Ich ekle mich - also zappe ich
Freitag, 30. März 2012
Warum bin ich eigentlich so erkaltet? Ich meine, ich lese und sehe täglich Leid - nicht unbedingt unmittelbar, ich glotz' TV, wie das eine zerschminkte Schreckschraube mal grölte. Neulich, da in Toulouse, ich habe es nur am Rande mitbekommen, da muß wohl ein Polizist oder Soldat oder ein Soldatenpolizist von diesem Mehrfachmörder erschossen worden sein - ich glaube erschossen, sagen wir daher lieber: ... getötet worden sein. Ein Polizist oder Soldat, der eine hochschwangere Verlobte hinterließ. Einige Medien berichteten - sie schrieben, sie dürfe ihn posthum dennoch heiraten. Sarkozy, Fachmann für ans Herz gehende Rührseligkeiten, die ihn als Staatsmann sympathisch machen sollen, hat sein Einverständnis gegeben. Das ist eine tragische Geschichte, voreheliche Witwe mit erwarteten Nachwuchs - aber mich berührt das nur peripher. Ich sage das nicht stolz oder provokativ, denn das betrübt mich, enttäuscht mich von mir selbst. Ich erkenne doch, dass es Tragik ist, dass es zum Heulen wäre. Mir geht es komischerweise nicht viel anders, wenn es Katastrophen gibt, Unglücke, wenn irgendwo ein Anschlag Menschen in den Tod riss. Die Heimsuchung, die der Mensch zuweilen erdulden muß, die vermag ich sehr wohl zu erkennen, die politischen Dimensionen auch - klar, darüber schreibe ich ja. Aber mehr ist da nicht. Ich scheine in diese Richtung derart erkaltet, blättere weiter, zappe weg, zucke mit den Achseln.
Damals, als das World Trade Center sich in den Erdboden bohrte, war es noch leicht anders. Ich weinte nicht, aber ich fühlte mit. Damals war ich elf Jahre jünger, elf Jahre weniger erfahren, um elf Jahre leichter manipulierbar. Geschähe das heute nochmals, ich würde es sicherlich verfolgen, einige Minuten, würde die Sentimentalität mit der Bekloeppel berichtete, seine Leichenbittermiene und das geheuchelte Mitgefühl nicht sehr lange ertragen, dann zappen, switchen, Was gibt es sonst noch Neues?, emotional kühl genug sein, um mich davon nicht ergreifen zu lassen. Man verstehe mich mal nicht falsch, natürlich legte ich wert darauf, dass die Drahtzieher nach rechtsstaatlichen Normen verurteilt würden - aber mit Taschentuch teilnehmen, Rotznase und Warum nur? Warum? stammeln, das könnte ich nie, dazu bin ich zu eisig.
Die Medien sind, so ist es mein Eindruck, ohne Anspruch auf Richtigkeit, ein Hinterbliebenen- und Dabeigewesenen-Begleitservice. Keiner, der sehr herzlich und warm mit dieser Klientel umgeht, der aber da ist, in der schweren Stunde zur Seite steht und wahrnimmt. Vorallem die Exklusivrechte an einer Story. Ich habe so den Eindruck, dass das tägliche Programm, die tägliche Schreibe, nichts weiter ist, als das Ablichten und Inszenieren emotionaler Unverbindlichkeiten, von denen der Konsument ergriffen sein soll. Wenn da die junge Schwangere aus Toulouse weint, dann wirkt das auf mich nicht mehr realistisch. Es scheint so, als weine sie, weil das Drehbuch der Aufführung es vorschreibe. Das ist natürlich Unsinn, sie weint wirklich, ihr Schmerz ist echt. Der mediale Begleitservice aber, der sich auf die Hinterbliebenen stürzt, deren Harm ausweidet, degradiert die Wirklichkeit zur Daily Soap. So drängt sich mir, erfahren durch jahrelange Sozialisierung der Medien, das Kümmernis auf, dass diese Frau nur weint, um mich zu unterhalten, meine Emotionen zu wecken, mein tristes Dasein mit Entertainment erträglicher zu machen. Ich glaube Neil Postman war es, der mal irgendwo schrieb, dass es kein Problem sei, wenn das Fernsehen Unterhaltung biete - problematisch sei nur, dass es uns jedes Thema als Unterhaltung bieten wolle. Wobei ich Fernsehen durch Boulevard ersetzen würde.
Das ist selbstverständlich Quark. Das weiß ich auch. Die bald zur Witwe Verheiratete weint nicht für ihr Publikum. Aber so weit sind wir schon: wir könnten uns nämlich vorstellen, dass sie es tut! Das Gegeifere jener Medien, die sich der Abbildung von Elend und Kümmernis verschrieben haben, bedient sich nur ihrer, inszeniert sie nicht. Doch ihr täglicher Sturzflug auf Tränen, auf Trauer, auf menschliche Talsohlen erzeugt keine nachhaltige Kultur der Anteilnahme, sondern eine der Abstumpfung. Irgendwann ertrinkt man im Meer der Tränen. Eine Weile mag man selbst traurig werden, wenn man diesen Berichten folgt. Aber irgendwann, wenn das Weh, mit dem sie einen Tag für Tag zuscheißen, einen erstickt, wenn die Tränen, die sie einfangen, einen schier ersaufen lassen, dann wendet man sich ab, zuckt mit den Achseln und fragt sich, weshalb die Not anderer Menschen mein Problem sein soll. Diese Kälte, die auch mich, Kind dieser Mediengesellschaft, teilweise befällt, erschreckt mich stark. So bin ich eigentlich nicht, bin ich doch eher zu nah am Wasser gebaut - aber seit Jahren habe ich den Eindruck, jede vergossene Träne, die bei Katastrophen, bei Anschlägen, bei Unfällen und Unglücken, bei Amokläufen und Verbrechen und allerhand anderen Ereignissen, die Weinen machen - seit Jahren also habe ich den Eindruck, man will den Konsumenten der News ertränken im Unglück anderer Menschen.
