Ein Streich gegen die Kunst
Mittwoch, 15. August 2012
oder: ein Aufruf gegen die Streichung des Künstlers aus unserer Gesellschaft.
Das Vorhaben des Bundesarbeitsministeriums, aufstockendes Arbeitslosengeld II für Selbstständige zu streichen, ist nicht nur ein Akt gegen die Grundsicherung kleinunternehmerischen Engagements - es ist gleichwohl ein gezielter Anschlag auf die Kunst.
Etwas über 14.000 Euro nehmen Künstler im Schnitt ein. Sagt die Künstlersozialkasse, die sich auf Zahlen derer stützt, die bei ihr versichert sind. Dabei ist zu konkretisieren, dass Künstler, die jünger als dreißig Jahre sind, durchschnittlich etwas mehr als 10.000 Euro einnehmen. Das sind wiederum Zahlen, die alle Künstler umfassen, in den jeweiligen Sparten sieht es anders aus: junge Musiker nehmen jährlich nicht mal 9.500, junge darstellende Künstler nicht mal 8.500 Euro ein. Großkotze der Kunst sind jene aus dem Bereich Wort - das sind Schriftsteller, Dichter, Bühnen- und Filmautoren, Lektoren, (Bild-)Journalisten und einige andere Berufe mehr. Im Durchschnitt nehmen sie jährlich 17.500 Euro ein, wobei die U30 des Bereiches Wort auch lediglich auf etwas mehr als 14.000 Euro kommt.
Wir sprechen hier vom Einkommen, nicht vom Gewinn - wir sprechen quasi vom Brutto des Künstlers. Und es ist der Gewinn, nicht das Einkommen, der auch für das Jobcenter maßgeblich ist, wenn der Künstler dort vorstellig wird, um seine Bezüge aufzustocken. Die Zahlen der KSK lassen ahnen, dass dort nicht wenige vorsprechen. Will man die Abdeckung der Grundsicherung mittels Arbeitslosengeld II für Selbstständige streichen, so betrifft das besonders die Künstler. Gestrichen werden nicht die Leistungen nach SGB II für Künstler, gestrichen wird die Kunst, wird der Künstler selbst. Denn der meldete dann seinen Freiberuf ab, um Existenzsicherung beziehen zu können. Von was soll er sonst leben?
Aufträge aus dem Ärmel schütteln kann er sich nicht - so funktioniert eine künstlerische Laufbahn nicht. Und was, wenn er doch mal Einnahmen erzielt, trotz Abmeldung als Künstler? Wenn er die seinem Jobcenter vorlegt? Unterstellt man ihm dann, wieder selbstständig zu sein? Streicht man ihm den Regelsatz zusammen? Der Künstler soll schweigen, soll ruhen - wer Arbeitslosengeld II bezieht, so will man dem Bezieher begreiflich machen, der hat keine Kunst zu fabrizieren. Nach dem Bewilligungsbescheid ein Gedicht zu schreiben, ist gefährlich!
Man könnte frech behaupten, dass dieser geplante Steich von der Leyens auf die Medienkampagne gegen Johannes Ponader, Geschäftsführer der Piratenpartei, zurückzuführen ist. Der ist Schauspieler und Theaterpädagoge und gab vor einiger Zeit zu, sein wenig üppiges Salär mit Hartz IV aufzustocken. Ein Aufschrei ging durch das Feuilleton. Einen Schmarotzer nannte man ihn; soll er halt mehr Aufträge annehmen, hieß es zynisch. Gerade so, als lägen die auf der Straße herum. Oder besser noch, er solle richtiger Arbeit nachgehen, etwas Gescheites tun, körperlich - Blut, Schweiß und Tränen. Nützlich sein... Die übliche calvinistische Verächtlichkeit gegenüber Schöngeistigkeit und Ästhetik, die keinen pekuniären Wert abwirft - jedenfalls keinen großen, keinen vermögenden pekuniären Wert. Eine Einstellung, die sich immer latent gehalten hat, die aber nun irgendwie zum Abschluss kommen soll.
