Segnungen des Thatcherismus

Freitag, 29. April 2011

Heute zahlt sich der Thatcherismus, der in späteren Jahren New Labour gerufen wurde, vollends aus. Heute, an diesem Freitag, da das britische Königshaus Hof hält, sind die Einschaltquoten gesichert - strenge Sparprogramme, eine Rahmenstellung, die drastischen Stellenabbau förderte und Privatisierungen haben es ermöglicht, dass vormals erwerbstätiges Personal nun Schranzen und Höflinge begaffen darf. Das spart Urlaubsanträge, man ist ja sowieso schon daheim. Britischer Aussortierter, endlich fährst du die Dividende für deinen Leidensweg ein. Wo der brave blue-collar worker malocht oder britisch-brav bereits in der Warteschlange zur Bahn steht, die heute dank Privatisierung und Aufsplitterung weniger, unsicherer und unzuverlässiger denn je fährt, da kannst du das Märchen von dem jungen Geheimratsecken-Prinzen und seiner Angebeteten bewundern...

Eine Bahn, britischer Aussortierter, für die du vielleicht einst gearbeitet hast, die dich nach der Privatisierung und dem Zerfall in viele kleine Duodezbahngesellschaften noch eine Weile für einige Notgroschen beschäftigte, bevor sie dich - weil ausreichend Bahnstrecken aus Rentabilitätsgründen geschlossen werden konnten! - heimschickten, dorthin, von wo du nun das Traumpaar Britannias bestaunen darfst. Möglich auch, dass du normalerweise um diese Uhrzeit Kinder unterrichtetest - damals, als Bildung auch für die Labour Party noch etwas war, was als eine Art Menschenrecht galt. Die freie Marktwirtschaft auch in den Klassenzimmern, sie hat dich zum Publikum für diesen Träger des Hosenbandordens - den übrigens, hier schließt sich der Graus, auch Baroness Thatcher verliehen bekam; (Blair trägt dergleichen Geschmeide noch nicht, obwohl er 1997 die Monarchie rettete, die arg schwächelte im zunächst abgelehnten Andenken an Diana!) - und seine baldige Prinzessin gemacht.

Aber frotzel' nicht, britischer Aussortierter! Sicher, dafür sind Millionen da. Für dich nicht mal Tausend! Aber was sind schon Millionen, wo Staaten doch mit Milliarden geführt und die Unterschichten doch mit eingesparten Milliarden in enge Gürteln verschnürt werden! Nur kein Neid, freue dich, dass New Labour mitsamt der hosenbandbehängten Vordenkerin, dir diesen freie Freitag geschenkt hat - als Privileg gegenüber denen, die noch einen Urlaubsantrag ausfüllen müssen, wenn sie denn dürfen. Und Familie Windsor, volksnah wie alleweil, hat ohne Theater gesagt: Ja, wir machen das am Freitag, als Akt der Güte an denen, die da so gelitten haben unter unseren mandatierten Untertanen! Und wir ziehen das Zeremoniell extra in die Länge, damit auch jene noch einen Fetzen Märchenpracht erhaschen können, die aufgrund von Schienenarbeiten, technischen Defekten, Verwirrung zwischen den vielen kleinen Bahngesellschaften und so weiter, viel zu spät von der Arbeit kommen, die sie vielleicht bald nicht mehr haben werden, wenn es so weitergeht, wie seit Jahrzehnten in unserem schönen Königreich.

So ist zwar kein Geld für Schulen da, keines für eine Arbeitsmarktpolitik zum Wohle der Menschen, nicht der Konzerne, aber man hat noch etwas Geld dafür, die Hochzeit endlos auszudehnen - das ist eine lohnenswerte Investition; lohnenswerter als sozialstaatliche Ladenhüter, denn mit den Millionen für Prinz und Prinzeuse bindet man das Volk, freilich auch diejenigen, die unter Thatcher und Blair unter die Räder kamen...



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Die Kommunikation des Terrors

Donnerstag, 28. April 2011

Mit Terroristen kann man nicht verhandeln, nicht reden - das steht gemeinhin fest. Und das stimmt auch. Sie sind nicht besonders beredt. Ein diplomatischer Plausch ist daher eigentlich generell ausgeschlossen. Mit Terroristen kann man nicht reden, gleichwohl der Terrorismus, frei von emotionaler Begutachtung, sehr wohl eine Kommunikationsstrategie darstellt.

Unterdrückte Gespräche auf gleicher Augenhöhe

Die westlichen Botschafter in der muslimischen Welt, überwiegend Kaufleute und Militärs, sind der Überzeugung, dass der Westen, der dort zu Gast ist, keinen Respekt vor den Anschauungen und Erwartungen der dortigen Menschen zu haben braucht - es ist das Autochthone, der Islam lax gesagt, der am Westen Orientierung finden solle. Tut er dies nicht, so ist er entweder altertümlich oder aber gar fundamentalistisch und demnach der fruchtbare Boden für Terrorismus. Aber es ist nicht das Beharren auf eigenen Standpunkten, die wir als westliche Bürger tatsächlich nicht immer verstehen, auch gar nicht verstehen müssen, was den Terrorismus beflügelt: es ist die westliche Arroganz, sich an Kompromissen und Gesprächen erst gar nicht aufhalten zu wollen.

Unterdrückte Gespräche auf gleicher Augenhöhe, die fehlende westliche Demut, die man noch nicht einmal schamvoll verbergen möchte: das ist der wirkliche Boden des Terrors, das Terroir auf dem die Rebe des Terrors gedeiht. Wir drücken diesen Weltgegenden den Stempel auf: westliche Tugenden, westliche Handelsverträge, westliche Kultur, westlicher Kleidungsstil, westliche Leichtlebigkeit, schicken obendrein auch noch westliche Truppen dorthin - und nebenher erklären wir alles, was nicht diesem westlichen Lebensgefühl entspricht, für schrecklich rückständig und überholenswert. Die Forderungen der islamischen Welt bleiben ungehört. Dass islamische Bürgerbewegungen, die als Ziel eine Demokratisierung vor Augen haben, nicht bindend eine angelsächsische Demokratie meinen müssen, ist für uns nicht denkbar. Dann doch lieber Diktatoren unterstützen, die Hände abhacken lassen, nicht im Namen der Schari'a freilich, sondern im eigenen Namen - geschähe dies unter Anordnung der Schari'a, dann wäre das Geschrei des Westens aber laut und anklagend; läßt ein Diktator Hände abhacken, dann leben wir damit. Despoten dabei zu unterstützen, ihr Volk zu erniedrigen, um eigene Interessen zu wahren: das ist eine andere Seite westlicher Arroganz.

Wenn man nicht gehört wird, sucht man anderweitig Aufmerksamkeit - man greift zum Terror. Das gilt nicht nur für den Islam. Auch europäische Terrorgruppen heischten und heischen auf diese Weise - die baskische ETA bombte, weil das Gespräch mit dem spanischen Zentralstaat abriss und die zentralisierte Arroganz offen erklärt, dass das Baskische irgendwie unpassend und zu provinziell für moderne Zeiten sei. Baskische Parteien, die mehr Autonomie forderten, wurden verboten; wer als Privatperson "zu baskisch" agiert, gerät in Gefahr, kriminalisiert zu werden. Der Terror ist hierbei die letzte Maßnahme, um Kommunikation zu erzwingen. Terrorismus ist wirklich das Allerletzte... das allerletzte Mittel zur Wiederbelebung einer gescheiterten Kommunikation.

Der Terror spricht

Die notwendige Aufmerksamkeit wird gewaltsam erzwungen. Der Terror ist keine Lebensart irgendwelcher Bestien oder Teufel, die etwa große Fröhlichkeit beim Töten und Verstümmeln anderer Menschen empfänden. Er ist, gerade in Augen der Anhänger eines solchen blutigen Weges, eine Sonderform der Notwehr, ein Akt zum Erzwingen einer Debatte. Rational und ohne emotionale Brille betrachtet, kann man diesem Blickwinkel nur wenig entgegensetzen. Der Vergleich mit einem ungehörten Kind, dass durch energische Maßnahmen auf sich aufmerksam machen möchte, um endlich doch erhört zu werden, wirkt deplatziert in Anbetracht der Blutlachen und -meere, die der Terrorismus hinterlässt, veranschaulicht jedoch das zugrundeliegende Prinzip. Niemand wird als Terrorist geboren, keiner hat Freude an einem solchen Handwerk - man wird als jemand, der sich ungehört fühlt, von reichen Leuten zum Terroristen bestochen; Idealisten laufen freiwillig zum Terror über - der Terror ist jedoch keine genetische Vorbedingung. Und Religion spielt dabei nur eine marginale Rolle, dient als Deckmantel.

Der Terrorismus ist die letzte aller Kommunikationsstrategien. Wenn alles Reden, alle Überzeugsarbeit versagt, dann ist die Zeit radikaler Schritte gekommen. Der Terror in Erscheinung des Terroristen, verkündet nur oberflächlich, er werde Tod säen und Sprengstoff sprechen lassen; der Terror an sich aber, nicht in Erscheinung des jeweiligen Terroristen, der vor Kameras Bekenntnis ablegt oder Abschied nimmt, bittet eigentlich darum, dass man endlich zuhört, auf Probleme aufmerksam, ernstgenommen wird. Wenn man tötet, so die traurige Erkenntnis, dann können die Opfer, die Hinterbliebenen und die potenziell Bedrohten nicht mehr wegsehen. Was man dann auch nicht mehr tut, nur blickt man dann nicht genauer hin, sondern erhascht nur den oberflächlichen Eindruck, dass hier Gewalt am Werk ist und dass man eigentlich gut damit tue, westliche Werte standfest zu verteidigen und sich nicht auf Gleichmachung mit anderen Kulturen einzulassen.

Der Islam erfährt dadurch keine Kommunikationsbereitschaft, er wird kriminalisiert; die baskische Sache bekommt durch Terror keine Unterstützung, Basken werden als im Kern handgreifliche Raufbolde und Sturköpfe verstanden - eine gezielte Pressearbeit in eine solche, gerne auch rührselig unterlegte Richtung, tut das Übrige. Man erntet im Westen zuweilen Gewalt, fragt sich aber nicht, woher dieser Hass rührt - man pathologisiert ihn, macht ihn zum Wesenszug von Gruppen oder Ethnien, erklärt den terroristischen Hang zum islamischen, baskischen oder irischen Charakter und hält sich eine Analyse des Hasses vom Leib. Die Kommunikationsstrategie des Terrors versagt, weil die westliche Arroganz so gefeit ist vor Einsicht, dass sie selbst im Angesicht des Todes noch auf Überheblichkeit setzt. Der Teufelskreis, den der Terror verursacht, ist weniger der Blutrausch - der Teufelskreis nimmt seinen Lauf dort, wo nicht verstanden werden will, woher die Gewaltbereitschaft und der Hass stammt, wo man ihn kulturell oder gar genetisch verbrämt, ihn zum Charakteristikum des Islam oder des Baskischen ernennt.

Beide Einseitigkeiten einstellen

Den Terror hebt man nicht auf, indem man ihn mit terroristischen Mitteln ausrotten möchte. Kriege gegen den Terrorismus scheitern nicht nur, sie vergrößern sogar noch den Groll, den man in den Weltregionen, wo man ihn verfolgt, ohnehin schon hegt. Terror gegen Terror verewigt den Teufelskreis, er durchbricht ihn nicht. Krieg gegen den Terror kann nur an diplomatischen Tischen geführt werden. Verstehenwollen statt Verbrennen, Begreifen statt Beschießen. Der Terror ist eine einseitge Kommunikationsstrategie, weil er die zweite Seite vergrätzt - der Westen als Zielscheibe verfällt in Einseitigkeit, weil er die andere Seite gar nicht verstehen will. Die Einseitigkeiten können nur aufgelöst werden, wenn man die Wurzel der Ablehnung versteht und die Arroganz, die die westliche Welt als Gast in islamischen Weltregionen walten läßt, endlich vertreibt.

