Die Sprache der 67er

Donnerstag, 2. August 2012

Diese "inoffiziellen Informationen von Behörden" liest man ulkigerweise nur in Diekmanns Zeitung - sonst sind sie nirgends zu finden. Es sind inoffizielle Informationen, die vielleicht ganz offiziös von der BILD-Zeitung selbst stammen. Die lauten nämlich, dass sich das Occupy!-Camp aus "5 Aktivisten, 60 Rumänen, dazu 10 Alkoholkranke, 5 Junkies, 10 geistig Verwirrte" zusammensetze. Gruppen also, die von jeher keinen hohen Stand in der Redaktion dieses Blattes hatten. Man darf ohnehin von Glück sprechen, dass noch von Rumänen die Rede ist - in einschlägigen rechten Webpräsenzen, die so offenherzig schreiben können, wie es die BILD gerne täte, liest man etwas von Zigeunern und Ratten und hygienischen Untragbarkeiten - letztere zogen aber erst ins Camp, als die Zigeuner einzogen; es liegt also nicht am Nagegetier.

Was will uns Diekmann eigentlich sagen? Alkoholiker, Junkies und Verrückte - waren die Occupy!-Aktivisten das nicht von Anfang an irgendwie? Muß man nicht berauscht oder verblödet sein, wenn man die kapitalistische Welt nicht annimmt wie sie ist? Aber jetzt, da der Rückhalt in der Öffentlichkeit immer geringer wird, auch weil es vermutlich tatsächlich ein Hygieneproblem gibt, wie üblicherweise immer, wenn man zeltet, jetzt traut man sich auch, Occupy! derber zu beleidigen, zu verspotten und despektierlich zu machen.

Und dabei gab man sich doch so geläutert. Man wollte die Geschichte der eigenen Zeitung aufarbeiten, bemühte sich, die Zeit der Studentenunruhen zu verstehen, die Rolle des eigenen Mediums darin zu ordnen. Das geschah in den letzten Jahren verklärend, BILD entlastete sich selber, gab irgendwo aber auch zu, nicht immer glücklich agiert zu haben. Mit der Kriminalisierung der Studentenbewegung, den publizistisch verbreiteten Lügen, die Studentenschaft wolle den Terror manifestieren, war das Ambiente der kommenden Jahre bereitet, die Radikalisierung einer Splittergruppe und deren Gewaltbereitschaft unter der Abbreviatur RAF fixiert. So weit ging die Einsicht der letzten Jahre natürlich nicht - die war milder: BILD lag nicht immer richtig, aber auch nicht ganz falsch, lautete die Erkenntnis.

Man könnte sagen, BILD habe aus der damaligen Zeit nichts gelernt. Könnte man. Das wäre aber falsch, denn richtig wäre: Was hätte sie lernen sollen? Sie hat ja wenig falsch gemacht. Aber dieses Wenige wiederholt sie mal zu mal, gerade wieder, da sie das Occupy!-Camp mit einer polemischen, beleidigenden Wortwahl zu etwas macht, das es sich lohnt, auseinanderzuprügeln. Es ist die Wortwahl des Juni 1967, als man im Vorfeld des Staatsbesuches des Schahs von Persien die Demonstranten als Gesindel hinstellte und hernach, als Ohnesorg erschossen und viele weitere Demonstranten durch die Straßen West-Berlins gejagt wurden, die Gewaltbereitschaft der zuvor Verprügelten hervorhob. "... dazu 10 Alkoholkranke, 5 Junkies, 10 geistig Verwirrte" - das ist eine Phraseologie, die zu Ohnesorg weist; eine Sprachgestaltung, die Gewalt penibel vorbereitet, die den Schlagstock rechtfertigt, bevor er gezückt wird.

"Mit Bomben und hochexplosiven Chemikalien, mit sprengstoffgefüllten Plastikbeuteln [...] und Steinen haben Berliner Extremisten einen Anschlag auf den Gast unserer Stadt [Anm.: der damalige US-Vizepräsident Hubert Humphrey] vorbereitet", schrieb BILD im April 1967 - wahr war aber, dass einige Kommunarden Buttercremetorte, Weizenmehl und Joghurt vermischten, um es Humphrey an den Kopf zu klatschen. Albern vielleicht, aber immerhin sinnbildlich. Ist es nicht nur eine Frage der Zeit, bis die BILD-Redaktion "veranlasst", dass im Occupy!-Camp Sprengstoff gebastelt wird?

