Willkommen in der EU!

Freitag, 14. Juni 2013

Die deutsche Öffentlichkeit glaubt nun, dass die türkische Europauntauglichkeit nachdrücklich unterstrichen sei. Das ist mutig für die Öffentlichkeit eines Landes, in dem in der jüngsten Vergangenheit Kapitalismuskritiker und Bahnhofsgegner mehrfach krankenhausreif geprügelt wurden.

Na ja, mutig - oder einfach nur betriebsblind. Vielleicht handelt es sich ja auch im besten psychoanalytischen Sinne um die unbewusste Verlagerung eigenen Versagens auf ein anderes Objekt. Mit freundlicher Unterstützung der Polis natürlich. Es ist in jedem Falle ein Gutteil Chuzpe dabei, die Ereignisse in der Türkei als Feigenblatt zu verwenden.

Mir war nämlich so, als habe amnesty international vor einigen Jahren erst erklärt, dass ausgerechnet im europatauglichen Deutschland die Polizeigewalt floriere. Von Schlägern in Uniform schrieben manche Zeitungen damals. Schläge und Schikane wären demnach üblich - und tödliche Ausgänge hätte es schon mehrfach gegeben. Die Berichte der letzten Jahre, aus Heiligendamm, Stuttgart und Frankfurt, haben doch zudem belegt, dass dieses Land ein Expansionsfeld für aggressive junge Leute ist, die sich im Öffentlichen Dienst zum Wohle der Allgemeinheit austoben wollen. Gut, ist ja wahrscheinlich nicht weiter schlimm, denn amnesty international hat dieses Phänomen der gesamten EU attestiert. Ist halt ein Trend - was will man da machen?

Was ist jetzt eigentlich der große Unterschied zwischen türkischen und deutschen Knüppeln? Mancher wird nun sagen, dass die Gewalt in der Türkei unvergleichlich sei. Das sag' mal einer dem erblindeten Typen aus Stuttgart, der weiß was über Unvergleichlichkeiten zu berichten. Platzwunden sind immer unvergleichlich, keine sieht aus wie die andere. Überhaupt so ein dämliches Wort - wie auch dieses "unverhältnismäßig", das einige moderaten Kritiker des Frankfurter Straßenterrors in den Mund nahmen. Was soll denn das sein, unverhältnismäßig? Welches Verhältnis und in welcher Relation dazu ist gemeint?

Ob wohl der Typ aus Bellevue schon mit dem hessischen Innenminister telefoniert hat? Mit seinem türkischen Amtskollegen hat er das ja. Wusste gar nicht, dass der Türkisch spricht, geschweige denn Englisch.

Dieselbe deutsche Empörung wegen des Referendums, das Erdogan vorgeschlagen hat. Vermutlich hat der in Stuttgart gespickt. Dort hat man begriffen, dass Proteste schnell mittels dem Desinteresse der Massen erstickt werden können. Das Desinteresse ist der Machtfaktor des Weiter so! Spätestens wenn Erdogan den Geißler ins Spiel bringt, ist die Zermürbungstaktik vom Neckar bestätigt.

Selbstverständlich kann man sich empören. Das was in der Türkei läuft, ist ja nicht hinnehmbar. Aber wo bitte ist dieselbe Haltung, wenn in Deutschland Proteste niedergeprügelt werden? Oder wenn die deutsche Polizei Menschen, die in ihrem Gewahrsam sind, über die Klinge springen läßt? Zumindest im ersteren Falle gibt es freilich Aufregung. Einen Diktator hat man Mappus aber nie genannt und der hessische Innenminister bekam auch kein Hitlerbärtchen angeleimt. Und nach der ersten Aufregung kommt die Verklärung, mästet man die Einsicht, es sei alles nicht so dramatisch gewesen, wie es die TV-Bilder zeigten. Erdogan wird aber den Titel eines Diktators nicht mehr los werden.