Sicherlich, kürzlich noch schrieb unter anderem die geschätzte Julie Zeh, dass es in diesem Land eine extreme Künstlerfreundlichkeit gibt; sie sprach von Stipendien, von der Künstlersozialkasse und etwaigen Fonds. Alles richtig. Aber die Grundhaltung zur Kunst ist damit doch nicht erklärt. Man schätzt sie ja, man findet sie wichtig - aber der, der sie macht, der sie formt und singt, der soll verdammt nochmal so davon leben können, dass die Allgemeinheit für ihn nicht einspringen muß. Die Künstlerfreundlichkeit ist hierzulande doch bestenfalls die Freundlichkeit gegenüber Künstlern, die es geschafft haben, von ihrer Kunst zu leben; es ist die Freundlichkeit gegenüber gutsituierten Künstlern, die Freundlichkeit gegenüber Künstlereliten. Wie man Ponader angriff, hat doch gezeigt, wie man den Kunstschaffenden sieht, wenn er nicht von seiner Arbeit leben kann; hat gezeigt, um wieviel schlimmer man es wertet, wenn dazu noch politisches Engagement kommt. Von der Leyen will der Selbstständigkeit generell ans Leder - sie trifft damit aber verstärkt die Kunst. Haben Sie schon mal den mitleidigen und oft despektierlichen Blick gesehen, den man zugeworfen bekommt, wenn man auf die Frage, was man denn tue, mit Schreiben! antwortet? Und davon kann man leben?
Es gibt ein kulturelles Bedürfnis des Menschen. Künstler befriedigen dieses. In Zeiten geilen Geizes ist es Usus, allerlei Bedürfnisse möglichst billig, vielleicht sogar gratis befriedigt bekommen zu wollen. Den Künstler trifft diese Sparwut eher als den Metzger. Aber irgendjemand muß diese kulturelle Arbeit doch trotzdem leisten. Sie ist existenziell für den Menschen, für seine eigene Wahrnehmung, für die Verarbeitung der Welt, wie sie sich ihm zeigt. Kunst schafft Reize, Impulse, bildet die Welt in verdichteter, komprimierter Form so ab, dass sie wahrhaftig und manchmal sogar wahrhaftiger wird, dass sie auf einen hin und wieder ästhetischen Kern geschrumpft wird, auf einen, der Erklärungen liefert. Das muß doch jemand tun! Ist die Forderung, man solle sich richtige Arbeit suchen, nicht ein Hohn? Ist das etwa keine richtige Arbeit, etwa keine wichtige Arbeit?
"Ich bin oft arbeitslos und weiß dann nicht, wovon ich die Miete bezahlen soll. Ich bin froh, überhaupt noch Arbeit zu bekommen, muss nehmen, was ich kriegen kann. Es ist schwer, davon zu leben", sagte die Schauspielerin Silvia Seidel in einem Interview. Zugejubelt haben sie ihr in den Achtzigerjahren; mittlerweile ist sie tot - Freitod, nachdem sie vorher regelmäßig ihren Frust in Alkohol konserviert hat. Das war eine Frau, die schon früh ganz oben war - und dennoch war sie oft arbeitslos, dennoch hatte sie Existenzängste. Das ist das Los so vieler Künstler - und das soll nun noch verschärft werden, setzt sich die Absicht von der Leyens durch. Ganz schön bezeichnend, wenn zeitgleich in Zeitungen zu lesen ist, dass der Selbstständigkeit, eben auch der künstlerischen Selbstständigkeit das Aufstocken verboten werden soll und dass eine Schauspielerin, die von Existenzängsten getrieben war, die ihre oftmalige Arbeitslosigkeit beklagte, sich das Leben nahm. Makaber ist das! Und eigentlich paradox - diese Paradoxie immer wieder herauszuarbeiten, das ist die Aufgabe der Kunst. Der Journalismus schafft das nicht, kann er nicht, ist nicht seine Aufgabe - schon gar nicht, wenn er zum Schönalismus wird, der publizistisch zu schönen hat, was so unschön ist.