Ethisch betrachtet ist Terror eine inakzeptable Option. Menschen zu Tode zu bringen ist niemals zu befürworten - unschuldige und unbeteiligte Menschen zu schlachten, das gehört zweifelsohne bestraft. Gleichwohl darf der kommunikative Aspekt des Terrors nie verschwiegen werden. Würde ein Anschlag zur Folge haben, dass sich der Westen fragt, woher diese blutige Verbitterung kommt, dann hätte er eine Wirkung erzielt - bestraft gehörten die Drahtzieher aber freilich auch dann, denn Terroristen sind keine bloße Fortsetzung der Diplomaten mit anderen Mitteln. Dem Terror würden die Lebensgeister ausgeblasen - nicht mit Bomben, sondern mit der eigenen Bescheidenheit, mit der Bereitschaft nachzudenken, mit mehr Respekt und Gesprächen auf gleicher Augenhöhe, mit dem Bekenntnis zur Vielfalt der Kulturen und dem dazugehörigen Lebensarten, die uns zwar nicht immer verständlich sein müssen, die aber grundsätzlich unantastbar sind. Der westliche way of life darf dann nicht mehr als Programm für die ganze Menschheit herhalten, er darf keinen Primatsanspruch mehr besitzen.

Der Terror mordet. Kein Zweifel. Aber unter seiner Oberfläche ist er etwas anderes. Er mordet nicht aus Mordlust alleine, auch wenn viele Terroristen womöglich passionierte Schlächter sein mögen. Der Terror will erhört werden, er will eine Kommunikationsplattform schaffen - erreicht er das nicht, verrennt er sich in Ewigkeit, wird zum Terror um des Terrors willen. Will man den Terrorismus abwürgen, so muß man ihm eine Plattform der Diskussion zusprechen und Einsicht zeigen - was im Hinblick auf die Interessen westlicher Konzerne nicht einfach so geschehen wird. Die Diskussion weiterhin zu unterdrücken, das macht die Terrorbereitschaft dauerhaft. Mit dem Terror müssen nicht alleine die aufhören, die ihn begehen - es müssen auch die mit gutem Willen zuhören, die unter ihm leiden. Nur dann kann er überwunden werden.



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Sit venia verbo

Mittwoch, 27. April 2011

"Dem französischen Schriftsteller und Philosophen Albert Camus zufolge ist der Mensch das einzige Geschöpf, das sich weigern kann zu sein, was es ist. Das ist die Voraussetzung dafür, dass ein Mensch zum Rebellen wird. Er kann rebellieren gegen Unterdrückung und Not. Er kann rebellieren gegen ein Leben, das ihm sinnlos oder unwürdig erscheint. Immer wenn ein Mensch zum Rebellen wird, ist eine Grenze des Erträglichen überschritten. Er scheint zu sagen: Bisher konnte ich es noch ertragen, aber jetzt ist Schluss, ich werde mich wehren. An diesem Punkt wird auch deutlich, dass ein Rebell nicht nur immer und ausschließlich gegen etwas ist. Es ist ihm auch an etwas gelegen, das er schützen möchte, weil es ihm wertvoll ist. Wer Ungerechtigkeit anklagt, möchte Gerechtigkeit. Wer sich gegen Sinnlosigkeit wehrt, verlangt nach einem Sinn. Ohne es vielleicht zu wissen, ist jeder Rebell auf der Suche nach der Liebe, nach einer Moral oder etwas Heiligem. Er kennt also neben dem Nein immer auch ein Ja.
Diese zwei Seiten jeder Rebellion können auch zum Widerspruch werden, dann, wenn der Rebell in der Verneinung zu Mittel greift, die seine Prinzipien leugnen, etwa wenn er Gewalt mit Gewalt bekämpft oder Lüge mit Lüge. Nur „mittelmäßigen Herzen“, so Camus, falle es leicht, diesen Konflikt zu lösen. Für „hochgespannte Herzen“ sei dies ein „schreckliches Problem“, aus dem sie oft keinen Ausweg finden, auch wenn es sie in den eigenen Tod treibt."
- Alois Prinz, "Lieber wütend als traurig: Die Lebensgeschichte der Ulrike Marie Meinhof" -

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Verlockendes Alter

Dienstag, 26. April 2011

Wir werden immer älter und das bei relativer Gesundheit, berichtet die Frankfurter Allgemeine mit ungestümen optimistischem Temperament. Hierzu zieht sie Statistiken heran, die von Altersexperten, Biologen und Medizinern, ausgewertet, wenn nicht sogar erstellt wurden. Das Alter, wie es dem Leser hier schmackhaft gemacht wird, es scheint wenig fürchterlich, wenig kränklich zu sein. Geschenkte Jahre seien es, erweiterbar bis auf mindestens 125 Lebensjahre - wenn nicht gar ohne Grenzen, denn die biologische Lebensgrenze "könnte theoretisch endlos wachsen", wie die FAZ den Altersforscher Vaupel zu zitieren weiß.

Die Debatte, so heißt es weiter, würde von negativen Schlagzeilen über das Alter beherrscht. Alles was im Alter an Zipperlein und wirklichen Leiden auftritt, wird damit einem Aufwisch verharmlost oder umgedeutet. Pflegebedürftigkeit sei zwar heute häufiger, aber letztlich dürfe man keinen kausalen Zusammenhang zwischen Alter und Krankheit oder Pflege herstellen. Warum man das nicht dürfe, diese Antwort bleibt man schuldig, stattdessen ein Schwenk auf das Gegenteil: "Die alternde Gesellschaft wird immer gesünder..." Wenig über die Leiden der Alten, die man zuweilen kennt. Wenig über Demenz und körperliche Gebrechen; wenig darüber, dass Alte in der ökonomisierten Leistungsgesellschaft ins Grübeln verfallen, ob sie denn überhaupt noch einen Wert darstellen.

Natürlich gibt es viele Senioren, die noch gesund und kräftig ihren Alltag stemmen. Endlich hätten sie die Zeit, sagen solche beim Eintritt in die Rente, um ihren Hobbies zu frönen. Sie wirken agil, manchmal auch geistig flott - wahre Werbeikonen für das Alter; wer solche Senioren sieht, der möchte am Alter partizipieren, der will schnell und unkompliziert alt werden. Nur selten wird jedoch die Frage gestellt: was waren diese zackigen Alten einst? Was taten sie? Worum sorgten sie sich? Sorgten sie sich überhaupt viel? Oder waren sie sorgenlos? Ob diese Sorte Senior jemals an einem Fließband schraubte? Viel in gebückter Haltung arbeitete? Waren sie Schlosser, Kanalarbeiter oder Leihfaktotum? Machte sie die monatliche allzumonatliche Angst mürbe, das eingestrichene Salär reiche nicht zum Leben aus? Erholten sie sich jährlich in teuren Urlauben oder gab es Urlaub nur in Dekadenzyklen? Schmerzen die antiken Hüften nur etwa deshalb nicht, weil sie nie beruflich beansprucht wurden?

Was die Frankfurter Allgemeine gekonnt versteckt ist, dass die Fassade vom gesunden Alter, nicht auf jede Gesellschaftsschicht anzuwenden ist. Diese "geschenkten Jahre" manifestieren sich bei solchen, die zeit ihres Lebens relativ ohne Not und Sorgen auskamen, die einen Beruf ausübten, der wenig körperliche Beanspruchung abverlangte, die zu denen gehörten, die das Leben einigermaßen passabel belohnte. Wer einst blöde schraubte und bohrte, immer schraubte und bohrte, bis zur Erschöpfung nur schraubte und bohrte, nie geistige Emsigkeit übte, der kriegt keine Jahre geschenkt. Bauarbeiter und Fließbandhörige, erwerbstätige Alleinerziehende und trotz Krankheit Schuftende kommen in den Genuss dieses Geschenkes eher selten - sie altern schon, wenn sie noch im Berufsleben sind, werden Greise am Arbeitsplatz und dämmern nicht selten schon vor dem Ruhestand dahin. Dazu kommt, dass man solchen Menschen durch das allgemeingültige Ethos, wonach Arbeit in etwa Ehre und Anstand bedeute, auch noch ein schlechtes Gewissen einimpft.

Man müsste schon säuberlich unterscheiden, woher der statistische Aufwind stammt. Ist er allumfassend oder durch die Segnungen der beruflichen Crème de la Crème entstanden? Ist der senile und gebrechliche Rentner ein Auslaufmodell oder doch nur der Herbst des Lebens einiger Glückspilze? In jedem Falle aber ist der flotte Übersiebziger, den die Frankfurter Allgemeine da thematisiert, das Wunschbild derer, die das Renteneintrittsalter nochmals heraufsetzen wollen. Nicht für die Crème de la Crème alleine natürlich, auch für Maurer und Asphaltierer - allgemeinverbindlich, zwecks Gerechtigkeit und so. Das "verlockende Alter", das zuweilen die Schlagzeilen ziert, es wird stets mit der Option verquickt, irgendwann (und hoffentlich sehr bald) zu längerer Lebensarbeitszeit zu führen. Der emsige Rentner ist eine Schande, liest man heraus; gesunde Rentner, die sich ihres Lebens erfreuen, das ist ein Affront. Der flotte Rentner soll deshalb zum flotten Alten werden, der noch flottflott werkelt. Und das nicht nur als Anwalt oder Ingenieur, sondern auch als Anstreicher und Installateur! Statt Lebensqualität für alle Alten zu erfüllen, doch lieber mehr Arbeit und Mehrarbeit für alle, auf das auch jene Rentner aus besseren sozialen Schichten nicht mehr zu gesund die Werktätigen brüskieren!

Fast so, als würde man denen, die potenziell von Gebrechlichkeit und Ausgezehrtheit bedroht sind zurufen wollen, dass sie sich ihren Jammer nur einbilden, denn statistisch und durchschnittlich gesehen, geht es ihnen besser denn je. Kann schon sein, dass ein Maurer von 1970 und einer von 2011 unter gleichen Symptomen leiden, was aber nichts heißen muß, denn im Durchschnitt steht der heutige Maurer besser da. Und weil dem so ist, soll auch die Rente angepasst werden - weil dem so ist, kann man auch länger buckeln. All das natürlich, während man das Gesundheitssystem aushöhlt, ihm allerlei Erholungs- und Regenerationsprogramme aus dem Katalog streicht. Warum denn auch nicht, denn obwohl seit Jahren die Gesetzliche Krankenversicherung verstümmelt wird, scheint der Senior an sich ja gesünder und leistungsfähiger zu werden - dass der privat versichert war und ist, dass er sich vielerlei Erholungsmaßnahmen selbst finanzieren konnte, darüber Schweigen, denn das passt nicht ins Konzept fröhlichen Alters und fröhlicher hoher Lebensarbeitszeiten. Der Greis auf dem Hochglanzpapier der Altersforschung lächelt, das ist die Hauptsache. In welcher gesellschaftlichen Schicht er lächeln lernte, das soll uns, die wir ans sorgenlose Alter glauben sollen, nicht weiter scheren...



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Nur folgerichtig

Montag, 25. April 2011

Man kann der deutschen Sozialdemokratie ja so einiges nachsagen. Dass sie aber nicht hartnäckig konsequent wäre, das kann man ihr nicht vorwerfen. Sie ist es! Selbst jetzt, in der Stunde ihres Verkümmerns und Siechens, bleibt sie ihrer Haltung treu. Einer Haltung, die aus schröderschen Geist und durch Münte geschweißt, die Partei, die Partei, die Partei gänzlich niederstreckte. Die Ehre, die letzte Ehre dieser Partei, die in jedem Landtag und im Bund sowieso, an Prozenten verliert, sie heißt Treue. Treue zu einem Weltbild, das ihr von wirtschaftlichen Interessen und deren Vertretern implantiert wurde - üb' immer Treu und Redlichkeit... bis in dein kühles Grab!

Nachdem man unter rot-grüner Domäne den Sozialstaat dahingehend modellierte, Lohnersatzleistungen und deren Bezieher rein nach ökonomischen Aspekten zu sortieren, sie einer strengeren Verwaltung und repressiveren Gesetzen zu unterwerfen... nachdem man Regelsätze einführte, die nach Warenkörben entworfen wurden, die, erstens, mit veralteten Preisen zusammengestellt und, zweitens, nochmals am Ende um zwanzig Prozent erleichtert wurden, Regelsätze also, von denen man kaum leben konnte... nachdem unter sozialdemokratischer Anleitung keine menschlichere Asylpolitik befürwortet oder gar umgesetzt wurde... nachdem auch zu Zeiten Schröders der Islam kriminalisiert und von Integration gesprochen wurde, grade so als sei hier jeder lebende Ausländer ein zu schleifender Fremdkörper im Volkskorpus... nachdem sich die rot-grüne Ära als eine der konservativsten und biedersten Episoden der bundesrepublikanischen Geschichte gestaltete hatte... nachdem diesem Land so viel Fremdenfeindliches und Klassistisches in rot-grünen und später schwarz-roten Tagen widerfuhr, da konnte die Entscheidung, den stammelnden Erfolgsautoren, der ausnahmsweise keinen quadratischen Schnauz, sondern einen in die Länge gezogenen trägt, nicht aus der Partei zu verbannen, gar nicht mehr überraschen.

