Entwurzelt

Samstag, 24. Juli 2010

Geh doch dorthin, von wo du hergekommen bist!, bekommt man als Undeutscher häufig zu hören. Geh heim!, vernimmt man auch mehrmals, wenn man lediglich das Kind eines Undeutschen ist. Und kritisiert man als solcher dann hiesige Verhältnisse, so wird man rüde zurechtgestutzt - du kannst ja heimgehen, wenn es dir hier nicht paßt! Als Kind eines Ausländers hat man nicht zu beanstanden, zu nörgeln - als Ausländer selbst ohnehin nicht. Doch wo ist dieses Zuhause, wohin geht man, wenn man als Fremder in einem fremden Land zum Heimgehen aufgefordert wird?

Vielleicht, so hoffte man damals als man in die Fremde ging, würde man dort eines Tages akzeptiert, würde man sich sozusagen seiner Fremdheit entfremden und auch für die Autochthonen irgendwann nicht mehr fremd sein. Aber man bleibt immer fremd, doppelt fremd: Fremd in der Fremde und stockend wird man auch fremd in der Heimat. Ich habe diese Entfremdung an meinem Vater beobachten können. Das fing bei Belanglosigkeiten an, wenn er bestimmte spanische Worte nicht kannte, weil sie erst nach seinem Weggang aus Spanien aufkamen - in Erinnerung ist mir ein Einkauf, bei dem er Nylonstrümpfe für meine Mutter kaufen sollte und nur jenes Nomen kannte, das im Spanischen Wollstrumpfhosen bezeichnet. Das war eine urkomische Situation, mit einer belämmert dreinschauenden Verkäuferin, die sich sichtlich wunderte, dass da ein Mann mitten im heißesten Sommer wollene Strumpfhosen erstehen wollte. Ein familiärer Klassiker, der immer wieder aus der Mottenkiste voller Erinnerungen herausgekramt wird und den auch meine Kinder vorgesetzt bekommen, wenn uns danach ist, die familiäre Vergangenheit komödiantisch aufzupolieren. Gleichwohl ein nebensächliches Sinnbild dafür, dass demjenigen, den man hierzulande schnell mal flapsig nach Hause schickt, auch seine Heimat abhanden gekommen ist.

Aber ich habe bei unseren jährlichen Spanienaufenthalten sehr wohl verspürt, wie dieser Mann, der mein Vater war, in einer Heimat umherirrte, einer Heimat, die ihm verhältnismäßig fremd geworden war. Er war stolz auf jenes Heimatstädtchen, dass kolossal anwuchs, modernen Städtebau praktizierte, Wohlstand heraushängen ließ - aber es war nicht mehr seine Stadt, war wie eine schlecht arrangierte Imitation seiner Herkunftsstadt, die so aussah, so gebaut war, aber doch irgendwie, man konnte nicht sagen wieso genau, anders roch. So pilgerten wir oftmals durch die Altstadt, er uns Orte deutend, an denen dies oder jenes geschah, angefangen beim Ort seiner Geburt bis zum Wohnort eines entfernten Vetters, der von uns nie gesehen ward. Er schwelgte hin und wieder in seiner Vergangenheit - in seiner nicht nur zeitlich, sondern auch räumlich versunkenen Vergangenheit. In seinem Kopf war er dort, wo er einstmals heimisch war - die reale Welt bot diese Heimeligkeit nicht mehr. Welch Zerrissenheit mir zuweilen sichtbar wurde, dieser beklagenswerte Mann, der seine Wohnung, sein Bett, seinen Kühlschrank in einem Land hatte, in dem er nie akklimatisiert war; der seine Wohnung aber gerne an der Stätte seiner Herkunft gehabt hätte, die ihm mittlerweile auch fremd erschien. Auch in Spanien wäre er als Spanier, der er zeit seines Lebens blieb, wie ein Zuwanderer gewesen.

Wäre er zurückgekehrt, so wie er in manchem verträumten Augenblick von einer Rückkehr ins Land seiner Väter sprach, man hätte ihn wahrscheinlich nicht als Spanier anerkannt - ich glaube, dass er für seine in Spanien gebliebenen Schwestern manchmal exotisch wirkte; dass ein Spanier, der seit Jahrzehnten nicht mehr in Spanien lebte, zwangsläufig fremde und gewöhnungsbedürftige Wesensarten annimmt, steht außer Frage. Vage ahne ich heute, dass eine Rückkehr nach Spanien ein Fiasko geworden wäre - eine zweite Phase Gastarbeiterschaft, wenn man das so sagen kann. Wie hätte er dort leben können, gleich einem Mann seines Alters, der dort immer gelebt hat? Viele seine weltläufigeren Sichtweisen hätte man nicht verstanden, viele seiner eher deutsch geprägten Ansichten genausowenig. Man hätte ihn vielleicht ausgelacht oder für nicht ganz normal eingestuft. El alemán, hätten sie ihn genannt, nehme ich an - den Deutschen! Das wäre ein schönes Stück Ironie geworden: el alemán, der er in Deutschland nie war. So ein Zurückkommen ins Land seiner Ahnen, es wäre voraussichtlich ein Debakel gewesen - es ist ihm erspart geblieben, er starb vorher. Und auch wenn es kleinkariert und wenig nach den Worten eines liebenden Sohnes klingt, ich bin froh, dass ihm das nicht mehr widerfahren konnte; ich bin froh, meinen Vater nicht als geknickten Mann erlebt haben zu müssen.

Wir fuhren beinahe jeden Sommer nach Spanien, das heißt, eigentlich fuhren wir ins Paradies. Die Idealisierung des Geburtslandes ist ein maßgeblicher Bestandteil jeder Gastarbeiterkindheit. In Spanien leben alle glücklich, jeder hat Arbeit, verdient gut, lebt wie Gott in Frankreich, nur eben heißt dieses Frankreich Spanien. Lauter nette Leute belagern die Straßen und alle leben in Eigentumswohnungen, weil keiner mehr Mietverhältnisse nötig hat. Als Jugendlicher wollte ich das glauben, schließlich war auch ich, obwohl in Deutschland geboren, in meinem Umfeld immer der Spanier. Und wenn ich schon so einer sein musste, dann sollte das freilich etwas ganz Enormes, etwas Erhabenes, vielleicht sogar Besseres sein. Deutschland war natürlich der teuflische Gegenspieler: Immer neblig, immer regnerisch, immer kalt. Dazu Schwalle verschlagener, bösartiger Menschen - Typen halt, wie es sie seit Generationen in diesem Land im Herzen Europas zu geben schien. Kapos und Rottenführer garstigster Machart - dass es solche Schweine aber auch in Spanien gab, musste ich erst später erkennen; dass die faschistoide Tendenz international ist, lernte ich erst Jahre danach. Das war das Leitbild des gesamten Jahres: Deutschland ist ein Höllenpflaster, Spanien eine Wolke. Und dann waren wir in Spanien, und oh Wunder, mein Vater sprach ganz anders von Deutschland: es sei dort alles gut organisiert, es gäbe einen hohen Sozialstandard, er könne sich sogar hin und wieder ein neues gebrauchtes Auto, mit etwas Spardisziplin sogar ein neues neues Auto leisten! Aus dem Höllenschlund glitzerte und funkelte es urplötzlich heraus.