Es trifft ja nicht nur Künstler!, wird man nun einwenden. Stimmt. Auch um die anderen Kleinunternehmer ist es schade - schade um sie als Menschen, deren Vision dahinschmilzt oder sie selbst, wenn sie dennoch Kleinunternehmer bleiben, der zu wenig zum Leben hat, der also Existenzsicherung bräuchte, die er nicht mehr kriegt. Aber Künstler trifft es überproportional - und es trifft sie nicht nur persönlich, sondern es trifft uns gesellschaftlich, trifft uns kulturell, macht nicht nur den Selbstständigen arm, sondern uns alle, läßt uns alle geistig, kulturell und schöngeistig verarmen. Vielleicht ist die Absicht nicht direkt, den künstlerischen Müßiggang, den die bürgerliche Mitte immer schon kritisierte, einzudämmen. Aber er ist so ein schönes Nebenprodukt der Forderung von der Leyens. Endlich bringt man sie weg von ihrer Berufung und steckt sie in einen Beruf. Endlich werden sie nützlich, können wir sie allgemein monetären Gründen wegen verzwecken.
Was hier geschieht, ist die Gleichschaltung des Menschen vor kapitalistischen Interessen. Die Kunst hat in einer Dystopie, wie sie die gleichgeschaltete Gesellschaft ist, keinen Platz - nur wenn sie satte Märkte erschließt. Dann kann der Künstler ja auch davon leben - dann ist er zwar immer noch ein suspekter Mensch, aber doch wenigstens ausreichend mit Geld ausgestattet, um seine Seltsamkeiten nicht alimentieren zu lassen. Von der Leyens Forderung ist so viel mehr - sie ist ein Mordanschlag auf freie Kleinkunst!
Etwas über 14.000 Euro nehmen Künstler im Schnitt ein. Sagt die Künstlersozialkasse, die sich auf Zahlen derer stützt, die bei ihr versichert sind. Dabei ist zu konkretisieren, dass Künstler, die jünger als dreißig Jahre sind, durchschnittlich etwas mehr als 10.000 Euro einnehmen. Das sind wiederum Zahlen, die alle Künstler umfassen, in den jeweiligen Sparten sieht es anders aus: junge Musiker nehmen jährlich nicht mal 9.500, junge darstellende Künstler nicht mal 8.500 Euro ein. Großkotze der Kunst sind jene aus dem Bereich Wort - das sind Schriftsteller, Dichter, Bühnen- und Filmautoren, Lektoren, (Bild-)Journalisten und einige andere Berufe mehr. Im Durchschnitt nehmen sie jährlich 17.500 Euro ein, wobei die U30 des Bereiches Wort auch lediglich auf etwas mehr als 14.000 Euro kommt.
C. Spitzweg, Armer Poet in der Dachkammer |
Aufträge aus dem Ärmel schütteln kann er sich nicht - so funktioniert eine künstlerische Laufbahn nicht. Und was, wenn er doch mal Einnahmen erzielt, trotz Abmeldung als Künstler? Wenn er die seinem Jobcenter vorlegt? Unterstellt man ihm dann, wieder selbstständig zu sein? Streicht man ihm den Regelsatz zusammen? Der Künstler soll schweigen, soll ruhen - wer Arbeitslosengeld II bezieht, so will man dem Bezieher begreiflich machen, der hat keine Kunst zu fabrizieren. Nach dem Bewilligungsbescheid ein Gedicht zu schreiben, ist gefährlich!
Man könnte frech behaupten, dass dieser geplante Steich von der Leyens auf die Medienkampagne gegen Johannes Ponader, Geschäftsführer der Piratenpartei, zurückzuführen ist. Der ist Schauspieler und Theaterpädagoge und gab vor einiger Zeit zu, sein wenig üppiges Salär mit Hartz IV aufzustocken. Ein Aufschrei ging durch das Feuilleton. Einen Schmarotzer nannte man ihn; soll er halt mehr Aufträge annehmen, hieß es zynisch. Gerade so, als lägen die auf der Straße herum. Oder besser noch, er solle richtiger Arbeit nachgehen, etwas Gescheites tun, körperlich - Blut, Schweiß und Tränen. Nützlich sein... Die übliche calvinistische Verächtlichkeit gegenüber Schöngeistigkeit und Ästhetik, die keinen pekuniären Wert abwirft - jedenfalls keinen großen, keinen vermögenden pekuniären Wert. Eine Einstellung, die sich immer latent gehalten hat, die aber nun irgendwie zum Abschluss kommen soll.
