Ein Organ des ewigen Lebens
Donnerstag, 16. August 2012
Letzte Woche war im Hause Springer großer Organspende-Tag. Selten hat man so viele Menschen erlebt, die so voller Entzücken und auch Freude dem eigenen Ableben entgegenfieberten. Fast alle lächelten sie, fast alle trugen sie ihre Überzeugung in ihren Lachfältchen herum. Mancher Philosoph, nicht zuletzt mancher Theologe, mokierte schon vorher, dass wir in einer Kultur des Todes lebten. Eine Kulturleistung mag wohl sein, den eigenen Tod galant zu überspielen, Thanatos in die Gesellschaft einzuführen. Die Pop-Kultur hat schon lange auch von sensiblen Aspekten des Lebens Besitz ergriffen; das war und ist gar nicht immer negativ, dies hat auch vormals tabuisierte Themen entweiht und zugänglich gemacht, Einsichten geschaffen. Nur so poppig, so bunt und verzerrt, haben sich bislang selten Menschen dem eigenen Ableben gestellt. Dem Fatalismus, dem sich jedes menschliche Leben, endlich in seiner Konzeption, gegenüber sieht, trotzig die Stirn zu bieten, nicht zu verzagen, sondern die Begrenztheit, die Flüchtigkeit der eigenen Körperlichkeit wegzulächeln, gleicht beinahe schon jener metaphysischen Revolte, die Camus in seiner Essay-Sammlung "L’homme révolté" benennt.
Eigentlich ist diese Revolte noch viel fundamentaler, denn sie lächelt nicht nur über den Tod hinweg, sondern auch über den persönlichen Sterbensweg. Der potenzielle Organspender muß im Schoße einer Intensivstation sterben, was voraussetzt, eine sehr schwere Krankheit erlitten zu haben, um dort betreut worden zu sein. Nur so tritt der Tod bei lebendigem Leibe ein, wie Vera Kalitzkus dies in ihrem Buch nennt. Dieses im Springer-Medium postulierte Selbstbewusstsein gerät somit zur mutigsten metaphysischen Revolte, die man sich denken kann. Hier rebelliert man gegen die Unumgänglichkeit jeden Erdenlebens, erhebt sich gegen die Sterbenskrankheit, macht man sich zum Organ des ewigen Lebens der Menschheit, nicht des Menschen. Es ist nicht nur der eigene Tod, den man weglächelt, den man sich zivilcouragiert wegengagiert - man schmunzelt sich über einen "Leidensweg hin zum Tode" hinweg. Der fehlende offene Umgang mit der Transplantationsrealität legt vermutlich den Verdacht nahe, dass viele der lächelnden Rebellen gegen das Unabwendbare, gar nicht ahnen, wie ihr Sterben gestaltet sein muß, um als Organ in einem Fremden Dienst tun zu können. Aus dem Mut, sich in dieses aussichtslose Gefecht zu stürzen, wird so Naivität, unaufgeklärter Aktionismus, lachhaft in Pop-Art geschwungene Einfalt.
Die Komplikationen, die eine Kultur der routinierten Organspende aufwerfen, finden kaum Gehör. Die Debatte ist radikal, in ihr ist die Spende das Gute; die Weigerung, seinen Körper posthum als Biomaterial zur Verfügung zu stellen, versteht sie als Anzeichen von Boshaftigkeit. Wir sprechen wenig über das Leid nach dem Empfang eines Organes, über die dauerhafte Angst vor der Abstoßung, die beeinträchtigende Medikation, darüber, wie man sich fühlt, etwas Fremdes in sich zu tragen; etwas, das einem in Fleisch und Blut übergeht, das aber dennoch fremd und undefinierbar bleibt. Es ist ein Unterschied, ob einem eine Herzklappe eingesetzt wird, die in einem Unternehmen für Hospitalbedarf gefertigt wurde, oder ob das einzusetzende Objekt etwas ist, das in einem anderen menschlichen Körper gereift und gewachsen ist.