Das war irgendwo immer das Metier von Print und Broadcast, könnte man einwenden - stimmt wahrscheinlich auch. Aber so boulevardesk waren die Zeiten nie zuvor, so schamlos hat man wahrscheinlich nie zuvor mit der Trauer hantiert, so ein dankbares Publikum, das die eigene Lebenslangeweile dankbar mit solchen Rührstücken bereichert, gab es möglicherweise zuvor auch noch nie. Die Vereinzelung des Menschen unter Menschen: die Anteilnahme integriert den Vereinzelten wieder in eine Masse, in gleichgesinnte Betroffene - eine Ansammlung vereinzelter Konsumenten, die erlesene und durch bewegte Bilder erzeugte Betroffenheit mit Trauer verwechseln. Darüber schrieb ich schon mehrfach, daher kein weiterer Ausflug dorthin. Am Ende steht die Abstumpfung. Das ist, mit Verlaub, man gestatte mir diesen Vergleich, wie im Krieg. Der erste Tote, den man sieht, erschüttert den eigenen Kosmos. Gut, was weiß ich vom Krieg, aber ich habe das mehrfach gelesen. Ein, zwei oder drei Tote waren noch irgendwie zu ertragen, auch wenn man betroffen war, wenn man weinte, es einem speiübel wurde und man final kotzte. Heute, in Zeiten der Massenmedien und des Massengeschmacks für ein Massenpublikum, in einer Zeit, da Klasse immer auch Masse bedeutet, heute würde man auch mit hundert, zweihundert oder dreihundert Toten seinen erbrochenen Frieden machen können. Irgendwann ist eine Grenze überwunden, man kotzt nicht mehr, man nimmt den Tod nicht mehr wahr, man riecht die Verwesung nicht mehr, beziehungsweise, man riecht sie schon, verwechselt sie aber mit dem Duft frischer Luft - der Tod schreckt nicht mehr, wird zum harten, zum groben Naturgesetz, man fängt an, über Tote nicht mehr zu weinen, sondern sie zu verscharren, sie nicht mehr ideell, sondern materiell zu sehen. Nicht mehr als verstorbenen Menschen, sondern als störenden Biomechanismus, der bald bestialisch stinkt, wenn er nicht zu den Würmen hinabgelassen wird. Kurzum: Man stumpft ab.
Der Verdienst der Medien scheint mir zu sein, dass sie die Abstumpfung, nicht aber die "mitfühlende Gesellschaft" forcieren. Die Erkaltung, die ich an mir spüre, meine emotionale Abschaltung ist der Dauerberieselung geschuldet. Natürlich weiß ich, dass es tragische Sequenzen hienieden gibt - mehr als mir lieb sein können. Und ich weiß auch, dass jedes dieser medial herausgeputzten Kümmernisse der Zusammenbruch einer Welt ist, für diejenigen, die direkt davon betroffen sind. Aber ich wische es weg, zappe weiter, gebe mich kühl, bin angeekelt von denen, die sich wie Aasgeier auf die Gefühlsregungen derer stürzen, die übermannt werden von den Fährnissen des Lebens. Ich nähme ihr Leid doch gerne wahr - aber nicht, wenn es der Boulevard ist, der darüber berichtet; ich bin ja dafür, dass ihnen geholfen wird - aber ich bin kein Psychologe, kein Bestatter, kein Polizist - wie kann ich also helfen? Ich ekle mich vor dieser Berichterei, die von der Salinität vergossener Tränen erzählt, die das Salz dissoziiert, um daraus den Grad des Leides zu ermessen. Ich ekle mich, also zappe ich. Dazu bin ich mittlerweile abgestumpft genug...
Damals, als das World Trade Center sich in den Erdboden bohrte, war es noch leicht anders. Ich weinte nicht, aber ich fühlte mit. Damals war ich elf Jahre jünger, elf Jahre weniger erfahren, um elf Jahre leichter manipulierbar. Geschähe das heute nochmals, ich würde es sicherlich verfolgen, einige Minuten, würde die Sentimentalität mit der Bekloeppel berichtete, seine Leichenbittermiene und das geheuchelte Mitgefühl nicht sehr lange ertragen, dann zappen, switchen, Was gibt es sonst noch Neues?, emotional kühl genug sein, um mich davon nicht ergreifen zu lassen. Man verstehe mich mal nicht falsch, natürlich legte ich wert darauf, dass die Drahtzieher nach rechtsstaatlichen Normen verurteilt würden - aber mit Taschentuch teilnehmen, Rotznase und Warum nur? Warum? stammeln, das könnte ich nie, dazu bin ich zu eisig.
Die Medien sind, so ist es mein Eindruck, ohne Anspruch auf Richtigkeit, ein Hinterbliebenen- und Dabeigewesenen-Begleitservice. Keiner, der sehr herzlich und warm mit dieser Klientel umgeht, der aber da ist, in der schweren Stunde zur Seite steht und wahrnimmt. Vorallem die Exklusivrechte an einer Story. Ich habe so den Eindruck, dass das tägliche Programm, die tägliche Schreibe, nichts weiter ist, als das Ablichten und Inszenieren emotionaler Unverbindlichkeiten, von denen der Konsument ergriffen sein soll. Wenn da die junge Schwangere aus Toulouse weint, dann wirkt das auf mich nicht mehr realistisch. Es scheint so, als weine sie, weil das Drehbuch der Aufführung es vorschreibe. Das ist natürlich Unsinn, sie weint wirklich, ihr Schmerz ist echt. Der mediale Begleitservice aber, der sich auf die Hinterbliebenen stürzt, deren Harm ausweidet, degradiert die Wirklichkeit zur Daily Soap. So drängt sich mir, erfahren durch jahrelange Sozialisierung der Medien, das Kümmernis auf, dass diese Frau nur weint, um mich zu unterhalten, meine Emotionen zu wecken, mein tristes Dasein mit Entertainment erträglicher zu machen. Ich glaube Neil Postman war es, der mal irgendwo schrieb, dass es kein Problem sei, wenn das Fernsehen Unterhaltung biete - problematisch sei nur, dass es uns jedes Thema als Unterhaltung bieten wolle. Wobei ich Fernsehen durch Boulevard ersetzen würde.
