Der Egoismus ist zurück?
Montag, 22. Juli 2013
oder Hä? War er denn je weg?
Nicht umsonst stehen Ökonomen, die sich an reiner Theorie aufgeilen, im Verruf, sich in ein Second Life der "Fachlichkeit" zurückgezogen zu haben. Dann beglücken sie die Öffentlichkeit mit realitätsfernen und undurchdachten Elaboraten und nennen es Wissenschaft. So wie neulich der Bernau in seinem FAZ-Blog.
Es sei wohl eine "große Welle" gewesen, die da durch die Ökonomie schwappte, erzählt Bernau. Der Egoismus sei nämlich beerdigt worden, dieses Substrat des Neoliberalismus (er nennt das böse Wort nicht) hatte zeitweilig ausgedient. Dazu unterlegt er seinen Text mit zwei Links, die ins Wirtschaftsressort der Frankfurter Allgemeinen lotsen. Ein wenig Selbstreferenzialität zur Unterlegung seiner These muss schon sein. Und nun strickt sich Bernau einen Phönix aus der Asche, denn -Tatatataaa! - der Egoismus ist zurück, darf wieder Gegenstand der Volkswirtschaftslehre sein. Die "alten Freudenrufe werden relativiert", schreibt Bernau und meint damit die angeblichen Ökonomenstimmen des Abgesangs des Egoismus'.
Sagt mal, Leute, habe ich irgendwas verpasst? Wovon spricht der Mann?
Der Finanzkapitalismus war und ist in der Krise. Aber er hat doch mit Kriseneintritt nicht auch nur ansatzweise seine Prämissen überdacht. Gier und Egotrips standen nie zur Debatte. Kaum in den Kommentarspalten, nicht bei den Ökonomen und in der Realität noch viel weniger. Der Neoliberalismus hat befremdlich überlebt.
Bernau bezieht sich auf einige Spielchen, die er "wichtige Experimente" nennt. Und die belegen angeblich, "dass die Menschen einige ziemlich egoistische Fasern in ihren Körpern haben". Unter biologischen Aspekten machen wir es heute nicht mehr. Die Soziologie ist tot - es gibt nur noch Gene!
Egoismus ist für Bernau folglich eine menschliche Eigenart, ist Bestandteil der conditio humana, eine "Faser im Körper", nicht ein anerzogenes (Fehl-)Verhalten. In welchem Milieu Menschen sozialisiert wurden, welcher ideologischen Grundkonzeption diese Prägung unterworfen war, welches Wertesystem gelehrt wurde, das spielt für ihn gar keine Rolle. Nein, der Egoismus ist Biologie, ist vorinstalliert und daher zwangsläufig. Das hat er natürlich deswegen zu sein, weil man ihn dann nicht als schlechtes Benehmen abstreifen kann, sondern hinnehmen und ins Konzept einarbeiten und einweben muss. Und das nicht nur in Einzelfällen, bei der Freundin, die nur redet, aber nie zuhört oder bei dem Elternteil, das sein Umfeld terrorisiert, weil es das eigene Kind als Nabel der Welt deutet. Nein, auch im ganz großen Stil, also im Wirtschaftssystem. Das hat dann auf fast schon naturgesetzlicher Grundlage egoistische Affekte zu bedienen, Egoismus zu unterstützen und Egozentrik zu honorieren. Denn nur so lebt der Mensch in einem Klima, das seiner menschlichen Natur entspricht.
Was Bernau nicht sagt: Die Probanden der Spielchen kommen allesamt aus dem Neoliberalismus. Wie wir alle. Auch sie sind in einem Milieu gereift, in dem die gängige Ökonomie tagein, tagaus lehrte, dass jeder seines Glückes Schmied zu sein habe - und zwar ausschließlich jeder für sich selbst. Eigenverantwortung nennt sich in dieser Systematik, welchem sozialen Rang man schafft, beibehält oder eben verliert. Die Probanden haben diese angelsächsische Variante von Wirtschaftsordnung intus. Wir leben ja alle lange genug darin und ertappen uns alle immer wieder mal im Kosten-Nutzen-Schemata denken, in Preis-Leistung bewerten - und das nicht nur dort, wo es sinnvoll ist, sondern auch in privaten Lebensbereichen. Uns hat man über Jahrzehnte beigebracht, dass Verlierer notwendig seien, damit es Sieger geben kann. Und die sind dann nicht mal Zwangsopfer, sondern selbst schuld. Vielleicht fehlt ihnen ja etwas Egoismus in den Fasern! Wirtschaft wird uns seit Jahren als Krieg verkauft, nicht als Organisation und Verteilung. Studien mit Probanden neoliberaler Konditionierung als Beweise für den Egoismus aufzuführen, das gleicht in etwa einer etwaigen Studie, die beweisen möchte, dass es eine genetisch bedingte menschliche Abneigung gegen Rindfleisch gibt und zu der man nur Hindus als Testpersonen zugelassen hat.