Es ist dieser fehlenden Auseinandersetzung geschuldet, dass sich hierbei fast schon witzige, weil in ihrer Einfalt tragische Sequenzen ergeben. Da werben Männer an der Schwelle zum Greisenalter mit Slogans wie "Jetzt erst recht!" - er will doch sicherlich noch ein, vielleicht zwei Jahrzehnte leben, er will dann doch sicherlich friedlich einschlafen, schnell sterben, im Kreise seiner Familie, zuhause vielleicht sogar. Was sind die verwelkten Organe eines Greises denn wert? Außer für ihn selbst, er liebt sie ja, denn es sind seine, sie haben ihn begleitet, mit ihm erlebt und gelitten. Solche Motivationen sind entweder schrecklich lachhaft und satirisch oder sie sind von Unwissenheit gezeichnet. Vielleicht ist es aber auch mehr, vielleicht ist diese seltsame metaphysische Revolte nicht nur dafür geschaffen, der Menschheit ein längeres Leben leerzuversprechen, sondern dem jeweiligen Organspender auch. Vielleicht ist die greisenhafte Bereitschaft, seine ausgemergelten Organe wenigstens theoretisch zur Verfügung zu stellen, so zu erklären: Um einen Teil des eigenen Lebens zu übertragen, um weiterzuleben, obgleich man eben nicht mehr lebt, gerade jetzt, wo der eigene Tod immer denkbarer wird, das ist der Strohhalm weiterhin nützlich, weiterhin lebendig zu sein. Das ist natürlich rational betrachtet blanker Unsinn. Aber welche irrationalen Impulse treiben den Menschen nicht alle dazu, sich dem Unausweichlichen nicht stellen zu müssen.
Ob nun richtig, ob nun falsch, das wird eine persönliche Frage bleiben. Der gesellschaftliche Umgang damit, die popularisierte Aufklärung, die den Menschen zum Biomaterial macht, die alle anderen Aspekte ausblendet, das ist aber zweifellos falsch. Die Verteufelung derer, die nicht spenden wollen, auch derer, die sich keine Gedanken dazu machen möchten, ist falsch. Es gibt, so hart das für Organbedürftige klingen mag, keinen Anspruch auf eine medizinische Hilfe, die sich auf den Tod anderer Menschen stützt - es gibt wohl die Möglichkeit, nicht aber den Anspruch. Aus dieser falschen Anspruchshaltung heraus treten Beißreflexe, die demjenigen, der nicht spenden möchte, zusetzen. Und diese Anspruchshaltung und die hieraus resultierende Belehrungsmoral sind ebenso falsch.
Eigentlich ist diese Revolte noch viel fundamentaler, denn sie lächelt nicht nur über den Tod hinweg, sondern auch über den persönlichen Sterbensweg. Der potenzielle Organspender muß im Schoße einer Intensivstation sterben, was voraussetzt, eine sehr schwere Krankheit erlitten zu haben, um dort betreut worden zu sein. Nur so tritt der Tod bei lebendigem Leibe ein, wie Vera Kalitzkus dies in ihrem Buch nennt. Dieses im Springer-Medium postulierte Selbstbewusstsein gerät somit zur mutigsten metaphysischen Revolte, die man sich denken kann. Hier rebelliert man gegen die Unumgänglichkeit jeden Erdenlebens, erhebt sich gegen die Sterbenskrankheit, macht man sich zum Organ des ewigen Lebens der Menschheit, nicht des Menschen. Es ist nicht nur der eigene Tod, den man weglächelt, den man sich zivilcouragiert wegengagiert - man schmunzelt sich über einen "Leidensweg hin zum Tode" hinweg. Der fehlende offene Umgang mit der Transplantationsrealität legt vermutlich den Verdacht nahe, dass viele der lächelnden Rebellen gegen das Unabwendbare, gar nicht ahnen, wie ihr Sterben gestaltet sein muß, um als Organ in einem Fremden Dienst tun zu können. Aus dem Mut, sich in dieses aussichtslose Gefecht zu stürzen, wird so Naivität, unaufgeklärter Aktionismus, lachhaft in Pop-Art geschwungene Einfalt.