Das ist selbstverständlich Quark. Das weiß ich auch. Die bald zur Witwe Verheiratete weint nicht für ihr Publikum. Aber so weit sind wir schon: wir könnten uns nämlich vorstellen, dass sie es tut! Das Gegeifere jener Medien, die sich der Abbildung von Elend und Kümmernis verschrieben haben, bedient sich nur ihrer, inszeniert sie nicht. Doch ihr täglicher Sturzflug auf Tränen, auf Trauer, auf menschliche Talsohlen erzeugt keine nachhaltige Kultur der Anteilnahme, sondern eine der Abstumpfung. Irgendwann ertrinkt man im Meer der Tränen. Eine Weile mag man selbst traurig werden, wenn man diesen Berichten folgt. Aber irgendwann, wenn das Weh, mit dem sie einen Tag für Tag zuscheißen, einen erstickt, wenn die Tränen, die sie einfangen, einen schier ersaufen lassen, dann wendet man sich ab, zuckt mit den Achseln und fragt sich, weshalb die Not anderer Menschen mein Problem sein soll. Diese Kälte, die auch mich, Kind dieser Mediengesellschaft, teilweise befällt, erschreckt mich stark. So bin ich eigentlich nicht, bin ich doch eher zu nah am Wasser gebaut - aber seit Jahren habe ich den Eindruck, jede vergossene Träne, die bei Katastrophen, bei Anschlägen, bei Unfällen und Unglücken, bei Amokläufen und Verbrechen und allerhand anderen Ereignissen, die Weinen machen - seit Jahren also habe ich den Eindruck, man will den Konsumenten der News ertränken im Unglück anderer Menschen.
Das war irgendwo immer das Metier von Print und Broadcast, könnte man einwenden - stimmt wahrscheinlich auch. Aber so boulevardesk waren die Zeiten nie zuvor, so schamlos hat man wahrscheinlich nie zuvor mit der Trauer hantiert, so ein dankbares Publikum, das die eigene Lebenslangeweile dankbar mit solchen Rührstücken bereichert, gab es möglicherweise zuvor auch noch nie. Die Vereinzelung des Menschen unter Menschen: die Anteilnahme integriert den Vereinzelten wieder in eine Masse, in gleichgesinnte Betroffene - eine Ansammlung vereinzelter Konsumenten, die erlesene und durch bewegte Bilder erzeugte Betroffenheit mit Trauer verwechseln. Darüber schrieb ich schon mehrfach, daher kein weiterer Ausflug dorthin. Am Ende steht die Abstumpfung. Das ist, mit Verlaub, man gestatte mir diesen Vergleich, wie im Krieg. Der erste Tote, den man sieht, erschüttert den eigenen Kosmos. Gut, was weiß ich vom Krieg, aber ich habe das mehrfach gelesen. Ein, zwei oder drei Tote waren noch irgendwie zu ertragen, auch wenn man betroffen war, wenn man weinte, es einem speiübel wurde und man final kotzte. Heute, in Zeiten der Massenmedien und des Massengeschmacks für ein Massenpublikum, in einer Zeit, da Klasse immer auch Masse bedeutet, heute würde man auch mit hundert, zweihundert oder dreihundert Toten seinen erbrochenen Frieden machen können. Irgendwann ist eine Grenze überwunden, man kotzt nicht mehr, man nimmt den Tod nicht mehr wahr, man riecht die Verwesung nicht mehr, beziehungsweise, man riecht sie schon, verwechselt sie aber mit dem Duft frischer Luft - der Tod schreckt nicht mehr, wird zum harten, zum groben Naturgesetz, man fängt an, über Tote nicht mehr zu weinen, sondern sie zu verscharren, sie nicht mehr ideell, sondern materiell zu sehen. Nicht mehr als verstorbenen Menschen, sondern als störenden Biomechanismus, der bald bestialisch stinkt, wenn er nicht zu den Würmen hinabgelassen wird. Kurzum: Man stumpft ab.
Der Verdienst der Medien scheint mir zu sein, dass sie die Abstumpfung, nicht aber die "mitfühlende Gesellschaft" forcieren. Die Erkaltung, die ich an mir spüre, meine emotionale Abschaltung ist der Dauerberieselung geschuldet. Natürlich weiß ich, dass es tragische Sequenzen hienieden gibt - mehr als mir lieb sein können. Und ich weiß auch, dass jedes dieser medial herausgeputzten Kümmernisse der Zusammenbruch einer Welt ist, für diejenigen, die direkt davon betroffen sind. Aber ich wische es weg, zappe weiter, gebe mich kühl, bin angeekelt von denen, die sich wie Aasgeier auf die Gefühlsregungen derer stürzen, die übermannt werden von den Fährnissen des Lebens. Ich nähme ihr Leid doch gerne wahr - aber nicht, wenn es der Boulevard ist, der darüber berichtet; ich bin ja dafür, dass ihnen geholfen wird - aber ich bin kein Psychologe, kein Bestatter, kein Polizist - wie kann ich also helfen? Ich ekle mich vor dieser Berichterei, die von der Salinität vergossener Tränen erzählt, die das Salz dissoziiert, um daraus den Grad des Leides zu ermessen. Ich ekle mich, also zappe ich. Dazu bin ich mittlerweile abgestumpft genug...