Sicherlich, kürzlich noch schrieb unter anderem die geschätzte Julie Zeh, dass es in diesem Land eine extreme Künstlerfreundlichkeit gibt; sie sprach von Stipendien, von der Künstlersozialkasse und etwaigen Fonds. Alles richtig. Aber die Grundhaltung zur Kunst ist damit doch nicht erklärt. Man schätzt sie ja, man findet sie wichtig - aber der, der sie macht, der sie formt und singt, der soll verdammt nochmal so davon leben können, dass die Allgemeinheit für ihn nicht einspringen muß. Die Künstlerfreundlichkeit ist hierzulande doch bestenfalls die Freundlichkeit gegenüber Künstlern, die es geschafft haben, von ihrer Kunst zu leben; es ist die Freundlichkeit gegenüber gutsituierten Künstlern, die Freundlichkeit gegenüber Künstlereliten. Wie man Ponader angriff, hat doch gezeigt, wie man den Kunstschaffenden sieht, wenn er nicht von seiner Arbeit leben kann; hat gezeigt, um wieviel schlimmer man es wertet, wenn dazu noch politisches Engagement kommt. Von der Leyen will der Selbstständigkeit generell ans Leder - sie trifft damit aber verstärkt die Kunst. Haben Sie schon mal den mitleidigen und oft despektierlichen Blick gesehen, den man zugeworfen bekommt, wenn man auf die Frage, was man denn tue, mit Schreiben! antwortet? Und davon kann man leben?
Es gibt ein kulturelles Bedürfnis des Menschen. Künstler befriedigen dieses. In Zeiten geilen Geizes ist es Usus, allerlei Bedürfnisse möglichst billig, vielleicht sogar gratis befriedigt bekommen zu wollen. Den Künstler trifft diese Sparwut eher als den Metzger. Aber irgendjemand muß diese kulturelle Arbeit doch trotzdem leisten. Sie ist existenziell für den Menschen, für seine eigene Wahrnehmung, für die Verarbeitung der Welt, wie sie sich ihm zeigt. Kunst schafft Reize, Impulse, bildet die Welt in verdichteter, komprimierter Form so ab, dass sie wahrhaftig und manchmal sogar wahrhaftiger wird, dass sie auf einen hin und wieder ästhetischen Kern geschrumpft wird, auf einen, der Erklärungen liefert. Das muß doch jemand tun! Ist die Forderung, man solle sich richtige Arbeit suchen, nicht ein Hohn? Ist das etwa keine richtige Arbeit, etwa keine wichtige Arbeit?
"Ich bin oft arbeitslos und weiß dann nicht, wovon ich die Miete bezahlen soll. Ich bin froh, überhaupt noch Arbeit zu bekommen, muss nehmen, was ich kriegen kann. Es ist schwer, davon zu leben", sagte die Schauspielerin Silvia Seidel in einem Interview. Zugejubelt haben sie ihr in den Achtzigerjahren; mittlerweile ist sie tot - Freitod, nachdem sie vorher regelmäßig ihren Frust in Alkohol konserviert hat. Das war eine Frau, die schon früh ganz oben war - und dennoch war sie oft arbeitslos, dennoch hatte sie Existenzängste. Das ist das Los so vieler Künstler - und das soll nun noch verschärft werden, setzt sich die Absicht von der Leyens durch. Ganz schön bezeichnend, wenn zeitgleich in Zeitungen zu lesen ist, dass der Selbstständigkeit, eben auch der künstlerischen Selbstständigkeit das Aufstocken verboten werden soll und dass eine Schauspielerin, die von Existenzängsten getrieben war, die ihre oftmalige Arbeitslosigkeit beklagte, sich das Leben nahm. Makaber ist das! Und eigentlich paradox - diese Paradoxie immer wieder herauszuarbeiten, das ist die Aufgabe der Kunst. Der Journalismus schafft das nicht, kann er nicht, ist nicht seine Aufgabe - schon gar nicht, wenn er zum Schönalismus wird, der publizistisch zu schönen hat, was so unschön ist.