Die Komplikationen, die eine Kultur der routinierten Organspende aufwerfen, finden kaum Gehör. Die Debatte ist radikal, in ihr ist die Spende das Gute; die Weigerung, seinen Körper posthum als Biomaterial zur Verfügung zu stellen, versteht sie als Anzeichen von Boshaftigkeit. Wir sprechen wenig über das Leid nach dem Empfang eines Organes, über die dauerhafte Angst vor der Abstoßung, die beeinträchtigende Medikation, darüber, wie man sich fühlt, etwas Fremdes in sich zu tragen; etwas, das einem in Fleisch und Blut übergeht, das aber dennoch fremd und undefinierbar bleibt. Es ist ein Unterschied, ob einem eine Herzklappe eingesetzt wird, die in einem Unternehmen für Hospitalbedarf gefertigt wurde, oder ob das einzusetzende Objekt etwas ist, das in einem anderen menschlichen Körper gereift und gewachsen ist.
Ob nun richtig, ob nun falsch, das wird eine persönliche Frage bleiben. Der gesellschaftliche Umgang damit, die popularisierte Aufklärung, die den Menschen zum Biomaterial macht, die alle anderen Aspekte ausblendet, das ist aber zweifellos falsch. Die Verteufelung derer, die nicht spenden wollen, auch derer, die sich keine Gedanken dazu machen möchten, ist falsch. Es gibt, so hart das für Organbedürftige klingen mag, keinen Anspruch auf eine medizinische Hilfe, die sich auf den Tod anderer Menschen stützt - es gibt wohl die Möglichkeit, nicht aber den Anspruch. Aus dieser falschen Anspruchshaltung heraus treten Beißreflexe, die demjenigen, der nicht spenden möchte, zusetzen. Und diese Anspruchshaltung und die hieraus resultierende Belehrungsmoral sind ebenso falsch.
10 Kommentare:
Man muß sicher bei vielen einen Opportunismus bis zur Blödsinnigkeit abziehen.
Aber daß außerdem eine Strategie des Weglächelns darin liegt, ist wohl anzunehmen.
Ich lese eben zum dritten oder vierten Male "Messiah" von Gore Vidal. Ich habe viel daran auszusetzen, aber ich komme nicht davon los. Es steckt etwas böse richtiges darin.
Ich kann es nur empfehlen.
Ein wahrer Text über ein wichtiges Thema. Ich zitiere mich der Einfachheit halber mal selbst.
"Diese ganze Transplatation-Wesen ist dermassen intranzparent, dass ich inzwischen nicht mal an eine faire Vergabe der Organe glauben mag. Wundern würde es mich jedenfalls nicht, wenn Dank unseres Mehrklassen-Krankensystems ein etwas verkürztes Prozedere für Privat-Versicherte existieren würde."
http://ad-sinistram.blogspot.de/2012/02/der-kommunistische-korper.html#comment-5915918269317592605
Manchmal hasse ich es, wenn ich mich durch die Realität bestätigt sehe.
Mit freundlichen Grüßen
Stephan
Sterben?
"Jetzt erst recht!" "Wir machen mit, damit Deutschland endlich auch Sterbeweltmeister wird."
Senkt die Kosten für's sterben, damit Sterbebetten nicht nach China ausgelagert werden müssen!
Eine Sterbeagenda 2020 muss her, denn wer nicht sterben will, der soll auch nicht essen, das wird sonst der Ruf sein.
Jetzt erst recht ! - Ist das nicht ein vielgehörter Ausspruch von Kindern im Trotzalter ? - Na ja, das ist halt die Sprache der Bildzeitungsleser.
"metaphysische Revolte" find ich treffend.
P.S. Das Buch von Vera Kalitzkus möchte ich jedem Betroffenen und Interessierten sehr empfehlen. -
Die Probleme, die mit der Transplantationsmedizin zusammenhängen werden hier anschaulich beschrieben.
Hartmut
Dieser Empfehlung Hartmuts kann ich mich nur anschließen. Pflichtlektüre - und ich sage das sicher nicht oft.
