Sie soll nicht strafen, sie soll straffen

Dienstag, 6. März 2012

Im Iran hat sich die Zahl der Hinrichtungen vervierfacht. So berichtet es amnesty international. Vermutet wird außerdem, dass diese entfesselte Hinrichtungspraxis dazu dienen soll, die junge iranische Protestgeneration einzuschüchtern. Anders formuliert: Die iranische Regierung läßt töten, um den eigenen Machterhalt zu sichern. Das ist bedenklich, allerdings überall dort trauriger Brauch, wo die Todesstrafe noch immer aktiv ist.

Iranische Zustände in den USA der Neunzigerjahre

Die Todesstrafe ist nicht einfach eine Strafe, die in einem Gesetzeskodex, sei er weltlich konstruiert, sei er göttlich inspiriert, festgeschrieben wird. Sie ist es nicht nur nicht, weil die Strafe unumkehrbar und nicht wiedergutmachbar ist - sie ist es ebenfalls, weil sie von den Eliten als Herrschaftsinstrument gebraucht wird. Diese weisen die Justiz an, störende Elemente endgültig aus der Gesellschaft zu tilgen. Die Todesstrafe schärft einmal den Eindruck, dass man sich als Gesellschaft keine Mildherzigkeiten leistet und weder Härte und Erbarmungslosigkeit scheut, um das gesellschaftliche Zusammenleben sicherer, besser oder lebenswerter zu machen. Und sie wird verwendet, um sich missliebiger Schichten oder Gruppen zu entledigen, auch um die eigenen Pfründe zu sichern.

Eine solche Klientel- und Machtpolitik, die sich der regen Ausweitung der Hinrichtungspraxis hingab, erlebten die Vereinigten Staaten in der Dekade von 1990 bis 1999. Je nach Lesart der Statistik könnte man gar ableiten, dass sich die Zahl der Hinrichtungen damals gar versiebenfacht hat. Präsident war damals ein Demokrat - und die Republikaner, die den nächsten US-Präsidenten stellen wollten, mussten Bedingungslosigkeit zeigen, keine verweichlichte, sondern eine harte Hand bieten, die auch keine Scheu davor hat, Todesurteile zu unterschreiben. In jenen Jahren galt es als besonders dem Gemeinwesen zugetan, gegen das Verbrechen, das die traditionellen amerikanischen Werte beflecke, mit drakonischen Rechtsmitteln zu antworten. Lebenslange Haft für drei kriminelle Handlungen, egal welcher Qualität - das war ein Auswuchs dieses Denkens; der ungehemmte Rückgriff auf die Todesstrafe ein anderer. Wer keine Skrupel kannte, der galt als Mann, mit dem die Nation rechnen könne.

Besonders ein Gouverneur tat sich da hervor: George W. Bush. Der Schlächter von Texas wehrte sich gegen die Vorwürfe, er würde durch die Erhöhung der Todesstrafenrate, durch Forcierung der Taktzahlen der Tötungsmaschinerie, seiner eigenen politischen Karriere Flügel verleihen. Nein, er war da ganz uneigennützig und berief eine Ethik-Kommission, die über Gnadengesuche entscheiden sollte - sie flüsterte ihm sodann ins Ohr, wie er befinden sollte, als letzte Instanz und als Herr über Leben und Tod, während der Todeskandidat seiner letzten Stunden harrte. Rechtsanwälte gaben jedoch konsterniert zu Protokoll, dass sich die Kommission so gut wie nie die Mühe machte, die Fälle wirklich zu prüfen.

