Papiernes Nichts und binärer Code

Mittwoch, 12. Juni 2013

Quelle: Westend Verlag
In Gefechtsstellung mit einer generalstabsmäßig nicht-exakten Wissenschaft.

Wolfgang Hetzer definiert in seinem Buch Finanzkrieg, das eigentlich als eine Sammlung mehrerer Essays angesehen werden sollte, die Ökonomie als eine nicht exakte Wissenschaft und stellt sich dem ökonomisierten Zeitgeist entgegen. Er analysiert apriorisches Wissen über so Selbstverständlichkeiten wie Geld und regt damit ungemein zum Nachdenken an. Nicht, dass er sich für ein Ende allen Geldes ausspricht - als Äquivalent wurde bis dato nichts besseres erfunden. Aber ob das Finanzielle wirklich einen solchen Verehrungs- und Ausschließlichkeitsstatus erhalten sollte, wie es in dieser Gesellschaft der Fall ist, darüber sinniert Hetzer durchaus.

Die exakte Vermessung wirtschaftlicher Betätigung von Menschen und der Wirkungsweisen des Geldverkehrs, hat sich einen wissenschaftlichen Überbau entworfen, der aber regelmäßig an der Wirklichkeit scheitert, glaubt Hetzer. Das Primat dieser Form der Vermesserung der Welt, nennt er den Finanzkrieg, der nebenher natürlich auch in die Sprache Einzug findet mit allerlei Militaria.

Doch was ist diese Weltsicht schon wert? Hetzer stellt die Vertrauensfrage und erklärt so, dass die einzige Grundlage des Geldes eben das Vertrauen aller ist. Das sei gewissermaßen die Natur des Geldes, der wir mehr oder minder unterworfen seien. Zwar sei das heutige Geld, das nicht mehr "vom Metallwert des Goldes akkreditiert" ist, nicht mehr als "papiernes Nichts und binärer Code" (Dieter Schnaas), aber alle vertrauen wir auf dieses "hexerische Versprechen der Selbstvermehrung". Das sei der "esoterische Kern unserer Wachstumsdoktrin" und "die Triebkraft unserer Finanzmarktgläubigkeit". Zwischen Psychiatrie und gängiger Ökonomie, wie man sie heute lehrt, scheint es nur wenig Unterschiede zu geben - der Finanzmarkt ist eine Tummelwiese esoterisch gläubiger Jünger, die an die ewigliche Potenzierungskraft des Geldes aus sich selbst zu glauben.

Hetzers Finanzkrieg bringt nicht die Klarheit des verwissenschaftlichen Überbaus zur Sprache. Wie sollte er das auch können? Die Prozesse der Wirtschaft lassen sich nur sehr vage in langen Zahlen ausdrücken - die der Vergangenheit leichter als die in der Zukunft. Aber genau das ist das Problem der Ökonomie, sie will gleich noch Kaffeesatzleserei sein, nennt das aber Wirtschaftspsychologie und fischt damit meist nur im Trüben. Rückgriffe auf andere sehr unpräzise Lehren wie die Demographie verschlimmern die Misere noch. Es ist letztlich wie im Krieg, meint Hetzer. Wahrheiten gibt es dort auch nicht - daher nennt er die Finanzmarktlastigkeit unserer Gesellschaft und Öffentlichkeit, in der nichts mehr Vorrang hat - außer vielleicht irgendwelche Indizes - folgerichtig einen Finanzkrieg.

So bietet Hetzer keinen Überblick, aber einige essayistische Denkanstöße. Ein weiteres "wissenschaftliches" Buch zur Krisenanalyse hätte die Welt auch nicht benötigt. Deswegen ist es auch verzeihlich, dass Hetzer manchmal die Krise des Kapitalismus eine Staatsschuldenkrise nennt. Damit irrt er, weil nicht die Staatsschulden die Krise verursachten. Aber wer die Welt ausdeutet, kann auch manchmal verkehrt liegen.

"Finanzkrieg. Angriff auf den sozialen Frieden in Europa" von Wolfgang Hetzer erschien im Westend Verlag.