22 Kommentare:
Descartes läßt grüßen !
Diesmal auf andere Art und Weise.
Der neue Dualismus der Gegenwart.
Soll heißen, wir sind stumpf, dumb geworden ?
Ein wichtiges Wort dumm - taub (niederl.)
Eine Darstellung moderner Verwirrtheit ? oder
die neueste Art der Verdrängung ?
Daher Drangsal.
Die wichtigste Voraussetzung zum Genius - die Konzentration.
Eigentlich müßte es doch heißen:
Ich ekle mich - also zapple ich ?
Hartmut
Ich habe die gleiche Erfahrung gemacht. Wobei sich dieses Nicht-Gefühl in der Folge auch bei "seriösen" Nachrichtenmagazinen eingestellt hat. Das einzige was ich dabei fühlen kann ist der Zorn darüber, dass die Toten, die Katastrophen und Unglücke der Welt als die wichtigsten Nachrichten verkauft werden. Dabei werden auch diese nur instrumentalisiert um die Rezipienten zu lähmen. Und wer sich davon bereits befreit hat, ist immer noch von tiefer Dankbarkeit erfüllt, dass es einem so gut geht. Das macht doch zumindest die Kritik vergessen, die man an den Verhältnissen um sich herum anzubringen hätte.
Wir werden angefüllt mit dem Leid anderer. Zumeist ist es ein zufälliges, urgewaltiges oder maximal fahrlässiges Unglück, das zum konsumieren aufbereitet wird. Selten nehmen wir wahr wie kaltblütig das Leid von Menschen in Kauf genommen wird, ja sogar bepreist wird. Wir fühlen uns dann betroffen, weil wir auch unsere eigene Rolle darin erkennen. Statt anzuklagen werden wir kleinlaut. Es ist perfide, denn es ist ein verdammt langer Weg, um zum Ziel zu kommen und Zorn zu spüren, der in uns erwächst, weil es sich eben nicht alles zufällig so entwickelt oder von ein paar schlechten Menschen torpediert wird. Nein, das ganze System ist verkommen.
Die Gleichschaltung der Medien dient alleine dem Profit und damit der Quote, wenn öffentlich rechtliche Medien sich an den Rundfunkstaatsvertrag halten würden ...
Aber sowas darf man ja nicht verlangen bei all den politisch platzierten Platzhirschen als Indentanten und so ...
Achja und wenn die "Blöd" Zeitung wissen würde was mein Hamster heute nacht angenagt hat *erschauer*
:-P
Klar, das getue der Medien erzeugt Zynismus, aber braucht man wirklich die Medien um eine emotionale Anteilslosigkeit gegenüber der Welt zu entwickeln? Das Mitgefühl des Menschen nimmt von Natur aus ab, je weniger eine Person mit unserem sozialen Umfeld zu tun hat. Die klassische Moral versucht dies zu unterschlagen und führt den universellen Brüderlichkeitsgedanken ein, in der Theorie und womöglich Praxis eine heilsame Einstellung, die jedoch an der Lebensrealität vorbeigeht. Wenn Uncle Sam Städte voller Zivilisten mit Atombomben annihilierte hat das Zuhause auch nur begrenzte Erschütterung ausgelöst. Heutzutage, sagt man uns, rückt die Welt mithilfe der totalen Vernetzung zusammen. Im Gegenteil! Je mehr wir über das Leid der Welt wissen, je mehr wir von Informationen über das Leben der Menschen überall berieselt werden, desto weniger kümmert es uns. Wir sind Wesen die an kleine Welten angepasst sind, werden wir mit ihrer tatsächlichen größe konfrontiert, schrumpfen wir sie mental zu verdaulichen Dimensionen und erzeugen ein Zerrbild in dem uns unsere direkte Lebensrealität umso größer, die vom Japanischen Strahlenopfer umso mikroskopischer - und ständig kleiner werdend! - erscheint. Ich fürchte dass liegt in unserer Natur.
Ich bin misstrauischer geworden, wittere überall PP. Ist dieses im Hintergrund vorbeifahrende Auto nun wirklich just in diesem Moment vorbeigefahen, oder wurde das so inszeniert? Isst diese Frau nun wirklich gerade dieses Müsli, oder wurde dies so inszeniert? Wurde dieses Statement durch Wiederholungen nun bewusst in die Länge gezogen um billige Sendeminuten zu erzielen, oder ist dieser Typ einfach dermassen strunzdämlich? Wurden nun die teilnehmenden ehewilligen Frauen bewusst nach Hässlichkeit und mangelnder Intelligenz ausgesucht, damit sich die Zuschauer so richtig empören können, oder waren es eher repräsentative Auswahlkriterien?
Es ensteht also nicht nur eine Abstumpfung, sondern auch noch ein Misstrauen.
Noch vor hundert Jahren sah ein Mensch selten farbige Bilder. Farbig Gemaltes, ein Eulenspiegel für's ganze Jahr vielleicht. Dann die ersten schwarz-weissen Fotografien. Heute hingegen nimmt ein Mensch Millionen von grafisch perfekten Bildern täglich auf, ob er will oder nicht. Werbedisplays noch an der Kasse. Alles ist irgendwie Quote und Werbung geworden.
der Herr Karl
„Diese Kälte, die auch mich (…) teilweise befällt, erschreckt mich stark.“
Mich auch, aber bezüglich Medienkonsum ist es einfach, sich von der eigenen Kälte zu distanzieren: Da werden in einem Prozess primärer Akkumulation Emotionen (nicht selten faktisch gewaltsam) enteignet und via Medien- und damit Werbekonzerne in geldwertes Kapital verwandelt. Soweit so schlecht, aber diese Distanzierung ist – z.B. in einschlägigen Feierabend-Beizen – regelrecht ein gesellschaftliches (Entlastungs-)Ritual nach solchen Ereignissen.
