Frontabschnitte voller Einzelfragen
Mittwoch, 19. Juni 2013
"Gesundheit ist ein sozialer Begriff, genau wie das organische Dasein der Menschen, als Menschen, insgesamt."
- Ernst Bloch -
Das Manifest einiger Prominenter, von dem man kürzlich las, leidet wie so viele gutgemeinte Aufrufe an einem Denkfehler. Oder sagen wir besser: Es leidet an einem Kategorienfehler. Denn die Vereinzelung der darin erwähnten Sachthemen ist nicht angemessen.
Man kann nicht Punkt für Punkt aufzählen, sagen, Das muss noch gemacht werden und dies und, ach ja, bevor wir es vergessen, das hier auch noch beachten! Die soziale und die ökologische Frage stehen nicht nebeneinander, voneinander isoliert, sie sind verschwistert, sind die abfallenden Früchte nur eines Baumes, nicht zwei an verschiedenen Bäumen gewachsene.
"Es gibt eine lange Tradition von Linken, auch wenn sie nicht die Mehrheitslinie bildeten und bilden, die begriffen haben, dass die soziale nicht von der ökologischen Frage zu trennen ist, weil die Wurzel der Ausbeutung des Menschen und der Natur dieselbe ist: die kapitalistische Produktionsweise mit ihrer Profitlogik und ihrem Verwertungszwang", hat Jutta Ditfurth in ihren Buch Entspannt in die Barbarei geschrieben.
Das griff der Ökosozialismus, den sie in den Anfangsjahren der Grünen vertrat und von dem sich diese Partei dann entfernte, als Ansatz auf. Diese grüne Realo-Haltung, Ökologie einerseits weichzuspülen, sie zum Umweltschutz mit anerzogenen Mülltrennungsaffekten zu degradieren - und andererseits das Soziale davon zu scheiden, um es hernach ganz fallen zu lassen, geben Auskunft über diese tief in der Gesellschaft verankerten Anschauung, wonach Ökologie und Soziales etwas seien, was separat voneinander anzusehen und herzustellen ist. Diese Denke ist so tief in die gesamte Gesellschaft verkeilt, dass selbst Linke "hinter diesen Erkenntnisstand zurückgefallen sind", wie Ditfurth das im oben genannten Buch formulierte. Sie beklagt sich zudem, dass "linker Druck auf die Ökologiebewegung ... fast völlig [fehle]".
Das Soziale vom Ökologischen zu trennen, verlegt Lösungsansätze ins Nirvana, wirft beide Aspekte derselben Frage ins Fatalistische. Gegen das kann man sich zwar auflehnen, so wie es die Leute des Manifestes zu tun meinen, wird dabei allerdings künstlich ins Scheitern gelotst. Die historische Revolte wurde so durch eine metaphysische Revolte ersetzt, um es mit Camus zu sagen. Also folglich durch eine Auflehnung gegen das Unabwendbare, gegen das Unüberaschaubare. Die Trennung von Ökologie und Sozialem ist als Verewigung brennender Sorgen einzustufen, als das divide et impera der Interessen, um den Kampf gegen den Kapitalismus zu schwächen, zu einem aussichtslosen Begehren werden zu lassen.
Wie ist die individuelle ökologische Verantwortung bei Menschen machbar, die kaum Geld haben, um sich für ökologischere Varianten zu entscheiden? Strategische Konsumentscheidungen können Bürger des gehobenen Mittelstandes praktizieren, keine Geringverdiener oder Erwerbslose. Gäbe es die strukturelle Armut in der Dritten Welt nicht, wäre die dortige Bevölkerung nicht für einen ökologisch verheerenden Raubbau an den örtlichen Ressourcen zu gewinnen. Schon hier zeigt sich, dass beide Fragen nicht voneinander zu scheiden sind. Wer sich eine ökologisch ausgeprägtere Welt wünscht, muss sich zwangsläufig Gedanken zur sozialeren Gestaltung der Menschheit machen.
