Die Alternative, diese traurige Figur

Montag, 2. März 2015

Es stimmt: »Der Revoluzzer als Schnorrer ist eine eher traurige Figur.« Das hat Jan Fleischhauer geschrieben. Umso schlimmer, dass die Einschätzung stimmt. Aber in dem Satz liegt die ganze Tragik unserer Zeit begriffen. Die Alternative tritt gewissermaßen als Hausierer und Nassauer auf.

Fleischhauer hat diese Wahrheit wohl eher zufällig formuliert. Das merkt man schon daran, dass er »diese offenen Hemden« thematisiert. Die würden nämlich so eine Art neuen Stil inszenieren. Cooler Auftritt statt Seriosität eben. Etwas, das für die Jugend was ist - oder ganz generell für Linke. Oder für Leute, die einfach bloß keine Ahnung haben und sich blenden lassen. Dabei sind offene Hemden für die Jugend so spießig wie Krawatten. Tsipras und seine Crew müsste dann schon mit Kaputzenpullover auftreten. Oder im Achselshirt. Das wäre die Inszenierung der Coolness. Aber so? Fleischhauer lebt in einem bürgerlichen Mikrokosmos, in der ein nicht in die Hose gestecktes Hemd schon die allergrößte Form von cooler Lebensart ist. Aber davon wollte ich ja eigentlich gar nicht sprechen ...

Ist die Alternative eigentlich organisierbar? Das ist die Frage, die der Mann vom Schwarzen Kanal so zufällig touchierte. Ist sie es? Kann man von Alternativen träumen, wenn sich die Welt rundherum alternativlos aufgestellt hat? Oder muss man in die Isolation? Sich abgrenzen? Und dann sein eigenes Ding durchziehen? Dergleichen gab es schon mal für eine Alternative. Sie hat sich dann zwar als große Scheiße erwiesen, aber dennoch, es war der Versuch eines anderen Gesellschaftskonzepts. In der Welt wie sie war konnte es nicht bestehen. Also gebar man den »Sozialismus in einem Land«. Bis der Krieg das »eine Land« um einige Satellitenländer bereicherte. Doch so oder so, da kommt nichts dabei raus. Mangelwirtschaft höchstens. Und natürlich Unterdrückung, wenn es besonders große Arschlöcher an die Spitze der isolierten Alternative schaffen.

So weit sind wir ja in Griechenland nicht. Isolation ist kein Thema. Kein Stalin im Anschlag. Aber der Revoluzzer gibt als Bittsteller eine traurige Figur ab. Er kann gar keine andere Figur abgeben. Er ist das Minderheitsvotum zwischen einer Mehrheit, die für sich den Weg der Alternativlosigkeit gewählt hat. Innerhalb des organisierten Neoliberalismus kann ein Weg abseits der Lehre gewissermaßen nicht mal gedacht werden. Und falls doch, sieht man eben wie ein Einfaltspinsel aus. Mit offenen Hemd, das aus der Hose lümmelt. Wie einer, der auf Revoluzzer macht und gar keinen Inhalt mit sich bringt. Der einen »Syriza-Kult« zelebriert, wo er Politik machen sollte. Politik, die freilich nach neoliberalen Kriterien abzuleisten wäre. Was denn sonst?

Es ist die Tragik unserer Zeit, die in diesem Typus der traurigen Figur steckt. Der Reformer ist quasi abgemeldet. Er wird als Popstar hingestellt. Als einer, der zwar rockt, aber sonst nichts kann oder weiß. Wir sehen an der griechischen Sache, dass die Alternative zum Neoliberalismus vielleicht noch in den Köpfen steckt. Noch nicht tot ist. Aber realiter scheint sie an der Mauer des einen, des unverbrüchlichen, des unersetzbaren Wirtschaftsglaubens abzuprallen. Nicht nur der Alternative gibt eine traurige Figur ab. Wir tun es als europäische Gesellschaft schlechthin. Denn wir organisieren uns nach Kosten und Nutzen und fragen nicht mehr nach, was wir eigentlich wollen. Traurige Figuren, traurige Zeiten ...

10 Kommentare:

Anonym 2. März 2015 um 08:41  

"[...]Traurige Figuren, traurige Zeiten ...[...]"