Dass man hierzulande den Protest zu einem antiislamischen umdeutet, ist die typische westliche Idiotie, der Wunschtraum einer Gesellschaft, die den dunkelhäutigen Moslem fürchtet, wie einst den langnasigen Juden. Ich habe jedenfalls nichts davon gelesen, dass die Proteste zu Stuttgart 21 auch antichristliche Motive beinhalteten, weil man mit der christlichen Regierungspartei unzufrieden gewesen wäre.

Und die Europauntauglichkeit ist ganz sicher nicht bewiesen. Im Gegenteil. Polizeigewalt in Madrid und Athen, bei so gut wie jedem G8-Gipfel und auch in Deutschland immer wieder - Willkommen in der EU, liebe Türkei! Eure Polis ist mit dem Leitgedanken der modernen europäischen Polizei schon vertraut. In dieses Europa der Schlagstöcke würdet ihr euch blendend integrieren.


12 Kommentare:

Anonym 14. Juni 2013 um 07:29  

Tja, die Gegner eines EU-Beitritts der Türkei haben ja schon immer schier verzweifelt nach Argumenten gesucht ... jetzt haben sie wohl eins gefunden ...

Anonym 14. Juni 2013 um 09:15  

ANMERKER MEINT:

Gut gegeben, Roberto, bravo. Allerdings sollte man für z.B. den M e n s c h e n, der in Stuttgart erblindet wurde, nicht die gleiche Bezeichnung verwenden wie für die Typen in Macht- und Herrschaftspositionen, den Marionetten des Systems. Aber das nur nebenbei. Ansonsten stimme ich mit Dir überein, dass die Wächter über Europa nun ein weiteres Argument in der Hand haben, um bei ihrer Auffassung zu bleiben, für die Türkei gäbe es nur eine "Priviligierte Partnerschaft". Wie immer sehen die Christen den Splitter im eigenen Auge nicht und schlagen mit der Moralkeule nur so um sich. Scheinheiligkeit allenthalben! Wert entlarvt zu werden!!!!

MEINT ANMERKER

Sledgehammer 14. Juni 2013 um 12:18  

Irgendwer oder irgendetwas bietet immer ein Projektionsfläche für das eigene Versagen oder die eigene Unzulänglichkeit.
Wir leben in einer Zeit der beschleunigten Entwirklichung. Wahrheit und Lüge harren weitgehend vergebens der Entschleierung.

Anonym 14. Juni 2013 um 16:02  

es ist die polizei, die menschen wie sie schützt! schämen sie sich!!!

Your Ugly Mom 16. Juni 2013 um 12:23  

"es ist die polizei, die menschen wie sie schützt! schämen sie sich!!!"
Scham würde mich überkommen, wenn man so betriebsblind und obrigkeitshörig daherschwafelt. Die Polizei hat in der Tat eine wichtige schützende Funktion in dieser Gesellschaft. Allerdings muss man genau hinschauen, ob dieser Apparat der Polizei, auf Grund der Macht die er ausüben kann, nicht korrumpiert und oder missbraucht wird. Und es mehren sich die deutlichen Anzeichen, dass dieses mittlerweile wieder vermehrt der Fall ist. Wenn jemand dieses laut ausspricht, ist das nicht des Schämens wert sondern des Nachdenkens und Überprüfens. Das können Sie jetzt vielleicht noch mal nachholen und dann mit etwas weniger Schaum vorm Mund kommentieren...

landbewohner 17. Juni 2013 um 03:42  

sehr gut, daß das mal klargestellt wurde. eine knüppelnde skrupellose polizei, die gnadenlos auf demonstrierende bürger eindrischt, passt nun mal nicht zu einem demokratischen staatswesen. und da ist es schnurzpiepegal, wieviel liter reizgas auf die bürger verteilt wurden oder wie oft der durchschnittliche ordnungshüter mit dem knüppel auf den durchschnittlichen demonstranten eingeprügelt hat. egal ob stuttgart, frankfurt, new york, london oder istanbul - es ist immer die bankrotterklärung eines illegitimem regimes und dessen bereitschaft, notfalls auch über leichen zu gehen, um die eigenen privilegien zu sichern.