Nochmal Jutta Ditfurth: "Wer die ökologische Frage lösen will, ohne die Lage der Menschen zu berücksichtigen, wird sich auf Seiten einer Diktatur wiederfinden. Wer auf der anderen Seite die soziale Frage "lösen" will, ohne die ökologische zu berücksichtigen, hat auch nichts begriffen. Was nützen Arbeitsplätze, an denen Menschen Krebs bekommen? Was nützt eine bezahlbare Wohnung, wenn Baustoffe die Atemwege lähmen? Was nützt eine Hütte, wenn das Meer sie mitnimmt?"
Die Differenzierung zwischen sozialer und ökologischer Frage erschwert es, die Gesamtheit der (kapitalistischen) Welt zu erfassen. Neil Postman nannte das eine Kultur des Und jetzt! Fortlaufend kategorisiert der moderne, von den Massenmedien sozialisierte Mensch. "Und jetzt Nachrichten! Und jetzt Werbung! Und jetzt das Wetter! Und jetzt der Sport! Und jetzt Komödie! Alles nacheinander, alles durcheinander. Wenig aber in- und miteinander, weil dieser ganze Sud aus Reizen penibel unterteilt wird [...] Keine Chance zur Orientierung, keine Möglichkeit, optische und akustische Reize zu erfassen, zu begreifen. Wer fortlaufend damit zu hat, die Gebirge von Eindrücken zu sortieren, dem fehlt der Überblick, dem geht die Gabe verloren, verschiedene Sujets zueinander in Relation zu stellen", schrieb ich in Auf die faule Haut. So ähnlich ist das ebenfalls im Falle der Zerlegung des Ökologischen vom Sozialen.
Das in einzelne Frontabschnitte zerpflügte Kampffeld ist überschaubar, bleibt beherrschbar. Die Auflösung der Kapitalismuskritik in einzelne Fragen ist die Unterwanderung derselben.
Das Manifest einiger Prominenter, von dem man kürzlich las, leidet wie so viele gutgemeinte Aufrufe an einem Denkfehler. Oder sagen wir besser: Es leidet an einem Kategorienfehler. Denn die Vereinzelung der darin erwähnten Sachthemen ist nicht angemessen.
Man kann nicht Punkt für Punkt aufzählen, sagen, Das muss noch gemacht werden und dies und, ach ja, bevor wir es vergessen, das hier auch noch beachten! Die soziale und die ökologische Frage stehen nicht nebeneinander, voneinander isoliert, sie sind verschwistert, sind die abfallenden Früchte nur eines Baumes, nicht zwei an verschiedenen Bäumen gewachsene.
"Es gibt eine lange Tradition von Linken, auch wenn sie nicht die Mehrheitslinie bildeten und bilden, die begriffen haben, dass die soziale nicht von der ökologischen Frage zu trennen ist, weil die Wurzel der Ausbeutung des Menschen und der Natur dieselbe ist: die kapitalistische Produktionsweise mit ihrer Profitlogik und ihrem Verwertungszwang", hat Jutta Ditfurth in ihren Buch Entspannt in die Barbarei geschrieben.
Das griff der Ökosozialismus, den sie in den Anfangsjahren der Grünen vertrat und von dem sich diese Partei dann entfernte, als Ansatz auf. Diese grüne Realo-Haltung, Ökologie einerseits weichzuspülen, sie zum Umweltschutz mit anerzogenen Mülltrennungsaffekten zu degradieren - und andererseits das Soziale davon zu scheiden, um es hernach ganz fallen zu lassen, geben Auskunft über diese tief in der Gesellschaft verankerten Anschauung, wonach Ökologie und Soziales etwas seien, was separat voneinander anzusehen und herzustellen ist. Diese Denke ist so tief in die gesamte Gesellschaft verkeilt, dass selbst Linke "hinter diesen Erkenntnisstand zurückgefallen sind", wie Ditfurth das im oben genannten Buch formulierte. Sie beklagt sich zudem, dass "linker Druck auf die Ökologiebewegung ... fast völlig [fehle]".