Später begriff ich erst, dass in dieser Verhaltensweise stille Rechtfertigung zu vermuten lag. Die wenigsten Gastarbeiter gingen guten Gewissens von ihren Eltern und Geschwistern weg - wenn man heute so tut, als kämen die Menschen aus aller Welt nach Europa, nach deutscher Lesart: nach Deutschland, um sich in unseren Sozialstaat einzunisten, dann spricht da die verwegenste, ahnungsloseste Dummheit; dann bricht da die ganze Engstirnigkeit von Menschen hervor, die niemals vor der Entscheidung standen, die Heimat zu verlassen - verlassen zu müssen. Denn man geht nicht frohen Herzens, auch Kindergeld oder Sozialhilfe locken niemanden ausreichend, um Vater und Mutter, Bruder und Schwester, Onkel und Oma zurückzulassen, um in ein Land zu gehen, dessen Sprache man nicht spricht und dessen Mentalität einen weltweit nicht besonders guten Ruf besitzt. Und dann stand er vor seinen Schwestern, beide zu netten Reichtum gekommen, und er putzt jenes Deutschland fein heraus, mit dem er während des ganzen Jahres gehässig im Clinch lag. Seht her, so schien er zu rufen, meine damalige Entscheidung war richtig! Goldrichtig! Dass seine beiden Eltern damals seinen Stolz anfachten, als sie ihm deutlich machten, dass er ohnehin bald zurückkäme, weil er ohne sie nicht auskommen würde, tat natürlich das Übrige - schau her Mama, ich habe es auch ohne euch geschafft! Schade, dass Papa das nicht mehr erleben kann!

Mag sein, dass mehr hervorlugte aus diesem Wechsel seines Verhaltens. Was hinterlässt man doch für Wunden, wenn man seine Eltern, besonders aber seine Mutter verlässt. Mütterliche Tränen trocknen nur saumselig und die spärlichen Karten aus dem Ausland trösten nur wenig. Wenn man seiner Mutter schon Mühsal bereitet, wenn man sie schon enttäuscht, weil man von nun ab ein Leben fristet, in dem die Mutter nurmehr eine Nebenrolle einnimmt, eine höchst selten in Anspruch genommene Nebenrolle, ein Arrangement als Statistin oder Komparsin, um es metaphorisch treffender zu zeichnen, dann kann man nicht angekrochen kommen - dann kann man nicht zu Besuch reinschauen und über jenen Ort meckern, für den man sich aus freien Stücken entschied. Das gebietet der Stolz! Und der Anstand! Seine Mutter, seine Familie generell, sollte nicht umsonst gelitten haben - wenigstens sollte am Ende jenes Glück stehen, dass er sich mit seinem Weggang in die Wege einzuleiten glaubte, das ihm vor Jahren, in Zeiten da er noch zuversichtlicher war, gelotst schien. Zuzugeben, dass man nicht vollwertig glücklich ist, die damalige Entscheidung zweifelhaft war: so eine Blöße gibt sich ein stolzer Südländer doch nie im Leben! Gäbe sie sich ein Nordeuropäer? Sind die Menschen da so anders geartet, nur weil sie Sauerbraten statt Paella, Köttbullar anstelle von Polpette verzehren? Ach Bub, hätte seine Mutter, meine Großmutter, unter Umständen vielleicht bemerkt, hättest du nur auf uns gehört! Ach Bub, was hast du mir, was hast du uns und vorallem, was hast du dir da nur angetan?

Ich war nicht dabei, kann es mir aber bildlich vorstellen, wie es gewesen sein muß, als mein Vater, mittlerweile Arbeiter im fernen Alemania, sein Elternhaus besuchte. Er, wahrscheinlich im Trend der Zeit mit weißem Hemd und schwarzer, übertrieben ranker Krawatte gewandet, in der nicht besonders mondänen Küche seiner Mutter hockend, gegenüber seinem Vater, der nach wie vor Schäfer war und eine kleine Metzgerei betrieb - er, mein späterer Vater, der in Jugendjahren ebenso Schafe hütete, schlachtete, urwüchsiger Bursche war und nun zum industriellen Schildknappen aufstieg! Er, der mich behütende Vater, der immer Rat wusste, die Welt verstand, sie mir erklärte, er ruderte in jenen Tagen selbst noch orientierungslos durch die Gewässer. Im Mief seiner eigenen Vergangenheit muß er da gesessen haben, erfüllt vom schlechten Gewissen, den Argusaugen seiner Angehörigen ausgesetzt. Vermutlich sprach er vom effektiven Arbeiten, vom Akkord, vom Fleiß, den man in Deutschland durchaus honoriert, von der peniblen Organisationskraft der Deutschen, vom Beispiel, welches sich die müden Spanier von den Deutschen nehmen sollten - gut möglich, dass sich meine Großeltern traurig anblickten, sich fragten: was ist denn mit unserem Buben los? In welcher Welt lebt er denn eigentlich? Sicher, mein Vater kam aus keinem Dorf, eher vom Rande einer größeren, spannend anwachsenden Stadt, aber die angelsächsisch-ökonomischen Werte, oder nennen wir es Verwertbarkeiten, hatten in Spanien seinerzeit nur spärlich Fuß fassen können.

Er wird schon damals nicht von den kleinen und großen Begebenheiten gesprochen haben, die ihm als Ausländer im Deutschland jener Jahre widerfahren sind. Eine verlassene Mutter sollte nicht auch noch voll brennender Sorge sein, sie sollte sorgenlos ihr verlassenes Dasein ausheulen dürfen, sollte sich damit trösten können, dass es dem Jungen relativ gut geht, dass er akzeptiert und gemocht wird. Dabei blieb er immer ein Fremder, gleichwohl er später der deutschen Sprache mächtig wurde. Man sprach deutsches Stakkato mit ihm, schrotthaftes Deutsch ohne Syntax, frei von jeder auch nur alltäglichen Stilistik, denn der begriffsstutzige Ausländer sollte ja auch verstehen können. Es fällt schwer heimisch zu werden, wenn man unentwegt von der Seite angestammelt wird, wenn man immer wieder zum Stereotyp eines Südländers gemindert wird - wurde einer seiner Arbeitskollegen mal wütend, dann hieß es, er sei mit dem falschen Fuß aufgestanden oder ihn habe etwas in wilde Rage versetzt; wird aber ein Spanier oder Italiener wütend, egal wie berechtigt diese Wut auch ist, dann reduziert man das auf das südländische Temperament. Der Südländer als Opfer seiner Anlagen, als triebgesteuerter Choleriker!

Der Südländer: ein impulsiver, emotionaler Bauchmensch - mit solchen Gestalten kann man wenig anfangen! Sie sind nicht planbar, nicht kalkulierbar. So wie auch dieser Mann, dieser spätere Vater eines schreibenden Sohnes, emotional durchdrehte, seinen Arbeitsplatz von heute auf morgen hinschmiss, weil gut zweitausend Kilometer südwestlich sein Vater, mein mir unbekannt gebliebener Großvater, an Kehlkopfkrebs erkrankte. Urlaub wollten sie ihm, meinem Vater, nicht geben, nicht von jetzt auf gleich. Aber er wollte an das Bett seines moribunden Papas, auch wenn es wahrscheinlich gleichgültig war, ob er gleich oder erst in zwei Wochen dort ankam - solange würde er schon noch leben. Aber ein Sohn, der seinen Eltern den Schmerz des Verlassenwerdens aufhalste, der leidet gezwungenermaßen an schlechtem Gewissen - spanische Söhne jener Zeit mehr als es heutige täten. Da gehen schon mal die Gäule mit einem durch, da wirft man schon mal den begehrten Posten am Fließband hin und reist unverzüglich ab - da macht man aus dem Spanier, der pflichtvergessen war, der impulsiv reagierte, der sich unmöglich benahm, schon mal einen fadenscheinigen Charakter, einen Nichtsnutz, der zwar fleißig sei, aber aufgrund fehlender Sekundärtugenden zu nichts zu gebrauchen. Sie sehen nur den äußeren Einband, den triebgesteuert cholerischen oder emotionalen Südländer, der bei Unverständnis in familiären Notständen, auch mal laut, auch mal derb wird - sie sehen nicht des Gastarbeiters Pein, sein fortlaufend geplagtes Gewissen, sein seelisches Ringen. Sie sahen nicht den Vater meines Vaters, wie er mit Loch im Hals in seinem Bett liegt; sie sahen nicht seine Schwiegertochter, meine Tante, die ihn wickelte, fütterte, pflegte; sie sahen nicht, wie der Sohn zum Vater strebte, auch wenn es zwecklos war, weil der Vater dem Tode schon überschrieben war.