Womit ich mit mir selbst schlechter fertig werde, ist die Wahrnehmung meiner eigenen anerworbenen Kälte nach dem Wegzug von einer Kleinstadt in eine urbanere Stadt und dem Älterwerden. Natürlich, es geht jedem so, und noch immer gebe ich Bettlern fast immer ein paar Münzen (ich halte mich da als nicht-Muslim informell an die Zakat-Pflicht) – aber ich lade sie nicht mehr einfach aus jugendlicher Neugier zu einem Bier ein. Noch immer setzen sich sogenannte „Randständige“ zu mir, wenn sie sich sonst zu niemandem trauen – und ich weiche ihnen nur manchmal aus. Aber dass ich manchmal ausweiche und die kalte Schulter zeige, ärgert mich an mir.
Für uns Kleinstädter wirkte die urbanere Jugend immer sehr blasiert, und mensch muss länger dort leben, um zu verstehen, warum – und aus dieser Erfahrung heraus für die grassierende übertriebene Blasiertheit eben gerade kein Verständnis zu zeigen, auch dann nicht, wenn es die Eigene ist.
Sehe ich ganz genauso, aber ich würde es sogar noch vor dem 11. September 2001 ansetzen - Es fing bereits mit dem Verbrechen des 1. dt. Angriffkrieges gegen Jugoslawien an, die Sache mit der Abstumpfung, und der medialen Propaganda für Krieg und Militarismus. Heute zeigt sich eben was die PR in dieser Sache anrichtet. Obwohl? Gab es nicht schon immer Menschen, insbesondere nach 1945, die uns hier "Gefühlskälte"; "Menschenverachtung"; "Autoritätshörigkeit" und "blinder Befehlsgehorsam" vorwarfen - und die damit, damals zumindest, völlig falsch lagen, aber heute voll bestätigt werden....
Trauriger Gruß
Bernie
Ergänzung:
Hatten wir nicht eine Ära, zumindest in der alten BRD, wo man sagen konnte, dass alle diese Dinge vergessen waren, und dank Helmut Kohl/Genscher, und dessen Nachfolger den Olivgrünen um Joschka Fischer, und den rechten Seeheimer-Sozis um Gerhard Schröder, einfach wiederbelebt wurden - via neoliberaler Ideologie.
Ich denke einmal, dass es zwei Dinge sind, die uns hier seit Jahren zu denken geben:
1. die berechtigten Urteile über uns Deutsche, die leider keine Vorurteile sind (ich nannte die oben)
2. Die Befruchtung durch die Neotaliban, die sich irgendwie nicht mit Demokratie (=Volksherrschaft) vertragen, wie schon Pinoquets Chile (die faschistische Diktatur dort) bewiesen haben, und das Durchsetzen dieser menschenverachtenden und mörderischen neoliberal-konservativen Ideologie in beinahe allen südamerikanischen Staaten, die nun eben nichts mehr davon wissen wollen (ein Weg, der uns noch bevorsteht, aber der so sicher kommt wie das Amen in der Kirche - auch Europäer haben die Schnauze voll von dieser weltlichen Ersatzreligion namens Neoliberalismus - da bin ich mir sicher).
Was meint ihr dazu? Liege ich hier falsch? Oder goldrichtig?
Frägt sich
Bernie
PS: Dass sich totalitäre Diktatur, und neoliberaler Faschismus bestens vertragen, dafür ist ja auch die sogenannte "Volksrepublik China" ein tolles Beispiel - Janusköpfig: autoritärer Kommuninismus diktatorischer Prägung, und wirtschaftsfreiheitlich wie zu besten Zeiten Hayeks und Friedmans (der Moses und Abrahams der Neoliberalen Ersatzreligion).
Der einzelne Tod ist ein Drama, wie z. Zt. die Berichterstattung um die ermordete Elfjährige in Emden zeigt.
Der Tod von 11 ertrunkenen Urlaubern der Costa Concordia kommt angesichts der Umstände, die zu dem Unglück führten, einer Katastrophe gleich.
Die Zehntausende, die jährlich auch dank Frontex auf der Flucht nach Europa im Mittelmeer ertrinken sind dagegen nur Statistik.
Ich kann die Abstumpfung durch die Dauerbeschallung nachvollziehen. Aber ich teile den Vorwurf an die Medien nicht, oder zumindest nicht in vollem Umfang. Wir leben in einer Welt, in der Informationen zu jedem Thema sehr schnell und einfach verbreitet werden können. Kann man denen, deren Job das ist, vorwerfen, diese Aufgabe zu erledigen? Liegt es nicht eher an uns und unserer eigenen Medienkompetenz, zu filtern und zu limitieren, um eben nicht in Tränen zu ertrinken? Würde es uns denn anders gehen, wenn wir am Stück alle Bücher von Soldaten, Überlebenden von KZs und Gulags und anderen Schrecklichkeiten lesen würden?
Ich kenne dieses Gefühl sehr gut und ich habe mir früher oft die Frage gestellt, ob etwas nicht stimmen könnte bei mir.
