikel!

Mordred 1. Juli 2016 um 10:16  

wahre worte. vielen dank.
die afd ist momentan die perfekte verkörperung davon. neoliberal nationalistisch. die nation heißt dabei christliches europa.

Anonym 1. Juli 2016 um 13:27  

Nicht nur Spanier, auch Juden profitieren von den Muslimen und Afrikanern.
Auf einmal gehören sie dazu und Rechtspopulisten reden ganz selbstverständlich vom jüdisch-christlichen Abendland.

Also freut euch schon mal, Ali und Aische, wenn wir erst mal 6 Millionen von euch umgebracht haben und am Horizont wieder die Mongolen auftauchen, dann werdet auch ihr dazu gehören.

maguscarolus 1. Juli 2016 um 18:18  

Was ist schon Heimat. Als Spross einer Familie von "Heimatvertriebenen" darf ich das sagen! Und ich habe auch eine Antwort – zumindest für mich: Irgendwo, sei's in Apulien oder in Frankreich in einer Hängematte zu liegen und z.B. Die 4.Sinfonie von Brahms zu hören. Das ist Heimat. Eine Andere als eine geistige Heimat kenne ich nicht.

Anonym 1. Juli 2016 um 23:06  

Wahre Worte ;-)

Übrigens, ganz pervers wird es wenn es so geht wie mir letzte Woche, denn auf dt. Patriotismus während der WM angesprochen meinte ich zu einem jungen Bistro-Wirt in unserer Heimatgegend, dass mir .de gestohlen bleiben könne, und ich beinahe schon vor Jahren in die USA ausgewandert wäre.

Der Wirt legte da aber richtig los, die bösen "Amis" eben, und Hitler wäre auch ein toller Mann gewesen - ich ging nicht näher drauf ein, denn der Wirt ist kein Deutscher sondern türkischstämmig.

Abartig - Gell?

Ich bin immer noch entsetzt ob der abstrusen Verschwörungstheorien dieses Menschen und seines dicken Lobes des "alten Adis"......

Gruß
Bernie

Unknown 5. Juli 2016 um 16:22  

Was mich besonders stört, dass viele die Ursachen ignorieren. Man wollte in Deutschland nach dem 2. WK keine Immigranten, sondern nur "Gastarbeiter" deshalb gab es auch bis heute eine "Gastarbeiter Politik" und dementsprechend bis heute eine "Gastarbeiter Ideologie" in Deutschland

Ich selbst bin in den 50ziger und 60ziger Jahren in West-Berlin groß geworden, und kann mich noch genau erinnern als wir die sog. ersten Gastarbeiter Kinder zu Gesicht bekamen, denn wir durften nicht mit denen spielen. "Gastarbeiter-Väter" haben den Schuldirektor er möge doch sein Kind beschulen, damit es deutsch lernt und integrieren kann. Die vielen bösen rassistischen Schimpfwörter, für Türken, Italiener usw. die es bis heute noch gibt, möchte ich hier nicht wiederholen. Erst kürzlich habe ich meinem Enkel gesagt, dass man über Leute die man nicht kennt so abfällig reden darf, und dies rassistisch sei. Seine Antwort: "Aber Opa so reden alle auf dem Schulhof"

Ich bin seit den 70ziger Jahren mit einer Ausländerin verheiratet, die Folge ich habe mich von meiner gesamten Familie getrennt, so geschämt habe ich mich gegenüber meine Frau. Es ärgert mich wenn man heute unisono behauptet, die wollen nicht. Nein es ist schlicht und ergreifend genau anders herum, viele Deutsche wollen nicht. Viele Deutsche verzeihen den sog. "Gastarbeitern" bis heute nicht, dass sich die Mehrheit so gut integriert hat, und geblieben sind.

Viele Deutsche verzeihen

  © Free Blogger Templates Columnus by Ourblogtemplates.com 2008

Back to TOP