Dieser Mann, der schließlich mein Vater werden würde, er hat nie über seine Ankunft in Deutschland gesprochen, er war für mich ein Mann ohne Vorgeschichte. Ein liebevoller doch strenger Vater, aber aufgrund fehlender Biographie konturlos, fast schon zu geschmeidig. Man musste bohren, wollte man mehr erfahren und auch dann erhielt man nur bruchstückhafte Fetzen jener Tage. Viele Spanier kamen in diesen Erzählungen der ersten deutschen Jahre vor, viele Spanier, die schon nach einigen Jahren zurückgingen - er aber blieb. Es scheinen keine rosigen Tage gewesen zu sein; Tage, in denen er eingehend erklärt bekam, wo seine Stellung in der bundesdeutschen Gesellschaft zu sein hatte. Gastarbeiter eben; jemand, der sich hier nicht zu wohl zu fühlen habe, denn selbst die beliebtesten Gäste gingen letztlich irgendwann nach Hause. Dass Gäste normalerweise nicht zum Arbeiten eingeladen werden, ist den Fürsprechern dieser speziell deutschen Art von Gastfreundschaft natürlich in der Eile, den arbeitsplatzraffenden Ausländer wieder loszuwerden, kurzzeitig entfallen.

Geh doch dorthin, von wo du hergekommen bist!, hörte mein Vater sicherlich öfter als ich - mir wurde das jedoch auch mehrmals ans Herz gelegt. Woher mein Vater kam, war bekannt - aber ich? Woher kam ich denn? Wenn ich dorthin zurückkehren soll, woher ich kam, heißt das dann, dass ich ins Krankenhaus zurückfinden soll, in jenen Kreißsaal, in dem ich geboren wurde? Oder in den Schoss meiner Mutter? Mein Vater hätte gewusst wo der Ort seiner Herkunft wäre - nur was hätte er dort anderes erlebt als hier? Dort hinzugehen, woher man kam: das ist wenigstens eine Ortsangabe - aber heimgehen, wenn es ein solches Heim nicht gibt? Geh heim!, ist als Empfehlung weniger sensibel. Wer dergleichen empfahl, machte sich nicht mal die Mühe, nachzudenken - um ehrlich zu sein, wer derlei empfiehlt, ist mit dem Denken ohnehin nicht so besonders befreundet. Aber zwischen der angeratenen Rückkehr zum Ort der Herkunft oder der Heimstatt, da ist schon ein fundamentaler Unterschied. Letztere Variante reduziert ja den Menschen lediglich auf seine Nationalität, fragt nicht, ob man sich irgendwo auch tatsächlich heimisch fühlt, sondern schaut in den Paß und nimmt an, der dortige Eintrag sei das Heim - du bist nichts, deine Nationalität alles!, blitzt da als eingetrichterte Devise schüchtern durch.

Geh doch dorthin... nichts wissen solche, die entsprechende Anregungen aussprechen. Sie wissen nicht, dass man seine Heimat verliert, dass einem die Herkunft abhanden kommt, wenn man in die Ferne schweift. Für sie sind Ausländer sozialstaatsversessene Raffzähne, die selbst ihre Großmutter verkauften, um die Segnungen des Wohlfahrtstaates zu erlangen. Dabei sind es Entwurzelte, stets fremd Gebliebene hie und fremd Gewordene dort; Menschen, die eine schwärende Wunde in sich tragen. Und wenn man genug von Deutschland hat, maulen diese schlichten Gemüter, dann könne man ja zurück gehen, zurück in die Heimat. Sie wissen nichts von der Komplexität eines solchen Lebensentwurfes, sie wissen nicht, wie demütigend es ist, selbst dort, wo man geboren wurde, nicht wirklich beheimatet zu sein...



26 Kommentare:

antiferengi 24. Juli 2010 um 10:53  

Schöner leidenschaftlicher Text. Als Deutscher unter Deutschen, den es über mehrere Stationen durchs eigene Land in den Süden desselben verschlagen hat, - bin ich allerdings zu der Überzeugung gekommen, dass dieses "Ich bin hier, und du bist fremd" - Gehabe nicht unbedingt eine Form von Nationalismus ist. Den Spruch, "Geh doch dahin zurück, wo du hergekommen bist, - wenn es dir hier nicht gefällt", hat so mancher schon gehört, den es nur einige Kilometer versetzt hat. Selbst kleine Unterschiede, nur Nuancen im Dialekt, reichen manchmal aus dafür. Wen man eine Weile damit lebt, das z.B. Schwaben, oder Badener ihr 1/4 Hochdeutsch auch noch extra zurückfahren, weil sie eine stille Freude daran haben, das jemand aus dem Norden sie nicht versteht, oder der Native inhabitant mit; "Lern erschomol richtig daitsch schwätze" selbst noch zwischen Schwaben und Badenern brilliert,dann sucht man die Gründe woanders, als im national eingezäunten Bereich. Ich habe übrigens ähnliches, sogar mal in Frankreich von Franzosen zu Franzosen mit einer Bösartigkeit erleben dürfen, die man eher im offenen Feld des Rassismus positionieren könnte. Also sehe ich es mit einem großen Fragezeichen versehen, als evtl. speziell deutsche Mentalität an. Bei mir hat es natürlich auch stellenweise dazu geführt, ein durchaus verklärtes Bild und Gefühl zur eigenen Heimatgegend aufzubauen. Ich denke diese Fremdenfeindlichkeit wird aus Bequemlichkeit und Angst geboren, nicht aus nationalen Gefühlen. Angst vor Veränderungen, Einschnitte des Gewohnten, Sprengung des eigenen kleinen Universums. "Ich bin hier, - und du bist fremd." Das es umso vehementer wird, je größer das Gefühl der Fremdheit dabei wird, ist wohl klar. Worauf das aber aufbaut, oder herkommt, beschäftigt mich schon lange.

PeWi 24. Juli 2010 um 11:18  

Danke. Mir ging es als Ostdeutsche ähnlich, die in den Westen ging, um dort zu arbeiten. Es war für mich genauso.

Marlies 24. Juli 2010 um 11:31  

Mensch Roberto, da hast Du mal wieder treffende Worte gefunden! Ich ärgere mich seit Jahrzehnten über dieses Thema. Dachte mir schon immer, dass es nicht so leicht sein kann, in die Fremde zu gehen oder als hier Geborene/r immerzu als "Ausländer" bezeichnet zu werden.

