Man wird doch nochmal halten dürfen

Freitag, 17. August 2012

oder: das Politische im Unpolitischen.

Ich habe niemals die Ansichten meines Lebensgefährten geteilt. Nein, wirklich nie. All die Jahre habe ich sie nicht geteilt. Sie sind mir allerdings auch nicht zuwider, gebe ich ganz offen zu. Er hat halt seine Ansichten - alle Menschen habe ihre ganz eigenen Ansichten. Das muß man respektieren. Aber ich habe meine eigenen Ansichten.
Sie wissen aber, dass er Ansichten hat, wie Sie dazu sagen, die weniger Ansichten, als Volksverhetzung, die Vorstufe zu verbrecherischen Maßnahmen sind. Er ist Mitglied oder war Mitglied einer Partei, die Moslems für minderwertig und dessen spiritus rector, ein Mann namens Horst Mahler, Juden als Entwicklungsstufe hin zum Menschen bezeichnete.
Ich sag ja, jeder hat seine Ansichten, ich teile sie nicht. Man muß das respektieren. Toleranz ist auch in einer Beziehung sehr wichtig.
Sie respektieren es also, dass er einer Ideologie nachläuft und nachäfft, die Menschen dazu bringt, andere Menschen mit Raupen zu vergleichen, wie es eben dieser Mahler getan hat? Teilen Sie diese Ansichten, wie Sie es nennen, denn überhaupt?
Jeder hat so seine eigenen Ansichten. Ich teilte nie alles, was er so sagte und erzählte. Ich las ja auch nie seine Bücher; Mahler sagt mir jetzt nichts, aber Broder kenne ich und Sarrazin; den ersten Autor mochte er nicht, der sei kriecherisch. Ich habe die nie gelesen, ich lese nur Liebesromane. Wir lesen abends immer zusammen; er seine Philosophen, wie er immer sagt, und ich meine Schnulzen. Da kann ich am besten abschalten.
Teilen Sie seine Ansichten?
Nicht so wie er. Ich habe andere wie er. Dass ich aber so wissenschaftliche Aufsätze wie Sarrazins nicht für ganz falsch finde, kann man mir nicht vorwerfen. Ich kenne ja nicht alles von dem, aber was ich so gelesen habe, war doch sehr schlüssig. Habe ich in Tageszeitungen gelesen und die fanden das ja auch gut, was der geschrieben hat. Aber ich teile seine Ansichten nicht, ich kenne sie noch nicht mal ganz genau.
Man munkelt, Sie seien auf Kundgebungen oder zumindest bei einer Kundgebung dabeigewesen. Stimmt das? Wenn ja, warum waren Sie dort?
Ich habe ihn begleitet. Wir sind doch ein Paar, man muß doch miteinander was unternehmen. Das gehört sich so. Ich habe ihn begleitet und er ging dafür abends mit mir in eine romantische Komödie mit Jennifer Lopez; Beziehung ist ein Geben und Nehmen. Ich war da nur dabei, aber ich teile nicht seine Ansichten. Und er war im Kino dabei, aber er teilt meinen Filmgeschmack nicht. Das ist doch dasselbe irgendwie.
Sie hielten sich demnach abseits, während er marschierte - verstehe ich das richtig?
Meistens ja, zwischendrin hielt ich mal ein Transparent für ihn fest; er hatte doch noch Schmerzen, Bänderdehnung vom Sport in der Kameradschaft. Man wird doch nochmal halten dürfen! Man wird doch seinen Lebensgefährten noch mal stützen, sein liebevoll gebasteltes Transparent hochhalten dürfen! Ich habe es ja nicht mal richtig gelesen, ich hielt es ja nicht aus Überzeugung sondern aus Fürsorge hoch.
Stellen Sie sich nur mal vor, da wäre eine Parole wie "Deutschland den Deutschen!" draufgestanden - komische Fürsorge, nicht wahr?
Ich weiß echt nicht, was er da draufgeschrieben hat. Keine Ahnung. Ich teile ja seine Ansichten nicht und da kümmert es mich wenig, was er da schreibt. Wenn das draufgestanden hätte, wäre es blöd gelaufen, aber auch nicht so schlimm. Deutschland ist ja das Land der Deutschen - es wäre also nicht mal gelogen gewesen, sondern eher sowas wie plausibel.
Lassen wir das mal so stehen. Was, wenn Sie eine rassistische Parole hochgehalten hätten? Fühlten Sie sich dann nicht ausgenutzt?
Nein, weil ich kann ja nichts für das, was er denkt und glaubt. Ich finde nicht, dass man Menschen rassistisch begegnen darf. Wenn man Nationalitäten nicht mag, sollte man ihnen einfach gar nicht begegnen. Das gehört sich so. Aber wenn er sowas denkt, dann ist das seine Ansicht und ich respektiere das.
Ist man nicht ein wenig für seinen Partner verantwortlich? Für die Wahl desselben ebenso wie für das, was er so tut und macht? Wenigstens moralisch?
Ich sagte doch oft, "Hör mal, das finde ich nicht so!" Und er hörte zu und vertrat seinen Standpunkt. Das tat er zwar immer schlüssig, aber ich finde das natürlich trotzdem falsch, weil ich das nicht so sehe. Wir haben Standpunkte diskutiert und ich finde, wenn man Standpunkte diskutiert, dann ist das sehr demokratisch ausgeführt.
Sie halten es für demokratisch, wenn ein Antisemit mit jemanden, der nicht antisemitisch eingestellt ist, eine Diskussion führt? Es dient also der Wahrheitsfindung, wenn jemand mit Menschenverachtung mit Menschen diskutiert, die er verachtet?