Diese Sprache der 67er in der BILD-Redaktion vergiftet, rechtfertigt es, dass Gewalt als ein probates Mittel gegen Menschen angewandt wird, die man zum Gesindel umschrieb. Den herrschenden Kapitalismus nicht akzeptieren: da muß man doch geistig verwirrt sein! Kann man da nicht zwangseinweisen? Ist da polizeiliche Gewalt nicht quasi geboten? Es war diese Sprache, die Ohnesorg erst erschoss und dann diabolisierte - und es war diese Sprache, die den "roten Rudi" zu einen "toten Rudi" machen sollte. Nikolaus Blome, Journalist bei Springer, tat sich besonders bei der "Aufarbeitung der historischen Rolle" seiner Zeitung hervor - was von der Aufarbeitung übrigblieb: Wir waren unschuldig, die Sprache von '67 kann ohne Gewissensbisse Programm bleiben!



12 Kommentare:

Anonym 2. August 2012 um 07:34  

"... dazu 10 Alkoholkranke, 5 Junkies, 10 geistig Verwirrte"

da würde ich mal ganz spontan vermuten, die haben das Bankgebäude geräumt.

PS: Am Ende des ersten Absatzes muss es "NagetierEN" heißen.

baum 2. August 2012 um 07:57  

Ich lebe in Deutschland - wer holt mich hier raus?

Anonym 2. August 2012 um 09:27  

Hierzu möchte ich aus dem Buch, Worte töten, Worte heilen, ergänzen:

" Bücher sind nicht immer sanfte Freunde, Trostspender, die wie mit zierlichen Gartengeräten die eigene Seele wie einen kleinen Vorgarten pflegen: die Sprache ist etwas zu Gewaltiges, zu Kostbares, als daß sie zu bloßem Zierrat dienen sollte, sie ist des Menschen wertvollster natürlicher Besitz: Regen und Wind, Waffe und Geliebte, Sonne und Nacht, Rose und Dynamit; aber niemals nur eins von diesen: sie ist nie ungefährlich, weil sie von allem etwas enthält: Brot, Zärtlichkeit, Haß und Tod. Denn alles Geschriebene ist gegen den Tod angeschrieben." Heinrich Böll

Gruß
Hartmut

Auceza 2. August 2012 um 10:07  

Dies ist ein gut gelungener Artikel über die dreisten Machenschaften einer deutschen Hetzschrift, welche mit extremistischen Äußerungen insbesondere Rechtsradikale und Faschisten anzusprechen scheint.

Es wäre schön, wenn zu dem diskutierten Artikel verlinkt werden könnte, um das Bild-Original in Augenschein zu nehmen. Normalerweise meide ich nämlich dieses mit Halbwahrheiten bzw. Halblügen beschmierte Papier.
Es ist mir einfach zu ekelerregend.
Deshalb bin ich nicht auf dem neuesten Kenntnisstand gegen welche Bevölkerungsgruppe dort aktuell gepöbelt und mobil gemacht wird.

Ich bin davon überzeugt, dass gerade jene Menschen, die das Blatt regelmäßig konsumieren, geistig wenigstens verwahrlost, wenn nicht sogar umnachtet sind.
Das intensive Lesen eines verwirrten Bild - Artikels kann meines Erachtens schädliche Nebenwirkungen auf die Meinungsbildung und für den geistigen Gesundheitszustand haben.
Ich kenne da sogar persönlich ein paar Fälle aus der Nachbarschaft, bei denen die beängstigenden Nebenwirkungen des täglichen Bild - Lesens überdeutlich zu bemerken sind.

Von daher ist dieses populistische Medium eigentlich zu verbieten bzw. nur durch Apotheken mit angemessener Beratung - möglichst auch nur auf Rezept - herauszugeben.

Michael Ortmann 2. August 2012 um 11:02  

Wie so haeufig bleibt da eigentlich nur Max Goldt zu zitieren:

"Diese Zeitung ist ein Organ der Niedertracht. Es ist falsch, sie zu lesen. Jemand, der zu dieser Zeitung beiträgt, ist gesellschaftlich absolut inakzeptabel. Es wäre verfehlt, zu einem ihrer Redakteure freundlich oder auch nur höflich zu sein. Man muß so unfreundlich zu ihnen sein, wie es das Gesetz gerade noch zuläßt. Es sind schlechte Menschen, die Falsches tun."

Gisela 2. August 2012 um 11:08  

"... dazu 10 Alkoholkranke, 5 Junkies, 10 geistig Verwirrte" - das ist eine Phraseologie, die zu Ohnesorg weist; eine Sprachgestaltung, die Gewalt penibel vorbereitet, die den Schlagstock rechtfertigt, bevor er gezückt wird."