Micheline 17. Juni 2013 um 11:18  

Hatten wir das nicht schonmal, dass staatliche Exekutivgewalten ohne juristische Begründung über Bürger herfallen dürfen und dafür nicht belangt werden können? Hatten wir das nicht schonmal, dass Polizeikräfte solche Menschen und Gruppen und Parteien verprügeln, die dem Staat oder den Herrschenden kritisch gegenüber eingestellt sind?
War die 68er Bewegung nicht auch gerade deshalb entstanden, weil genau das zu oft passiert war?

Und wie war das davor im Kaiserreich bzw. im Königreich Preussen?

Wir bewegen uns zurück in Richtung autoritärer Obrigkeitsstaat, und zwar deshalb, weil vielen Bürgern nicht mehr gefällt, wie sie ausgeplündert werden von Unternehmen, bzw. wie diese Unternehmen die Umwelt zerstören. Und weil die Unternehmen sich durch den Protest gestört fühlen, schicken sie eben Kräfte, die gegen die Protestanten vorgehen sollen.
Gierige Unternehmen + Korrupte Politiker = autoritärer Obrigkeitsstaat

(Natürlich sind nicht alle Unternehmen so, nur leider sind diejenigen, die so sind, reich, mächtig und korrupt und kaufen sich Politiker.)

So eine Analyse kann man natürlich noch präziser und umfassender machen, aber das überlasse ich dann den Spezialisten.

Mi Cha 21. Juni 2013 um 11:17  

Als in der Türkei noch kein einziger Demonstrant verletzt war, lagen auf den Straßen Frankfurts bereits bis zu 300 Demonstranten verletzt, zusammengeknüppelt und mit Tränengas getränkt, ihrer Gundrechte beraubt. Dabei ein 2-jähriges Kind, viele Teens, ältere Menschen. Es war eine Falle, jeder vor Ort gewesene wird das so bestätigen. Selsbt die OECD hat sich beschwert. Alle Frankfurter Medien berichteten - doch Bundesweit kam dies niemals an. Die wirklich schlimmen Bilder wurden nicht veröffentlicht. Dank Grünen und SPD wird es aber noch nicht einmal zu einem U-Ausschuss kommen. So viel zum Thema Demokratie - Sich "Wechsel und Gerechtigkeit" auf die Fahnen schreiben, aber nicht entsprechend handeln!!! PS: Auf der Pressekonferenz der Polizei und des Innenminsters mußten Journalisten ob der Farce spontan lachen - nur helfen tut das auch nicht.

Anonym 21. Juni 2013 um 13:53  

Polizeigewalt in der Türkei wo u.a. Polizisten in zivil nachts durch die Straßen marschieren und mit Nägeln gespickten Knüppeln auf Passanten, scheinbare Störenfriede, einprügeln, wo Demonstranten direkt mit Tränengasgeschossen beschossen werden, wo helfende Ärzte und Rechtsanwälte verhaftet werden, wo Demonstrationen schlicht nicht genehmigt werden mit der Situation in Deutschland zu vergleichen verhöhnt die Opfer türkischer Polizeigewalt!

Wer hierzulande über unfähige und korrupte Politiker schimpft hat jederzeit die Möglichkeit sich im Zeichen der Demokratie selbst politisch zu engagieren, andere Mitstreiter von seinen Argumenten zu überzeugen und sich dann wählen zu lassen. Aber halt, nein das geht ja nicht! Hierzu müsste man sich wirklich engagieren und für die eigenen Interessen einsetzen, sich mit Andersdenkenden auseinandersetzen. Da ist es doch viel einfacher zu demonstrieren.

Jeder der hierzulande demonstrieren will hat im Rahmen der geltenden Gesetze die Möglichkeit dazu. Wem diese gesetzlichen Rechte nicht ausreichen hat (s.o.) jederzeit die Möglichkeit sich entsprechend einzubringen und (hört, hört...) er darf sich sein Demonstrationsrecht sogar gerichtlich erkämpfen falls ein sog. korrupter Politiker ihn zu Unrecht daran hindern sollte sein Demonstrationsrecht auszuüben. Wer nach genehmigten Demonstrationen, bzw. bei ungenehmigten Aufmärschen nicht bereit ist nach mehrfacher Aufforderung einen Ort zu räumen muß eben letztendlich mit der gewaltsamen Räumung rechnen. Welche Möglichkeit, außer der Aufforderung/Bitte einen Ort zu räumen sollte der Staat denn nach Ansicht der Kritiker nutzen?