Der flotte Erfolgsmensch, man hat ihn von der Bürde befreit, als Rassist zu gelten. Er ist auch nicht unterschichtenfeindlich. Das heißt: all das ist er eben schon! Aber nicht ausgewiesen. Denn der Ausruf "Sie sind ja ein Rassist!" oder wahlweise "Sie sind ja ein Klassist!" ertönt doch lediglich, wenn ein Mensch etwas sagte, was mit dem Kodex der Masse nicht oder nur schwer vereinbar ist. In einer Gesellschaft von Rassisten und Klassisten würde niemals dergleichen ausrufen. Warum auch? Ein solcher Trottel wäre Standard, Durchschnitt, das gängige Mittelmaß. Mit solchen Vorwürfen muß man nur leben, wenn es eine Handvoll Nicht-Rassisten und -Klassisten gibt. Die gibt es freilich in der Sozialdemokratie auch, nur verstecken die sich sehr gut - und manche, die glauben, sie seien keine, sind es doch irgendwie, nur eben latenter, ein wenig eloquenter, sich gar nicht ihrer inadäquaten Affekte bewusst.

Und die findet man auch reichlich bei denen, die leicht nach links eingedreht sind. Auch bei denen galt der brandstiftende Provokateur als mutiger Streiter für freie Meinung. "Man wird doch noch mal sagen dürfen", beschwichtigten sie. Da ist es doch nur folgerichtig, dass man den, auf den man so stolz ist, weil er niederschrieb, was den schröderianischen Geist ausmachte, weiterhin in den eigenen Reihen mitmarschieren läßt. Er ist vielleicht manchmal zu derb gewesen, aber eigentlich fechte er denselben Krieg aus, sagen sie sich. Eine kleine Rüge, eine Ermahnung zu mehr Aalglattheit: und schon ist alles wieder im Lot. Und wählbar wäre man sogar wieder, wenn man den Schnauz ganz und gar nach oben verfrachtet - das nächste Debakel bei der Bundestagswahl, das Gabriel und Nahles und die anderen Sonstwers der SPD wegspülen wird, es könnte den ganz nach oben schwappen, der nun ganz offiziell in seiner Partei verharren darf...



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Schizophren

Freitag, 22. April 2011

Was wir erleben ist die energetische Schizophrenie eines Produktionssystems, wie sie gravierender nicht zum Vorschein kommen kann. Verhaltensmuster werden immer fühlbarer; Verhaltensmuster, die so absurd und schwachsinnig scheinen, dass sie geradewegs aus dem Gehirn eines Geisteskranken entstammen könnten.

Die Symptome der Schizophrenie

Wir unterstützen und betreiben geostrategische Kriege, sprechen von Demokratie, meinen aber Pipelines, erklären etwas von Menschenrechten, denken dabei aber an Konzerninteressen. Schon heute kostet die militärische Sicherung eines Barrel Erdöls mehr als ein Barrel Erdöl selbst. Würde man die militärischen Kosten auf den Literpreis Benzin umlegen, so gediehen die heutigen, stets steigenden, stets kritisierten Preise zu Schnäppchen. Der Verbraucher bezahlt diese Kosten jedoch nicht an der Zapfsäule selbst, er bezahlt sie durch steigende Militarisierungskosten, dadurch, dass als grausame Folge daraus ein Sparzwang erblüht, der zu Sozialstaatsabbau führt - die Vereinigten Staaten von Amerika, in denen die Militärkosten traditionell weitaus höher liegen, sind da, etwas zynisch gesagt, im großen Vorteil: sie kennen ohnehin keinen Sozialstaat nach europäischer Sitte, den man als Ausgleich abbauen könnte.

Das ist geisteskrank - und unökonomisch obendrein. So wie der Umstand auch, dass wir terroristische Regimes unterstützen, die wie große Familien- und Sippenunternehmen (man denke nur an die Sauds!) geleitet werden; wir ignorieren die dortigen Zustände, bloß um ans schwarze Gold zu gelangen. Nebenher lassen sich dort vortrefflich Waffen verscherbeln. Die westliche Waffenindustrie schafft Terror und wir bekämpfen diesen Terror dann und wenden zu dessen Bekämpfung wiederum selbst Terror an. Der Hunger nach Erdöl, nach Erdgas läßt jede Objektivität verschwinden: Terroristen sind demnach Freunde, gleichwohl Unbeteiligte Terroristen sind - oder zu Terroristen erklärt werden.

Dazwischen garnieren wir diese ganze geostrategisch-energetische Chose, diese ausgewachsene großmannssüchtige Schizophrenie mit einer bieder-hausgemachten, mit heimischen Atommeilern nämlich, die selbst nach Stilllegung noch ewig vor sich hinstrahlen, noch jahrzehntelang gepflegt und verwaltet, noch für viele Jahre und Dekaden gemieden werden müssen. Eine Käseglocke könnte nötig werden, und vielleicht noch eine Käseglocke für die alte, für diese über Jahrzehnte brüchig gewordene Käseglocke - eine atomare Matrjoschka als Andenken für unsere Nachkommen, als makaberes Weltkulturerbe, welches jegliche Kultur atomisiert hätte, wenn es nur zum Unfall gekommen wäre. So wie manches Endlager! Weltkulturerbe Gorleben oder Weltkulturerbe Asse! Im Katalog der UNESCO gleich neben der Grube Messel oder dem Aachener Dom oder der Wartburg zu finden! Endlager, wie man diese Müllhalden euphemistisch tauft, die es allerdings gar nicht gibt, denn in Endlagern ist gar nichts zu Ende. Ganz im Gegeneil, da strahlt es wie zu Anfang, wie eh und je - ja, das fröhliche Strahlen fängt dort erst an. Das Endlager als Anfang neuer Probleme...

Die Verleugnung der Schizophrenie

Die Verrücktheit erhält nicht dadurch Auftrieb, dass wir diese ganzen großen und kleinen Schizophrenien aufgreifen und thematisieren. Sie werden zur ausgereiften Krankheit, indem wir sie als unumstößliche Realität betrachten und sie für unabänderbar erklären. Denn Erdöl und Erdgas, wie auch Atomstrom, sind nicht zu verdrängen, reden uns die Lobbyisten der Energiemultis ein. Alternative Energien seien nicht ausreichend, man könnte den Strombedarf niemals damit decken, heißt es da aus berufenen Munde, aus von Atommilliardären berufenen und einbestellten Miet-Munde - außerdem seien sie teuer und Energietrassen für solare Energie oder Windradparks für Strom durch Windkraft, würden hunderte von Quadratkilometer Platz beanspruchen und nebenher die Landschaft verschandeln. Ein Atommeiler mag zwar nicht schön sein, aber er ist platzsparend - er mag nicht gänzlich ungefährlich sein, aber er ist kostengünstig. Das aber auch nur, weil die Folgekosten für die Lagerung gefährlicher Abfallprodukte nicht eingerechnet werden. Diese Kosten werden sozialisiert, die darf dann der Staat, konkreter: jeder einzelne Bürger tragen - wie auch jene Kosten die entstehen, wenn irgendwann einmal Umweltschäden aus den "Endlagern" herausstrahlen werden.

Von der Endlichkeit der Ressourcen weiß man. Das ist schon seit Jahrzehnten kein Geheimnis mehr. Man weiß auch, wenngleich mit weniger Interesse, dass Erdölabbau ein Minusgeschäft für jene Menschen ist, die unmittelbar auf diesen Ressourcen hausen. Sie profitieren davon nicht, werden als billige Lohnarbeiter ausgebeutet und dürfen in einer rundum zerstörten Umwelt ihrem Dasein frönen. Nicht nur Vorkommen beutet man aus, man beutet auch die dortigen Menschen aus - genauso brutal, genauso rücksichtslos! Soziale und ökonomische Ungleichheiten werden so geschürt und mancher Erdöl-Gigant kauft sich zur Sicherung seiner Dividende korrupte Regierungen und blutrünstige Generale - nicht aus Machtgeilheit, versteht sich, sondern mit Bedacht auf den shareholder value. Wir verleugnen dieses Wissen, wir verdrängen die Endlichkeit des Erdöls und des Erdgas'; wir schieben die atomare Gefahr und ihre Langzeitwirkung weit weg. Die Maschine muß weiterlaufen, sie muß geölt werden, koste es was es wolle - koste es uns auch die ganze Welt!

Besonders fortschrittliche Geister glauben in Ethanol-Kraftstoffen eine Loslösung von den Kosten und Folgekosten, von den Verbrechen und den Machenschaften des schwarzen Blutes entdeckt zu haben. Bioethanol läßt uns als motorisierte Gesellschaft weiterleben, und dies von Sicherungskriegen befreit - außerdem fallen Ausbeutung und teuere Transportgebühren weg. Bioethanol macht uns frei und beläßt uns mobil! Kein Rückschritt in die Steinzeit, wie ihn die Lobbyisten von Energiekonzernen dauernd beschwören, sollten die herkömmlichen Energien zukünftig gemieden werden. Bioethanol ist sauberer und trotzdem Mobilität! Kriege um erpresserische Plünderlizenzen sind damit möglicherweise wirklich Geschichte, denn Ethanol destilliert man aus Getreide. Die Lebensmittelpreise steigen somit an und gerade die Hungerleider dieser Erde bekommen diesen "Fortschritt" zu spüren. Ethanol macht irgendwann vielleicht geostrategische Kriege überflüssig - aber es ist eine Kriegserklärung an hungrige Mägen und abgemagerte Leiber. E10, und das ist der wirkliche Skandal, nicht das ganze Gezerre an Tankstellen, dass die westliche Presse aufbauscht... E10 ist die Erweiterung des Krieges mit anderen, mit perfideren und noch existenzielleren Mitteln. Die Erweiterung des Krieges, den die westliche Welt täglich führt, um sich den eigenen Wohlstand auf Kosten der Hungerleider zu bewahren. Bislang würde E10 aber auch Kriegseinsätze zur Erlangung und Sicherung der letzten Erdölreserven nicht verhindern, denn die notwendigen Dünger für Getreide basieren größtenteils auf Erdöl. Man gießt Erdöl ins Getreide - und E10 ist letztlich in Getreide gegossenes Erdöl...

Die Heilung von der Schizophrenie

Die Sonne ist eine endliche Ressource - nur noch fünf Milliarden Jahre steht sie uns zur Verfügung. Bislang hat sich noch kein Lobbyist zur Benutzung dieses Arguments entblödet. Die unmittelbare Endlichkeit von Öl und Gas wurde noch nicht mit dem unüberschaubaren Ende der Sonne entschuldigt. Klar, nach der Sonne ist nach der Erde und, recht wahrscheinlich, nach der Menschheit, wenngleich dieses Nach wahrscheinlich schon davor war - die Evolution macht auch vor uns nicht Halt. Dass aber Sonnenenergie, wie Windenergie auch, sehr teuer wäre, damit schlagen Lobbyisten der alten und dreckigen Energien unsere Wohnzimmertüren ein - nicht nur die Atom- und Erdölkamarilla, auch die Freunde der Kohleverstromung tun dies leidenschaftlich.