Während bei jedem rezeptfreien Hustensaft dazu aufgefordert wird, sich über mögliche Nebenwirkungen beim Arzt oder Apotheker zu erkundigen, sollen Menschen die Organspendeausweise nach dem Willen der Verantwortlichen am liebsten vor allem schnell und gerne auch ohne jede Information oder Aufklärung über die möglichen praktischen Konsequenzen einer solchen Entscheidung ausfüllen. Daß, wer einen Organspendeausweis hat, in der Regel, wenn er es ernst meint, seine Patientenverfügung wirkungslos macht, wird den meisten Menschen unbekannt sein – und so soll es angesichts der klaren Zielsetzung eventueller neuer Regelungen auch bleiben.
Wenn Organe zur Transplantation entnommen werden sollen, ist allerdings genau diese High-tech-medizinische Behandlung, die in Zusammenhang mit Patientenverfügungen abgelehnt wird, unbedingt erforderlich: Nur wenn der sterbende und tote Körper beatmet und durchblutet wird, bleiben auch seine Organe in guter Verfassung und ermöglichen die Übertragung.
Die "Leistungselite" ist schon einen Schritt weiter....
Auch die Zustimmung von Peter Oberender zu einem kommerziellen Organhandel unter klar definierten Rahmenbedingungen[9] wird bis hin zu Faschismusvorwürfen aus der linken Szene[10] kritisiert, insbesondere wegen seiner Äußerungen mit Blick auf Bezieher von Hartz IV-Leistungen: „Wenn jemand existenziell bedroht ist, sollte er die Möglichkeit haben, sich und seine Familie durch den Verkauf von Organen zu finanzieren.“[Quelle:s. Wikipedia]
"Der potenzielle Organspender muß im Schoße einer Intensivstation sterben"
Sie lassen es so klingen als ob ein Organspender sich zum Sterben ins Krankenhaus begiebt und sich dort für die Ausschlachtung vorbereitet. An Altersschwäche im vertrauten Kreis zu sterben ist das Ideal. Nur läuft es im Leben eben nicht immer ideal und viele Sterbenswege beginnen mit der Fahrt zur Notaufnahme, nicht um die Organe sondern das eigene Überleben zu sichern. Und wenn dieses versagt, erspart ein Spenderausweiß die unausweichliche Frage an die Hinterbliebenen.
Ich glaube an ein weiterleben, zumindest in Teilen.
Das natürlich immer Organe zuerst an die Reichen & Mächtigen gehen werden, ist nix Neues. Es ist aber auch feststellbar, das trotzdem noch bei denen etwas ankommt, die es auch benötigen und nicht die (finanziellen) Möglichkeiten haben. Solange das noch so ist, ist so`n Organspenderausweis schon mal nicht übel. Sollen Sich die Fachleute 'ne Rübe machen, was dann tatsächlich verwertbar ist. Dafür sind sie da und ausgebildet worden. Und was mit meinen Gebeinen passiert wenn´s zu Ende geht, ist mir ansonsten herzlich egal.Vielleicht kann sich ja Tier noch daran erfreuen. Aber mit dem Quatsch potentielle Landressourcen vergeuden damit andere lebenslang noch für meine Pflegekosten und das Umlegen zahlen dürfen, wenn ich mal nicht mehr bin, ist mir zuwider. Und ich bin auch lieber frühzeitiger ein Organspender, als ein Dauerfall für ein Hospiz.
Wie ist denn "eine medizinische Hilfe, die sich auf den Tod anderer Menschen stützt" zu verstehen? Im Gegensatz zu was? Einer medizinischen Hilfe, die sich auf den eigenen Tod stützt? Soll es heißen "kein Recht auf die Organe Toter"? Das wäre einfach und verständlich. Und diskussionswürdig. Oder ist damit etwas anders gemeint? Wenn die Begrife vielleicht mal geklärt werden könnten, dann könnte man darüber diskutieren, auf welche medizinische Versorgung es ein Recht gibt und wie weit andere dadurch beeinträchtigt werden dürfen.
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