Das alles mögen wissenschaftlich betrachtet spannende Geschichten sein. Mit Ökonomie haben sie nichts zu tun. Der Mensch benötigt kein Wirtschaftssystem nach seiner egoistischen Natur, weil er a) nicht von Natur aus egoistisch ist, sondern von Natur aus Wahlmöglichkeiten hat - und weil b) die Organisation von Produktions- und Arbeitsabläufen, die Verteilung von Gütern und die damit verknüpfte sozio-kulturelle Teilhabe sich keiner Grundlagen bemächtigen sollte, die das Gegenteil von all dem bewirkt. Zu glauben, man könne mehr soziale Gerechtigkeit über einen Markt intelligent gesetzter Egoismusanreize schaffen, der darf auch keinen Widerspruch in kriegerischen Parolen erkennen, die den Frieden als Schlagwort führen.
Egoismus ist eine menschliche Option und Charaktereigenschaft, keine geeignete Grundlage für ein Gemeinwesen. Die Ideologie mit dem biologisch begründeten Egoismus ist die Legitimierung eines räuberischen Konzepts, das nicht räuberisch sein will, sondern sich einfach nur als "menschlich bedingt" entschuldigen möchte - das ist ein Weltbild, in dem der Mensch nicht mehr als intelligenzbegabtes Wesen vorkommt, sondern als eine allerlei Unarten in ihren Fasern tragende organische Bestie. Die Tugend, den eigenen Egozentrismus zu bändigen, gerät damit vom Status einer Kulturleistung zu einem überkommenen Impuls, zu einer Entfremdung von der eigentlichen Menschlichkeit.
Es sei wohl eine "große Welle" gewesen, die da durch die Ökonomie schwappte, erzählt Bernau. Der Egoismus sei nämlich beerdigt worden, dieses Substrat des Neoliberalismus (er nennt das böse Wort nicht) hatte zeitweilig ausgedient. Dazu unterlegt er seinen Text mit zwei Links, die ins Wirtschaftsressort der Frankfurter Allgemeinen lotsen. Ein wenig Selbstreferenzialität zur Unterlegung seiner These muss schon sein. Und nun strickt sich Bernau einen Phönix aus der Asche, denn -Tatatataaa! - der Egoismus ist zurück, darf wieder Gegenstand der Volkswirtschaftslehre sein. Die "alten Freudenrufe werden relativiert", schreibt Bernau und meint damit die angeblichen Ökonomenstimmen des Abgesangs des Egoismus'.
Sagt mal, Leute, habe ich irgendwas verpasst? Wovon spricht der Mann?
Der Finanzkapitalismus war und ist in der Krise. Aber er hat doch mit Kriseneintritt nicht auch nur ansatzweise seine Prämissen überdacht. Gier und Egotrips standen nie zur Debatte. Kaum in den Kommentarspalten, nicht bei den Ökonomen und in der Realität noch viel weniger. Der Neoliberalismus hat befremdlich überlebt.
Bernau bezieht sich auf einige Spielchen, die er "wichtige Experimente" nennt. Und die belegen angeblich, "dass die Menschen einige ziemlich egoistische Fasern in ihren Körpern haben". Unter biologischen Aspekten machen wir es heute nicht mehr. Die Soziologie ist tot - es gibt nur noch Gene!
Egoismus ist für Bernau folglich eine menschliche Eigenart, ist Bestandteil der conditio humana, eine "Faser im Körper", nicht ein anerzogenes (Fehl-)Verhalten. In welchem Milieu Menschen sozialisiert wurden, welcher ideologischen Grundkonzeption diese Prägung unterworfen war, welches Wertesystem gelehrt wurde, das spielt für ihn gar keine Rolle. Nein, der Egoismus ist Biologie, ist vorinstalliert und daher zwangsläufig. Das hat er natürlich deswegen zu sein, weil man ihn dann nicht als schlechtes Benehmen abstreifen kann, sondern hinnehmen und ins Konzept einarbeiten und einweben muss. Und das nicht nur in Einzelfällen, bei der Freundin, die nur redet, aber nie zuhört oder bei dem Elternteil, das sein Umfeld terrorisiert, weil es das eigene Kind als Nabel der Welt deutet. Nein, auch im ganz großen Stil, also im Wirtschaftssystem. Das hat dann auf fast schon naturgesetzlicher Grundlage egoistische Affekte zu bedienen, Egoismus zu unterstützen und Egozentrik zu honorieren. Denn nur so lebt der Mensch in einem Klima, das seiner menschlichen Natur entspricht.