Jeder darf doch denken, was er will. In der Demokratie ist das so.
Eine Demokratie, die Antidemokraten zu Wort kommen läßt, die das demokratische Klima zu vergiften trachten, halten Sie weiterhin für eine Demokratie?
Aber diese Leute, die aus dem Umfeld meines Freundes kommen, die reden doch nur. Keiner hat jemals einem anderen Menschen was Körperliches angetan. Man darf Worte doch nicht überbewerten. Es wird so viel geredet den ganzen Tag. Und man kann doch letztlich über alles reden.
"Achte auf deine Gedanken, denn sie werden Worte. Achte auf deine Worte, denn sie werden Handlungen. Achte auf deine Handlungen, denn sie werden Gewohnheiten. Achte auf deine Gewohnheiten, denn sie werden dein Charakter. Achte auf deinen Charakter, denn er wird dein Schicksal." Kennen Sie das? Es ist aus dem Talmud. Etwas, das Ihr Freund mit Sicherheit nicht liest oder überhaupt kennt. Ich glaube nämlich nicht, dass Worte nur Worte sind.
Das ist Ihre Ansicht und Sie dürfen eigene Ansichten haben.
Als einer der Autoren, die Sie vorher nannten, ein Buch veröffentlichte und viel Entrüstung stattfand, da verteidigten ihn auch unpolitische Menschen mit den Worten, "Man wird doch nochmal sagen dürfen!" Sie gleichen denen.
Dazu kann ich nicht viel sagen. Vielleicht fanden die Leute nur, dass der Mann etwas gesagt hat, was nicht schlimm sein kann, weil es viele so denken oder sehen.
Wenn viele den Pogrom denken, dann ist er nicht falsch? Pluralitätsprinzip bis in den Tod?
Aber in der Demokratie ist es doch so, dass Mehrheiten entscheiden...
Ist es nicht so, dass es Qualitäten von Ansichten gibt? Es gibt zum Beispiel die Ansicht, dass Mord etwas ist, das es zu bestrafen gilt - und es gibt die Ansicht, dass der Mord nicht falsch sein kann, einfach deshalb, weil der Mensch dazu fähig ist, ihn zu begehen. Sind das Ansichten gleicher Güte, auf Augenhöhe?
Ich kann für die Ansichten meines Freundes gar nichts. Es ist nicht fair, mich dafür verantwortlich zu machen. Dass ich das Transparent hochgehalten habe, beweist gar nichts. Ich finde es nicht korrekt, wenn man Menschen für ihre Ansichten verurteilt, an den Taten sollen sie gemessen werden. Ich finde es ja auch nicht richtig, wenn man jemanden ausgrenzt, weil er bei einer linken Partei ist zum Beispiel.
Sie werden lachen: Ich auch nicht. Ich finde auch nicht richtig, wenn man jemanden verurteilt, wenn er bei einer linken Partei ist. Ich finde es aber wohl richtig, wenn man jemanden verurteilt, weil er bei einer rechten Partei ist. Die einen predigen Verbrechen, die anderen wollen soziale Teilhabe. Das ist ein Unterschied, das kann man nicht vergleichen. Aber wir kommen vom Thema ab; ich würde gerne wissen, ob Sie nicht der Ansicht sind, dass man durch Schweigen und Ignoranz gegen gewissen Ansichten, sich mitschuldig macht?
Sie fragen nur immer; ständig fragen Sie nur. Es sind doch nicht meine Ansichten, Mensch! Jetzt frage ich Sie was. Was halten Sie denn von Leuten, die mit einem Mörder liiert sind? Es gibt Frauen, die verlieben sich in Männer, die im Todestrakt auf die Vollstreckung warten. Machen die sich nicht mitschuldig?
Das ist etwas anderes. Erstens, weil ein Mörder im Trakt sühnt, was jemand, der in einer rechtsextremistischen Partei oder in einer Partei der bürgerlichen Mitte, der gegen Bevölkerungsgruppen hetzt, ja eben nicht tut. Und es ist etwas anderes, weil der Mord keine ideologische Tat ist, die sich auf den generellen Hass gegen bestimmte gesellschaftliche Gruppen baut, sondern aus etwaigen anderen Motiven heraus begründbar ist.
Er hat jemand getötet, die Verfechter von Ansichten, die Sie verurteilen, haben das nicht!
Nicht in der Tat, aber die Ansicht ist der Schlüssel dorthin; sehen Sie diesen Norweger an, der sich radikalisierte, weil er diverse Verfechter solcher Ansichten las und für geistige Wegweiser hielt. Er gab das selbst zu. Ansichten, die rassistisch sind, die antisemitisch begründet, die nationalistisch aufgefächert werden, sind nicht der Mord, das stimmt. Sie weisen allerdings dorthin. Sie sind nicht die Bombe oder das Messer, aber sie sind der Grund, warum man Bombenzubehör kauft oder sein Springmesser wetzt.
Sie unterstellen Menschen Straftaten, bevor sie diese überhaupt begehen.
Ich unterstelle nicht, ich zweifle nur an ihren Ansichten und ich zweifle an Ihrer Ansicht, jede Ansicht sei eine Ansicht. Wachhaft bleiben - das ist auch so ein demokratischer Wert.
Für mich ist demokratisch, denken und sagen zu können, was man mag. Für Sie ist es seltsamerweise demokratisch, nicht denken und sagen zu lassen, was jeder für sich selbst möchte. Komisch, wie man Demokratie umwerten kann.
So sehe ich das leider auch...