Meinst du wirklich? Ich dachte mir sofort ganz Gegenteiliges: "Jetzt kann keine Gewalt mehr angewendet werden, da es medial nicht vermittelbar ist, gewalttätig gegen Kranke vorzugehen."
Durch den Artikel sind die Aktivisten nun doch eher geschützt vor Gewalt.

Ein Kommentar hier von Auceza wendet den nun pauschal gegen die BILD-Leser, indem er ihre Entrechtung vorbereitet - halte ich moralisch auch für mehr als fragwürdig:
"Ich bin davon überzeugt, dass gerade jene Menschen, die das Blatt regelmäßig konsumieren, geistig wenigstens verwahrlost, wenn nicht sogar umnachtet sind."

Auceza, das ist dieselbe Rhetorik, die der BILD vorgeworfen wird.

Anonym 2. August 2012 um 13:23  

Etwas genauer: Der Begriff der Selbstverantwortlichkeit lenkt nur ab vom Entmündigung-Vorwurf an die Mächtigen. Abseits der Mächtigen gibt es den Mensch als handlungsfähiges Subjekt nicht, weil er immer Opfer der Verhältnisse ist.
Jeder Ausahmefall währe eine unverantwortliche Relativierung des Generalvorwurfs, dass der Mensch von den Mächtigen handlungsunfähig gehalten wird.
Daher wird und darf hier niemals der Begriff Selbstverantwortlichkeit diskutiert oder gar differenziert werden!
Niemals.

ad sinistram 2. August 2012 um 14:51  

Zitat: "Ich dachte mir sofort ganz Gegenteiliges: "Jetzt kann keine Gewalt mehr angewendet werden, da es medial nicht vermittelbar ist, gewalttätig gegen Kranke vorzugehen."

Ich empgehle hierzu Foucault, Überwachen und Strafen: Die Geburt des Gefängnisses.

Mrs. Mop 2. August 2012 um 19:37  

Das traditonelle Frankfurter Museumsufer-Fest steht vor der Tür, spätestens dann müssen die "Schmuddelkinder" aus dem öffentlichen Raum verschwunden sein.

Leseempfehlung:
Die Stadt, der Müll und das Camp

Anonym 2. August 2012 um 21:14  

Da braucht man nicht erst Foucault zu bemühen. Es reicht ein Blick auf die von Stefan Niggemeier dokumentierten Leserkommentare auf einen Artikel bei bild.de über das jüngste BVG-Urteil zum bislang vorenthaltenen Existenzminimum von Flüchtlingen. Vor diesem Hintergrund ist Giselas Anmerkung bestenfalls als naiv einzuschätzen.

In dem 'Man wird doch noch mal sagen dürfen ...' des Sarrazin und seiner Claqueure findet der Impuls, sich der zivilisatorischen Zügel zu entledigen, und mal wieder so richtig ungehemmt auf die Schwächeren drauflos schlagen zu können, ihren Ausdruck. Bild befeuert das. Bild ist der täglich gedruckte Appell an die Barbarei.

Anonym 3. August 2012 um 20:08  

Wenn Sie Foucault anführen, lassen Sie mich sagen:

Aus der Perspektive Foucaults ist der Humanismus im 20. Jahrhundert theoretisch unfruchtbar und praktisch-politisch - im Osten wie im Westen - ohnehin eine reaktionäre Mystifikation.
Foucaults These der "Disziplinargesellschaft" ist überhaupt nur dadurch möglich, dass Foucault keine Unterscheidung von Autorität, Zwang, Gewalt, Macht, Herrschaft und Legitimität kennt.

Sarte warf Foucault völlig zurecht ein fatalistisches Geschichtsbild vor, das politische Praxis unmöglich mache.
Noam Chomsky hält weite Teile seiner Arbeiten allerdings entweder für unklar oder für falsch, siehe dazu diesen Text von Chomsky:
http://www.cscs.umich.edu/~crshalizi/chomsky-on-postmodernism.html
...

Doxanthropos 8. August 2012 um 21:01  

@ 3. August 2012 20:08:
Vielleicht lese ich das falsch und ich möchte an diesem Ort sicher nicht eine der üblicherweise relativ fruchtlosen Poststrukturalismus vs. Antipoststrukturalismus-Diskussionen führen, aber Chomsky nimmt im verlinkten Text gerade Foucault von diesen allgemeinen Vorwürfen gegen die Pariser "Philosophie" aus und behandelt die Probleme, die er mit ihm hat seperat: F. würde offensichtliche Wahrheiten schreiben, die jeder schon weiss, hätte aber keine Theorie und würde historisch unsauber arbeiten.

Zumindest für die oben angesprochene Frage, inwieweit Krankheit gerade kein Schutz vor Gewalt ist, ist "Überwachen und Strafen" eine sinnvolle Lektüre.

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