Todesstrafe ist immer Einschüchterung und Machterhalt

Die politische Kaste der Vereinigten Staaten, besonders die der Republikaner, entstammt einem Milieu, dass sich vor den Unterschichten fürchtet. Arbeitslose Schwarze gefährden demnach das Wohl der Nation, kriminelle Hispanics marodieren in den Straßen und belästigen WASP-Mädchen (White Anglo-Saxon Protestants). Besonders in den Neunzigerjahren, da die Republikaner Interesse daran hatten, die Demokraten als verweichlichte Humanisten zu diffamieren, die insgeheim das Moratorium von 1967 bis 1976 zurückhaben wollten, war diese Denkweise weit verbreitet. Der Unterschichten-Mann ist also eine Gefahr für das Land, für die Machtverhältnisse, für die ökonomische Sicherheit und für ein freies Leben. Aus diesem Grund werden mehr Schwarze oder Hispanics als Weiße in den Todestrakt gesteckt, aus diesem Grund sitzen mehr Männer als Frauen dort ein. Ein Rechtssystem, in dem die Fähigkeiten des Anwalts mehr Bedeutung haben, als eine Rechtspraxis, die abstrakte Rechtsnormen kennt, welche auf den jeweiligen einzelnen Fall anzuwenden wären, tut das Übrige - wer kein Geld hat, dem setzt man einen lausigen Anwalt vor, der einen geradewegs zur Todesstrafe hinüberleitet.

Die Todesstrafe soll einschüchtern - sie ist kein juristisches Mittel, sondern immer politische Botschaft. Sie belegt, dass die Machtverhältnisse feststehen, nicht verrückbar sind. Sie soll nicht strafen, sie soll die Verhältnisse straffen und kenntlich machen. Und sie wird von Machtpolitikern, seien sie iranisch, seien sie US-amerikanisch, als politisches Fortbewegungs- oder Machterhaltungsmittel benutzt. Die Kaste, die hinter ihnen steht und die die amtierenden Machtverhältnisse schätzt, weil sie deren Nutznießer ist, erkennt die Todesstrafe als eine Möglichkeit an, denen, die gesellschaftlich an den Rand gedrängt sind, die Botschaft zu übermitteln, dass sie es ist, die bestimmt. Höhere Hinrichtungszahlen, die ein Regime duldet oder verursacht, sind daher für die Eliten ein gutes Zeichen, die Bestätigung, dass sich hartes Durchgreifen lohnt und dass sie auf der Seite der Gewinner stehen.

Todesstrafe ist die Konsequenz daraus, am falschen Ende der Gesellschaft zu stehen

Die Zahlen variieren. Im Iran wurden mehr Menschen hingerichtet als in den USA - das ist schon wahr. Gleichwohl nehmen sich die Vereinigten Staaten aber auch den Anspruch heraus, ein Rechtsstaat sein zu wollen. Dass aber das iranische Regime quasi einzigartig Hinrichtungen zur Einschüchterung und zum Erhalt der eigenen Machtbasis forciert, das ist nur unter westlichem Lektorat aus dem ai-Bericht deutbar. Das ist nicht einzigartig oder unterstreicht die besondere Perversion der iranischen Regierung - es ist gleichsam das ureigenste Wesen der Todesstrafe. Überall wo es sie gibt, ist sie nicht einfach nur die Konsequenz aus einem Verbrechen oder dem, was gesellschaftlich als Verbrechen definiert ist - sie ist die Konsequenz daraus, am falschen Ende der Gesellschaft zu stehen, aus einer Gesellschaftsschicht zu kommen, die keine Lobby hat. Hier sind es unzufriedene junge Menschen, die aufbegehren - dort sind es unzufriedene junge Menschen, die keine Perspektive mehr haben.



7 Kommentare:

Anonym 6. März 2012 um 07:56  

Ein sehr tiefsinniger Artikel.- Dafür vielen Dank.

Eine kleine Ergänzung möchte ich anfügen.
In der Hessischen Landesverfassung von 1946, beinhaltet Art. 21 Abs. 1 noch die Todesstrafe.

Anonym 6. März 2012 um 10:14  

aha sind kinderschänder nur am falschen ende der gesellschaft.

Anonym 6. März 2012 um 10:56  

Lieber Roberto,

danke für diesen wichtigen Denkanstoß, der hoffentlich viele Menschen erreicht. Denkt man da weiter, wo Dein Text endet, es wunderte einen fast nicht, wenn in nächster Zukunft aus Richtung CDU/CSU die Forderung zu vernehmen wäre, die Todesstrafe einzuführen. Es ist so derart widerlich, wie sich diese "Leitkultur-ler" gebärden! Vielleicht habe ich auch etwas verpasst und es ist schon längst so weit? Bleibt kaum etwas anderes als überall und ständig für ein friedliches, solidarisches Miteinander zu werben, zu hoffen, dass die Menschen - besonders die jungen - noch nicht von den Medien derart Gehirn gewaschen sind, dass es in Deutschland und Europa soweit kommt.