Dazu paßt, dass die neue Miss Germany 2015 nach unseren (neoliberalen) Mainstream-Medien "blond und bläuäugig" ist, und ursprünglich aus der Ukraine stammt. Tja, und der Arbeitslosen-Hasser Bosbach von der CDU saß im Europapark Rust, des Kabarettisten-Fressers Mack, mit in der "Jury" bei der Preisverleihung.

Nicht gegen die "Miss Germany", aber eine Wahl, die von RTL (="Bezahlsender von Liz Mohn") im Europapark Rust von Rechten gesponsert wurde hat wohl kein anderes Ergebnis in heutigen Zeiten. Übrigens, wie ich so vernahm tickt unser Miss-Germany-Blondchen auch deutsch-rechts-national und keiner regt sich mehr darüber auf....

Traurige Zeiten eben....ganz recht, Roberto J. de Lapuente....

Gruß
Bernie

Anonym 2. März 2015 um 09:03  

Traurige Figur? Wieso das denn?

Für mich gilt: Misstraut den Anzugmännern!

ulli 2. März 2015 um 09:54  

Man sollte nicht vergessen, dass Griechenland nur ein ganz kleines Land ist. Dafür schlägt Syriza sich doch ganz gut. Sie können ja jetzt mal anfangen, ihre eigenen Reichen zu besteuern. Falls in Spanien Podemos an die Regierung kommen sollten, sehen die Dinge schon ganz anders aus. Spanien ist immerhin das viertgrößte Land der EU und Schäuble und Co können es längst nicht so schäbig und autoritär behandeln. (Wahrscheinlich hat Schäuble schon Alpträume wegen podemos).

Zudem finde ich Varoufakis gar nicht mal so links. Er ist eher realistisch: Griechenland wird diese Schulden niemals zurückzahlen können. Und die von Deutschland aufgezwungene Sparpolitik hat in ein wirtschaftliches Desaster geführt. Erst kürzlich gab es auf Arte eine hervorragenden Film über die Troika, in dem Paul Krugman, immerhin ein Nobelpreisträger, genau das selbe sagte. Gerade im Bereich der Wirtschaftswissenschaften hat Deutschland sich vom Rest der Welt abgekoppelt, in den angelsächsichen Ländern glaubt kaum noch einer an den Quatsch, den die dt. neoliberalen Ideologen verkünden.

Anonym 2. März 2015 um 12:50  

Darüber hinaus: wir leben nun mal in Zeiten, in denen das Bild grössere Macht hat als das Wort. Ja, doch! Wer informiert sich denn im Detail über die neue griechische Regierung? Wer findet denn Musse, längere Aussagen deren Minister zu lesen? (Der Finanzminister hat z. B. ein Blog). Und so weiter ... Aber nein, der Regierungschef trägt halt keinen Schlips, vom Finanzminister ganz zu schweigen. Welch "dreiste Bande", denkt sich so mancher - auf dem Sofa vor der Glotze.

Mein Tipp, ist zwar ein alter Hut, aber immer noch lesenswert:

Neil Postman: "Wir amüsieren uns zu Tode - Urteilsbildung im Zeitalter der Unterhaltungsindustrie".

P. S. Anderes Beispiel: Wenn Frau Wagenknecht sollte die Frisur ändern würde, nicht immer in einem roten Kleid in den Talkshows sässe und relaxter rüberkäme, dann ...

Troptard 2. März 2015 um 16:08  

"Die Alternative, diese traurige Figur oder "Der Ritter von der traurigen Gestalt" der gegen Windmühlen kämpft".

Wo ich dem Text zustimmen kann ist in der Ausssage, dass unser Globus inzwischen soweit durchkapitalisiert ist,und dieser Prozess scheint mir noch nicht einmal abgeschlossen, dass Ideen für eine Alternative zum Bestehenden als masslose Überschätzung der eigenen Möglichkeiten erscheinen müssen.

Die Macht des Faktischen scheint alles zu erdrücken.

Nun hat der Varoufakis seinen Realismus bereits dadurch unter Beweis gestellt, dass er " den Kapitalismus vor sich selbst retten will ".

Er sieht die Linken nicht mehr als gesellschaftlich verändernde Kraft, sondern er hält "linksradikale" Positionen sogar für gefährlich, weil durch diese der Rechtsradikalismus erst befördert würde und Schlimmeres als der Kapitalismus daraus ensteht.