Die Sonne scheint aber für jeden, der Wind bläst für alle - keinem gehört die Sonne und keinem der Wind. Die Natur schickt keine Rechnung und einzig und alleine die Anschaffungskosten für Apparaturen, die Sonne und Wind in Energie umwandeln, kosten Geld. Denn genau hier liegt auch die Wurzel strukturkonservativer Weiter so!-Mentalität, die verkündet, dass alternative Energie viel teurer sei - das wäre sie nur, wenn sie zentralisiert aufträte, in Form heutiger Energieriesen. Dezentralisierte man aber die saubere und natürliche Energieversorgung, würde man sie dem Verbraucher selbst oder aber den Kommunen in die Hand legen, sie wäre spottbillig. Wir brauchen keine Trassen voll überdimensionaler Solarzellen - wir pflanzen sie auf jedes Hausdach. Franz Alt schreibt in einem seiner Bücher, dass diese neue Form der Energieversorgung auch eine neue Ethik zur Folge hätte, ein neues Verhältnis zur Natur. Man blickte auch öfter wieder zum Himmel - Energie wäre kein Abstraktum aus der Steckdose mehr. Der Mensch hätte Bezug zu seinem Strom, der aus einem natürlichen Prozess entstanden wäre.

Alternativer Strom wäre billiger, viel billiger - und er wäre friedlich entstanden, müsste nicht durch Armeen gesichert und ausgeweitet werden. Westlicher Wohlstand für die gesamte Welt wäre ohnehin nur dann machbar, wenn den Entwicklungs- und Schwellenländern die notwendige Energie hierfür geliefert werden kann. Begrenzte Ressourcen wie Erdöl und Erdgas reichen keiner Milliarde Menschen schon heute kaum mehr für mehrere Jahrzehnte - die Umweltbelastungen kommen noch hinzu. Die benötigte Energie kann nur aus Sonne und Wind und Wasser kommen - eine Umstellung auf natürliche Energiequellen im großen Stil wäre nicht nur Friedenspolitik, sie wäre demnach auch Entwicklungshilfe, denn Energie würde dann auch in Nigeria oder Bangladesch erschwinglich. Die im Westen gereifte Technik und ein großer und begieriger Markt, der die Techniken verbilligt und zum Massenkonsumgut wandelte, sie könnte den ärmsten Regionen wenigstens die Energiefrage beantworten. Das Recht auf natürlich erzeugten Strom, es könnte in die Charta der Menschenrechte aufgenommen werden - als erster Schritt zu mehr Wohlstand!



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Nomen non est omen

Donnerstag, 21. April 2011

Heute: "Unpolitisch"
"Angepasst, gleichgültig, konzeptlos, beliebig, unpolitisch, unsolidarisch – so sind die Studenten von heute. Dieses düstere Bild zeichnet die Studie der Arbeitsgruppe Hochschulforschung der Universität Konstanz, die im Auftrag des Bundesforschungsministeriums knapp 9000 Studenten befragte."
- Der Westen am 20. Februar 2009 -
Das Adjektiv "unpolitisch" bezeichnet eine vermeintliche Haltung und Einstellung, nach der man wenig bis gar nicht, an politischen Vorgängen, Geschichte, Parteien und Politikern interessiert sei. Der Unpolitische gibt sich undogmatisch, objektiv, hedonistisch, politikverdrossen, meinungs– und ideologiefrei. Er geht dem Thema Politik am liebsten aus dem Weg und glaubt, es könne ein Leben ohne Politik geben. Da das Wesen der Politik allumfassend ist und Bereiche wie Macht, Gesellschaftsordnung, Ökonomie, Gesetz, Ethik, Weltanschauung und vieles mehr betrifft, ist die Behauptung, man sei unpolitisch, Illusion und Selbstlüge.

Der Mensch ist ein Individuum und somit Subjekt. Er ist eingebettet in zwischenmenschliche, kulturelle und gesellschaftliche Rahmenbedingungen. Diese bestimmen, beeinflussen und prägen das individuelle Verhalten, die Einstellung und die Weltanschauung. Dennoch ist der Einzelne nicht nur das Opfer gesellschaftlicher Strukturen, er ist auch der Schöpfer seiner selbst. Erklärungsversuche, die nur die Eigenverantwortung oder nur die Struktur betonen, sind somit einseitig und wenig hilfreich. Da der Mensch ein soziales Lebewesen ist, der Gemeinschaften gründet, ist es unmöglich unpolitisch zu sein. Dies dürften nur Mogli oder Caspar Hauser schaffen.

Der vermeintlich Unpolitische ist in höchstem Maße politisch, denn er ist an der Aufrechterhaltung der herrschenden Verhältnisse interessiert. Es ist ein Irrtum anzunehmen, dass nur derjenige politisch (aktiv) sei, der die gesellschaftliche Ordnung verändern will. Jeder, der sich nicht politisch engagiert oder sich politisch interessiert, sorgt für das Weiterbestehen des status quo. Insofern macht sich der Unpolitische unfreiwillig zum Helfer und Verteidiger bestehender Verhältnisse. Veränderungen, welcher Art auch immer, sind dem Unpolitischen zuwider und verunsichern ihn. Statt unpolitisch müsste es also vielmehr heißen: politisch im Sinne der aktuellen Herrschaftsverhältnisse.
"Wer will, dass die Welt so bleibt wie sie ist, der will nicht, dass sie bleibt."
- Erich Fried -
Dies ist ein Gastbeitrag von Markus Vollack aka Epikur.

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Ein aufrichtiges Anliegen

Dienstag, 19. April 2011

Natürlich trage ich zur Klärung der Situation bei. So wie ich es damals verlesen habe. Das war und ist mir ein aufrichtiges Anliegen. Ich darf Ihnen aus diesem Grunde heute Fakten reichen, meine Damen und Herren, die den Sachverhalt aufrichtig klären. Ferner dürften die gleich verlesenen Daten dazu beitragen, meine Person zu entlasten und die notwendige Reputation wiederherzustellen, die für ein verantwortungsvolles Amt im politischen Betrieb der Bundesrepublik Deutschland vorausgesetzt ist.

Mir wurde unterstellt, ich hätte beim Politologen V. abgeschrieben. Nach reiflicher genealogischen Sisyphusarbeit konnte geklärt werden, dass dessen Ururururururgroßvater mütterlicherseits von einem direkten Ahnen meinerseits unterstützt wurde. Er erhielt in jungen Jahren finanzielle Zuwendung zwecks Bildung - ein aufrichtiges Anliegen meines Urururururururgroßvaters! -, was es ihm ermöglichte, in einem Kontor eine Stelle als Schreiber zu besetzen. Dessen Sohn wurde gleichfalls Schreiber, der Enkel trat in dieselben Fußspuren. Im Laufe der Generationen verdingten sich die Vorfahren V.s als kaufmännische Angestellte und kamen so über Jahrzehnte zu einem hübschen bürgerlichen Wohlstand - V. selbst konnte nur aus diesem Grunde Politologie studieren. Meines Vorfahren Zuwendungen haben demnach tief in V.s heutige Existenz eingegriffen. Somit habe ich mitnichten abgeschrieben, sondern nur die Früchte geerntet, die mein Urahn gesät hatte.

Gleichfalls die Journalistin G., die sich ereiferte, ich hätte von ihr geistiges Eigentum gestohlen. Diese Aussage ist nach Akteneinsicht nicht mehr haltbar. Die Urururgroßmutter G.s gebar seinerzeit einen Bankert, den Ururgroßvater G.s, der ebenfalls von einem meiner Vorfahren, der zufälligerweise auch der Vater dieser unehelichen Schande war, alimentiert wurde. Dies geschah freiwillig und war ihm aufrichtiges Anliegen. Was G.s heutige Arbeit betrifft: sie wäre nie geschehen, wenn damals nicht von Seiten der Familie des Freiherrn Unterstützung geschehen wäre - G. wäre niemals in den Genuss von Protektion geraten und irgendwo in einem industriellen Betrieb in einer 14-Stunden-Schicht versauert.
Ähnlich verhält es sich beim Historiker K., dessen Vorfahren sogar in zwei Generationen unterstützt wurden; oder beim Journalisten J., dessen Urururururahn in der Obhut meines Ururururgroßonkels ein behütetes und beschütztes Leben fristen durfte; der Soziologe H. profitierte auch von der Großzügigkeit eines Onkels meines Stammhauses. Und Professor T.s Ururgroßmutter war die Mätresse des Herzogs W., der mit mir über einige Winkel und inzestuöse Blamagen verschwippt ist - T. ist das Produkt einer unehelichen Unsittlichkeit und demnach indirekt auch Profiteur seiner Herkunft.

Meine Damen und Herren von der Presse, weitere genealogische Befunde sind der Broschüre, die Ihnen gleich ausgehändigt wird, beigefügt. Sie werden schnell erkennen, dass die Großherzigkeit meiner Vorfahren dazu führte, dass sich interessante Gedanken entwickelten, die ich somit nicht gestohlen oder abgeschrieben habe, sondern geerntet. Es ist doch nur recht und billig, dass ich nun einfahre, was vor Jahren angelegt wurde. Was die Öffentlichkeit Betrug nannte, entspricht in Wirklichkeit einem evolutionären Bildungs- und Wissensschaffungsprinzip. Mäzenatentum und Protektion haben so genanntes "geistiges Eigentum" entstehen lassen - aber ohne die Gönner hätte es dieses Eigentum nie gegeben. Man muß kein Feind von Eigentumsrechten sein, kein Kommunist, um einzusehen, dass dieses "geistige Eigentum" eigentlich eine Leistung der Allgemeinheit war, die Summe aus vielen, die da mitgewirkt haben - und sei es eben nur mit Gönnerschaft. Edle Männer verteilten die Mittel und holen sich nun die Dividende ab - was daran sollte verwerflich sein.

Es war mir ein aufrichtiges Anliegen, mich wieder ins rechte Licht gerückt haben zu dürfen...



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Von der Notwendigkeit der Faulheit

Montag, 18. April 2011

Eine Rezension von Markus Vollack. Erschienen am 13. April 2011 im ZG-Blog.

Roberto J. De Lapuente (ad sinistram) lag nun wieder monatelang auf der faulen Haut. Seine Bequemlichkeit zur Tugend erhoben, hat er uns ein neues Buch mit dem Titel "Auf die faule Haut" beschert. Ich muss gestehen, dass ich sein Erstling "Unzugehörig" als einen Tick spannender, runder und geschliffener empfunden habe. Dennoch ist sein zweites Werk durchaus empfehlens– und lesenswert. Eine durchweg verspielte Sprache, viele kritische Analysen sowie eine Auseinandersetzung mit vielen dunklen Flecken unserer Zeit, verspricht und hält Robertos zweites Werk.

Statt einer Einleitung beginnt Roberto sein Buch mit der Feststellung, dass er gerne und wahrhaftig weltfremd bleiben will (S.8). Den Vorwurf des Spinners, des ewigen Nörglers und Kritikers ist all jenen vertraut, die mit wachem Auge und scharfem Verstand beschreiben, was sie sehen. Man muss nicht besonders pessimistisch oder schwarzseherisch sein, um heutzutage als Miesmacher zu gelten (S.133). Wer offen kritisiert, der bringt die wohlige und heimelige Weltverleugnung allzu vieler Biedermeiers ins Wanken. Denn sie haben es sich im schönen Schein des Alles-ist-toll-Prinzips gemütlich gemacht. Wer authentisch bleibt, dem tun sich Abgründe der vermeintlichen Normalität auf:
"Es ist kein Zeichen geistiger Gesundheit, gut angepasst an eine kranke Gesellschaft zu sein."
- Jiddu Krishnamurti -
Insofern sollte die Motivation sich der Mehrheit eben nicht zu beugen, eine Konstante des eigenen Denkens und Bewertens sein (S.113).