Als Eingeborene höre ich ja leider mindestens ebenso viel fremdenfeindliches Zeugs wie Du. Die entsprechende Landsleute nehmen einfach an, ich wäre ihrer Meinung, und lassen ungeniert die Sau raus. (Zum Glück immer nur einmal! Meine Reaktion ist dann etwas überraschend.*gg*)

Auch das Wort "Asylanten" wurde zum Schimpfwort, dabei können sich die Schimpfenden gar nicht vorstellen, unter welchen Umständen diese Menschen flüchten mussten. Und je dunkler ihre Haut ist, desto seltener wird ihr Leid anerkannt. Es ist zum Ausrasten! Und dann wird die hohe Ablehnungsquote noch so aufgefasst, als ob die alle nur zum Spaß versuchen würden, hier zu (über)leben.

Ich weiß nicht, ob es in anderen Gesellschaften leichter ist, Fuß zu fassen, als in Deutschland. Zweifellos in traditionellen Einwandererländern wie etwa die USA. Eine gewisse Tendenz zum Fremdeln besteht aber oft, z.B. wenn ich als Hamburgerin in ein friesisches Dorf zöge (oder in ein bayerisches) wäre ich wohl auch immer die Zugezogene.

Trotzdem, die abgundtiefe Gemeinheit, diese stumpfe Bösartigkeit, der merkwürdige Neid, und was man alles so hinter der Verachtung für Eingewanderte entdeckt - es ist ekelhaft. Die Erde gehört doch uns allen. Warum darf nicht jeder leben, wo er will. Es wird schon Gründe dafür geben.

Lass Dich nicht aushöhlen von dem ständigen Dumpfsinn. Gegen Doofheit kann man nicht immer was machen. Ich bin schon froh, wenn ich den einen oder anderen kurz zum Nachdenken bringe, etwa: "Dann stell dir doch mal vor, du müsstest jetzt alles zurücklassen und auf einen anderen Kontinent. Machste das freiwillig?!"

Anonym 24. Juli 2010 um 11:33  

"[...]Und wenn man genug von Deutschland hat, maulen diese schlichten Gemüter, dann könne man ja zurück gehen, zurück in die Heimat. Sie wissen nichts von der Komplexität eines solchen Lebensentwurfes, sie wissen nicht, wie demütigend es ist, selbst dort, wo man geboren wurde, nicht wirklich beheimatet zu sein...[...]"

Fulminant - wie immer beschrieben.
Nur eines, es kann einem so auch als hier geborenem, und seit generationen verhafteten, Deutschen gehen.

Bin ich unzufrieden mit den Zuständen, dann höre ich oft den Satz - auch gestern wieder:

"[...]Dann geh doch....wandere aus....[...]" - früher hieß es: "[...]dann geh doch nach drüben...[...]"

Wenn es nur so einfach wäre, wäre ich schon längst fort, aber du beschreibst ja selbst - an einem Einwandererschicksal in Deutschland, d.h. wie es deinem Vater erging - wie schwer es ist im Ausland, außerhalb von Spanien, Fuß zu fassen.

Übrigens, geistig habe ich Deutschland schon seit der Kohl-Ära gekündigt, und nur meine, noch lebende Mutter, ist der Grund das ich noch nicht fort bin....

Mich ekelt mein Land nur noch an....

Die Entfremdung, die hier stattfindet, betrifft sicher nicht allein Gastarbeiter sondern auch Deutsche, die sich eben mit diesen schwarz-gelden Verhältnissen in Deutschland nie abfinden werden.

Übrigens auch völlig unpolitisch kann es einem in Deutschland so gehen, dass man von seinem Heimatort entfremdet wird - ich weiß kein Vergleich zum Gastarbeiterschicksal, aber dennoch sollte es einmal erwähnt werden.

Ich war einige Zeit aus meinem Heimatort fort, eben nicht im Ausland, und bei der Rückkehr kam mir doch einiges - nicht zum Guten - verändert vor....

Gruß
Nachdenkseiten-Leser

Lutz Hausstein 24. Juli 2010 um 11:41  

Lieber Roberto. Ja, genau das ist es, was ich an "Zwei-Nationalitäten"-Personen mag. Sie haben die Möglichkeit, eine Sache aus zwei, manchmal völlig konträren, Sichtweisen betrachten. Sie können das "Ding" aus der einen Perspektive beschreiben, um anschließend dasselbe "Ding" aus der anderen Richtung zu erklären. Wer auch nur ein klein wenig aufmerksam und aufnahmebereit ist, kann daraus auch sehr viel für seine eigene Sicht der Dinge lernen. Sofern er nach größtmöglicher Objektivität strebt.

Und gerade Dir mit deiner bildhaften Sprache gelingt es sehr gut, einem aufmerksamen Leser die zwei Seiten ein- und derselben Medaille nahezubringen. Auch die oftmals vorhandenen Widersprüche dieser gegensätzlichen Sichtweisen darzulegen und damit die Absurdität des jeweiligen "Dagegen-Sein"-Standpunktes aufzudecken.

Anonym 24. Juli 2010 um 13:04  

das hast du mir von der seele geschrieben. danke.
In österreich geboren, lebte ich lange in deutschland. Ich kehrte dann mit meiner familie zurück und kann deine ausführung bestätigen. Ich bin in der sogenannten heimat unzugehörig geworden.

Anonym 24. Juli 2010 um 14:04  

In einem Land, in einer Gesellschaft, in der jeder "Habenichts" um fast alles GEGEN andere Habenichtse konkurrieren muss, ob um einen Arbeitsplätz oder eine preisgünstige Unterkunft, morgens um ein Schnäppchen bei ALDI und abends um einen Partner/Partnerin, oder auch mal für seine Kinder um einen Platz in einer wohnortnahen Schule..., ist in so einer Gesellschaft nicht JEDER, ganz unabhängig von seiner Nationalität, Herkunft seiner Eltern, Vorfahren etc.., der noch nicht "hat" , nicht ein "Fremder", ein "Außenseiter", ein "jemand", der "nicht dazugehört"?
Erinnert euch nur an einen der markantesten Aussprüche Margaret Thatchers bezüglich gerade dieses Themas.
Das heutige Deutschland ist viel weniger nationalistisch und rassistisch als viel mehr sozialrassistisch, sozialdarwinistisch.
Und um diese "Goldene Kalb" tanzen in diesem Lande sehr viele Menschen, ganz unabhängig von ihrer Nationalität.
Und alle Spießbürger/innen, welche sich so gern national, gelegentlich gar nationalistisch geben, "übersehen" nur allzu gern, dass sie nur "Emantionen" einer alle Grenzen dieser Welt überschreitenden "internationalen Kategorie" sind!

Nichtdazugehörende Grüße an alle Nichtdazugehörenden von Bakunin

Anonym 24. Juli 2010 um 14:39  

Als Deutscher unter Deutschen, den es über mehrere Stationen durchs eigene Land in den Süden desselben verschlagen hat, - bin ich allerdings zu der Überzeugung gekommen, dass dieses "Ich bin hier, und du bist fremd" - Gehabe nicht unbedingt eine Form von Nationalismus ist,


Das Fremde entspricht dem abgespaltenen Selbst, dem gehassten Selbst. Im Grunde seines Wesens eine Projektion

Arno Gruen arbeitet das sehr gut in seinem Buch "Der Fremde in uns" heraus.

