Die Zeitung, die eben kein Kleinkind ist

Freitag, 6. März 2015

Warum ich die Bildzeitung nicht ignoriere.

Sebastian Baumer hat vor einigen Tagen erklärt, dass er die Bildzeitung komplett ignoriere. Er möchte die Kampagnen dieser Zeitung nicht weiterverbreiten. Und das tue man gewissermaßen auch, wenn man eine negative Haltung zu diesem Blatt einnimmt. So ehrenhaft das Motiv dahinter ist, ich halte es für falsch, dieses Medium auszublenden.

Ist es so wie Baumer schreibt? »Ist es fast ausschließlich Empörung«, mit der die Öffentlichkeit der Bildzeitung begegnet? Alleine diesen Ansatz halte ich für zweifelhaft. Ja, die Leute winken ganz oft ab, wenn es um die Bildzeitung geht. Wenn aber die Headline mal wieder auf Empörung und auf »Zeitung des kleinen Mannes« macht, ist manche Ablehnung gleich passé. Stichwort »Florida-Rolf«. Die Zeitung, die angeblich jeder ablehnt oder nur negativ wahrnimmt, hat letztlich bewirkt, dass eine ganze Gesetzgebung verändert wurde, weil das Moralin des braven Bildlesers überkochte. Vor einigen Jahren schrieb ich dazu bereits: »Der Boulevard ist ausschlaggebender als der seriöse Journalismus; Berichte über Florida-Rolfs polarisieren mehr als Statistiken zur Altersarmut - der reißerische Text zu einem Mann, der im Ausland Sozialhilfe bezieht, kann Gesetzeslagen ändern; Statistiken ändern bestenfalls ihre Erhebungsmodifikationen.«

Das kann man nicht ignorieren. Oder sagen wir so: Man kann. Wie man alles irgendwie kann. Aber es ist letztlich keine Methode, um mit dem Dilemma fertig zu werden. Ignoranz gegen die Machenschaften der Bildzeitung ist letztlich die Grundlage ihres Geschäftsmodells. Je mehr Leute so tun, als sei nichts dabei, desto mehr Freifahrtscheine gehen in Druck. Ignorieren ist Herunterspielen. Und Herunterspielen ist auf perfide Weise eine Versachlichung. Denn wenn man über die miesen Tricks einer Zeitung nicht mehr spricht, dann ist sie ja Inventar. Normalität. Über die »Süddeutsche Zeitung« spricht man ja auch wenig. Genauso über die »Frankfurter Rundschau«. Bei den genannten Zeitungen gäbe es sicher viel zu kritisieren. Aber sind sie gleichrangig mit der Bildzeitung?

Nein, man kann diese »Zeitung« nicht einfach rechts liegen lassen. So zu tun, als sei man zu fein für sie, bedeutet letztlich nur, sie langsam aber sicher zu akzeptieren. Natürlich stimmt es auch, dass jede Kampagne, über die man sich aufregt, ein Geschenk für Kai Diekmann ist. Sie aber stillschweigend wirken zu lassen - und das tut sie zweifelsohne -, das ist das Gegenteil dessen, was es sein soll. Und somit das noch größere Geschenk.

»Wenn das kleine Kind keine Aufmerksamkeit mehr bekäme«, so schließt Baumer, dann wäre bald Ruhe. Aber die Bildzeitung ist kein kleines Kind. Und deren politische und gesellschaftliche Absichten sind kein Geplärre. Sie nimmt Einfluss auf das öffentliche Geschehen wie kaum ein anderes Medium im Lande. Wegschauen und so tun, als plärrt da keiner, geht völlig an der Sache vorbei. Wir dürfen uns die Bildzeitung nicht als nach Aufmerksamkeit gierendes Kleinkind vorstellen. Sie ist eine Erwachsene, die ganz genau weiß, was sie bezwecken will und wie sie instrumentalisieren muss, um ihre Vorstellungen zu verwirklichen.

11 Kommentare:

ninjaturkey 6. März 2015 um 09:00  

»...Der Boulevard ist ausschlaggebender als der seriöse Journalismus...«

Wenn´s zum Boulevard keine Alternative gibt, ist das richtig. Wenn Spiegel, Focus, Sterm selbst nur noch Boulevard sind, wenn selbst Die Zeit, FAZ, SZ ich Geschreibsel nur noch mühselig als g´scheit´s G´schwätz tünchen, wenn die Fernsehnachrichten zum Anschreibclub von Pressesprechern wird - wenn also der seriöse Journalismus zur Marginalie verkommt - dann ist der Boulevard ausschlaggebend.

Anonym 6. März 2015 um 09:55  

Am Allerschlimmsten find ich ja, dass unsere "Politiker" seit einigen Jahren ihre Interviews zu wichtigen Themen zuerst ganz direkt in dieser Zeitung geben.

Um dann gleich entsprechend in den TV-Nachrichten zitiert zu werden: "Wie XY in der "Bild" sagte", usw....

Unglaublich unseriös, in meinen Augen!

Wie kann ich einem Politiker auch nur 1 Wort glauben, wenn der es in diesem Schmierblatt äußert?

Und wie kann ich diese Person dann noch ernst nehmen, wenn der überhaupt auf die Idee kommt, diesem Blatt ein Interviewe zu geben.

Sind dem denn seine eigenen Worte gar nichts mehr wert, wenn er sie in einem Blatt veröffentlich, das seit 30 (?) Jahren nichts als Lügen und übelsten Schund veröffentlicht?

Ich fasse es nicht! Wir leben unter Wahn-Sinnigen...