Es trifft ja nicht nur Künstler!, wird man nun einwenden. Stimmt. Auch um die anderen Kleinunternehmer ist es schade - schade um sie als Menschen, deren Vision dahinschmilzt oder sie selbst, wenn sie dennoch Kleinunternehmer bleiben, der zu wenig zum Leben hat, der also Existenzsicherung bräuchte, die er nicht mehr kriegt. Aber Künstler trifft es überproportional - und es trifft sie nicht nur persönlich, sondern es trifft uns gesellschaftlich, trifft uns kulturell, macht nicht nur den Selbstständigen arm, sondern uns alle, läßt uns alle geistig, kulturell und schöngeistig verarmen. Vielleicht ist die Absicht nicht direkt, den künstlerischen Müßiggang, den die bürgerliche Mitte immer schon kritisierte, einzudämmen. Aber er ist so ein schönes Nebenprodukt der Forderung von der Leyens. Endlich bringt man sie weg von ihrer Berufung und steckt sie in einen Beruf. Endlich werden sie nützlich, können wir sie allgemein monetären Gründen wegen verzwecken.
Was hier geschieht, ist die Gleichschaltung des Menschen vor kapitalistischen Interessen. Die Kunst hat in einer Dystopie, wie sie die gleichgeschaltete Gesellschaft ist, keinen Platz - nur wenn sie satte Märkte erschließt. Dann kann der Künstler ja auch davon leben - dann ist er zwar immer noch ein suspekter Mensch, aber doch wenigstens ausreichend mit Geld ausgestattet, um seine Seltsamkeiten nicht alimentieren zu lassen. Von der Leyens Forderung ist so viel mehr - sie ist ein Mordanschlag auf freie Kleinkunst!
22 Kommentare:
Als Merkel in einer Regierungserklärung sagte, sie wolle "mehr Freiheit" wagen, hätte man gewarnt sein können. V.d.Leyen exekutiert nur die radikale Marktwirtschaft: Wer von seiner Kunst nicht leben kann, soll damit aufhören: Nach dieser Logik ist D.Bohlen ein großer Künstler. Kafka, der niemals was verdient, war bestenfalls ein Kunst-Simulant. Goethe muss eine Art Trickbetrüger gewesen sein, schaffte er es doch, seinem Herzog die Kohle aus den Knochen zu leiern. Thomas Mann hat es nach v.d.Leyens Logik sicher richtig gemacht: Er hat reich geheiratet, Karlheinz Stockhausen übrigens auch. Sicher richtig gemacht haben es auch Benn und Döblin: Die lebten von ihren Medizinerjobs. Kleist war ein pausenloser Bankrotteur und hat das verdiente Ende im Freitod gefunden. Schiller hat es auch richtig gemacht und ist früh gestorben. Wirklich gute und erfolgreiche Schriftsteller waren beispielsweise Ludwig Ganghofer oder Hedwig Courts-Mahler, die haben viel verdient und wurden massenweise von den reaktionären Mittelschichten gelesen. Die Marktradikalen werden die Literaturgeschichte also ganz neu schreiben müssen.
Furioser Kommentar, Ulli! Danke!
Wir hatten das Thema hier schon mal, und ich sage nochmal:
Man wird mit Kunst überschüttet. Allein in meiner mittelgroßen Stadt gibt es über 100 (!) Galerien, man kann fast täglich auf eine Vernissage gehen.
Wer "Künstler" genannt werden will, steht für mich in einer Bringschuld, das zu rechtfertigen - genauso wie jeder andere Beruf. Wer mit seiner Kunst keine Menschen erreicht, gleichsam nur selbsttherapeutisch tätig ist, kann nun mal nicht auf das Selbstverständnis bauen, das ihm zugesteht, möglicherweise posthum als Künstler erkannt zu werden.
es hilft - man muss es wohl so sagen -
nur noch: klagen, klagen, klagen.
man klage vor dem sozialgericht,
dass es einem recht zuspricht.
man klage öffentlich und laut:
HIER WERDEN GRUNDRECHTE GEKLAUT.
ich klage über die reGIERung,
weil sie der gier nur raum noch gibt,
weil sie das recht mit füssen tritt,
statt es mit fug und kraft zu fördern.
ich klage an das volk im ganzen,
weil es nur auf die rechtsinstanzen,
nicht auf die eigne kraft mehr baut.
auf leute, werdet viel und laut.
dagegen setz ich diesen goethe
grün ist des lebens goldner baum
und setz noch einen obendrauf:
und trägt verschiedene früchte.
deren bedürfen wir gar wohl,
denn geld kann man nicht essen noch geniessen.