Was Bernau nicht sagt: Die Probanden der Spielchen kommen allesamt aus dem Neoliberalismus. Wie wir alle. Auch sie sind in einem Milieu gereift, in dem die gängige Ökonomie tagein, tagaus lehrte, dass jeder seines Glückes Schmied zu sein habe - und zwar ausschließlich jeder für sich selbst. Eigenverantwortung nennt sich in dieser Systematik, welchem sozialen Rang man schafft, beibehält oder eben verliert. Die Probanden haben diese angelsächsische Variante von Wirtschaftsordnung intus. Wir leben ja alle lange genug darin und ertappen uns alle immer wieder mal im Kosten-Nutzen-Schemata denken, in Preis-Leistung bewerten - und das nicht nur dort, wo es sinnvoll ist, sondern auch in privaten Lebensbereichen. Uns hat man über Jahrzehnte beigebracht, dass Verlierer notwendig seien, damit es Sieger geben kann. Und die sind dann nicht mal Zwangsopfer, sondern selbst schuld. Vielleicht fehlt ihnen ja etwas Egoismus in den Fasern! Wirtschaft wird uns seit Jahren als Krieg verkauft, nicht als Organisation und Verteilung. Studien mit Probanden neoliberaler Konditionierung als Beweise für den Egoismus aufzuführen, das gleicht in etwa einer etwaigen Studie, die beweisen möchte, dass es eine genetisch bedingte menschliche Abneigung gegen Rindfleisch gibt und zu der man nur Hindus als Testpersonen zugelassen hat.
Das alles mögen wissenschaftlich betrachtet spannende Geschichten sein. Mit Ökonomie haben sie nichts zu tun. Der Mensch benötigt kein Wirtschaftssystem nach seiner egoistischen Natur, weil er a) nicht von Natur aus egoistisch ist, sondern von Natur aus Wahlmöglichkeiten hat - und weil b) die Organisation von Produktions- und Arbeitsabläufen, die Verteilung von Gütern und die damit verknüpfte sozio-kulturelle Teilhabe sich keiner Grundlagen bemächtigen sollte, die das Gegenteil von all dem bewirkt. Zu glauben, man könne mehr soziale Gerechtigkeit über einen Markt intelligent gesetzter Egoismusanreize schaffen, der darf auch keinen Widerspruch in kriegerischen Parolen erkennen, die den Frieden als Schlagwort führen.
Egoismus ist eine menschliche Option und Charaktereigenschaft, keine geeignete Grundlage für ein Gemeinwesen. Die Ideologie mit dem biologisch begründeten Egoismus ist die Legitimierung eines räuberischen Konzepts, das nicht räuberisch sein will, sondern sich einfach nur als "menschlich bedingt" entschuldigen möchte - das ist ein Weltbild, in dem der Mensch nicht mehr als intelligenzbegabtes Wesen vorkommt, sondern als eine allerlei Unarten in ihren Fasern tragende organische Bestie. Die Tugend, den eigenen Egozentrismus zu bändigen, gerät damit vom Status einer Kulturleistung zu einem überkommenen Impuls, zu einer Entfremdung von der eigentlichen Menschlichkeit.
9 Kommentare:
Der Mensch ist in erster linie ein sozial handelndes wesen, das haben auch studien bewiesen.(z.B. auch hier: http://de.sott.net/article/5721-Studie-Menschen-verhalten-sich-auch-ohne-Regeln-sozial). wäre es wirklich so, wie uns diese neoliberalen apologeten weismachen wollen, wäre diese welt längst schon untergegangen.
mich widern diese prdiger des biologistisch begründeten unterm-strich-zähl-ich-glaubens nur noch an. es muss uns klar werden und um es mal ganz platt zu sagen: heutzutage haben dumme, egoistische und böse menschen das sagen (nur ein kleienr teil von denen ist demokratisch gewählt)...aber der mensch als solcher ist nicht so.
So schön der Text geschrieben ist, bezweifle ich doch, dass er irgend eine Wirkung zeigen wird.
Warum werden grobschlächtige, vielleicht einfach denkenden Menschen (Egoisten) mit feinsinnigen Texten angegriffen?
Warum ist es nicht möglich diese Menschen genauso plump und auf den Punkt anzugreifen wie sie es mit "uns" tun?
Wenn ich beispielsweise Augstein & Blome auf Phoenix sehe, adnn fällt mir immer auf, wie scharf und oft plump-beleidgend die Angriffe von Blome sind. Dagegen sind die "Angriffe" Augsteins kaum wahrnahmbar.