Anonym 6. März 2015 um 10:34  

Ich habe bei Baumer negativ reagiert: Doch, man muss dies Blatt beachten, aufpassen.
Aber ich reagiere auch hier negativ. Denn die beschreibene Logik scheint mir nicht richtig, hier stimmt was nicht: "Ignorieren ist Herunterspielen. Und Herunterspielen ist auf perfide Weise eine Versachlichung. ... Normalität."
Es ist offenbar nicht einfac mit diesem schrecklichen Erzeugnis.

Anonym 6. März 2015 um 11:56  

Ist ein zweischneidiges Schwert. Ignorieren heißt nicht gleich herunterspielen, denke ich.

Als Beispiel: Ich stehe jeden Tag als Pendler am Bahnhof. Ich hasse es, wenn die Menschen um mich herum trotz Rauchverbot rauchen. Es stinkt mir. Ich könnte mich jeden Tag über diese Menschen aufregen und versuchen, deren "Machenschaften", also das Rauchen, zu verhindern, indem ich ihnen sage, was ich davon halte, wenn sie mich belästigen.
Habe ich lange genug gemacht. Aber irgendwann kommt man zu dem Punkt, dass diese Menschen einfach zu viele sind, um sich über jeden einzelnen aufzuregen und jedem einzelnen zu sagen, dass es schlecht und nervtötend ist, was er da tut.
Ganz davon abgesehen würde ich dann mit Mitte 30 an einem Herzinfarkt sterben, wegen Bluthochdrucks.

Was mache ich stattdessen? Ich gehe von diesen Menschen weg, ich versuche sie zu ignorieren, da es sonst ein Kampf gegen Windmühlen wäre.
Trotzdem finde ich deren Verhalten nach wie vor schlecht und registriere es sehr wohl. Spreche auch im Bekannten- und Freundeskreis darüber, wie sehr es mich stört.

Genau das gleiche mit der BILD. Sich jeden Tag über deren Schlagzeile aufzuregen führt zu nichts, verhindern kann man diese sowieso nicht.
Man sollte das Vorhandensein eines solchen Blattes aber trotzdem nicht leugnen (und es vielleicht aufschreiben, wie das bildblog es tut), da gebe ich Ihnen recht.

Ich bin aber kein Weltverbesserer und muss spätestens dann auf mein Wohlergehen achten, wenn die Aufregung über eine Sache meine Gesundheit angreifen würde.

Toxic_Mistaker 6. März 2015 um 11:58  

Na endlich. Mit dieser, Deiner Meinung gehe ich komplett mit. Diesem Blatt muss auf jeder Baustelle, in jedem Elternhaus widersprochen werden. Ignorrieren hilft da nicht. Danke für den Text.

P.S.: Ich lese Deine Texte regelmäßig. Du bist nicht allein.

Anonym 6. März 2015 um 12:15  

ANMERKER MEINT

Genau so seh ich das auch, Roberto. Hätten wir die Blödzeitung in den letzten Jahren rechts liegen lassen, wäre ihre Auflage sicher nicht zurückgegangen. Solche Blätter muss man so ernst nehmen, wie sie es verdient haben - nämlich sehr. Sie arbeiten mit an der Verblödung der Menschen, sie schüren Hass und verstärken Ressentiments. Sie machen Politik und machen PolitikerInnen von sich abhängig. Sie verfolgen eine klare menschenverachtende Strategie in Bezug auf den "kleinen Mann", auch wenn sie so tun, als seien sie für ihn da. Es geht nur um eines: Durchsetzung der neoliberalen Strategie auf Deubel komm raus - siehe die jüngste Kampagne gegen Griechenland! Augen zu und in die Ecke stellen wie ein kleines Kind hilft also gar nichts. Zurückschlagen durch entlarven ist der bessere Weg!
MEINT ANMERKER

Roger B. N. 6. März 2015 um 12:58  

"Nein, man kann diese »Zeitung« nicht einfach rechts liegen lassen."
Wundervoll! xD

Schöner Artikel, dem ich absolut zustimme.

Dai Kiekmann 6. März 2015 um 17:59  

Sehe ich genauso.
Wenn ich wissen will, weshalb welche Politik in D weshalb wie organisierbar ist und woher viele Menschen ihre seltsamen Ansichten und Realitätsvorstellungen haben, muss ich die Kampagnen der Bild kennen.

Die Bild durch Ignoranz schwächen zu wollen, ist so wie einen angreifenden Löwen fortzaubern zu wollen, indem ich mir die Hände vor die Augen lege. Was ich nicht sehe gibt es nicht....

Anonym 6. März 2015 um 18:24  

Auch lesenswert:
http://www.bpb.de/veranstaltungen/dokumentation/129708/florida-rolf-und-bohlens-lebensbeichte-zum-agenda-setting-der-bild

schnullerbacke 7. März 2015 um 09:51  

Lafontaine war lange Zeit Kolumnist bei Bild und bekam dafür monatlich 5.000 Euro.

Bodo Ramelow gab BILD ein Interview (Eitelkeit).
http://www.bild.de/politik/inland/bodo-ramelow/bodo-ramelow-im-interview-38868360.bild.html

Auch Gisy ist sich nicht zu schade, dem Hetzblatt ein Interview zu geben.

Das gehört zur Wahrheit leider dazu Roberto.

maguscarolus 7. März 2015 um 11:09  

BILD ist eine Art mentaler Massenvernichtungswaffe – das Nervengas der Springer-Truppe.

Es kann nicht nur unvorsichtige Bundespräsidenten politisch und gesellschaftlich vernichten sondern jeden öffentlichen Menschen.

Daher auch die übergroße Vorsicht von Politikern beim Umgang mit diesem Giftblatt.

Zudem ist ja BILD zunehmend häufiger eine Testplattform für soziale Grausamkeiten aller Art. Dort kann man vorab lesen, was in neokonservativen Kreisen erstmal nur angedacht wurde.

Es ist einer der Wadenbeißer des Kapitals.

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