"ich will gesang, will spiel und tanz,"
und nicht nur dann
"wenn man mich untern rasen pflügt."
Gerrit meint damit: Was Kunst ist, entscheidet er.
Wer entscheidet es denn? Jeder selbst, der die Behauptung, Künstler zu sein, in die Welt setzt?
Nur weil Kunst nicht direkt schadet, lässt man die Berufsbezeichnung ungeschützt.
Was Sie sagen, ist, als dürfe sich jeder Arzt nennen, der Menschen gerne operieren will, auch wenn er nur sehr beschränkte Befähigung dazu hat.
Einen Menschen zu behandeln, zu operieren, muß man erlernen - das Künstlerische hat man in sich oder hat es nicht; man kann es schleifen und verbessern, aber nie erlernen. Was Sie da vergleichen, ist nicht zu vergleichen. Weil Sie ein Künstler nicht erreicht, wollen Sie dem diese Bezeichnung streitig machen - in dieser Weise fungierten mal ganz andere, die meinten, sie könnten Kunst nach ihren Kriterien auslegen.
....es gibt doch eine ganz einfache Möglichkeit:
......"Cäsch in de Täsch"......und somit kriegt die ARGE nix mit....lach
@ Gerrit,
Sie vertreten zwar eine Mainstreamposition, sind aber
kunsthistorisch im Unrecht: überhaupt rate ich Ihnen dringend,
sich ein wenig mit Kunstgeschichte
zu beschäftigen – Sie werden staunen, wer nach Ihrer Logik gar nicht erst hätte schöpferisch werden und bleiben können. Vincent van Gogh ist da das populärste Beispiel, eigentlich schon Vulgärbildung selbst für Kunstbanausen. Und eine wichtige Lektüre für Leute Ihres Schlages wären Heinrich Bölls >Ansichten eines Clowns<, wo der Protagonist, dieser Problematik ausgesetzt, sie sehr tief und nachvollziehbar reflektiert.
Selbst neoliberal atrophierten Hirnen sollte nach der Lektüre dieses Romans die Problematik der Kunst/ des Künstlers ein wenig nachvollziehbarer geworden sein:
als Überlebenskampf Kunstschaffender in einer zynischen Welt, die den Preis von Allem (aner)kennt oder zu kennen glaubt, aber nicht den Wert (an/zu)erkennt oder dazu überhaupt bereit ist.
BTW: womit sollen denn die Künstler mit de-facto-Berufsverbot küntig ihre Brötchen verdienen? Bei Ihresgleichen in Prekärjobs?
Eine Option für brotlose Künstler wäre es noch, reich zu heiraten. Maria Furtwängler und Veronica Ferres habens vorgemacht. (Ich behaupte nicht, dass dieses sonntägliche Räuber-und-Gendarm-Spiel der Furtwängler im TV was mit Kunst zu tun hat, das ist mehr so ein peinliches Hobby einer gelangweilten Milliardärsgattin.) So wird Kunst endgültig wieder zum Luxusgut einer kleinen Oberschicht.
Traurig, das alles...
"Das Künstlerische hat man in sich oder hat es nicht"?
Diese Einteilung würde ich niemals treffen. JEDER Mensch hat Künstlerisches in sich.
Die Fragestellung in diesem Artikelzusammenhang beginnt da, wo es um eine gesellschaftlich getragene Besserstellung desjenigen geht, der das Künstlerische zum Beruf machen will.
Dass dies Diskussionen um den Kunstbegriff aufwirft, ist selbstverständlich - ganz gleich, welche Blüten die Geschichte dabei schon getrieben hat.