Das Soziale vom Ökologischen zu trennen, verlegt Lösungsansätze ins Nirvana, wirft beide Aspekte derselben Frage ins Fatalistische. Gegen das kann man sich zwar auflehnen, so wie es die Leute des Manifestes zu tun meinen, wird dabei allerdings künstlich ins Scheitern gelotst. Die historische Revolte wurde so durch eine metaphysische Revolte ersetzt, um es mit Camus zu sagen. Also folglich durch eine Auflehnung gegen das Unabwendbare, gegen das Unüberaschaubare. Die Trennung von Ökologie und Sozialem ist als Verewigung brennender Sorgen einzustufen, als das divide et impera der Interessen, um den Kampf gegen den Kapitalismus zu schwächen, zu einem aussichtslosen Begehren werden zu lassen.
Wie ist die individuelle ökologische Verantwortung bei Menschen machbar, die kaum Geld haben, um sich für ökologischere Varianten zu entscheiden? Strategische Konsumentscheidungen können Bürger des gehobenen Mittelstandes praktizieren, keine Geringverdiener oder Erwerbslose. Gäbe es die strukturelle Armut in der Dritten Welt nicht, wäre die dortige Bevölkerung nicht für einen ökologisch verheerenden Raubbau an den örtlichen Ressourcen zu gewinnen. Schon hier zeigt sich, dass beide Fragen nicht voneinander zu scheiden sind. Wer sich eine ökologisch ausgeprägtere Welt wünscht, muss sich zwangsläufig Gedanken zur sozialeren Gestaltung der Menschheit machen.
Nochmal Jutta Ditfurth: "Wer die ökologische Frage lösen will, ohne die Lage der Menschen zu berücksichtigen, wird sich auf Seiten einer Diktatur wiederfinden. Wer auf der anderen Seite die soziale Frage "lösen" will, ohne die ökologische zu berücksichtigen, hat auch nichts begriffen. Was nützen Arbeitsplätze, an denen Menschen Krebs bekommen? Was nützt eine bezahlbare Wohnung, wenn Baustoffe die Atemwege lähmen? Was nützt eine Hütte, wenn das Meer sie mitnimmt?"
Die Differenzierung zwischen sozialer und ökologischer Frage erschwert es, die Gesamtheit der (kapitalistischen) Welt zu erfassen. Neil Postman nannte das eine Kultur des Und jetzt! Fortlaufend kategorisiert der moderne, von den Massenmedien sozialisierte Mensch. "Und jetzt Nachrichten! Und jetzt Werbung! Und jetzt das Wetter! Und jetzt der Sport! Und jetzt Komödie! Alles nacheinander, alles durcheinander. Wenig aber in- und miteinander, weil dieser ganze Sud aus Reizen penibel unterteilt wird [...] Keine Chance zur Orientierung, keine Möglichkeit, optische und akustische Reize zu erfassen, zu begreifen. Wer fortlaufend damit zu hat, die Gebirge von Eindrücken zu sortieren, dem fehlt der Überblick, dem geht die Gabe verloren, verschiedene Sujets zueinander in Relation zu stellen", schrieb ich in Auf die faule Haut. So ähnlich ist das ebenfalls im Falle der Zerlegung des Ökologischen vom Sozialen.
Das in einzelne Frontabschnitte zerpflügte Kampffeld ist überschaubar, bleibt beherrschbar. Die Auflösung der Kapitalismuskritik in einzelne Fragen ist die Unterwanderung derselben.
5 Kommentare:
Die ständige Forderung nach dem perfekten Konzept eines besseren Systems ist doch nur eine Provokation, um das Bestehende in seinen Eckpfeilern zu legitimieren, weil man sich selber dort so wohlig eingerichtete hat und die Phantasie für eine antikapitalistische Utopie fehlt. Adorno hat bereits gesagt, dass die ständige Forderung nach Formulierung des Positiven ein Lebkuchenwort sei, das den Verstand blockiere.
Aber: Es gibt viele Krankheiten (Soziales, Ökologie, Sexismus), aber nur eine Gesundheit. Und die ist niemals absolut.