Daß Menschen, gleich auf welcher Seite, verletzt werden ist wahrlich schrecklich und nicht hinnehmbar, aber wenn hier von verletzten Demonstranten berichtet wird, dann bitte auch von den Polizisten berichten, die trotz Schutzausrüstung erheblich verletzt wurden. Es reicht eben nicht aus von Medien zurecht eine ausgewogene Berichterstattung einzufordern. Trägt wirklich nur der Staat die Schuld für verletzte Kinder und Jugendliche bei Demonstrationen oder liegt diese nicht unerheblich bei den sorgeberechtigten Eltern die diese Kinder als perfide Taktik mit zu solchen Auseinandersetzungen schleppen?

ad sinistram 21. Juni 2013 um 15:33  

Schon klar, Kumpel. Im Rahmen der geltenden Gesetze, gegen die ja die Demonstranten in Frankfurt verstossen haben, nee?

Mi Cha 21. Juni 2013 um 16:30  

Lieber Sargnagel,

ich vergeliche keine Opfer. Am 1. Juni hatte es in der Türkei gerade erst angefangen und Dank Flut und DfB-Pokal gab es genügend Entschuldigungen nicht ausreichend über Frankfurt zu berichten.
Ich stand als Journalist mitten drin und lege auch weiterhin meine Hand dafür ins Feuer, dass es eine Falle war und die Übergriffe seitens Polizei und Innenministerium gestartet wurden, also brauche ich mich auch nicht um politisch korrekt zu sein um die Polizisten zu scheren, die an diesem Tag eben Befehle ausführen mussten. Grundsätzlich tun mir diese aber sehr wohl leid, weil sie auch Familien und ein Privatleben haben. Und sehr wohl auch einige weinten und blockierten, einer rief, das sind doch alles alte Menschen hier! Was tun wir hier? Nein habe etwas gegen die Personen, die es veranlasst haben und jetzt nicht dazu stehen.

Anonym 30. August 2013 um 18:51  

Lieber Herr Sargnagel,

träumen Sie weiter und wachen Sie erst auf, wenn Sie die Bereitschaft und die KRAFT haben, der Realität in's Auge blicken zu können.

Man sollte wenigstens mit sich ehrlich sein und versuchen objektiv zu sein. Wenn Sie das sein sollten, vergaßen Sie entweder, sich über die Fakten zu informieren, oder Sie waren nicht fähig dazu 1 und 1 zusammen zu zählen, oder, was ich als schlimmste Alternative anzubieten habe - aus Borniertheit weigern Sie sich Ihre Sichtweise nochmals zu überdenken. Diese Unbeweglichkeit im Geiste ist eine Eigenschaft mit der das Volk der Deutschen überreich gesegnet ist.

Um Ihnen zu beweisen, daß diese Eigenschaft bei mir (IM MOMENT) nicht aktiv ist, sage ich Ihnen: Mit der Anwesenheit des Kindes usw. haben Sie meiner Meinung nach absolut Recht, aber was ist mit den Alten? Dürfen die nicht mehr bei Demos anwesend sein. Nicht jeder alte Mensch ist dement und weiß deshalb nicht mehr wofür er kämpfen möchte. Wobei eine Steigerung der Zustände bedeuten würde, jeder tote Rentner wäre eine Entlastung für die Rentenkasse! Sollten solche Eingriffe der Polizei weiterhin stattfinden und die Anzahl der Rentner dadurch reduziert werden, ist dieser Aspekt durchaus nicht außer Acht zu lassen. Polizei = Staatsgewalt = Rentenkasse. Da ich zu dieser Spezies der Alten gehöre, fühlte ich mich dazu verpflichtet Vorstehendes zu schreiben.
Gloria

Mein Wunsch: ändern Sie sich und erziehen Sie Ihren Geist zu Flexibilität und geben Sie Ignoranz keine Chance. Bitte

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