De dicto

Samstag, 3. März 2012

"Der Anteil der Hartz-IV-Kinder in Berlin ist doppelt so hoch wie im Rest der Republik.
Wie erklären euch eure Eltern, dass ihr arm seid?"

- V. Schlesier, BILD-Zeitung vom 1. März 2012 -
Zum Gesagten sei angemerkt: Die neoliberale Weltanschauung nennt die Eigenverantwortung als Säule eines funktionierenden Gemeinwesens - das ist Quatsch, denn (all-)gemein ist in einem eigenverantwortlichen System kaum noch etwas. Außer Verluste von Konzernen oder Banken, die man auch weiterhin vergesellschaftet. Im Neoliberalismus gibt es kein intaktes Gefüge miteinander agierender Menschen und Gruppen - es gibt gegeneinander abgewogene Interessen, die von Vertragspartnern mit freiem Willen eigenverantwortlich vertreten werden. So gesehen ist alles was geschieht, immer das Resultat eigener Bemühungen oder eigener Unzulänglichkeiten.

In diesem Sinne sollen die Eltern erklären, warum ihre Kinder arm sind. Dass es auch die Eltern sind, weil Kinderarmut die Konsequenz elterlicher Armut ist, wird ganz im Sinne der herrschenden Sprachregelung, nicht erwähnt. Aber es bleibt dessenungeachtet bei den Eltern hängen, ihren Kindern zu erklären, warum sie mittellos sind. Weil wir keine Arbeit haben oder nur eine, mit der man kaum etwas verdient, könnten die antworten. Warum arbeitest du dann nicht, warum verdienst du dann nicht mehr, könnten die Kinder fragen. Die Eltern haben nicht die Armut zu erklären - sie haben sich zu erklären. Und die Armut liegt damit in ihrer Eigenverantwortung. Eigentlich wäre es Aufgabe derjenigen, die die Gesellschaft aktiv gestalten, diesen Kindern Rede und Antwort zu stehen.

Die Armut haben die Eltern dann auch nicht erklärt. Es geht nur um die "Beschreibung" von Hartz IV-Alltagen und dem üblichen Schmu - einen Hund für 900 Euro konnte sich eine arme Mutter ja doch leisten. So schlecht geht es denen nicht! Und die dazugehörige Überschrift, sie will deutlich machen, dass es die eigene Entscheidung ist, Hartz IV zu beziehen, arm zu sein. Werden Sie doch einfach reich! Entscheiden Sie sich dafür und werden Sie noch heute vermögend! Werbeslogans ignoranter Eigenverantwortungsapologeten, die dekadent auch für soziale Schieflagen angewandt werden. Die Eltern sollen erklären, denn sie sind es, die die Kinder arm machen - nicht die Wirtschaft, nicht die Politik, nicht das gesellschaftliche Versagen. Im Neoliberalismus versagen nur Marktteilnehmer, nie aber der Markt. Die Eltern erklären nicht ihre Armut, die man ihnen erteilt hat, sie sollen ihr Versagen erklären, für das sie eigenverantwortlich sind.



6 Kommentare:

klaus baum 3. März 2012 um 14:38  

Dein Beitrag fehlte in meinen kurzen Überlegungen zur Integrationsverweigerung noch. Es ist das kapitalistische System, das aus Profitgründen millionenfach Arbeitslose produziert. Dieses System selbst ist die Integrationsverweigerung.

Anonym 3. März 2012 um 22:03  

Es ist diese Rechtfertigungsfalle, in welche die Eltern getrieben werden. - Widerlich@zum Kotzen.

Wenn ich nur noch einen Tag zu leben hätte, würde ich jede Minute nutzen, um auf die unsagbare Schädlichkeit
und das psychische und elementare Zerstörungswerk der Bildzeitung hinzuweisen.

Sehr trauriger Gruß
Hartmut

Anonym 4. März 2012 um 10:09  

heißt eigenverantwortung auch, daß der villen-besitzer selber schuld ist, wenn ihn der hütten-insasse ausraubt?

Anonym 4. März 2012 um 20:03  

Das eigene Versagen, weil nicht genug angestrengt und deshalb unten, ist durch die Mainstream Presse hoffähig gemacht worden.

Die Ausweglosigkeit der H4ler, welche ja an Allem die Schuld tragen, weil es nicht schnell genug aufwärts geht mit dem Aufschwung und all den anderen Märchen, halten stets den Kopf hin, auch, weil ausgegrenzt und mit Gesetzen zuzumentiert.

Wer sich im Netz outet, Leistungen zu beziehen und sich beklagt, der bekommt Ärger von denen, die ihn dann daran erinnern, das mindestens 2 Millionen offene Stelle vorhanden sind und man seine Ansprüche doch herunterschrauben solle - zugunsten der Sozialkassen, die er oder sie ausbeutet. Oder sollen wir ( die Nachplapperer der Laberpresse ) ihnen ewig unsere hart erarbeiteten Brötchen umsonst servieren? Es nervt, wenn man nicht anderes mehr lesen kann.

FDP Möchtegern Kanzler Döring ( oder auch Göring; what else ) verlangt aufs Schärfste die totale Unterwerfung des griechischen Volkes für die Geldbalsamierung, die Supergroßdeutschland erst möglich gemacht hat.

So in etwa ergeht es den Hartzies, die sich gefälligst brav bedanken sollen, weil ihnen die Sozialgemeinschaft ein Bett, die Wohnung und auch das Bier bezahlt - um es mal mit den "einfachen Stammtischworten" zu beschreiben.

Wir haben stets ein Feindbild - entweder Ausländer, Arme oder es werden andere Gesellschaftsgruppen gegeneinander ausgespielt, weil die Presse ihre Agenda durchzieht. Das gemeine Volk sagt dazu noch danke. Die Geschichte wiederholt sich, auch wenn es diesmal anders ist.

Dieser hier beschriebene Rechtfertigungsansatz durch die Eltern ist sowas von gemein und hinterhältig den Betroffenen gegenüber, das man nur noch *otzen möchte.

Aber er entspricht dem Schuldeingeständnis, der auch schon aus den kirchlichen Kreisen stets ins Volk geworfen wurde. Du hast es in der Hand, wenn du versagst...tja, Pech gehabt und wir treten dich. Den Letzten beissen dann die Hunde. Ein ziemlich mieses Spiel auf dem Rücken von Armen und Ausgebeuteten.

Lexi

Chemo 6. März 2012 um 14:00  

Was müssen denn die Konsequenzen sein?
1. Wirtschaftswissen in den Allgemeinbildungskanon. Wie soll sich sonst etwas ändern?
2. Kinder auf Freiberufler-Berufe ausrichten, nicht auf Angestelltenberufe. Sein eigener Herr sein.

Phygranimus 6. März 2012 um 22:06  

Eigenverantwortung heißt in Wirklichkeit nur - für weniger Geld, wesentlich mehr Leistung erbringen. Oder aus Mist Gold machen und sich darüber nicht beklagen, wenn es nicht klappt, sondern das System loben.
Nur eine Welt ohne Geld und Marktwirtschaft wird uns befreien!

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