Nach diesem Buch sieht man politisches Gebaren ganz anders und erkennt in aller Deutlichkeit den Sinn von Abgrenzungsbestrebungen.

http://de.wikipedia.org/wiki/Projektion_%28Psychoanalyse%29

http://www.amazon.de/Fremde-uns-Arno-Gruen/dp/3423351616

MFG

Anonym 24. Juli 2010 um 14:52  

"[...]Und um diese "Goldene Kalb" tanzen in diesem Lande sehr viele Menschen, ganz unabhängig von ihrer Nationalität[...]"

Treffender Satz, ich machte - vor Jahren schon - die Erfahrung mit türkischstämmigen Einwanderern, die etwas gegen arme Landsleute haben - von wegen alles Faulenzer und Parasiten.....

...ich denke gerade die Einwanderer, die sich am brutalsten den herrschenden, neoliberal-marktradikalen Zuständen anpassen sind ein Problem, dass oft medial übersehen wird, weil die eben - ganz im Gegensatz zu ihren, nehmen wir obige Erfahrung noch einmal, armen türkischstämmigen Einwandererfreunden - voll auf Linie liegen - mit Merkel/Westerwelle/Özdemir/Steinmeier & Co.....

Das Beispiel kommt übrigens nur, weil ich die Erfahrung mit türkischstämmigen Einwanderern machte, die sich noch neoliberaler gaben als Steinzeit-Neoliberale von der FDP

Es läßt sich sicher beliebig auf andere Einwanderergruppen in Deutschland ausdehen, die stramm neoliberal gewendet wurden - aus Anpassungsgründen oder warum auch immer....

Übrigens kleiner Exkurs:

Wißt ihr wer die fanatisten Christen sind/ware? Nein? Saulus/Paulus.....ein Begriff?

Ähnlich dürfte es mit gewendeten Antineoliberalen aussehen, egal woher die kommen, die sind oft die "Taliban" des Neoliberalismus.

Gruß
Nachdenkseiten-Leser

Anonym 24. Juli 2010 um 15:18  

@MFG

Arno Grün ist mir auch ein Begriff, aber für Abgrenzungsbemühungen läßt sich auch bei Primatenforschern einiges nachlesen:

Schon unsere nächsten Verwandten im Tierreich, die Schimpansen, sind gegenüber Nichteinheimischen Schimpansen - menschlich ausgedrückt - sehr fremdenfeindlich eingestellt, wenn die nicht zum einheimischen Schimpansenclan gehören.

Das soll aber nun nicht Ausländerfeinde bestätigen, sondern nur klarstellen, dass die Evolution zumindest hier eine Erkenntis liefert, die wir bekämpfen sollten - auch wenn die in der angeblichen Natur von uns Menschenaffen liegen soll - Wir Homo Sapiens haben ja die Fähigkeit darüber nachzudenken, dies als Fehler zu verwerfen, und drüber zu stehen.

Frei nach dem Motto:

"Gene sind kein (unüberwindbares) Schicksal"

Gruß
Nachdenkseiten-Leser

Anonym 24. Juli 2010 um 17:08  

Lieber Roberto,

wieder einmal ein sehr schöner Beitrag über das Fremdsein in zwei Ländern und Kulturen.

@ Lieber Nachdenkseiten-Leser:

Bei Ihrem Kommentar und gerade bei der Erwähnung von Paulus aka Saulus erinnere ich mich unwillkürlich an ein sehr eindrucksvolles Interview mit Joseph Weizenbaum, dem Erfinder des ELIZA-Programms (das psychoanalytische Dialoge simuliert – eigentlich von ihm als Gag erdacht, um die Annahme einer „künstlichen Intelligenz“ ad absurdum zu führen, aber dann, zu seiner Verblüffung, von etlichen wissenschaftsgläubigen Psychologen sehr ernst genommen).
Joseph Weizenbaum schilderte in diesem Gespräch, wie er schon als kleiner Junge im Berlin der 20er Jahre mitbekam, dass seine Eltern und deren Freunde, allesamt gebildete, wohlhabende, erfolgreich assimilierte Juden von stramm deutschnationaler Gesinnung, sich über die armen, talmudfrommen, aber oft – im westlichen Sinne – sehr ungebildeten „Kaftanjuden“ aus Polen, der Ukraine und dem Baltikum mokierten, die damals in die weltoffene deutsche Hauptstadt zogen.

Ja, man begrüßte es in jenen Kreisen durchaus, dass Hitler mit jenem Pack (und übrigens auch Kommunisten und Sozialisten) aufräumen würde – und kaum einer dieser vorbildlich assimilierten Juden wollte sehen, dass er und die Seinen natürlich schon als nächste auf Hitlers Liste standen!

Diese Hybris, also die überhebliche Blindheit gegenüber allen Warnzeichen, die wir aus der griechischen Tragödie kennen, ist weit verbreitet bei denen, die sich noch zur Mittelschicht rechnen dürfen und wollen, dieses Abwiegeln und Nicht-wahr-haben-Wollen nach dem Motto: „Nun hab dich mal nicht so – reg dich doch nicht so auf – uns geht das ja alles nichts an, Gott sei Dank!“

Auch die deutschen Juden wurden in kleinen Schritten, schön nach und nach, immer mehr ausgegrenzt und verleumdet, gequält und gedemütigt, entrechtet und enteignet, schließlich „in Arbeitslager“ abtransportiert und erst ganz zum Schluss ermordet.

Und genau deshalb, meine ich, müssen wir den Anfängen wehren!

Solidarische Grüße
Saby

Anonym 24. Juli 2010 um 17:45  

@Saby

Danke für den Hinweis.

Wichtig: Nicht meine Meinung - mache würden den Vergleich den du ziehst für sehr abwegig halten.

Denen halte ich das neueste Buch von Goldhagen "Schlimmer als Krieg" vor, wo Goldhagen alle Prozesse eines Völkermordes Punkt für Punkt untersucht und aufzählt, den ersten Punkt - die Vorarbeit dazu haben wir bereits hinter uns.

Erinnert sei an die "Parasiten"-Äußerung eines gewissen SPD-Politikers, die westerwellesche "spätrömische Dekadenz", und den Vorschlag eines FDP-Extremisten Arbeitslose sollten ihresgleichen in Berlin (=Ratten) jagen.

Goldhagen nennt dies Dämonisierung und Entmenschlichung von Opfern, die oft einem Völkermord vorausgeht.

Ein Völkermord droht uns nicht, aber in punkto unbelehrbarer Schäbigkeit sind Neoliberale eben nicht besser als Völkermörder, ob die nun Pol Pot, Adolf Hitler, Stalin oder sonstwie heißen .... man (auch Behörden- bzw. Argemitarbeiter sind gemeint) dämonisiert und entmenschlicht arbeitslose Menschen, denn dann lassen sich "Reformen" zum Nutzen der Besserverdiener besser umsetzen.

Irgendwie bin ich seither in starker Versuchung jeden FDP/CDU/CSU/SPD und GRÜNEN-Neoliberalen als Faschisten zu beschimpfen - Goldhagen liefert ja gerade die Begründung - siehe oben - warum.

Übrigens was die Judenverfolgung im Dritten Reich angeht, ich las einmal vor Jahren - ich glaube es war in Raul Hilbergs "Die Vernichtung der europäischen Juden" ähnliches wie du geschrieben hast - Manche Juden hielten die Nazi-Politik für durchaus nachvollziehbar, und dies noch solange bis die selbst im Deportationszug in die Vernichtungslager saßen.

Ja, es ging sogar soweit, dass eigene Familienangehörige die ausgrenzten, die damals - in der Frühzeit der NS-Verfolgung der Juden - schon ahnten, dass es in Richtung massenhaftem Menschenmord ging.

