Sakralisierte Politik
Montag, 12. März 2012
Das Amt des Bundespräsidenten nimmt die Rolle der personifizierten Moral ein. So jedenfalls will es die Theorie. Moral ist schließlich stets das, was man darunter verstehen will. Es gibt die Sklaven- und die Herrenmoral, Männer- und Frauenmoral, emotionale und ökonomische Moral. Der Bundespräsident soll aber mahnen, hinweisen, auf Entwicklungen hinstoßen - kurz: er soll eine päpstliche Rolle einnehmen, quasi-spirituelle Instanz sein, an die man sich wenden kann, von der aber keinerlei Wirkung ausgeht.
Wie der Papst im Zeitraffer
Das Papsttum hatte einst weltliche Potenz. Ein Kirchenstaat war in seiner Obhut - die europäischen Fürsten mussten mit ihm rechnen, ihn auf seiner Seite haben. Er war Kriegsherr und Gestalter. Und dann war es vorbei - jedes Imperium schwindet, so auch jenes, das dem Papst unterstellt war. Heute füllt das päpstliche Amt meist ein unfreundlicher älterer Herr, der Ratschläge erteilt und (für ihn) moralisch klingende Empfehlungen ausspricht.
Das Amt des Bundespräsidenten ist dem päpstlichen wie im Zeitraffer ähnlich. Von der Macht, die er im Weimarer Deutschland besaß, damals noch als Präsident des Reiches, verfiel er zum schwingenden Zeigefinger, der Verfehlungen tadelt und Mut zuspricht. Weil er aber keine Funktion hat - und wir leben in einer Welt, in der alles Funktionen haben muß, um als Wert akzeptiert werden zu können -, so sagen nun viele, soll das Amt abgeschafft werden. Nichts gegen moralische Instanzen - aber sie haben wahrscheinlich recht.
Von Profanie zu sakraler Instanz
Denn eine moralische Instanz kennt man in diesem Lande bereits - der Bundespräsident doppelt nur das Amt des politisierten Seelenhirten. Spirituelle Führerschaft, die mahnt, tadelt und lobt, sie ist hierzulande unter dem Wort Regierung bekannt. Das Primat der Politik, es ist nicht mehr vorhanden. Minister und Kanzler wirken wie päpstliche Nuntien, wenn sie aufgeschreckt von der Presse auf Missstände und wirtschaftliche Entwicklungen, auf Schweinereien und ökonomische Kriminalität aufmerksam gemacht werden. Wie päpstliche Delegierte verfallen sie in moralische Monologe, erklären, dass man dies oder jenes nicht mache, dass es unanständig, eine Verfehlung sei, dass man sich besinnen sollte. Das ist die Aufgabe, die deutsche Regierungen übernehmen - man ist spirituell, man gibt sich ethisch, man läßt seine Hände im Schoss.
Dort ruhen sie aber nicht, weil sie im Gebet zusammenstecken - sie scheinen gefesselt. Weshalb auch immer. Freiwillig oder unter Zwang? Vermutlich eine Mischung daraus. Jedenfalls folgen kaum taten - die Finanzkrise hat beispielsweise nicht dazu geführt, die Spekulativwirtschaft zu reformieren. Es gibt keine Umsatzsteuer auf Finanztransaktionen. Man hat es beim päpstlichen Tadel belassen. Verantwortungsvoller spekulieren, das Maß nicht verlieren - das sind die Ratschläge. Wie beim alten Mann zu Rom bleibt es bei Worten. Die Praxis, die moralischen Sentenzen wahr zu machen, die fehlt völlig.
In den letzten zwanzig Jahren ist man von weltlicher zu sakraler Macht geschlittert - das klingt toll: sakral, also heilig. Aber das ist eine Katastrophe, wenn Politik, die im Diesseits tätig sein sollte, verheiligt wird, sodass sie nicht mehr auf Erden wandelt. Ihr Primat ist ihr völlig abhanden gekommen. Was der Politik bleibt, was Regierungsaufgabe geblieben ist, das sind moralische Beteuerungen, Zurechtweisungen und ein bisschen eloquente Sittlichkeit.
Politikpriester: die letzte Nische, die die Ökonomie der Politik gestattet
Diese Zuständigkeit wird man ihr nicht aberkennen. Die Gemeinwesen, die mehr und mehr in die Hände multinationaler Konzerne geraten, werden sich die Politik und ihre Regierungen als Priesterkaste halten. Als theologische Dienststellen, die eine gekünstelte Mittlerrolle zwischen Wirtschaftsbaronie und Volk spielen werden. Die weltliche Kompetenz, das Leiten und Führen des Staates, erledigen dann noch mehr und viel direkter als heute, Delegierte aus Aufsichtsräten - die können sich die moralischen Aspekte der Staatslenkung sparen, dazu gibt es die politischen Priester. Schließlich leben wir in einer arbeitsteiligen Gesellschaft. Der Demokratie wird freilich Genüge getan: man darf seine Politikpriester wählen - die weltlichen Machthaber aber nicht.