Man sollte noch drauf hinweisen, dass auch die Finanzierung der Künstler über den Markt, abgesehen von ein paar Stars, nicht funktioniert. Vom Ladenpreis eines Buches gehen im Durchschnitt 40% an den Handel, 40% an den Verlag, 10% kostet die Herstellung und 10% kriegt der Autor. Diese Aufteilung sagt schon alles. Und jeder Autor oder Musiker kennt die Bitte, doch mal umsonst zu lesen oder zu spielen. Die Getränke seien ja kostenlos und man würde bekannter werden. Will man dennoch Honorar, heißt es: Wir haben kein Geld. Tatsächlich wird in diesem Land jeder Scheiß bezahlt, nur Kreativität nicht.
@gerrit –
wie soll mensch Ihren Einwand
von wg. Besserstellung denn nun
verstehen?
Im Sinne des Statements der Familie Anna´s in Brechts >Die 7 Todsünden der Kleinbürger<, sinngemäß Kunst als Privileg Betuchter?
Oder dass Kunstschaffen als Wagnis per se nicht förderfähig ist, sofern es sich um das Wagnis von Individuen ohne hinreichendeBonität handelt?
Übrigens haben gerade diese sog.
Blüten der Geschichte die WAHRE
(nicht WARE) Kunstgeschichte geschrieben! Die seinerzeit gesellschaftlich und kommerziell Erfolgreichen kennen (und nehmen sie überhaupt zur Kenntnis) heute allenfalls Kunsthistoriker im Rahmen ihrer individuellen Spezialisierung.
Oder muss man nach Ihrer Theorie einem Dietää Bohlen einen höheren musikalischen Rang zuerkennen als dem Business-Flop Franz Schubert?
"Tatsächlich wird in diesem Land jeder Scheiß bezahlt, nur Kreativität nicht."
In welchem Land wird Kreaktivität denn besser bezahlt? Ich als Musiker würde dann wirklich in Erwägung ziehen, dorthin zu gehen. Diverse Kollegen haben es im Ausland versucht - allesamt sind sie nach spätestens 2 Jahren wieder zurückgekommen, weil es ihnen dort (Italien, Spanien, England, Mexiko, USA) schlechter ging als hier.
Was von der Leyen will, ist die Verdummung Deutschlands..
Noch mehr RTL Zuschauer - aufgrund von geringer Bildung durch Lesen..
Noch mehr BILD Leser - aufgrund von zu geringen künstlerischen Aspekten in unseren Tageszeitungen..
Und vieles mehr..
Traurig, traurig und noch mehr Traurig..
Wie kann man die künstlerische Ader in Deutschland nur so wenig zu schätzen wissen..
Hallo mann_von_nebenan,
sie sagen da: 'Die seinerzeit gesellschaftlich und kommerziell Erfolgreichen kennen (und nehmen sie überhaupt zur Kenntnis) heute allenfalls Kunsthistoriker im Rahmen ihrer individuellen Spezialisierung.'
Das kann man natürlich nicht verallgemeinern.
Mozart z.B. war ein Großverdiener mit nach heutiger Kaufkraft etwa 125.000 € Jahreseinkommen.
Weitere Beispiele: Joseph Haydn, Georg Friedrich Händel, Felix Mendelssohn Bartholdy, Franz Liszt, Johann Strauss (Vater und Sohn), Gustav Mahler, und viele mehr - alle erfuhren zu Lebzeiten höchste Ehrungen.
Hat nicht einmal jemand gesagt: "Jeder fängt mal klein an"?
Wo wären denn selbst die "grossen" (i.e. erfolgreichen) Künstler unserer Zeit, wenn Sie schon in frühen Jahren ihre Kunst dem monetären Zwang geopfert hätten?
War Dieter Bohlen immer schon reich? (Ok, schlechtes Beispiel, der hat seine Musik stets dem Monetären unterworfen).
War Juli Zeh immer schon eine bourgeoise Dumpfbacke?
@ulli,
so verallgemeinert habe ich das auch nicht – na, und Sie haben die Rosinen aus dem Kuchen herausgepickt …
Wobei ich recht wenig von dieser Umrechnerei auf moderne Wirtschaftleistung halte. Wie kommt es denn, dass Mozart in einem Armengrab verscharrt wurde?