Abgesehen davon, dass ich diese Sichtweise für vollkommen falsch halte, weil sie ignoriert, das der Rechtsradikalismus auch ein sebständiges Produkt kapitalistischer Krisenerscheinungen ist, der Verfallserscheinungen von Staat, Parteien und Demokratie, Nation, so leistet er damit einen wesentlichen Beitrag, die verbliebene Restlinke in die Resignation zu treiben, sich nur noch an dem Machbaren zu orientieren.

Er stabilisiert die eine Seite und isoliert die andere.

Die historisch untergegegange Alternative mal ganz locker "als Scheisse" zu bezeichnen behindert Aufklärung anstatt sie zu befördern.







maguscarolus 2. März 2015 um 17:45  

Wenn man den Leuten in der Sache nicht am Zeuge flicken kann - weil sie eben Verstand und Herz auf ihrer Seite haben - dann muss man sich über deren Outfit auslassen, so wie diese Mode-Trutsche, die neulich im SDR-Hörfunk ihren "geht-gar-nicht"-Bannstrahl gegen Varoufakis schleudern durfte.

Wen juckt's.

Viel mehr würde ich mich sorgen, ob nicht letztlich doch noch das griechische Militär, dem die Syriza-Regierung sicher gerne einige der bestellten neuen Spielsachen streichen würde, die Situation im neoliberalen Sinne “bereinigt“, und Tsipras den Allende machen lässt.

Anonym 2. März 2015 um 18:30  

Der Revoluzzer als Schnorrer... So war das eigentlich schon immer in der Geschichte der BRD - ich denke da an die Punks, die schon in den '70ern bettelnd am Bahnhof standen...

Pro Tsipras 6. März 2015 um 19:32  

Tsipras und Varoufakis wollen die griechischen Bürger als Amateur-Steuerfahnder einsetzen, um schneller Geld einzutreiben.
Es sollen "eine große Zahl nicht professioneller Inspektoren" nach einer kurzen Ausbildung für begrenzte Zeit als Steuerfahnder einzusetzen.
Sie sollen mit Video- und Audio-Aufnahmegeräten ausgerüstet werden und Fälle von Steuerhinterziehung dokumentieren.
Dieses Modell sollte auch hierzulande Schule machen, finde ich.
Weiter so, Tsipras!

http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/griechenland-will-buerger-als-steuerfahnder-einsetzen-a-1022301.html

Anonym 7. März 2015 um 18:54  

Lieber Roberto J. de Lapuente,

es tut mir leid, dass du hier nun dastehst wie einer, der eine Linke verteidigt, die mit Rechtsextremen in einer Koalition gemeinsame Sache macht und nun auch noch ein Spitzelsystem installieren will, in dem Bürger (und sogar ausländische Touristen) Bürger anschwärzen sollen, also gegeneinander aufgehetzt werden.
Kann das alles wahr sein?

Traurige Grüße
Bernie

Anonym 11. März 2015 um 12:13  

Es wäre super hilfreich, wenn du das vielleicht in einem Artikel mal kommentieren könntest, Roberto:

Kostas Bakouris, der griechische Leiter von Transparency International:

"Das heutige Ausmaß bekam die Korruption in Griechenland erst Anfang der Achtzigerjahre, als der Sozialist Andreas Papandreou Premierminister wurde. Er brachte reihenweise Parteianhänger im öffentlichen Dienst unter, die für diese Jobs eigentlich nicht qualifiziert waren. Damals ging die Idee einer Leistungsgesellschaft den Bach runter, und wir haben unsere Werte verloren."

Aus deutscher Sicht erscheinen die griechischen Beamten als reichlich inkompetent.

Bakouris: "Das sind sie ja auch. Was wollen Sie erwarten, wenn die Leute ihre Jobs aus politischen Gründen und oftmals ohne jede Ausbildung bekommen haben?
...
Jedenfalls erkennen viele Leute, dass unser Verhalten in der Vergangenheit uns geschadet hat. Und unsere Umfragen zeigen, dass sich mittlerweile jeder fünfte Grieche weigert, Schmiergeld zu zahlen - vor wenigen Jahren war es nicht mal jeder sechste."

Was immer noch bedeutet, dass für 80 % der Griechen das Zahlen von Schmiergeldern normal ist...

http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/griechenland-korruptionsexperte-sagt-griechische-beamte-sind-inkompetent-a-1022766.html

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