Für was also das Amt des Bundespräsidenten weiterhin beatmen, wenn wir doch Kanzler und Minister haben, die seine Aufgabe mindestens genauso gut erfüllen. Deren Handlungsspielraum ist wie seiner: es gibt ihn nicht (mehr) oder jedenfalls immer weniger. Aber es klingt so schön, wenn sie der Moral nach dem Maul sprechen...
Wie der Papst im Zeitraffer
Das Papsttum hatte einst weltliche Potenz. Ein Kirchenstaat war in seiner Obhut - die europäischen Fürsten mussten mit ihm rechnen, ihn auf seiner Seite haben. Er war Kriegsherr und Gestalter. Und dann war es vorbei - jedes Imperium schwindet, so auch jenes, das dem Papst unterstellt war. Heute füllt das päpstliche Amt meist ein unfreundlicher älterer Herr, der Ratschläge erteilt und (für ihn) moralisch klingende Empfehlungen ausspricht.
Das Amt des Bundespräsidenten ist dem päpstlichen wie im Zeitraffer ähnlich. Von der Macht, die er im Weimarer Deutschland besaß, damals noch als Präsident des Reiches, verfiel er zum schwingenden Zeigefinger, der Verfehlungen tadelt und Mut zuspricht. Weil er aber keine Funktion hat - und wir leben in einer Welt, in der alles Funktionen haben muß, um als Wert akzeptiert werden zu können -, so sagen nun viele, soll das Amt abgeschafft werden. Nichts gegen moralische Instanzen - aber sie haben wahrscheinlich recht.
Von Profanie zu sakraler Instanz
Denn eine moralische Instanz kennt man in diesem Lande bereits - der Bundespräsident doppelt nur das Amt des politisierten Seelenhirten. Spirituelle Führerschaft, die mahnt, tadelt und lobt, sie ist hierzulande unter dem Wort Regierung bekannt. Das Primat der Politik, es ist nicht mehr vorhanden. Minister und Kanzler wirken wie päpstliche Nuntien, wenn sie aufgeschreckt von der Presse auf Missstände und wirtschaftliche Entwicklungen, auf Schweinereien und ökonomische Kriminalität aufmerksam gemacht werden. Wie päpstliche Delegierte verfallen sie in moralische Monologe, erklären, dass man dies oder jenes nicht mache, dass es unanständig, eine Verfehlung sei, dass man sich besinnen sollte. Das ist die Aufgabe, die deutsche Regierungen übernehmen - man ist spirituell, man gibt sich ethisch, man läßt seine Hände im Schoss.
Dort ruhen sie aber nicht, weil sie im Gebet zusammenstecken - sie scheinen gefesselt. Weshalb auch immer. Freiwillig oder unter Zwang? Vermutlich eine Mischung daraus. Jedenfalls folgen kaum taten - die Finanzkrise hat beispielsweise nicht dazu geführt, die Spekulativwirtschaft zu reformieren. Es gibt keine Umsatzsteuer auf Finanztransaktionen. Man hat es beim päpstlichen Tadel belassen. Verantwortungsvoller spekulieren, das Maß nicht verlieren - das sind die Ratschläge. Wie beim alten Mann zu Rom bleibt es bei Worten. Die Praxis, die moralischen Sentenzen wahr zu machen, die fehlt völlig.
In den letzten zwanzig Jahren ist man von weltlicher zu sakraler Macht geschlittert - das klingt toll: sakral, also heilig. Aber das ist eine Katastrophe, wenn Politik, die im Diesseits tätig sein sollte, verheiligt wird, sodass sie nicht mehr auf Erden wandelt. Ihr Primat ist ihr völlig abhanden gekommen. Was der Politik bleibt, was Regierungsaufgabe geblieben ist, das sind moralische Beteuerungen, Zurechtweisungen und ein bisschen eloquente Sittlichkeit.