Diana

Anonym 6. März 2012 um 18:09  

Vielen Dank Roberto für Ihren sachlichen Artikel.

@anonym von 10:14

Bernd Herbort

- http://www.pappa.com/mmdm/herbort.htm

- Bernd Herbort: Bis zur letzten Instanz. - Bergisch Gladbach: Bastei Lübbe, 1996. 379 S.

- Justizirrtum "Lange Leidenstour". Späte Rehabilitierung: Sieben Jahre lang galt ein Lehrer zu Unrecht als Kinderschänder. In: Focus Jg. 1996 (Nr. 14), 63.
.
Ja, wann immer in Deutschland feuchte Träume von der Wiedereinführung der Todesstrafe aufkommen oder auch nur von der Totalüberwachung "dieses Internetzes" dann müssen die Kinderschänder ran.
Behelfsweise auch mal die Taxifahrermörder.
Und wäre im obigen Fall ala 1933 "durchgegriffen" worden dann hätte sich die Justiz nicht 7 Jahre mit diesem Querulanten herum ärgern müssen.
Am Ende mußte man den sogar laufen lassen !
Mir graust vor solchen Existenzen wie Ihnen, werter Anonym.
Rechtssprechung im besten Ami- oder Iransinne.
Grüße, Bernd

maguscarolus 6. März 2012 um 18:26  

>>Anonym 6. März 2012 10:14
aha sind kinderschänder nur am falschen ende der gesellschaft.<<

Au weia. . . . die Kinderschänder-Keule!

Trojanerin 6. März 2012 um 20:59  

Ich war schon immer eine Gegnerin der Todesstrafe. Seit ich mich mit dem Fall des schwarzen Journalisten Mumia Abu Jamal beschäftige, habe ich viel über die Todesstrafe speziell im amerikanischen Strafrechtssystem gelesen. „Sie soll nicht strafen ...“ ist ein sehr guter und Wichtiger Artikel.
Der Verweis darauf, dass die Todesstrafe kein juristisches sondern ein politisches Instrument darstellt, bringt das Problem mit dieser Art, zu strafen, auf den Punkt.

Machen diejenigen, die die Todesstrafe verhängen und letztendlich ausführen sich nicht genau so schuldig am Tod eines Menschen, wie ein Mörder es zuvor getan hat?
Dieser Gesichtspunkt lässt natürlich völlig unberücksichtigt, dass die Frage nach Schuld und Schuldfähigkeit und den Umständen, die zu einer Tat geführt haben, immer der Interpretation der am Prozess Beteiligten unterliegen.
Folglich ist die Todesstrafe eine willkürliche Strafe und kann nur in einem Willkürstaat Bestand haben.

Spartaner 7. März 2012 um 07:59  

Hallo Roberto,

Vielen Dank für den aussagekràftigen Artikel. Wenn ich immer öffters junge Menschen mit Autos rumfahren sehe, die quer über ihre Frontscheibe "Todesstrafe für Kinderschänder"stehen haben, dann beschleicht mich jedesmal ein ungutes Gefühl. Was haben diese Leute mit villeicht 18/19 Jahren für eine Lebenserfahrung um über Leben und Tod anderer entscheiden zu wollen. Da muss es einen Gruseln. Die Welt wie wir sie kennen bricht gerade zusammen, der Sozialstaat wird europaweit demontiert, prekäre Beschäftigung wird zur Normalität aber das wichtigste Problem ist die nicht vorhandene Todesstrafe für Kinderschänder. Nein wenn schon dann fordere ich die
TODESSTRAFE FÜR KORRUPTE POLITIKER kann es sein das dies das Grundübel in unserer Gesellschaft ist. Warum steht das nicht auf den Frontscheiben?

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