Ein Beispiel: 9/11 war ich meinen Wehrdienst in Berlin ableisten. Dieser Tag bedeutete für uns wochenlange mehrfach tägliche Schweigeminuten und gestrichene Wochenenden wegen "erhöhter Terrorgefahr", wie es hieß. Schon am zweiten Tag begann ein weiterer Kamerad und ich von meinem Zug Witze zu erzählen, echt markabere Witze - die Hälfte der bekannten wirklich miesen Späße könnte von uns erfunden worden sein -, die andere Kameraden doch anfangs eher verstörte, die in sich hineinlachten, peinlich berührt, weil sie es ja doch auch selber komisch fanden. Die ganze Welt in Trauer, "Terrorgefahr", ein MG-Nest Bauen vor den Toren unserer Kaserne, nächtelanges Wacheschieben vor irgendwelchen wichtigen Gebäuden in Berlin, jeder redete nur von diesem Ereignis... und ein Kamerad, mein Freund und ich, wir lachten uns kaputt darüber und ärgerten uns, dass wir nicht über's WE zu unseren Familien durften.
Vielen ging das zu weit damals und seither habe ich mich oft gefragt, was denn mit mir los sei. Bis mir eines Tages ein katholischer Priester erklärte, dass Nächstenliebe eben nur deinen Nächsten bedeutet. "Du kannst keine Trauer für die ganze Welt empfinden, aber wenn es dir nicht egal ist, wenn es dir nicht entgeht, dass deinen Nachbarn z.B gerade Selbstmordgedanken plagen, dann ist alles in bester Ordnung bei dir." Seit dem Tag weiß ich, dass ich nicht verrückt bin, sondern leider nur allzu viele um mich herum.
Lieber Herr De Lapuente
Schöner Text ... nachdenklich, wie immer ...
"Ich sage das nicht stolz oder provokativ, denn das betrübt mich"
Das muss Sie nicht tief betrüben, es reicht, wenn man es sich vor Augen hält und sich immer wieder bewusst macht. Doch verlangen Sie nichts von sich, was sie als Mensch nicht leisten können (eigentlich auch nicht leisten können sollten, sonst würden Sie ganz schnell daran zugrunde gehen).
Denn eigentlich ist das derart, wie geschildert (geht ja noch ganz anders), völlig normal. Und nicht nur das, es ist fester Bestandteil unserer Biologie, die auch dazu da ist, uns selbst gesund zu erhalten (natürlich auch leistungsfähig ... jetzt mal nicht im neoliberalen, sondern im biologischen Sinne). Dazu gehört schon ein gewisser Filter, der mit Sicherheit auch dann schneller anspringt, wenn maßgeblich Reize fehlen, die erst zum richtigen (also das, was Sie meinen, was Ihnen fehlt) Mitfühlen führen würden.
Häufig formulierte ich schon:
"Wir haben kein Problem damit, Virtualität fälschlicherweise für Realität zu halten, sondern uns fällt es enorm schwer, alles, was über virtuelle Kanäle transportiert wird und real ist, als eine solche Realität zu fühlen".
Wobei dies alters-/entwicklungsbedingt ein wenig schwankt ... und charakterbedingt natürlich ebenso (der eine mehr, der andere weniger).
Das fehlt schlicht in unserer Biologie, dazu sind die Spiegelneuronen nicht wirklich gedacht, für das virtuelle Zeitalter (und ich bezweifle, dass es sich anders entwickeln könnte).
Kleinkinder sind nicht einmal in der Lage, rein rational gelagerte Informationen/Botschaften auf Bildschirmen gepostet in die Realität umzusetzen, also zu verwerten.
Zwischen drin gibt es auch Phasen, da berührt uns rein Virtuelles mehr, weil wir quasi die Unterscheidung noch nicht richtig verinnerlicht haben, sowie der Filter der Subjektiven Wahrnehmung noch nicht fertig sein dürfte (was muss ich verarbeiten, was nicht, was fällt schon biologisch raus).
Als Kleinkind tut sich da nicht viel (also bis darauf, dass der Blick gebannt an jeder Form von Bewegung haften bleibt ... wegschauen können sie noch nicht), doch bei ein wenig älteren Kindern, dreht sich nicht selten eines erschreckt um, so es auf dem Monitor brennt oder dort der "gruselige Mann" auftaucht. Können ebenso laute, plötzliche Geräusche ... was auch immer sein. (Deswegen gibt es u.a. die Altersbeschränkungen für Filme .. Spiele).
Bei den meisten Erwachsenen ist dieser Prozess jedoch irgendwann abgeschlossen. Was bleibt, ist ein Rest von empathischer Emotion in Verbindung mit der Rationalität, welches eben den fertigen Filter passieren muss. Wie z.B. der Herr Karl schrieb, der Zorn, der bleibt, irrelevant über den möglichen Manipulationsversuch, doch zumeist sicherlich über die Ungerechtigkeit selbst.
ff.
Teil 2
Leid, Schmerz, Angst ... all das braucht eine gewisse Nähe (als Bezugspunkt)- neben der Stimulanz mehrerer Sinne - um vollumfänglich in uns zu wirken, zu kommunizieren, zu interagieren, auf dass wir es spüren.
Das Sehen und Hören alleine und die rationale Informationsverarbeitung reichen hierzu nicht aus (deswegen sind rein virtuell gepflegte Freundschaften von Klein auf mit Smileys und Blümchen auch für die soziologisch-empathische Entwicklung fatal).
Man muss es _ neben dem Sehen und Hören - schmecken, riechen, ertasten können. Je weiter weg das transportiere, virtuelle Bildnis erscheint, desto weniger können wir ohne solche zu empfangenden Sinnspiegelungen dieses Leid mitleiden, aus der rein persönlichen Erfahrung speisen (davon abgesehen, dass wir mitnichten alles erfahren, was uns virtuell vorgesetzt wird).
Ihr Beispiel mit der Witwe aufgreifend, gingen Sie sie tatsächlich besuchen, würde sich das schlagartig ändern. Zumindest gehe ich davon aus bei Ihnen ;-).