Gruß
Nachdenkseiten-Leser

Anonym 24. Juli 2010 um 18:28  

@ Blogautor Robert und alle

Nicht nur in Deutschland.

Paul, zweifellos Brite, reimte/sang seinen Song auf dem berühmten letzten Beatles Dachkonzert in London

http://www.youtube.com/watch?v=-6G7MkBMVxE1969

mit der Kernzeile

[please] go back to where you belong

Was manche auf John´s Freundin, Yo., die Japanerin, bezogen ...


Gruß


ak
24. Juli 2010

Anonym 24. Juli 2010 um 19:01  

@ Lieber Nachdenkseiten-Leser

Ich danke Dir für den Hinweis auf Goldhagens neues Buch – ich muss allerdings gestehen, ich bin bei Hitlers „willigen Vollstreckern“ bislang immer noch nicht über die erste Hälfte hinausgekommen; ich finde es einfach zu schrecklich, was er da schildert, und kann mich bisher nicht dazu überwinden, noch mehr Einzelheiten darüber erfahren zu wollen.
Ich vermute mal, für Goldhagens neues Buch braucht man ebenso starke Nerven (die ich nicht immer habe).

Und nein, natürlich ist kein Massenmord an Arbeitslosen geplant.
Aber wenn man sich die zum Teil wirklich hasserfüllten Kommentare zum Thema „25 qm Wohnraum reichen für Hartzer“ in FR-online anschaut, merkt man doch, dass eine unauffällige „Vernichtung durch Arbeit“ manch einem Steuerzahler schon sehr recht wäre...

Ups, das hat uns jetzt aber sehr weit vom ursprünglichen Thema weggeführt – sorry, Roberto!

Solidarische Grüße

Saby

Manul 24. Juli 2010 um 20:52  

Ich bin selbst mit 10 Jahren nach Deutschland gekommen aus einem Land, was heute noch nicht mal mehr gibt, da es das System nicht gibt und die Lebensrealitäten der Menschen sind ganz andere Realitäten, als in dem Land, aus dem ich damals ausreist bin. Mein Geburtsland ist die Volksrepublik Polen, ein Staat, was 1990 aufgehört hat zu existieren und die heutige Republik ist schon lange gar nicht meine Heimat mehr. Ich war, ungelogen, das letzte mal vor knapp 9 Jahren dort, obwohl es keine 500km sind, die ich fahren müsste. Ich habe aber auch keinerlei Verbindungen mehr dahin so richtig, ausser vielleicht meinen Verwandten, die ohnehin keine Ahnung davon haben wie ich eigentlich wirklich lebe und die ein ganz anderes Leben führen, als ich.

Ich bezeichne mich deshalb inzwischen nur noch als Europäerin und es ist für mich auch die einzig triftige Bezeichnung, wenn ich meine Herkunft beschreiben soll. Ich bin auch richtig multi-kulti, jeder Ausländer, dem ich hier in Deutschland begegnet bin, hat ein Stück seiner Kultur bei mir zurück gelassen und bei mir war tatsächlich schon fast die halbe Welt zu Gast (auch Spanier ;)). Ich fühle mich auch deshalb inzwischen nirgends so richtig zugehörig, ausser vielleicht in meinem Viertel, wo ich meine Jugend verbracht habe und wo ich immer noch viele Freunde habe. Interessant wird noch, wenn ich selber mal Kinder habe, deren Vater vielleicht noch eine ganz andere Herkunft mit hinein bringt, aber die werden dann echte Cosmopoliten sein, die von diesem nationalen kleinkarierten Denken überhaupt nichts mehr verstehen.

Frank F. 25. Juli 2010 um 09:47  

Wenn auch nur eine Kostprobe, das ist schon ein richtiger literarischer Leckerbissen. Beim Lesen hatte ich zeitweise das Gefühl, als atme der Text geradezu. Wer von den in der aktuellen hiesigen Literaturszene bekannten Autoren wagt sich so nahe ans Leben heran? Wer von denen widmet sich überhaupt den wahrhaft wichtigen Themen unserer Zeit? Oder werden solch ambitionierte Schreiber, wie alles andere Zeitkritische, einfach nur totgeschwiegen?

Die verschiedenen Formen der Entwurzelung zerfressen unsere Gesellschaft schleichend von innen, wie ein stetig wachsender bösartiger Tumor. Und ausgerechnet diejenigen geben dem Krebs Nahrung, denen in einer Demokratie eigentlich ein stabilisierendes Eingreifen zugedacht ist.

Womit ich wieder bei den regierenden und schein-oppositionellen Politikern gelandet wäre. Damit eine geziehlt massenhafte Entwurzelung ein voller Erfolg wird, bedarf es solcher regierenden und schein-oppositionellen Politiker.

Deutschland - es ist angerichtet.

Anonym 25. Juli 2010 um 09:56  

@saby

Du schreibst:

@ Lieber Nachdenkseiten-Leser

"[...]Ich danke Dir für den Hinweis auf Goldhagens neues Buch – ich muss allerdings gestehen, ich bin bei Hitlers „willigen Vollstreckern“ bislang immer noch nicht über die erste Hälfte hinausgekommen; ich finde es einfach zu schrecklich, was er da schildert, und kann mich bisher nicht dazu überwinden, noch mehr Einzelheiten darüber erfahren zu wollen.
Ich vermute mal, für Goldhagens neues Buch braucht man ebenso starke Nerven (die ich nicht immer habe)[...]"

Ja, weil Goldhagen hier noch einmal auf die Diskussion um "Hitlers willige Vollstrecker" eingeht, und dies auf andere Völkermorde ausdehnt, denn nicht allein die Deutschen sind Völkermörder gewesen, und Goldhagen erklärt warum er sich mit diesem furchtbaren Thema rumschlägt - es handelt sich bei "Schlimmer als Krieg" mehr um eine gute Anatomie warum Völkermorde immer wieder vorkommen, nur die Therapie ist fragwürdig.

Mehr zum neuen Buch von Goldhagen erfährst du z.B. hier:

"[...]Wie entstehen eliminatorische Angriffe?[...]"

Quelle und kompletter Text:

http://hpd.de/node/8084


"[...]Und nein, natürlich ist kein Massenmord an Arbeitslosen geplant.
Aber wenn man sich die zum Teil wirklich hasserfüllten Kommentare zum Thema „25 qm Wohnraum reichen für Hartzer“ in FR-online anschaut, merkt man doch, dass eine unauffällige „Vernichtung durch Arbeit“ manch einem Steuerzahler schon sehr recht wäre...[...]"

Saby, ich las schon vor Jahren in einem offiziellen Arbeitslosenforum des, damals noch Arbeitsamt genannten, Stellen-Informations-Systems, den Vorschlag die selbe Endlösung auch für Arbeitslose anzustreben. Der Hetzbeitrag stand ziemlich lange dort im SIS-Forum, und wurde erst nachdem mehrere dagegen protestiert, und mit Anzeige gedroht hatten, gelöscht. Man sieht an deinem Beispiel: Es hat sich seit dieser Zeit wohl nix geändert, was "gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" in Deutschland angeht. Es wurde eher noch schlimmer....was Ausgrenzung angeht.

"[...]Ups, das hat uns jetzt aber sehr weit vom ursprünglichen Thema weggeführt – sorry, Roberto![...]"