8 Kommentare:

Anonym 17. August 2012 um 09:05  


....Mc fragt...und Allister antwortet....

RobatArt 17. August 2012 um 10:39  

So unglaubwürdig wie die Befragte antwortet, so unrealistisch wie dieses Interview, so unzweifelhaft falsch ist die Verteidigung der Sportlerin auf die angespielt wird.

Gut geschrieben.

Anonym 17. August 2012 um 12:07  

*ROFLMAO*
You made my day !

Wolfgang Buck 17. August 2012 um 23:44  

Danke für diesen Text, Roberto. Er macht klar warum es in der Diskussion um eine Sportlerin die einen offensichtlich Rechtsextremen als Partner hatte so gravierende Unterschiede in der Wertung gab und gibt.

Für diejenigen die in einer solchen Beziehung etwas verwerfliches sehen und die Sportlerin deshalb verurteilen, scheinen eine sehr rationale Einstellung zu Liebe zu haben.

Derjenige der Liebt muss seine Liebe Argumentativ schlüssig darlegen können. Rechte können daher nur Rechte lieben. Linke nur Linke. Romeo liebt Julia? Undenkbar.

Nun kommt sicher das Argument "Rechts" sei mehr als eine Gesinnung. Rechts sei schon zumindest die Vorstufe zum Verbrechen. Dem mag ich ja sogar folgen. Ich halte diese geistigen Zündler ebenfalls für hochgefährlich.

Also sind in Zukunft alle Frauen, die verurteilte Verbrecher lieben eben in dieser Logik auch schon Verbrecher. Sollte man da vielleicht einen neuen Straftatbestand einführen und derartige Liebesbeziehungen unter Strafe stellen?

Nein! Liebe ist ein Gefühl. die Schöne kann sich in das Biest verlieben. Die Millionärin in den Underdog. Und die aufrechte Demokratin in den verbrecherischen Zündler...

so what? Was soll die ganze Aufregung? Warum zum Teufel sollte ich meine Liebe rational, moralsich oder marktkonform gegenüber irgend einer "Öffentlichkeit" die sich zum Richter aufschwingt rechtfertigen müssen?

Das was du hier im Text darlegst sind doch genau die "Verhörmethoden" dieser so verhassten "Gesinnungs-Fetischisten".

Auch gut! 19. August 2012 um 13:38  

Und gleichzeitig werden in der Berichterstattung scheinbar nur die deutschen Medallien gezählt und von Fußballern wird verlangt, dass sie die Nationalhymne mitsingen.
Wie deutsch muss man denn nun eigentlich genau sein, um der Volksseele gerecht zu werden?

Anonym 20. August 2012 um 11:33  

Entscheidend sind doch die KONSEQUENZEN aus der ganzen Sache.
Darf so jemand wie Drygalla weiter mit staatlicher Förderung rudern oder einen staatlichen Posten erhalten??

Anonym 21. August 2012 um 06:18  

Dieser Text ist ein literarischer Schatz. Immer wieder geil hier zum lesen.

Anonym 23. August 2012 um 05:58  

schliesse mich an. news künstlerisch verarbeitet. Weiter so!!

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