Sind wir zu "zahm"? Hoffen wir auf Einsicht? Wo soll diese Einsicht herkommen? Die neoliberalen "Hardleiner" werden nie einsichtig werden, einfach wiel sie zu blöd sind (sorry).
Nach dem lesen dieses Textes, wusste ich nicht wirklich was mir der Author sagen will. Das der Finanzkapitalismus in der Krise ist, ist ein Märchen. Wenn eine Bank pleite geht, der Staat aber diese Pleie nicht zulässt und mit Steuerngeldern rettet, dann ist das keine Kapitalismuskrise sondern ein Intervention der Politik zugunsten von Bankrotteuren. Der Kapitalismus hätte diese Hasadeure schon längst weggefegt. Wir sind Zeugen eines widerlichen Bankensozialismus.
Und das Menschen Egoisten sind ist wohl nichts Neues. Das gilt im übrigen nicht nur für Kapitalisten, das gilt ganz im besonderen Masse auch für Politiker, was von Kommunisten/Sozialisten erst garnicht in Erwägung gezogen wird, die den Kapitalisten gerne durch einen Staatskommisar ersetzt sehen wollen.
Diese Unsinn hier hätte auch 1985 im "Neues Deutschland" stehen können.
Danke für diesen Beitrag! Kann Ihnen komplett zustimmen.
Wie Sie anmerkten wird die Spieltheorie von den experiementellen Ökonomen ständig nur mit vom westlichen Kapitalismus geprägten Probanden durchgeführt. Ein absolutes Unding! Soziologen und Ethnologen, die die gleichen Spiele mit Probanden aus anderen Kulturen durchgeführt haben, kamen nämlich zu ganz anderen Ergebnissen. Aber solche Studien liest natürlich kein Ökonom.
Betreibt Bernau hier eine Art "Tetzelschen Ablasshandel" mit sich selbst; der Mensch eine wölfische Natur, in seiner naturgegebenen Art und in seinem Durchsetzungswillen per se schuldlos?
Egoismus ist schon eine natürliche Eigenschaft , die sich vor allem im Wohlstand und nicht etwa , wie immer angenommen , in der Knappheit ihre Bahn bricht.
Aber es ist natürlich ideologischer Unfug , den Menschen auf seinen teilweisen Egoismus zu reduzieren - wer allerdings glaubt , der Mensch sei altruistisch , wird genauso scheitern.
zu "Anonym" , Kommentar 2:
Interessanter Punkt , ich habe auch den Eindruck , daß es weniger grobschlächtigen Menschen helfen könnte , ab und an mal in die assoziale Kiste zu greifen...
Nun ist es doch die natürlichste Sache der Welt, an sich selbst zu denken - dafür muss man sich nicht rechtfertigen. Ein egoistischer, (ein "schlechter")Mensch ist man ja erst dann, würde man ausschließlich an sich selbst denken oder bei der Verfolgung seiner eigenen Interessen Andere unangemessen beeinträchtigen.
Die eigenen Wünsche sind nicht weniger wert als die anderer Leute
Wer ihn noch nicht kennt, dem möchte ich die Schriften von Charles Eisenstein empfehlen.
Insbesondere (das online verfügbare) "the ascent of humanity": http://www.ascentofhumanity.com/chapter7-1.php
Yes, you can locate yourself as far as possible from the war zones, trash incinerators, toxic waste dumps, smog zones, bad neighborhoods, and other perils of an increasingly toxic world, but sooner or later the converging crises of our era will obliterate all defenses. No matter how diversified your investments, no matter how many guns in your walled compound or cans of food in your basement, the tide of calamity will eventually engulf you. Gates, locks, razor wire and guns can ensure security only temporarily, and a fraudulent, anxious security it is. Eventually we will abandon our bunker mentality and understand that the only security comes through giving, opening, and being at the center of a flux of relationships, not taking more and more for self; security comes not from independence but from interdependence. The survivors will not be those who try to insulate themselves in a fortress, but who are able to give, to help, and to contribute to a community. They will form the basis of a new kind of civilization.
Dies ist an alle gerichtet, auch uns Linke, die glauben, sie könnten diese Krise der Menschlichkeit dadurch überwinden, dass sie selbst die Logik des Egoismus anwenden und sich auf iher "Insel" oder in ihren "Bunker" vor der Welt zurückziehen.
Denn auch wir sind oft noch weit davon entfernt uns selbstlos in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen.
Der Zwang der Gesellschat zum Egoismus und der Vermarktwirtschaftilchung des Menschen hat sich in unsere Köpfe gefressen, weit mehr als wir selbst zugeben wolln.
Ich gebe Ihnen 100 Prozent recht!
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