2 Kommentare:

flavo 12. Juni 2013 um 10:11  

Es ist ja nach wie vor gewinnbringend, Karl Marx zu lesen. Natürlich nicht, um darin Gesetze und Automatismen der sozialen Welt zu ersehen, aber vielmehr dies: wie all die Komponenten des Kapitalismus in ihm noch in der philosophischen Haltung des Staunens analysiert werden, wie sich Geld, Warenform, Kapital, Akkumulation, Entfremdung und all unsere welterzeugenden Knotenpunkte in eine vormals andere Welt einzuschreiben begannen. Dies kann ein Schritt sein, die Weltenerzeugung zu lockern, Spalten hineinzuschlagen und andere Rinnsale des Sinnes zu ersehen. Hingegen war ja Marx ein Opfer geworden: ein Opfer der Verfestigung und des Herauslesens stählernen Automatiken der Geschichte, welche jedesmal als Legitimation für neue Hierarchien dienten. Die heutige Ökonomie tut ja nichts anderes und ist darin den marxistischen Folgeinterpreten folgend. Die soziale Welt, überhaupt die Menschenwelt hat keine stählerne Automatiken, die man ablesen könnte und nach denen man sich dann verhalten sollte. Dies ist wohl der humanistische Fehlschluss. Diese Einsicht ist in der akademischen Ökonomie noch nicht wahrgenommen worden. Man hat sich über Macht und Netzwerke den den Naturwissenschaften vorbehaltenen Nobelpreis erschlichen und tut so, als wäre man in den Humanwissenschaften die einzig verlässlich harte Wissenschaft, während alle anderen im Seichten und der Beliebigkeit ziellos Heruminterpretieren und eine mehr literarische Gattung schaffen. In Wahrheit verhält es sich umgekehrt. Je härter die Ökonomie zu sein meint, desto abgekapselter muss sie werden, desto weniger der Gegenstände der Welt erfasst sie noch. Sie wird selbst eine besonderes literarisches Genre. Sie muss daher vermutlich früher oder später ein Paradigma werden, dass abstirbt und sich auf einen kleinen Bereich zurückzieht. Nicht umsonst bildet sie den kognitiven Nährboden all der Blasen, die uns zuletzt geplatzt sind. Sie ist selbst eine solche. Und sie wird platzen. Ihr Text wird sinnverschoben erscheinen und all die Fäden zum Welten werden gerissen sein. Sie wird eingesogen in eine andere Welt. Wer heute Ökonomie lernt kann sich mit einem Bibelstudenten aus dem Spätmittelalter vergeichen.
Die Zeit scheint wahrlich reif dafür. Das Wissen der Ökonomie wird immer mehr zu einer Sequenz von Worten, die nur mehr sporadisch an der sozialen Welt als plausible Versprachlichung derselben erscheinen kann. Mancherorts wirken sie schon wie Fehl am Platze. Die Erscheinungen wollen eine andere Sprache. Es erscheint zu viel und anderes! Sie sprengen das kleine Vokabular der Ökonomen von innen heraus. Und diese reagieren mit Verhärtung, der einzig passenden Reaktion. Sie schlafen noch und wollen nicht aufwachen aus dem warmen Traum.

Hartmut B. 12. Juni 2013 um 12:17  

Stimmt grds. kann der Staat keine Schulden machen - es ist ein ständiger Umlauf. Es ist auch vollkommen korrekt, nicht von einer Staatsschuldenkrise zu sprechen.
M.M nach wäre es korrekt von einer Finanzschuldenkrise zu sprechen.
Das weltweite Finanzsystem wird ein Land nach dem anderen in den finanziellen Ruin führen - das halte ich für unumkehrbar. Die Herrschenden (Politiker)stehen auf der Seite des Kapitals..... und das seit ewigen Zeiten.....

Das Buch von Wolfgang Hetzer liegt seit März auf meinem Schreibtisch...bestimmt habe ich ca. 10 Anlaufversuche gestartet, darin zu lesen.... nach spätestens 2-3 Seiten hab ichs aufgegeben.....

mit seiner Denkweise kann ich mich nicht anfreunden. - Zumal ich den Untertitel"Angriff auf den sozialen Frieden in Europa" zwar zutreffend und auch im Kontext noch verständlich finde, doch fehlen Lösungsvorschläge, die aus diesen Krisen herausführen könnten.

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