Zur Anpassung und Konformität gehört eben auch die Aneignung einer Arbeitsmoral, die einer Sklavenmoral, in nichts nachsteht. Lohnarbeit als Sinn und Zweck des Lebens (S.108). Stolz sein, auf die Plackerei für den Reichtum der Vermögenden, heisst die Devise der Lohnarbeitsmoral im Jahre 2011 in Deutschland. Und obwohl die technologischen Errungenschaften mittlerweile so weit voran geschritten sind, dass viele Arbeiten von Maschinen verrichtet werden, so ist die Vorstellung eines lohnarbeitsfreien Paradies-Utopias, wie es in der Zeichentrickserie "Die Jetsons" vom Jahre 1962 schön dargestellt wurde, für viele Menschen unvorstellbar. In gleichnamiger Serie musste der Vater der Familie, dank des technischen Fortschritts, nur noch dreimal drei Stunden in der Woche lohnarbeiten. Viele jammern und klagen zwar über ihre Lohnarbeit (ja das gehört mittlerweile in vielen Stammtisch-Runden zum guten Ton), wissen aber gleichzeitig ohne den Zwang zur Lohnarbeit, wenig mit sich und ihrem Leben anzufangen.
"In der Faulheit den Fortschritt erkennen, es dürfte wohl der einzige Weg sein, den Wahn unserer immer schneller, immer wilder werdenden Welt zu zähmen (S.109)."
In dem Kapitel "Ihr Kinderlein kommet bloß nicht!" (S.123) schreibt Roberto eine Realsatire, in der klar wird, das Deutschlands Herrschende den feudalistischen Habitus nie wirklich abgelegt haben. Deutschland brauche mehr Kinder, aber bloß keine Unterschichten-Kinder.
"Man will keine Ahmeds oder Kevins, man will Rüdiger-Pascals (S.128)."
ALG2-Empfänger sollten die Verhütung oder gar die Sterilisation oder Kastration vom Amt bezahlt bekommen, schreibt Roberto ironisch. Am 11. März 2011 schrieb Eva Völpel in der TAZ, dass Flensburg ein Pilotprojekt gestartet hatte, in den Männern und Frauen, die Geringverdiener waren, drei Jahre lang die Verhütungsmittel vom Amt bezahlt wurden. Ein Schuft, der denkt, es ginge hier um die Senkung der Vermehrungsrate von Unerwünschten und Überflüssigen.

Robertos Zweitling warnt vor den Folgen eines neuen Marktradikalismus. Immer wenn an Diktaturen oder totalitären Herrschaftsformen gedacht wird, werden häufig die Bedingungen und Entwicklungen, die vorher waren und zur Totalität geführt haben, vernachlässigt und vergessen.
"Aber was davor geschah, die Schmähung, die Beleidigung, der Rufmord an ganzen Gesellschaftsgruppen, die Verleumdung, die Treiberei, das Gehetze, die Berichte voller ehrabschneidender Unwahrheit, die Betonung der Fremd– und Andersartigkeit, der Faulheit und Verschlagenheit — all das, und noch mehr, das Vorspiel der Vernichtungslager. (S.142)"
Das Buch kann bei Amazon oder direkt beim Renneritz Verlag zum Preis von 11 Euro erworben werden.

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Sit venia verbo

Freitag, 15. April 2011

"Die Christenheit, die Christenheit. - Sie hat gute Krankenschwestern hervorgebracht und ebenso tüchtige Mörder."
- Friedrich Dürrenmatt, "Der Verdacht" -

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Gerechtigkeit!

Donnerstag, 14. April 2011

Linkssein, Rechtssein - was heißt das schon? Die jeweiligen Seiten fließen ineinander. Progressiv, konservativ - das ist müßig! Nicht alles was progressiv ist, ist richtig, ist förderlich; nicht alles was konservativ ist, muß grundsätzlich falsch sein. Sich nach solcherlei Begriffen auszurichten, es ist wenig sinnvoll, denn es handelt sich um Abstraktionen und wird einer Art politischen Lagerkollers unterordnet. Die Frage, die die jeweiligen Positionen spaltet, sie ist viel genereller zu stellen: Es handelt sich um die Frage der Gerechtigkeit. Oder anders gefragt, wie Gerechtigkeit gesehen und gefordert wird.

Beide Seiten, rechts wie links, beide Strömungen, konservativ wie progressiv, führen das Wort Gerechtigkeit im Munde. "Die Gerechtigkeit" ist ein verbales Handwerkszeug, ein Mundwerkszeug sozusagen, jeder politischen Coleur. Selbst offenbare Ungerechtigkeit kann hiermit umgedeutet, zu einer hehren Gerechtigkeit verklausuliert werden. Meucheleien, ausgeführt in Uniform, um Ressourcenstabilität zu erhalten beispielsweise, können somit zu einem Akt der Gerechtigkeit verkommen. Der Krieg ist kein großes Unrecht mehr, er ist eine Maßnahme zur Schaffung von Gerechtigkeit.

Wie wird Gerechtigkeit begriffen? Das ist die zentrale Frage, die ich mir stelle, wenn es darum geht, mich politisch und gesellschaftlich zu verorten. Und dabei ist stets die Gerechtigkeit in zwei unterschiedliche Varianten unterteilt. Da gibt es jene, die Gerechtigkeit als exklusives Anliegen verstehen. Exklusiv meint hieran, dass bestimmte gesellschaftliche Gruppen vom zentralen Gerechtigkeitsgedanken, bzw. etwas konkreter formuliert: vom zentralen Aspekt der ökonomischen und kulturellen Teilhabe, ausgeschlossen sind (lat. exclusio, Ausschluss). Der größte Teil des politischen Flügels der Wirtschaft (vulgo: Bundestag oder Landtage genannt), der Parteienpolitik folglich, läßt sich hier ansiedeln. Wenige aber folgen einem inklusiven Gerechtigkeitsempfinden. Sie sprechen sich dagegen aus, dass bestimmte Gruppen, Ethnien oder Gemeinschaften ausgesperrt werden, sie wollen den Einschluss, die Einbeziehung (lat. inclusio).

Ich kann mir keinen Grund ersinnen, weshalb ich Gerechtigkeit (oder den Weg dorthin, zu einer möglichst "gerechten Gerechtigkeit") als ein exklusives Recht einer Gesellschaftsgruppe oder -schicht anerkennen soll. Menschen vom gesellschaftlichen Wohlstand fernzuhalten, das ist ungerecht. Diesen Umstand damit zu rechtfertigen, dass beispielsweise die wirtschaftliche Verwertbarkeit des Menschen eine solche mangelnde Teilhabe rechtfertigte, das ist exklusiver Gerechtigkeitssinn; eine Gerechtigkeit nach Apartheidmethoden. Es gibt keine "Gerechtigkeit für Staatsbürger" oder eine für Arbeitende, eine für Rentner oder eine für Kinder. Ob es eine Gerechtigkeit für alle Menschen gibt, ob man kompromisslos an jeden denkt, wenn man etwas fordert, das ist für mich relevant. Wie Gerechtigkeit verstanden wird: das ist für mich relevant - unter Linken findet man einen inklusiven Gerechtigkeitssinn häufiger. Aber auch dort gibt es Ausreißer in die Exklusivität - und mit solchen Linken oder Progressiven, die exklusiv denken, will ich mich nicht gemein machen.

Es gibt Rechtskonservative, die diesen inklusiven Gerechtigkeitssinn kennen und zuweilen leben. Es gibt Linksprogressive, die ganz ungeniert um eine Exklusivität für alle deutschen Arbeitnehmer schwadronieren. In diesem Lande gelten Grüne als links - und genau die geben sich viel zu häufig leidenschaftlich exklusiv. Mancher Unionspolitiker ist zuweilen viel inklusiver aufgestellt. Mit parteipolitischer Betrachtung ist noch nichts ausgesagt - und damit, ob sich jemand als links oder rechts erachtet, auch nichts. Wie man Gerechtigkeit anerkennt, als generalisiertes Streben oder als kleinkarierte Glückesschmiede für eine Handvoll Menschen: das ist von Belang! Ob man danach strebt, national oder international für Gerechtigkeit einzustehen, klassenübergreifend, ohne Ausschlussverfahren: nach dem sollte man sich richten!

Es gibt keine Linken, keine Rechten, keine Konservativen, keine Progressiven: es gibt Gerechte und Scheingerechte - denn als Ungerechter gibt sich niemand zu erkennen...



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Versuch und Irrtum? Die gnadenlosen Folgen der Nutzung der Atomkraft

Mittwoch, 13. April 2011

Ein Artikel von Reinhard Gottorf.

Ich habe mir lange überlegt, ob ich Ihnen diese, zugegeben sehr vielen, Zeilen senden soll oder nicht. Letzter Anstoß, es doch zu tun, war nun der kürzlich erschienene Text "Sie haben versagt" im ad sinistram-Blog. Ja, vor fast genau 25 Jahren, im Angesicht der Katastrophe von Tschernobyl war und ist dieser Text eine Offenbarung für all die Leicht- und Gutgläubigen gewesen. Er war und ist eine schallende Ohrfeige für all die Vergesslichen und Beschöniger. Er war und ist eine einzige Anklage gegen all die Atombefürworter und deren politischen und „wissenschaftlichen“ Hofschranzen. Ja, es ist gut, dass Sie diesen Text wieder in Erinnerung gerufen haben. An ihm wird nämlich auch deutlich, was folgt, wenn die Menschen diesen Text nicht verinnerlichen.

Gerade einmal fünf Monate, nachdem dieser Text in der "Zeit" veröffentlicht worden war, hatte die Schleswig-Holsteinische CDU-Landesregierung unter Führung des damaligen Ministerpräsidenten Uwe Barschel die Betriebsgenehmigung für das Atomkraftwerk Brokdorf erteilt. Das geschah nach einem von Herrn Barschel angesichts der Katastrophe von Tschernobyl erklärten drei monatigen Moratoriums. Während dieser Zeit sollte das eigentlich unübertreffbar sicherste Atomkraftwerk der Welt noch einmal auf seine Sicherheit überprüft werden. Im Ergebnis wurde dann das unübertreffbar sicherste Atomkraftwerk noch sicherer. Also das allerschwärzeste Schwarz wurde noch schwärzer. Die "Experten" kamen zu dem Schluss – und das ist jetzt kein Witz oder von mir erfunden – und stellten das auch groß heraus, ein zusätzliche Sicherheitssystem, bestehend aus einem weiteren Überdruckventil mit Filter, solle in Bereitschaft gehalten und dann, im selbstredend unwahrscheinlichen Falle einer Kernschmelze, "innerhalb von 24 Stunden" nachträglich eingebaut werden. Nun, das Ende von Herrn Barschel ist bekannt. Das Atomkraftwerk Brokdorf strahlt noch heute und es steht auch aktuell nicht zur Disposition.

Was aber meines Erachtens auch nicht in Vergessenheit geraten darf, ist die Tatsache, dass die nachfolgende SPD-Landesregierung, mit ihrem für die Atomaufsicht zuständigen Minister Günther Jansen, umgehend das Atomkraftwerk Brokdorf stilllegte. Diese Maßnahme wurde dann von einem Herren, der sich heute als für die Beantwortung der Ethikfragen im Zusammenhang mit der Nutzung der Atomkraft Befähigten präsentiert, per Ministerweisung untersagt. Trotz vorhandenem Sicherheitsgutachten, das gebrochene Brennstäbehalterungen und verschwundenen Blechteilen in der Brennkammer feststellte, kam der damalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer zu der Auffassung, das AKW Brokdorf muss wieder an das Netz, da es, so das Ergebnis eines von ihm in Auftrag gegebenen erneuten Gutachtens, sicher ist. Wenige Wochen später, nach Töpfers Weisung, wurden dann Mängel festgestellt, die einem heute, angesichts der Ereignisse in Japan, immer noch die Haare zu Berge steigen lassen.

Aufgrund von Montagefehlern fehlten seit Inbetriebnahme des Atomreaktors im Jahre 1986 bei allen vier Notstromdieseln wichtige Teile, die unter ungünstigen Bedingungen zum Versagen der Notaggregate hätten führen können. Entdeckt wurde auch, dass bei sämtlichen Notstromdieseln an den Kupplungen Verschlusskappen fehlten, die unter anderem dafür zu sorgen hatten, dass beim Betrieb der Dieselmotoren das Öl nicht herausgeschleudert wird. Zwar könnten die Kupplungen normalerweise ein paar Stunden auch ohne Öl auskommen, doch die fehlenden Verschlusskappen gewährleisten außerdem noch die richtige Funktion der Pumpen, die bei einem Zusammenbruch des öffentlichen Stromnetzes und einer Abschaltung des AKWs für die Ableitung der Abwärme zuständig sind. Bei einem der Aggregate war es außerdem versäumt worden, einen Zentrierring für das Kupplungsgehäuse einzubauen. Dieser "systematische Fehler" war bei allen regelmäßigen und besonderen Überprüfungen nicht bemerkt worden. Aber der Ethikbeauftragte Töpfer hatte keine Skrupel, dass Atomkraftwerk in Betrieb zu belassen. Greenpeace hat Töpfer damals in einem offenen Brief zum Rücktritt aufgefordert. In diesem Brief hieß es u. a.: "Mit Ihrer Entscheidung, das Atomkraftwerk Brokdorf solle wieder ans Netz gehen, zeigen Sie erneut, dass Ihnen die Bedürfnisse der Atomindustrie, Kosten zu sparen, wichtiger sind als die Sicherheit der Bürger, die Belange der Natur und Umwelt". Aber dafür prädestiniert es ihn heute, zu den Ethikfragen der Atomkraftnutzung sachverständig und objektiv Stellung zu beziehen.