Schließe mich an, lassen wir das Thema, obwohl ich manchmal denke, dass Arbeitslose und Niedriglöhner immer mehr als Fremdkörper in der eigenen "Heimat" angesehen werden.

Es soll sogar einen Fall gegeben haben, wo ein deutschstämmiger HartzIV-Empfänger sich ins Ausland beworben hat, die wollten ihn aber nicht, und schickten ihm eine Absage - Die zuständige ARGE soll ihm aber sofort eine Ausbürgerung aus Deutschland angedroht haben - Habe ich glaube auch in der "Frankfurter Rundschau" gelesen. Der Fall ging aber noch einmal gimpflich aus, wenn ich mich richtig erinnere, da man ja Arbeitslose nicht einfach aus Deutschland rauswerfen kann indem man ihnen die dt. Staatsbürgerschaft entzieht, wegen des angeblichen Verbrechens der Arbeits- und Chancenlosigkeit.

Übrigens, gäbe es keine Linkspartei würde ich meine Staatsbürgerschaft sogar freiwillig aufgeben, aber sorry, schon wieder abgeschweift......

Lieber Gruß
Nachdenkseiten-Leser

Anonym 25. Juli 2010 um 10:42  

"[...]Wenn auch nur eine Kostprobe, das ist schon ein richtiger literarischer Leckerbissen. Beim Lesen hatte ich zeitweise das Gefühl, als atme der Text geradezu. Wer von den in der aktuellen hiesigen Literaturszene bekannten Autoren wagt sich so nahe ans Leben heran? Wer von denen widmet sich überhaupt den wahrhaft wichtigen Themen unserer Zeit? Oder werden solch ambitionierte Schreiber, wie alles andere Zeitkritische, einfach nur totgeschwiegen?[...]"

Die Frage stelle ich mir schon lange: Roberto J. de Lapuentes Themenrubrik kommt nämlich bei den AutorInnen in Deutschland so nicht rüber. Erst gestern dachte ich, aufgrund eines erneuten sozialrassistischen Vorschlag eines Politikers: Wo bleibt eigentlich die Autorin/der Autor der sich des neuen Sozialrassismus bzw. -darwinismus einmal kritisch annimmt? Ich surfte bei diversen Online-Buchhändlern und fand nicht einen, der sich, wie Roberto J. de Lapuente, dieser Wunden annahm.
Woran das liegt? Vielleicht daran, dass die "Elite" eine weitgehend von der dt. Normalo-Realität abgekoppelte Bevölkerungsschicht geworden ist? Man lobt sich gegenseitig, bestätigt sich gegenseitig, und "Nestbeschmutzer" wie Roberto J. de Lapuente und Albrecht Müller, und andere Autoren/-innen die ähnliche Mißstände beschreiben, werden einfach totgeschwiegen.

Übrigens, dies läßt sich auch beliebig auf andere kulturelle Bereiche ausdehen wo sich unsere selbst ernannten "Eliten" aus Wirtschaft, Politik, Kultur und Medien tummeln.

Zu HartzIV, und der Einwanderungsthematik, ist mir in dt. Kinos, und dem dt. TV sowieso, nicht ein zeitkritischer Film vorgekommen. Gar nicht zu reden von der neuen Weltwirtschaftskrise, und der Dümmlichkeit der Politiker diese in Deutschland für beendet zu erklären, wobei die nicht einmal merke(l)n, dass die einen auf George W. Bush machen, der in einem anderen Fall einfach einen Krieg für beendet erklärt hat, auf einem Flugzeugträger, der bis heute im Irak und in Afghanistan läuft - mit US-Beteiligung.

Als Merkel in der Pressekonferenz von einer Beendigung der Weltwirtschaftskrise redete dachte ich automatisch, die macht einen auf George W. Bush, und die Krise ist noch nicht einmal in der Mitte angekommen, d.h. noch lange nicht vorbei. Die gleichgeschalteten Medien in Deutschland geben ja alles ungeprüft weiter, und so meinen viele wir wären über den Berg - voller Betriebsblindheit, da bin ich froh, dass es einen Roberto J. de Lapuente gibt, der diese Lügen als solche beschreibt. Weiter so, und vielen Dank.....

Gruß
Nachdenkseiten-Leser

Anonym 25. Juli 2010 um 11:01  

Blogger PeWi hat gesagt...

"Danke. Mir ging es als Ostdeutsche ähnlich, die in den Westen ging, um dort zu arbeiten. Es war für mich genauso."

"Ostdeutsche"? Man kann sich natürlich auch selbst ausgrenzen!

Anonym 25. Juli 2010 um 11:57  

@antiferengi

"[...]Schöner leidenschaftlicher Text. Als Deutscher unter Deutschen, den es über mehrere Stationen durchs eigene Land in den Süden desselben verschlagen hat, - bin ich allerdings zu der Überzeugung gekommen, dass dieses "Ich bin hier, und du bist fremd" - Gehabe nicht unbedingt eine Form von Nationalismus ist. Den Spruch, "Geh doch dahin zurück, wo du hergekommen bist, - wenn es dir hier nicht gefällt", hat so mancher schon gehört, den es nur einige Kilometer versetzt hat. Selbst kleine Unterschiede, nur Nuancen im Dialekt, reichen manchmal aus dafür[...]"

Sehe ich - als eingefleischter Badenser - ganz genauso.

Es reicht schon das Nachbardorf, um - rein vom Dialekt her - als "Fremder" durchzugehen.

Mein Vater erzählte mir da immer so Geschichten von früher, dass es zwischen Dörfern hier, wo ich lebe, regelrechte Massenschlägereien gegeben haben soll - wie im Asterix-Comic ;-) *grins*

Man hat sich wohl dennoch zusammengerauft ;-) *grins*

Übrigens, vor kurzem kam ein Vorschlag aus dem Schweizer Bundesparlament, der allen ernstens den Baden-Württembergern, den Elsässern und den Deutsch-Schweizern die Gründung eines eigenen Staates nahe gelegt haben soll - Er bekam zwar keine Mehrheit, aber dennoch interessant, wie manche Dinge grenzüberschreitend ähnlich sein dürften.

In Spanien soll es ja auch so Regionen (z.B. das Baskenland) geben, die über eine Eigenständigkeit nachdenken, aber Baden-Württemberg, Elsass und Deutsch-Schweiz als wirtschaftsstarke Oberrheinregion abzukoppeln finde ich wirklich ein starkes Stück....

Auch als eingefleischter Badenser, der so manche Ähnlichkeit zwischen Elsässern und Badenern bzw. Deutsch-Schweizern sieht - nicht allein vom Dialekt her (man gehört ja gemeinsam zum Volksstamm der "Allemannen")

Man könnte statt vom Nationalismus, dank Kosovo-Abspaltung in Serbien sowie deren erneute gerichtlicher Bestätigung, von der Rückkehr der Kleinstaaterei reden.

Oder?

Vielleicht gibt es ja bald noch mehr Regionen, die dem Kosovo folgen?

Allemannistan? ;-) *grins*

Amüsierte Grüße
Nachdenkseiten-Leser

Anton Chigurh 25. Juli 2010 um 13:44  

Lieber Roberto,

Vielen, vielen Dank für die wunderbaren Worte, den intimen Einblick und den ergreifenden Ernst dieses Textes.
Ein Text, der bei dem jedem der Klotzköpfe in diesem Land die Tränen kullern lassen müsste.