Ähnliches - davon bin ich überzeugt - reisten Sie ganz realkörperlich zu Katastrophenplätzen. Dass ausgerechnet Katastrophen-Helfer, die eben an solchen Plätzen zu finden sind, nachher enorme Probleme mit der Aufarbeitung bekommen (und das, obwohl sie die Menschen nicht kannten, dieser Nation nicht angehörten usw. usf..), liegt nicht nur daran, dass es eben Helfer (bei jenen setzt man in der Regel mehr Mitgefühl voraus ... muss aber nicht so sein) sind. Es liegt vor allem daran, dass sie dort waren und alle ihre Sinne stimuliert wurden, die es dazu braucht, was Sie vermissen, wenn Sie zappen.
Insoweit hat einer der Kommentatoren schon recht, wenn er sagt: „Ich fürchte, das liegt in unserer Natur“. Doch das braucht er nicht zu fürchten. Wäre schlecht, wir würden unsere Natur fürchten. Vom zuvor Geschilderten abgesehen, besser wäre, wir lernten Sie besser kennen und würden sie aktzeptieren.
Wenn dem also so ist, würden Sie mit dem Geschehen in der Nähe konfrontiert, brauchen Sie in der Tat nicht betrübt über sich sein. Doch meint Text steht nicht für "mir ist alles egal, was auf dieser Welt den Menschen geschieht".
Und trotzdem bitte ich an dieser Stelle sich vorzustellen, wir müssten alles Leid, welches der Menschheit auf dem Planeten geschieht … und zwar alles, welches uns bekannt wird, empfinden und fühlen. Das dürften wir nicht verarbeiten können, denn wir sind Individuen, kein gesamter Körper. Und selbst in einem einzigen biologischen Körper, fühlen nicht alle Zellen spontan gleich. Gott sei Dank, man stelle sich vor, was nur schon leichte Kopfschmerzen für unseren Körper bedeuten würden. Im Ergebnis eine nichtlebensfähige Spezies im Sinne der Natur, die ist, wie sie ist.
Gruss
rosi
sehr guter, nachdenklich stimmender Text
Auch hierfür gibs ein altes Lied.
Doch nicht etwa:
TOMMI STUMPFF _ "Stumpf ist Trumpf"
sondern
Der KFC - "Wie lange noch?"
http://www.youtube.com/watch?v=MHD6a39OLw4&feature=related
Sehr gut geschriebener Text, soviel vorweg.
Im Grunde sehe ich das ähnlich. Ich ertappe mich immer wieder dabei, zynische Kommentare hinzurotzen, wenn Menschen böses Leid erfahren haben. Nicht, weil ich nicht fühle, sondern zuviel mitfühle. Es entsteht also ein seltsamer Selbstschutzmechanismus. Meine ständige Trauer habe ich längst in zynische Wut umgebaut. Mir fällt es eben leichter, Zyniker zu sein, als alles mit Tränen zu beantworten. Es mag sein, dass die Dauerberieselung mit dem Leid Anderer dazu geführt hat, es mag auch sein, dass ich zuviel an mich heran gelassen habe.
Die Menschen, die ich über alles liebe, meine Frau und meine Kinder also, sind jedenfalls entsetzt über meine "Gefühlskälte", wenn ich die neuesten Nachrichten voller Wut kommentiere. Man wird medial eben als mitfühlender Mensch irgendwann zum Zyniker umgebaut, um sich selbst zu schützen. Man hat keine Kraft mehr, ewig zu weinen, also entwickelt man Mechanismen, mit Trauer umzugehen. Ich nenne mich Zyniker, aber ich fühle noch!
Hallo Herr De Lapuente,
das hier
"Der Verdienst der Medien scheint mir zu sein, dass sie die Abstumpfung, nicht aber die "mitfühlende Gesellschaft" forcieren."
ist und war immer das Ziel. Ganz im Sinne derjenigen, die sich diese Welt untertan gemacht haben.
Das Schlimmste daran, man redet uns ein, dass man sein Gewissen mit finanziellen Spenden beruhigen kann.
Die Katastrophen, die uns heimsuchen kommen nicht aus dem Nichts, mag sein, dass wir, die Weltbevölkerung, unseren Anteil daran haben.
Je schlimmer wir dem blauen Planeten mitspielen, desto stärker schlägt er zurück, und zeigt uns, dass es Dinge im Leben gibt, vor denen man sich nicht schützen kann.
Man propagiert eine Welt der Stärke, da wird Mitgefühl und Empathie zur Schwäche, nicht erwünscht in dem System.
So etwas zeigen nur "hoffnungslose Gutmenschen", wobei Gutmensch hier als Schimpfwort verwendet wird.
Und je mehr man trommelt, desto mehr Menschen verinnerlichen diese Sichtweise, denn sich selbst reflektieren, das ist nur wenigen unserer Spezies gegeben. Man möchte nicht als schwach und schutzlos gesehen werden, geschweige sich denn selbst so sehen. So sind wir Menschen halt. Daran lässt sich schlicht nichts ändern. Aber, das zu wissen und zu akzeptieren, für sich selbst danach handeln, ist der erste Schritt hin zu einer Welt, in der es sich zu leben lohnt. Ändern kann man nur sich selbst, das liegt in jedem Einzelnen ganz alleine.
Beste Grüße
onlyme
Dieses Gefühl der Abstumpfung ist ein natürlicher Anpassungsprozess im Hirn, der in einem Areal statt findet, der, glaube ich, irgendwo im präfrontalen Cortex liegt. Reiner Selbstschutz. Also kein Grund für ein schlechtes Gewissen. Eigentlich auch kein Grund für allzu tiefe, philosophische Betrachtungsweisen. Dieser Anpassungsprozess ist offensichtlich notwendig, um das Hirn funktionsfähig zu halten und "wichtiges" von "unwichtigem" unterscheiden zu können.