Vor 30 Jahren, am 28. Februar 1981 habe ich – entschuldigen Sie die drastische Ausdrucksweise - mir den Arsch abgefroren, die Füße wund gelaufen und die Fresse vollgekriegt. Dieser Tag in der Wilster Marsch hat mein Verhältnis zu diesem Staat, den Herrschaftscliquen und Claqueuren, deren Büttel und den braven Bürgern ein für alle Mal geklärt. Damals ist mir ein Aufsatz in die Finger geraten. Dieser Aufsatz prägte von da an meine Haltung zu der sog. "friedlichen Nutzung" der Atomkraft. Ein Dr. Alvin Weinberg, Direktor des Oak Ridge National Laboratoy in den USA, der Schmiede der US-Atomwaffen, schrieb in einem Beitrag für ein US-amerikanisches Wissenschaftsmagazin "Science" u. a. folgendes: "Wenn der Mensch sich erst einmal für die Kernenergie entschieden hat, so hat er sich zu einer grundsätzlichen Unterhaltung des nuklearen Apparates, wie Kernkraftwerke, Wiederaufbereitungsanlagen etc. auf alle Ewigkeit verpflichtet. Wir Atomleute haben mit der Gesellschaft einen 'Faustpakt' geschlossen." Und dieser Alvin Weinberg ist nicht irgendwer. Weinberg ist einer der Vordenker und Entwickler der Mittel und Methoden der nicht-militärischen Nukleartechnologien.

Auf alle Ewigkeit!!! Der Faustische Pakt. Es gibt keinen Weg zurück. Wir könnten auf einen Schlag alle AKW abschalten, es ändert nichts an der unumstößlichen Wahrheit: Die atomare Bedrohung der Menschheit bleibt bestehen. Philippsburg oder Isar 1 sind ja nicht auf einmal Erlebnisparks für jedermann, nur weil sie keinen Strom mehr produzieren. Die Brennelement, der atomare Abfall, die Reaktoren selbst, usw., sie sind und bleiben eine immerwährende Gefahrenquelle. Ob Strom erzeugt wird oder nicht. Das zeigt ja eindrücklich das Beispiel Japan. Einige der havarierten Meiler waren abgeschaltet, im Reaktor 4 befinden sich "nur" abgebrannte Brennstäbe in Kühlbecken. Trotzdem gehen von ihnen aktuell die gleichen Gefahren aus, wie von den erst durch Erdbeben und Tsunami durch Not-Abschaltung gestoppten Reaktoren.

Eine weiter Nutzung der Atomenergie vergrößert mit jedem Tag das Problem. Daher ist es, um nicht falsch verstanden zu werden, richtig, bei uns sofort alle AKW stillzulegen. Was aber dadurch nicht gelöst wird, sind die Fragen der Sicherheit, der Entsorgung, der weiteren Wartung, des Ab- bzw. Rückbaus und vor allem der Endlagerung der radioaktiven Materialien. Niemand kann die Probleme wegzaubern oder auf nimmer wiedersehen verschwinden lassen. Diese Materialien, egal ob in fester, flüssiger oder gasförmiger Gestalt müssen geschützt und sicher verwahrt werde, sie müssen vor unerlaubten Zugriffen gesichert werden. Es muss Institutionen und Organisationen geben, die, über Generationen, so etwas realisieren können.

Es ist schlicht und einfach Scharlatanerie, wenn heute immer noch behauptet wird, wir könnten mit der Nutzung der Atomenergie so weiter machen wie bisher, weil wir ja irgendwann die Technik beherrschen werden. Wir hinterlassen den nachfolgenden Generationen schon einen gigantischen Berg an ungelösten Problemen. Wer "weiter so" sagt und handelt, handelt verantwortungslos und nach dem Motto: "Nach mir die Sintflut". Aber auch diejenigen, die meinen, mit der Parole "Atomkraft – Nein, Danke!" wären alle Problem gelöst, betreiben Scharlatanerie. Wir müssen im gleichen Atemzug, in dem wir "abschalten" sagen, auch sagen, was mit dem Müll, dem Schrott, den Hinterlassenschaften, geschehen soll. Und eine solche, über Generationen gültige Entscheidung kann nicht per ordre de mufti getroffen und mit Wasserwerfer und Schlagstock durchgesetzt werden. Das Sankt Florians Prinzip führt aber auch in eine Sackgasse.

Professor Robert Jungk schrieb 1977 in seinem Buch "Der Atomstaat": "Atomindustrie, das bedeutet permanenten Notstand unter Berufung auf permanente Bedrohung. Sie 'erlaubt' scharfe Gesetze zum 'Schutz der Bürger'. Sie verlangt sogar die Bespitzelung von Atomgegnern und Naturschützern als 'Präventivmaßnahme'. Sie kann die Mobilisierung Zehntausender Polizisten gegen friedliche Demonstranten ebenso 'rechtfertigen' wie deren im Umgang mit Verbrechern erlernte Leibesvisitationen". Ja, es ist alles Wirklichkeit und noch viel schlimmer. Es muss auch klar sein, wenn sich die politischen Verhältnisse nicht grundlegend ändern, wird es auch immer so bleiben. Ausstieg hin – Ausstieg her. In einem wunderbaren Film eines Schweizer Filmemacherehepaars aus den Sechzigerjahren, mit dem Titel "Isidor Huber" gibt es einen schönen Satz: "Wir hinterlassen unseren Kindern einen möglichst großen Besitz, damit sie geschützt sind vor der Gesellschaftsordnung, die wir ihnen ebenfalls hinterlassen". Die Macher dieses Film hatten damals die Atomproblematik noch nicht in ihrem Visier. Wir vermachen unseren Kindern nämlich auch etwas, wovor sie kein Reichtum dieser Welt schützt. Den atomaren Müll.

Es gibt meines Erachtens drei Wege diesen "Faustischen Pakt" aufzulösen. Entweder wir begehen kollektiven Selbstmord, dann hat die Natur das Problem, aber die Menschheit nicht mehr; oder wir denken uns das Problem einfach weg und akzeptieren es als allgemeines Daseinsproblem, wie den Verkehrstod oder Hunger und Durst. Nach dem Motto: "Sorge dich nicht, lebe", und schreiben darüber ein Buch. Der dritte Weg erfordert das Überwinden unserer bisherigen Lebens- und Verhaltensweisen. Es setzt voraus, dass die Dinge so gesehen werden, wie sie sind. Eine "friedliche Nutzung" gibt es nicht. Die atomare Energiegewinnung und deren Folgen hat ein ähnliches Vernichtungspotenzial wie ein atomarer Weltkrieg. Es setzt außerdem voraus, dass die bisherigen gesellschaftlichen Mechanismen nicht nur Infrage gestellt werden, sondern auch durch dem Wohle der ganzen Menschheit verpflichtete ersetzt werden. Das Motto "der Mensch mache sich die Erde untertan" war immer falsch und hat ausgedient. Es ist Vergangenheit. Zukunft hat nur ein Leben in Einklang mit der Natur, nicht mehr gegen sie. Wir sollten damit endlich anfangen.

Ich bin fest davon überzeugt, dass alle heute in der Gesellschaft handelnden Personen, Gruppen und Institutionen sich dessen auch vom Grundsatz her bewusst sind. Sie vermeiden es nur unter allen Umständen diese "Wahrheiten" den Menschen in unserem Lande zu eröffnen. Im Gegenteil. Sie nutzen diese Situation, um ihre Macht und ihren Wohlstand abzusichern, ihren persönlichen Profit zu mehren. Sie konstruieren Bedrohungspotenziale, schüren Existenzängste, um gleichzeitig scheinbare, einfache Lösungen parat zu haben, um diese Gefahren, Bedrohungen, Ängste zu beseitigen. Der erforderliche Repressionssapparat, die gesetzlichen und rechtlichen Instrumentarien werden von der Bevölkerung dankend akzeptiert. Die tatsächliche, existenzielle Bedrohung wird vertuscht, geleugnet oder als nicht existent abgetan. Solange die Menschen z. B. glauben, eines der existenziellen Problem der Zukunft wäre das immer Älterwerden der Gesellschaft und nicht das Problem der Nutzung der Atomenergie, solange ist der Menschheit nicht mehr zu helfen. Ich für meinen Teil halte es übrigens, seit den Erfahrungen auf der Wilster Marsch 1981, wie in einem Text von Carl Amery:

"Was rufst du um Hilfe, Törichter? Ich helfe dir nicht. Du hast dir selbst geholfen.

Erwählt, geprüft, verbündet mit der Allmacht, wie du sie verstehst, hast du aus deiner winzigen Weltecke die Erde erobert. Du hast die Zeichen deines Sieges und die Zeichen der Vernichtung in die Flanken der Berge, in den Schoss der Erde, auf die Linien des Wassers geschrieben.

Und nun, da du mit deiner Siegerfahne auf den Leichen stehst, da du dich einsam fühlst und von der Zukunft verlassen, willst du von Mir die alten Verheißungen einfordern. Du fragst: Ist nicht alles auf meine Freiheit, mein Glück, meine Befriedigung allein angelegt?

Und Ich sage dir: Glück für einen allein gibt es nicht."
Carl Amery, "Das Ende der Vorsehung. Die gnadenlosen Folgen des Christentums"



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Gelungen integriert

Dienstag, 12. April 2011

Er ist ein Aushängeschild der Integration, kann als Beispiel gelten, wie es funktionieren könnte, wenn man sich als Einzelperson nur bemüht, Anschluss zu finden. Philipp Rösler hat es geschafft - er ist ziemlich weit oben angekommen: trotz Handicap. Wenn man sich am Riemen reißt, wenn man tut, was von einem gefordert wird, wenn man nicht knurrt nicht murrt, dann kann die Integration gedeihen und Formen annehmen, die schnurstracks in die Zimmer wirtschaftlich geführter Marionettenregierungen führen. Oft wird behauptet, wirkliche Integration gäbe es nicht, weil persönliche Hindernisse und Erschwernisse nie wahrhaftig aus dem Blickfeld rückten. Rösler hat bewiesen: Integration ist auf wundersam erfolgreiche Art und Weise machbar.

Wegen seiner ethnischen Herkunft? Achwas! Die kümmert doch niemanden - es würde ja schon rassistische Züge annehmen, wenn man seine vietnamesischen Wurzeln für die Grundlage seiner heutigen Existenz heranziehen würde. Das würde ja bedeuten, dass nicht die Sozialisierung den Menschen macht, sondern die genetische Programmierung. Er wuchs in Deutschland auf, nicht ärmlich wohlgemerkt. In diese Richtung musste er nie integriert werden - er war es stets; war wohlig in eine deutsche Familie gebettet. Würde man nun festhalten wollen, dass er gelungen integriert ist, weil er als Säugling kurzzeitig noch nicht deutsch war, so würde man "den Asiaten" in ihm ansprechen. Man würde in schönfärberischer Sprache verkappen, dass man den Aufstieg "des Asiaten" auch deshalb bewundert, weil er mit diesem Handicap fremder Gene doch Karriere machte. Es wäre, wenn auch für viele unbewusst, ein zutiefst rassistischer Ansatz.

Nein, Röslers eigentliche Herkunft ist nicht damit gemeint, um von gelungener Integration zu sprechen. Bei ihm hat die Integration aus einem anderen Grund geklappt: selten zuvor gelang es einem so schmalbrüstigen und unscheinbaren Irgendwen, der gleichwohl nichts, aber auch gar nichts Wesentliches zu berichten weiß, der farbloser als grau und einschläfernder als eine dreistündige Dokumentation über Häkeldeckchen ist, der wenn er spricht, den Eindruck eines etwas zurückgebliebenen Neuntklässlers vermittelt... selten zuvor geschah es, dass jemand mit so wenig Ausstrahlung und so wenig verdienten Meriten, gescheiterten Reformen mitsamt asozialen Aspekten darin, und dazu dieser Charme eines Blödians, immer wieder dieser Blödianscharme... selten vorher erhielt ein so offenbar zurückgebliebener Charakter die Chance, in höhere politische Weihen zu stolpern. Seltsame Macken: ja, die hatten andere auch! Aber so dumpf? So trivial? So umnachtet? Einen solche Forrest Gump hat die Politik noch nicht gesehen.