Politikpriester: die letzte Nische, die die Ökonomie der Politik gestattet
Diese Zuständigkeit wird man ihr nicht aberkennen. Die Gemeinwesen, die mehr und mehr in die Hände multinationaler Konzerne geraten, werden sich die Politik und ihre Regierungen als Priesterkaste halten. Als theologische Dienststellen, die eine gekünstelte Mittlerrolle zwischen Wirtschaftsbaronie und Volk spielen werden. Die weltliche Kompetenz, das Leiten und Führen des Staates, erledigen dann noch mehr und viel direkter als heute, Delegierte aus Aufsichtsräten - die können sich die moralischen Aspekte der Staatslenkung sparen, dazu gibt es die politischen Priester. Schließlich leben wir in einer arbeitsteiligen Gesellschaft. Der Demokratie wird freilich Genüge getan: man darf seine Politikpriester wählen - die weltlichen Machthaber aber nicht.
Für was also das Amt des Bundespräsidenten weiterhin beatmen, wenn wir doch Kanzler und Minister haben, die seine Aufgabe mindestens genauso gut erfüllen. Deren Handlungsspielraum ist wie seiner: es gibt ihn nicht (mehr) oder jedenfalls immer weniger. Aber es klingt so schön, wenn sie der Moral nach dem Maul sprechen...
5 Kommentare:
genau so sehe ich das auch
Eine sehr gelungene Deutung mit dem Wörtchen "sakral" in Verbindung mit der Politik.
Es ist eine treffende Umschreibung für die Betonmauer zum Volk, die die Politiker-Kaste sich geschaffen hat. Gleichwohl üben die Regierenden also Herrschenden nur noch eine Vermittlerrolle zwischen der Finanzmacht und dem Volk aus. - Ob sie sich dessen bewußt sind ?
Hartmut
wirkungslosigkeit der moral - das passt.
Was hier als „Katastrophe“ bezeichnet wird, eine entmachtete, dafür sakrale Politik, war und ist für mich gleichzeitig auch die eine Hälfte einer anarchistischen Utopie. Konkret anschauliche Vorlage waren für mich nach der studentischen Immigration in die Stadt die Zürcher Zünfte: Diese Organisationen waren Ergebnis einer politischen Selbstermächtigung der „Handwerker und Krämer“ im 14. Jh. Später „lösten die Franzosen 1798 unter der Devise «Liberté, Egalité, Fraternité« nach 462 Jahren Vorherrschaft die politischen Zünfte auf.“
Das alljährliche Sechseläuten als sichtbarster Rest dieser einstigen politischen Macht ist für Auswärtige ein etwas befremdliches Spektakel: Ikonographisch an eine Hexenverbrennung angelehnt wird zwecks Austreibung des Winters unter lautem Knallen ein mit Sprengstoff gefüllter Schneemann („Böögg“) verbrannt. (Der Road Movie The Last Blast überblendet dieses Geschehen psychedelisch und fast verstörend mit dem Kalifornischen Burning Man Festival, ich dachte an der Stelle irgendwie an Kafkas „Naturtheater von Oklahoma“…)
Veranstalter dieses Brauches sind die als ganz normale privatrechtliche Vereine organisierten heutigen Zünfte, die formal keine Macht mehr haben. Tatsächlich sind die mit entsprechenden Trachten als Zünfter verkleideten teilnehmenden Herren („nicht zu den Zürcher Zünften gerechnet wird die Frauenzunft“) die wirklichen Repräsentanten des hinter dem Rücken der Politik die tatsächliche Macht ausübenden traditionellen Zürcher Banken- und Geldadels. Ein doppeltes Versteckspiel: Die jenseits formaler politischer Repräsentation tatsächlich Mächtigen verkleiden sich als Repräsentanten historisch vergangener Macht. Aus diesem Grund ist die Sabotage des „Böögg“ der feuchte Jugendtraum eines jeden linken Zürchers unter Dreissig, mensch google etwa nach [Linke haben den Böögg geklaut].
So stellte ich mir immer positiv das Ergebnis der anarchistischen Revolution vor: Bürgerliche Politik und Parlamente existieren formal unverändert, aber sie haben keine politische Macht mehr, und jedeR weiss das auch: es handelt sich nur noch um folkloristische Vereine, die an unschöne vergangene Zeiten erinnern. Selbstverständlich ist das nur die Hälfte der Utopie, ist sie doch isoliert deckungsgleich mit der hier behandelten Real-Dystopie. Die „Franzosen“ lösten 1798 nicht einfach nur „die politischen Zünfte auf“, sondern installierten gleichzeitig als „französischen Revolutionsexport“ die bürgerlich verfasste Helvetische Republik. Diese Hälfte der Utopie fehlt uns in heutiger Zeit noch.
Das Bundespräsidententheater, zu Guttenberg mit seinem Plagiat oder auch Westerwelle als Treter der Arbeitslosen verursachen Schaden an der Demkratie und steigern die Politik(er)verdrossenheit heisst es allerorten.
Von welcher Demokratie sprechen die Medien eigentlich?
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