Wer in einem Krieg auch nach einem Dutzend Toten noch weinend zusammen bricht, wenn er einen erschossenen Soldaten im Gras liegen sieht, wird vermutlich eher früher als später zusammen brechen. Fälle dieser Art gab und gibt es sicherlich auch. Vielleicht sogar öfter, als man meint.
Beim Fernsehen hat man die Wahl: man kann das Ding abschalten, oder gar nicht erst einschalten. Aber ich bin mir sicher, sofern man die Glotze einschaltet, dass die Mechanismen, die zu dieser vermeintlichen, emotionalen Kälte führen, vollkommen identisch sind. Das Hirn unterscheidet nicht zwischen unmittelbar erfahrenem Leid und einer medialen vermittelten Version davon. Der Unterschied besteht lediglich darin, dass im Fernsehen, beispielsweise im Falle einer Kriegsberichterstattung, nicht die Realität in all ihrer Härte dargestellt wird, weswegen der Abstumpfungsprozess auch nicht vergleichbar ist. Aber er ist vorhanden.
Warum tun die Menschen sich da mit der Flimmerkiste an? Geht raus und schaut Euch das Leben in Echtzeit an, an Stelle sich den neuesten Fernseher mit noch echteren Farben zuzulegen. Ja, ja, das tut erst mal weh, wenn man sich über Wochen nur mit sich selber beschäftigen muss. Aber wie heißt es: die Stille stellt keine Fragen, kann aber auf alles eine Antwort geben. Davor haben die Menschen aber wohl am meisten Angst - vor der Stille. Wer sich auf diesen mutigen Weg begibt, wird mit viel Empathie belohnt werden, weil er alles Leben, so wie es ist, erkennt, achtet und wieder lieben lernt. Der Mensch, der nach Monaten von der Droge Fernsehen entwöhnt ist, kann über alles Traurige in dieser Welt weinen. Über zerstörte Natur, geschundene Kreaturen und über alle Menschen, egal welche Hautfarbe oder religiöse Einstellung sie haben. Er wird nicht mehr manipuliert und das bedeutet, wieder freie Entscheidungen treffen zu können. Lasst den Fernseher aus und werdet wieder handlungsfähig.
Elséard
"Das ist selbstverständlich Quark. Das weiß ich auch. Die bald zur Witwe Verheiratete weint nicht für ihr Publikum."
Vor 21 Jahren haben irakische Soldaten in einem Kuweiter Krankenhaus Babies aus Brutkästen gezogen und auf den Boden geworfen. Eine junge Frau weinte herzzerreißend. Das war medial relevant zum emotionalen Kriegseintritt für die weltweite Öffentlichkeit...
Und natürlich haben es alle "geglaubt".
Der intelligente Mensch glaubt aber nicht sondern beobachtet unterschiedslos. Das ist die Lösung wenn man nicht auf dem Narrenschiff segeln will.
Bin natürlich im Thread verrutscht. Naja, daran wird die Welt aus nicht zugrunde gehen.
Man muss hier zwischen zwei Dingen unterscheiden.
1.) Wenn ich nicht alles an mich heran lasse, bin ich noch lange nicht abgestumpft oder gar ein Zyniker. Das Abblocken bzw. Filtern von Informationen ist im Grunde nur natürlich, ein Selbstschutz wenn man so will.
Ich kann nicht mit jedem und um alles trauern bzw. mitfühlen, was auf diesem Planeten geschieht. Also grenze ich mein Mitgefühl unbewußt auf das mir Bekannte bzw. die mir Bekannten ein.
So trifft mich das Unglück eines nahen Freundes natürlich viel härter als der Leid eines flüchtigen Bekannten. So höre ich bei Nachrichten aus meiner Heimatstadt bzw. -region natürlich aufmerksamer zu als bei Neuigkeiten aus anderen Ecken des Landes. So interessieren mich die Vorgänge in Deutschland natürlich weit mehr als irgendwelche Geschehnisse in Indonesien. Daran ist nichts verwerflich, das ist einfach nur normal!
2.) Die Rolle der Bewußtseinsindustrie ist selbstverständlich nicht die objektive Information der Bevölkerung, sondern ganz im Gegenteil, deren Ablenkung und Desinformation.
So, und nun kommen wir zum eigentlichen Punkt. Man kann nämlich auch desinformieren durch Überinformation. Wenn der Zuschauer/Zuhörer/Leser tagtäglich mit einer wahren Flut von Nachrichten, News und Informationen bombardiert wird, so können die meisten Menschen eben irgendwann das wirklich Wichtige vom Unwichtigen nicht mehr unterscheiden. Dann gewinnen die bunten Promi-News und die Katastrophenbilder aus Haiti den Kampf um die Aufmerksamkeit des Zuschauers/Zuhörers/Lesers und die für ihn eigentlich relevanten Themen fallen 'hinten runter'. Dem Ganzen wird dann auch noch durch die auswahl und Präsentation der Themen in den Nachrichtensendungen Vorschub geleistet.
Wenn in Indien ein Zug entgleist, oder auf den Phillipinen ein Dorf unter einer Schlammlawine begraben wird, ist das für die Betroffenen und deren Angehörige natürlich furchtbar. Aber, gehören solche Meldungen wirklich in eine Haupnachrichtensendungen in Deutschland, ausführlich und teilweise in gleicher Länge aufbereitet, wie wichtige innenpolitische Themen, die hierzulande Millionen Menschen betreffen (werden)? Nicht selten verschwinden Letzgenannte sogar im "Kurzticker", so das sie damit der Aufmerksamkeit fast völlig entzogen werden.
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