Und dass man so einen Bengel, der eigentlich keine Chance kriegte, wenn er nicht penetrant genug in den Enddärmen seiner Parteigranden gewühlt hätte, unter Umständen sogar zum Vizekanzler macht: das nennt sich fürwahr gelungene Integration!



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Ridendo dicere verum

Montag, 11. April 2011

"Wer bescheiden ist, muß dulden,
Und wer frech ist, der muß leiden;
Also wirst du gleich verschulden,
ob du frech seist, ob bescheiden."
- Johann Wolfgang von Goethe -

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Eine Buchempfehlung

Sonntag, 10. April 2011

Von Margitta Lamers in "Paulinchen ist allein zu Haus", erschienen 7. April 2011.

Das Buch "Auf die faule Haut", von Roberto J. De Lapuente, bietet dem unvoreingenommenen Leser auf 157 Seiten die Möglichkeit, den oftmals durch Manipulation vergifteten Verstand zu entgiften. Die Texte sind reich an Denkanstößen, ohne den oft so üblichen moralischen Zeigefinger, was bei Lesern, die vorwiegend nach Handlungsvorgaben Ausschau halten, zu Irritationen führen könnte. Im Essay "Worte" - die Perle des Buches - widmet sich der Autor den perfiden Techniken, Sprache zur Spaltung der Menschen einzusetzen.

"Auf die faule Haut" - ein Lesestoff für alle, die sich dem friedlichen Miteinander verpflichtet fühlen.

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Ein und dieselbe Sprache

Samstag, 9. April 2011

"Ich bin der Geist, der stets verneint! / Und das mit Recht; denn alles, was entsteht, / Ist wert, daß es zugrunde geht; / Drum besser wär's, daß nichts entstünde. / So ist denn alles, was ihr Sünde, / Zerstörung, kurz, das Böse nennt, / Mein eigentliches Ele..."

Zwei Lederbemäntelte unterbrachen unseres Großvaters Lesebemühungen. Zwei Vertreter dieser großen Kulturnation, gewandet in schwarzer Kluft aus Schweinshaut, die vor die Schulklasse traten, der feistere von beiden "Mandelbaum" brüllend, worauf sich ein schmales Bürschlein ängstlich, zögerlich, schier um Unsichtbarkeit flehend erhob. "Mitkommen!" hieß man dieses.

"So ist denn alles, was ihr Sünde / Zerstörung, kurz, das Böse nennt / Mein eigentliches Element", las unser Großvater aus dem Werk Goethes - "Mitkommen!", herrschte der Kulturträger:
Wie schön die Sprache von Goethe und Goebbels, von Heine und Himmler, Rilke und Rippentrop doch ist!

"Im Gepränge der Feiern wird genau das übertönt, auf das wir lauschen sollten: das Schweigen der Toten... Der Heldentod, der ihnen so großzügig bescheinigt wird, ist politische Münze, ist als solches Falschgeld... Die fürchterliche Apparatur der Meinungsmaschinen wird auf die Feiern gerichtet: Presse, Funk, Film; Musik erklingt, die amtliche Träne, das bewegte Gesicht, die zuckende Hand, sie werden dem Zeitgenossen gezeigt, der im Klubsessel sitzt, am Bildschirm dem Trauerakt folgt; er fühlt sich zur Rührung verpflichtet und legt für einen Augenblick die Zigarre aus der Hand, nur für einen Augenblick, er, der mit größerer Schuld beladen ist als mit politischem Irrtum: mit Gleichgültigk..."

Die Berieselung aus Funk und Fernsehen unterbricht uns beim Lesen. Die stete und ungebetene Wiederholung von Phrasen und Merksätzen, sie schneidet uns das Wort ab, läßt uns Bölls Zeilen kaum beenden. Sie treten mit Parolen in unser Leben, wiehern "arbeitsscheues Pack", bellen "Überfremdung", grunzen "Ausweisung!" oder "Arbeitszwang!", sondern eiskalte Floskeln von sich.

"... mit größerer Schuld beladen ist als mit politischem Irrtum: mit Gleichgültigkeit..." lasen wir - sie parolieren aber gegen Minderheiten, Randgruppen, machen Parias wirklich:
Wie schön die Sprache von Böll und Bertelsmann, von Simmel und Sarrazin, Walser und Westerwelle doch ist!


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Die Linke scheitert an der Konkretion

Freitag, 8. April 2011

Die jüngsten Landtagswahlen haben bewiesen, dass die Linke keine Protestpartei ist. Wollen die Wähler protestieren, wenden sie sich dem Teil des parteipolitisch organisierten Kleinbürgertums zu, der bis dato nur wenig in Regierungsverantwortung war. Selten zuvor war die Gelegenheit für die Linke so günstig, Wählerschaft zu gewinnen, wie in diesen Tagen. Wie die Grünen gibt man sich als Opponent in Angelegenheiten wie Stuttgart 21 oder Atomenergie zu erkennen. Dennoch scheiterte man an der Fünf-Prozent-Klausel, konnte nur unzureichenden Stimmenzuwachs verzeichnen. Und dies, obwohl die Linke im Gegensatz zu den Grünen, auch eine soziale Leitlinie in ihrem Parteiprogramm vorzuweisen hat.

Dieses Alleinstellungsmerkmal scheint kein Vorteil gewesen zu sein; die aktivierten Wähler, die ins Grüne hinein ankreuzelten, scheinen ein ausgesprochen abstraktes Verständnis von Demokratie zu haben. Sie fordern Partizipation und Bürgerrechte, wollen dass ihre Proteste erhört und direkte Demokratie mittels öffentlicher Unmutsbekundung betrieben wird. Daran ist nichts auszusetzen. Werden die demokratischen Motive aber konkreter, das heißt, erkühnt sich eine Partei tatsächlich, soziale Aspekte zum Wesensgehalt der Demokratie zu addieren, weil demokratische Teilhabe auch immer eine Frage darüber ist, ob es sich ein Mensch leisten kann, frei und demokratisch zu leben, so verschreckt das diejenigen, die meinen, einen alternativen Weg gewählt zu haben. Die Abstraktion der Demokratie trieb sie an, die Konkretion verängstigt sie - klar, die Abstraktion von Bürgerrechten ist kostenlos zu haben; die Konkretion, angefacht durch finanzielle Unterstützung beispielsweise, sie geht ans Säckel.

Die Linke hatte keine Lobby, weil es nicht die so genannte Unterschicht an die Urnen trieb, sondern die besorgte Mittelschicht - Klein- und Spießbürger, die viel Freude an demokratischen Abstrakta haben, die mit Begriffen wie "Freiheit" ganze Weltbilder erklären wollen und mit solchen Losungen auch Auslandseinsätze der Bundeswehr begründen. Freiheit - die Krönung des abstrakten Verständnisses! Was ist sie? Wann geschieht sie? Ist eine vollkommene Freiheit vom Staat auch dann lobenswert, wenn dies bedeutet, dass man in Notsituationen völlig frei von staatlicher Unterstützung ist? Demonstrieren kann man dann ja immer noch! Gegen Atomenergie sein auch! Miete zahlen? Essen? Kulturell teilhaben? Sicher, man kann an dieser ganz besonderen Kultur, der Tröten- und Pappschildchen-Kultur, der Protestkultur nämlich, teilhaben - auch als Unterschichtler. Das Kleinbürgertum, das sich da versammelt hat, um an der Wahlurne nicht für die soziale Alternative zu stimmen, es ist manchmal offen für alle Schichten. Wer gegen Stuttgart 21 und Biblis ist, der darf ruhig auch arm sein - er soll nur nicht annehmen dürfen, dass seine Armut auf ihre Kosten beendet wird.

Wahlsieger ist nicht Rot-Grün, auch die Grünen alleine nicht; die große Schwammigkeit, die große Elastizität, die man auch große Freiheit nennt, sie hat gesiegt. Ein Begriff, mit der schon Zigaretten schmackhaft gemacht wurden, obgleich niemand wusste, was die unbegrenzte Freiheit mit dem Dunst einer Zigarette zu tun haben sollte. Konkrete Ideen, Besserstellung von Arbeitslosen und Niedriglöhnern, von Senioren und Alleinerziehenden, Stärkung von Arbeitnehmer- und Erwerbslosenrechten, die Loslösung des Individuums von rein ökonomischen Idealen letztlich, dafür konnte man sich nicht erwärmen. Politische und kulturelle Teilhabe: ja natürlich! Schaffung der Voraussetzungen, damit auch alle teilhaben können: nicht unbedingt! Eine Renaissance des Sozialstaatsgedankens gar: Demokratie und dazugehörige Partizipation sollte bittesehr kein Geld kosten!

Natürlich unken sie nun, dass der linke Esprit die Wahlen gewonnen hätte. Sozialdemokratie und Grüne als Linke! Aber es war das empörte Kleinbürgertum, die hasenherzige Mittelschicht, die votierte. Für Grundrechte! Für Grundrechte, die nichts kosten - die, die etwas kosten würden, sei es nur Mitgefühl, die im Parteiprogramm der Linken nachlesbar sind, soziale Aspekte, die die Grundlage jedes demokratischen Prozesses sind, die eigentlich den sozialen Frieden installieren sollten, die spielten keine Rolle. Sie werden erst eine Rolle spielen, wenn große Stücke dieser Gesellschaftsschicht in den Genuss geraten, selbst sozial ausgeschlossen zu werden...



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Opulente Apanagen für Betrüger?

Donnerstag, 7. April 2011

Am ersten April wurde aus den spärlichen Regelsätzen opulente Apanagen. Rückwirkend wohlgemerkt. Lang und zäh war das Ringen um einige Euro mehr. Und an jenem ersten April ward die Stunde gekommen, da man Erwerbslosenkonten fürstlich völlt. Endlich! Was lange währt, wird endlich...

Dieser erste April barg aber mehr als erhöhte Regelsätze. Es war auch der Tag, an dem durch den Blätterwald rauschte, dass sich immer mehr Langzeitarbeitslose, vulgo Hartz IV-Empfänger, in Betrügereien verstricken. Just an dem Tag, da die geknechtete Mittelschicht schäumt vor Wut, hat die freie und unabhängige Presse gekonnt diesen Joker im Ärmel. Sie verbandelt Erhöhung mit Betrug und erzeugt damit an manchem Stammtisch und in manchem bürgerlichen Salon pogromartige Stimmung. Gauner alimentiert man halt nicht gerne. Und eine so halsabschneiderische Schicht wie jene der ALG II-Bezieher ohnehin nicht - Gauner im Zwirn, denen gibt man bereitwillig, was freilich hier nichts zur Sache tut.

Es wirft wieder einmal ein enttarnendes Licht auf die Funktions- und Arbeitsweise des Qualitätsjournalismus. Man stelle sich mal vor, prompt am Tage, da Diäten erhöht werden, würde gleichzeitig ein Skandal bezüglich Diätenabzocke beschworen. Oder am selben Tage, da Steuersenkungen für Konzerne verabschiedet wurden, würde von deren Steuerhinterziehung berichtet. Das alles wäre undenkbar! Denn Hartz IV-Empfänger halten sich keine Lobbyisten, die die Zeitgleichheit etwaiger Nachrichten verhindern könnten - sie haben keine Lobbyisten, die der Öffentlichkeit begreiflich machen könnten, wie erhöhte Betrugszahlen erklärbar seien: mit der Verschärfung von Gesetzen, mit erhöhter Stasischnüffelei nämlich, mit der Kriminalisierung von Nebentätigkeiten wie Betteln und Pfandflaschen auflesen. Zwofuffzig Einkommen nicht angegeben zu haben: schon landet man in der Statistik, schon ist man Sozialbetrüger. Und selbst jetzt, da die Zahlen auf dem Tisch liegen: bei fünfundzwanzig Prozent Betrugsrate, wie Superminister Clement einst in einer Talkshow verkündete, sind wir immer noch nicht!