Es wird z. B. niemals, auch nicht in der Theorie den vollkommen gesunden Menschen geben. Dies würde nämlich bedeuten, dass das Leben ohne Bauchschmerzen, ohne das Immunsystem stabilisierende Kinderkrankheiten, ohne Grippe, Beinbruch oder Zahnschmerzen verläuft. Das Postulat eines bessern, vollkommenen, humanitären Systems wäre analog vergleichbar mit einem Leben ohne Karies, Hämatome, Verletzungen durch Naturereignisse, Altersweitsichtigkeit, Hundebisse, Meniskusdegeneration, genetisch präpositionierte Krankheiten und psychische Erkrankungen (Stichwort: Soziales Wohlbefinden). Insoweit habe ich mich an derartigen, für mich rein akademischen Systemdiskussionen auf anderen Plattformen bisher auch nicht beteiligt.
ANMERKER MEINT:
Dennoch, lieber altautonomer, die Systemfrage muss gestellt werden - in Praxis und in Theorie. Wie sonst sollen Veränderungen in den Horizont der Menschen gebracht werden?! Dass es dazu allerdings notwendig ist, vernetzt oder altertümlich gesagt, ganzheitlich zu denken, zeigen ja immer wieder Robertos spannende Artikel. Wie heißt es doch so schön "Global denken, lokal handeln" oder umgekehrt. Das ist doch zumindest e i n Weg, dem System ab und zu Paroli zu bieten, bevor es zum eh vorhersehbaren (na ja ein paar Jahrzehnte wird´s wohl noch brauchen) Kladderadatsch kommt.
D a n n sollte man eigentlich schon wissen, wohin der Weg führen soll, zumindest mehr als ungefähr.
MEINT ANMERKER
Dazu ein Lesetipp:
"Hitler als Vorläufer. Auschwitz - der Beginn des 21. Jahrhunderts? von Carl Amery"
Der Vegetarier Hitler hätte sich womöglich durchaus für die heutigen Grünen begeistern können...?
@Altautonomer
Dein - zweifellos engagierter - Kommentar will nicht so recht zu diesem Artikel passen. Kann es sein, dass du den selben Kommentar schon einmal woanders, bei einem anderen Thema gepostet hast?
Zweifellos verhält es sich so. Der Ökosozialismus war einmal eine in vielerlei Hinsicht anspruchsvolle Richtung, wurde jedoch ohne großes Aufsehen zugestaubt. Man denke gar an die Koppelung mit dem Feminismus: Ökofeminismus. Auch diesen ereilte dasselbe Schicksal: sanft mit Staub bedeckt. Und derweilen wurden einige Perpspektivenbedingungen verändert. Das große incipit war der groteske Niedergang aller realexistierender Sozialismen. Und, das ist ja das überbordend Groteske: völlig zurecht auch noch. Die vormaligen avantgardistischen Erkenner der großen System- und Geschichtsautomatiken wurden entweder Einsiedler, schlichen sich mit einem beschaulichen Titel an einen Nebenschauplatz der Gesellschaft oder wurden zu Propheten der nun neu erkannten Welt: große Automatiken gibt es nicht, es gibt nur mehr zerwürfelte Detailfragen. Für das große ist nun die Marktautomatik zuständig. Wie ein Fleischwolf. Was zu groß ist, kommt da rein.
Wohlbereitet waren konservative Pfade in den meisten Denkpfaden: die historisch-materialistische Forschungsmethode und ebenso die dialektische, anstatt geupdatet, rekalibriert, vom dogmatischen Balast gereinigt zu werden, wurde getilt, gelöscht, herausgezogen wie ein fauler Zahn aus dem Fleisch des Wissens. Man begann zu wissen, dass alles seinen Bereich hat: hier wie dort und dort wie hier. Schaumartig vervielfältigte sich mit den Computern das Wissen sowieso und jeder Bereich war bald größer als einige Jahre vorher noch das Ganze. Wer wollte da noch von einer einheitlichen Perspektive, von einem gesellschaftlichen Prinzip, einer Struktur oder einer Logik und dergleichen reden? Ökologie, da mußt du zu den Ökologen und Ressourcenmanager gehen? Soziales? Nein, wir sind für Staatskunde zuständig. Kapitalismus? Nun, der hat sich ja auch gewandelt und, Hand aufs Herz, was soll es denn mittelfristig anderes geben? Kapitalismus geschieht im Betrieb vielleicht oder irgendwo da draußen, aber hier, beim Diversitymanagement, nein, hier nicht. Was ist Kapitalismus überhaupt?
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