Ich habe viel von der Welt gesehen, lebe aber hier in Niedersachsen "auf dem Dorf".
Kaum jemals woanders (außer vielleicht in Norwegen, Texas oder Nordfrankreich - meine persönliche Erfahrung) habe ich borniertere Leute kennen gelernt wie hier.
Wie UNENDLICH ARM diese Menschen doch sind! Was treibt diese Leute an, Fremdes, oder andersartiges grundsätzlich ablehnen zu müssen ?
Wie UNENDLICH DUMM muss man sein, keine Neugierde zu entwickeln, wo es doch so viel Schönes zu entdecken gibt !!
Wie UNENDLICH VERBLÖDET muss man sein, zu behaupten nur die Heimat und alles Dazugehörige sei das Nonplusultra ?
Wie wunderbar kann es sein, in Stirling/SCO im Pub zu sitzen und den neugierigen Einwohnern bei kaltem Guinness ihre drängenden Fragen zu beantworten ! Wie geil ist es, wenn sich die füllige, schwarze Bedienung in einem Truckstop in Louisiana zu einem an den Tisch setzt, um zu fragen wie der Kaffee in Deutschland gemacht wird. Das alles entgeht diesen eindimensionalen Hohlbirnen, wenn sie am Stammtisch die "Ausländer raus" Sprüche raushauen, weil sie im Prinzip zu dumm sind und/oder zu viel Angst haben, sich auf Neues einzulassen.
Wann geht diesen geistigen Eintagsfliegen endlich auf, dass wir Menschen von überall her BRAUCHEN, damit dieser Staat nicht vor die Hunde geht?
Aber solange es so verblödete Hausmütterchen wie die Schavan gibt, die an der Grenze am liebsten eine Selektierungsrampe errichten würde, damit nur ja die gut ausgebildeten Fachkräfte ins Land kommen, die sich dann am Besten für Hungerlöhne abschuften, wird sich in dieser Trottelrepublik nichts Grundsätzliches ändern lassen.

Anonym 25. Juli 2010 um 14:39  

@Anton Chigurh

Danke für deine Erfahrungen - sehe ich genauso, aber eines möchte ich doch ankritteln, man muß nicht unbedingt herumreisen, um die Borniertheit so mancher dt. Landsleute zu sehen, es reicht ein wacher Geist, Interesse für andere Kulturen (incl. Kampfabsage an den angeblichen "Kampf der Kulturen"), eine gehörige Portion Neugierde auf andere Menschen sowie gesunder Menschenverstand, um einzusehen, dass wir - nicht allein wirtschaftlich - mittlerweile in einem globalen Dorf sitzen.

Ich selbst bin noch nicht so weit herumgekommen (nur GB, Österreich, Frankreich, Schweiz, Tschechien), aber siehe oben, habe mir alles bewahrt, dass mich von Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit und oberlehrerhaftem dt. Getue merklich abhebt - Na ja, vielleicht liegt es daran, dass ich eine alte, altmodische Leseratte bin, und gerne über andere Menschen sowie Kulturen Literatur - von dort - lese?
Ich bin der Ansicht, dass alleine dies reicht, um zu sehen, die Altbackenen in Deutschland liegen falsch - mit ihrem Nationalismus und der Fremdenfeindlichkeit.

Derzeit bin ich ein Einzelgänger, aber ich hatte auch schon nicht-deutschstämmige, und nachbarländische (=Frankreich), Freunde/Schulkameraden/Bekannte - Dies allein ist vielleicht auch ein Grund nicht in nationale Dünkel zu verfallen - Ganz ohne weit zu reisen, oder eine Leseratte zu sein ;-)

Gruß
Nachdenkseiten-Leser

Anonym 25. Juli 2010 um 22:25  

Du hast mit deinem Text auch mir von der Seele geschrieben, danke!

res_inutilis 25. Juli 2010 um 23:48  

Auch ich, der ich selbst viele Jahre arbeitend im Ausland verbracht habe, habe diese Wechselbäder täglich und mit oft schmerzhafter Intensität erlebt.

In welchem Land Du auch immer lebst; Du siehst Dich immer mit einem Apartheidsystem konfrontiert, in welchem sich der Autochthone und der Zugereiste häufig ratlos oder auch verständnislos gegenüber stehen.

Während aber der Autochthone in sich selbst zu Hause ist, in sich selbst ruht, findet der Gastarbeiter in sich selbst ein zweites Apartheidsystem vor, welches ihm verbietet, sich eindeutig für eine von zwei denkbaren Zugehörigkeiten zu entscheiden und ihn folglich zur Ruhelosigkeit verdammt.

Keinem ist es meines Erachtens besser gelungen, diese Gespaltetheit besser zu beschreiben als Karl Valentin in seiner unnachahmlichen Art.

Aber lest bitte selber:

http://www.kaleidos.de/alltag/meinung/ausl08.htm

Ein in seiner Verstiegenheit und Komplexität wirklich anrührender Text.

Liebe Grüße

misfit (ein ideal zum Thema passender Nick!)

res_inutilis 26. Juli 2010 um 00:09  

Ein kleiner Nachtrag zu meinem obigen Post, in dem ich eine eigene Erfahrung zu schildern versuche, welche die ambivalenten Gefühle beschreibt, die mich befielen, als ich nach fünfjähriger Abwesenheit wieder einmal Hamburg besuchte, wo ich drei intensive Jahre meiner besten Mannesjahre verlebt hatte:

Als ich so in Gedanken versunken die Rothenbaumchaussee entlangschlurfte, konnte ich mir einerseits beim besten Willen nicht vorstellen, hier jemals gelebt zu haben, andererseits konnte ich mir aber genau so wenig klar machen, daß ich hier gegenwärtig nicht mehr wohnte.

Dem immer standorttreuen, stets gut angepaßten Mitbürger (Niedersachsen) dürften derartig zwiespältige Empfindungen lebenslang fremd bleiben.

Jetzt allen ein Gute Nacht

misfit (ein ideal auch zum Poster passender Nick!)

Anonym 15. Mai 2012 um 01:31  

Es ist ein wunderschöner Artikel, den nur jemand schreiben kann, der eine solche Gespaltenheit selber gefühlt hat. Ich stimme allen zu, die es nicht an Nationalitäten festmachen möchten. Weil ja Kultur lediglich ein Set von Gewohnheiten, Bräuchen und (lieb)gewohnten Kontakten ist kann es universell überall und jedem, der sich für neues öffnet, passieren, langfristig solche Gefühle zu spüren.

Einen weiteren Eindruck möchte ich gern auch noch loswerden gegenüber einer ganzen Reihe von Kommentatoren - ohne jemandem zu nahe treten zu wollen, eher um euch zum nachdenken anzuregen: nicht alle Gefühle haben etwas mit Politik zu tun, noch viel weniger lassen sie sich mit oder durch Politik erklären. Mein Eindruck ist, dass viele der hier sehr intellektuell auftretenden Schreiber sich einStück weit n einem Wettstreit um den Titel "politisch korrektester / veständnisvollster Deutscher" üben wollen. Was ist der Grund? Fühlt ihr selber Euch so weit von eurer eigenen Kultur entfernt, dass ihr eine solche Distanz zu ihr schaffen müsst? Was sind denn eure Wurzeln? Dieses Gehabe jedoch macht Euch so deutsch, dass ihr dadurch eine größere Distanz zu den Nicht-Deutschen schafft, als ihr euch jemals vorstellen könnt...

Ich hoffe, hiermit niemanden beleidigt zu haben und zweitens, dass auf diese Aussage keine parteipolitisch begründete Analyse folgt :-)

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