Mag sein, dass das der Pakt ist, den Journalismus und Politik eingingen, als man im Vermittlungsausschuss tagte: man gewährt eine Erhöhung der Bezüge - ganze fünf Euro, die angeblich schon zu viel seien -, verpflichtet aber die Presse darauf, möglichst bald in Hetztiraden zu verfallen. So wie man es kennt: erst dezent, anhand von "Zahlenmaterial", danach erklären die Betrüger ihre Maschen, laufen Experten auf, die analysieren, dass nun die Zeit des Müßiggangs ein Ende haben müsse und Rechtsverdreher, die neue Gesetzespassagen einfordern. Jede Besserstellung von Erwerbslosen, so scheint es die Agenda der Regierenden zu sein, muß von einer medialen Aufwiegelung begleitet werden. Fünf Euro Regelsatzerhöhung muß fünf Wochen verpestetes Klima zur Folge haben - und die langatmigen Diskussionen zur Atomenergie brauchen auch Abwechslung, man muß die Leute ablenken, ihnen Prügelknaben reichen. Und vielleicht, wer weiß, lassen sich beide Themenfelder sogar verquicken - berichtete Wallraff nicht schon davon, wie er als Gastarbeiter Ali ausgediente Reaktoren hätte putzen sollen?



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De dicto

Mittwoch, 6. April 2011

"Das heißt aber auch: Proteste, Bürgerbegehren und Widerstand gegen neue Anlagen und Stromtrassen darf es nicht mehr geben!
Denn eines funktioniert nicht: an der Wahlurne die Atomwende zu erzwingen - und die Alternativen dann zu blockieren.
"
- Jan-W. Schäfer, BILD-Zeitung vom 2. April 2011 -
Zum Gesagten sei angemerkt: Dass es Murren gibt, weil saubere Energie genutzt wird, um die Einnahmen der Energiekonzerne zu erhöhen, damit kann mit Jan-W. Schäfer konform gehen. Natürlich wird der Verbraucher seine Unzufriedenheit kundtun - und ohne dass es die Mehrheit der Unzufriedenen weiß, weil es der zunächst nur um die eigene Geldbörse geht, trifft das wahrscheinlich sogar eine legitime Ursache: denn sauberer Strom ist nicht teurer, man bedenke nur die Folgekosten, die Atomenergie verursacht; Kosten, die heute vielleicht nur ein Bruchteil dessen sind, was später noch auf uns zukommen kann - die Endlager sind ja nicht aus der Welt, sie sind da und werden irgendwann eine Rolle spielen; und Reaktoren strahlen nach einer Stilllegung auch weiter. Außerdem kann saubere Energie aus Wind und Sonne durchaus relativ kostengünstig erzeugt werden, wenn sie dezentralisiert entsteht - viele kleine Solaranlagen, Photovoltaik auf Hausdächern, statt gigantische Solarfelder, die von Energiekonzernen verwaltet werden. Und dass die Energiepolitik in staatliche Hand gehört, damit diese Energie zum Selbstkostenpreis herstellt, ist keine kommunistische Losung, sondern einzig annehmbare Alternative und logischer Denkansatz.

Dass Jan-W. Schäfer sich jedoch dafür ausspricht, dass es zukünftig keine "Proteste, Bürgerbegehren und Widerstand gegen neue Anlagen und Stromtrassen" geben darf, damit sollte man nicht nur nicht konform gehen - man muß es gezielt als antidemokratischen Akt begreifen. Man mag das Begehren derer, die pro Atomenergie und damit für eine vermeintlich billigere Lösung wären, ja nicht teilen. (Diejenigen, die protestieren würden, weil sie billigen Solar- oder Windstrom haben möchten, fände man freilich sympathischer.) Aber ihnen das Recht aberkennen zu wollen, ihre Ansichten öffentlich zu vertreten, das ist eine Aufforderung von geradezu faschistoidem Verständnis. Denn was Schäfer hier postuliert ist die Einheitsfront. "Der Wähler" habe entschieden - wobei nicht mal klar ist, ob mit der Installierung der Grünen auch wirklich eine solche Entscheidung getroffen wurde! - und weil er das hat, so muß "der Wähler" nun auch einheitlich hinter seiner Entscheidung stehen. "Proteste, Bürgerbegehren und Widerstand gegen neue Anlagen und Stromtrassen darf es nicht mehr geben!" - nicht mehr geben! Da schwingt Verachtung mit, es liest sich so als wolle Schäfer damit sagen: genug geschwätzt, genug queruliert, Ende mit dem Debattierklub namens Demokratie. Jetzt gibt es kein Querulantentum mehr!

Für Schäfer und seine Postille ist das fürwahr alltägliches Denken. Proteste begleiten sie stets mit dem verächtlichen Ton solcher, die "den Staat" mit einer Einheitsfront der Interessen gleichsetzen. Es dünkt ihnen seltsam, dass in einer Demokratie verschiedene Interessen gegeneinander abgewogen werden - das ist freilich nicht immer einfach, zeitigt oft ärgerliche Resultate, ist aber unumgänglich. Demokratische Partizipation und das Recht auf Äußerung der Meinung anzufeinden: das galt auch dem braunen Zirkel in den Zwanzigerjahren als selbstverständlich. Die Demokratie koste Zeit, Nerven und es kehre nie Ruhe ein - eine Ruhe, die Schäfer nun auch fordert. Man ist freilich flexibler geworden, ist nicht starr ideologisch; jedenfalls nicht in kleinen Sparten, die Ideologie ist universeller, denn sie lautet: Profitmaximierung! Ob die mit Solarenergie oder mit Atomstrom geschieht, das ist nicht so wichtig - die Ideologie ist ein Ziel, kein Weg dorthin. Man arrangiert sich damit, dass möglicherweise viele Menschen saubereren Strom möchten. Aber dann bitte Ruhe, damit der Betrieb nicht gestört wird. Keine Gegenmeinung mehr, kein Aufbäumen, kein Protest gegen hohe Kosten, die nicht sein müssten, betriebe man eine zielgerichtete Energiepolitik und würde diese obendrauf auch noch vergesellschaften. Demokratie soll sein, wenn alle an einem Strang ziehen - die Wiederbelebung des Bonapartismus!



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Eine Buchrezension

Dienstag, 5. April 2011

Von Hartmut Finkeldey in "Kritik und Kunst", erschienen am 2. April 2011.

Vor kurzem bekam ich, das ist in der Literaturszene auch 2011 so üblich, von meinem Verlag ein Rezensionsexemplar eines Verlagskollegen zugeschickt. Ob ich nicht in meinem Blog. Und überhaupt. Was Freundliches schreiben und so. Über Roberto De Lapuente, "Auf die faule Haut", Renneritz Verlag 2011, ISBN 978-3-940684-13-4. Nun, ich war dagegen. Denn wie sähe das denn aus! Wir seien hier ja nicht bei Hegemanns unterm Sofa. De Lapuente empfehle ich zwar seit Jahren sowieso per Dauerverlinkung, und der Vertrag mit Renneritz ist längst unterschrieben – sowohl schamlose Gefälligkeitsgutachten als auch literarisches Klinkenputzen dürften als Motiv also ausfallen. Dennoch: ich mochte nichts schreiben über seinen Essay-Band! Bis ich mich von einem Freund habe überzeugen lassen. „Biste denn wirklich von seinem Band überzeugt?“ Bin ich. „Dann schreib. Und was die Dumm-Mucker, would-be-Zuträger und Untersteller faseln, kann Dir egal sein.“ Und somit lesen Sie im Folgenden eine kleine Lobrede, die ich natürlich mit der Hoffnung verbinde, sie möge Roberto De Lapuente und Jork Heinemann die Finanzierung ihres Zweit-Rolls-Royce erleichtern. Zumal auch für Klein-Hartmut als mal wieder was abfällt.
„An ihren Worten soll man sie verkennen“ – so setzt De Lapuente im längsten Essay seines neuen Bandes an, und er meint jene Worte, mit denen diese Gesellschaft ihre Aufgeregtheiten, ihre Unwahrheiten, ihre Erbarmungslosigkeit verbal organisiert. Dieses Leitmotiv durchzieht seine Arbeit: In ruhigem Ton werden Verkennungen benannt, also Verlogenheiten und vor allem, De Lapuentes Thema, die Gewalt sichtbar, die jenen Verkennungen innewohnen. Böse Zungen nennen ihn einen Moralisten – womit sie sogar recht hätten, bedächten sie nur, dass ein Moralist, also Menschenkenner, das Gegenteil von einem Moralprediger ist.
Muslim-Haß oder Waffenhandel – er schenkt allen ein. Mein persönlicher Lieblingsessay: „Versöhnend komisch“. De Lapuente erinnert an den Komiker – er war wohl wirklich einer, wenn auch nur in der Zweitbedeutung – Weiß Ferdl, NSdAP-Mitglied, dessen Albernheiten, dessen Untertanen-Klamauk und Polit-Zoten mit Humor in etwa soviel zu tun hatten wie die vaterländischen Gesänge des Kommersbuchs mit Gedichten. Sein berüchtigster Auftritt war ein Gastauftritt im Nazi-Propagandafilm „Wunschkonzert“, in dem er, bezeichnend, den Song „Bin ich froh, ich bin kein Intellektueller“ zum Besten gab. Und De Lapuente wagt es, vermutlich nicht einmal vor Kühnheit zitternd: Er sieht Beziehungen zwischen Weiß Ferdls damaligem Herrenmenschengedröhne über Arbeitslager und jenem abendshowkompatiblem Klamauk, der heute billige Possen auf Kosten Wehrloser reißt. Ich höre es schon, das Dumm-Gestammel: Wie könne De Lapuente es denn wohl wagen! Nazis und Kapitalisten, Arbeitslose und Juden, in einen Pott und überhaupt…! Er wagt es, und er wagt es zu Recht, denn es geht ihm um Denkmuster, um das Aufsuchen von Verkennungen. Weiß Ferdl hat sowenig pro Massenmord votiert wie der durchschnittliche RTL-Klamauk heute Waffenhandel, Rassismus oder Erwerblosenschikaniererei befürwortet. Beide machten und machen einfach nur ihren Job. „Weiß Ferdl hat es damals nicht böse gemeint – und die Spaßvögel von heute, sie meinen es auch nicht so.“ (150) Natürlich nicht. Die meinen gar nichts mehr. Und wissen tun sie noch weniger. Hartz-Schmarotzki-Witzchen in einer Zeit, in der psychisch kranke Erwerblose, Kostgänger also, Leute, die nichts leisten sondern immer nur der allein seligmachenden Arbeitswut auf der Tasche liegen, in den Tod schikaniert und sanktioniert werden, das können sie. Mehr haben sie nicht drauf. Die Pose der souveränen Non-Correctness gibt es gratis dazu. Und wer sich von solcherart Klamauk partout nicht bespaßen lassen möchte, gilt als schmallippiger Spielverderber.
Gegen genau diese Haltung, gegen die „Voliere, die Freiheit auftischt“ (Im Käfig, 151), schreibt De Lapuente seit Jahren an. Das wird im Titelessay noch einmal besonders deutlich: Gegen die „entfesselte Arbeitsraserei“ (103), von der sowohl der Kapitalismus als auch sein intelligentester Kritiker begrifflich gebannt waren, macht De Lapuente den Schwiegersohn des Letzteren stark. Ist die Abkehr vom Effizienzfetisch, das Einfordern zweckfreier Faulheit progressiv oder Rückkehr idealistischer Verbrämung? Die Linke war sich da nie einig. Für De Lapuente, der sehr genau weiß, dass es ein Leben vor der Revolution gibt (und ein Recht auf Glück in ihm), ist das keine Frage. Sich dem Diktat der Stechuhr – heute wohl: Des Einlog-Protokolls – nicht zu beugen ist ihm kein unehrenhaftes Verhalten, „sondern vollkommen menschliche, völlig legitime Verhaltensweisen“ (110). Ganz abgesehen davon, dass, wer auf der faulen Haut liegt, auch zu faul etwa zum Kriegführen sein dürfte. Ein Argument, das nicht mehr unterlaufen werden kann: Der Faulheit gehört demnach wirklich die Zukunft. Ihrem Lob zumindest die literarische Gegenwart.

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