Das Problem des Künstlerlebens ist es heute wohl im Generellen mit der Effizienz nicht zu Rande zu kommen. Das künsterlische Hervorbringen ist kein Arbeitsgang, der sich im Prozessmanagement neue Parameter ausleihen könnte und fortan effizienter hervorbringen könnte. Es bedarf der vielen Versuche um des unvorhersehbaren Glückes Empfänger zu werden, etwas Gelungenes hervorgebracht zu haben. Der Geschehensraum ist dabei keineswegs nur das Individuum, sondern mehrere und viele Individuen über die Zeit hin. Demnach bringen viele Schund und an einem Ort kommt unverhofft ein Schönes hervor. Fälscherlicherweise wird dies in der heutigen Existenzoptik dem Einzelnen zu geschrieben. Dies ist natürlich ein Irrtum. Aber bis auf weiteres werden wir damit leben müssen. Der Künstler selbst meint ja heute noch, er wäre Prinzipal seiner Hevorbringung. Das Talent und das Gelingen hätte er sich von Kindesjahren an erleistet. Pränatal schon habe er geplant, erfolgreicher Künstler zu werden.
Die Vorstellung vom Abkommen von dieser Logik sticht sogleich in des Bürgers Gedankenblase und läßt den eitrigen Gedanken entweichen, dass Horden von Trittbrettfahrern wuchern würden. Faulenichtse, die Geld wollten, um sich als Baustein einer Kunst zu bezeichnen, während dessen sie in Amrum am Strand lägen. Und der halluzinierte Singularkünstler würde erstickt und ihm am Säckel gehangen.
Daher müssen wir sehen: Das Übergehen des Transindivuellen schadet dem Individuum.
Ich schreibe, bis jetzt nur ein paar Peanuts damit verdient. Zum Glück wurde ich mit einer sportlichen Kindheit gesegnet und kann nebenher nch Tennistrainerstunden geben. Gutes Geld, guter Stundenlohn. Kenne viele junge Comiczeichner, die verdienen ihre Kohle abseits ihres künstlerischen Schaffens mit Bar arbeit oder haben einen Vollzeitjob als Animator z.B. Die ackern dann 40 Stunden die Woche und abends wird dann weiter gezeichnet. Das ist eine bewundernswerte Disziplin und beweist mit wieviel Liebe sie sich ihrer Kunst widmen. Wenn ich 40 Stunden die Woche schuften müsste, glaube ich nicht, dass ich noch die Kraft hätte, meine Gedanken aufs Papier zu bringen.
LG an
mann_von_nebenan, wie kommen Sie darauf, dass Mozart in einem Armengrab starb?
Siehe auch Wikipedia (dort Angabe weiterer Quellen):
"Die Spekulationen:
Mozart starb verarmt und wurde in einem Armengrab beerdigt. ... Richtig ist, dass er als Musiker standesgemäß in einem „einfachen allgemeinen Grab“ bestattet wurde, nicht in einem „Armengrab“."
@ flavo
"Daher müssen wir sehen: Das Übergehen des Transindivuellen schadet dem Individuum."
Das kann man gar nicht oft genug sagen.
Unter Kunstschaffenden wird durchaus kein derart pauschales Loblied auf alles angestimmt, was sich Kunst nennen möchte. Ob durch die Kunst "die Welt wahrhaftig und manchmal sogar wahrhaftiger wird", muss jedes einzelne Werk erst dem Einzelnen und der es zwischen anderer Kunst einordnenden Kunstkritik beweisen.
Man kommt nicht an Massstäben herum - so wie eben ein Kunstwerk taxiert wird, um dem Künstler ein Einkommen zu bringen. Sich gegen Massstäbe zu wenden bedeutet, kaufbare Kunst generell abzulehnen.
Sonst sind wir wieder beim Sozialismus, in dem alle das gleiche bekommen (unter der Hand dann aber doch wieder nicht).
Die entscheidende Frage lautet also:
Was wären Kriterien für Euch, die den einen zum (angeachtet seines Zuspruchs zu alimentierenden) Künstler machen und den anderen nicht?
Kommentar veröffentlichen