De dicto
Mittwoch, 6. April 2011
"Das heißt aber auch: Proteste, Bürgerbegehren und Widerstand gegen neue Anlagen und Stromtrassen darf es nicht mehr geben!Zum Gesagten sei angemerkt: Dass es Murren gibt, weil saubere Energie genutzt wird, um die Einnahmen der Energiekonzerne zu erhöhen, damit kann mit Jan-W. Schäfer konform gehen. Natürlich wird der Verbraucher seine Unzufriedenheit kundtun - und ohne dass es die Mehrheit der Unzufriedenen weiß, weil es der zunächst nur um die eigene Geldbörse geht, trifft das wahrscheinlich sogar eine legitime Ursache: denn sauberer Strom ist nicht teurer, man bedenke nur die Folgekosten, die Atomenergie verursacht; Kosten, die heute vielleicht nur ein Bruchteil dessen sind, was später noch auf uns zukommen kann - die Endlager sind ja nicht aus der Welt, sie sind da und werden irgendwann eine Rolle spielen; und Reaktoren strahlen nach einer Stilllegung auch weiter. Außerdem kann saubere Energie aus Wind und Sonne durchaus relativ kostengünstig erzeugt werden, wenn sie dezentralisiert entsteht - viele kleine Solaranlagen, Photovoltaik auf Hausdächern, statt gigantische Solarfelder, die von Energiekonzernen verwaltet werden. Und dass die Energiepolitik in staatliche Hand gehört, damit diese Energie zum Selbstkostenpreis herstellt, ist keine kommunistische Losung, sondern einzig annehmbare Alternative und logischer Denkansatz.
Denn eines funktioniert nicht: an der Wahlurne die Atomwende zu erzwingen - und die Alternativen dann zu blockieren."
- Jan-W. Schäfer, BILD-Zeitung vom 2. April 2011 -
Dass Jan-W. Schäfer sich jedoch dafür ausspricht, dass es zukünftig keine "Proteste, Bürgerbegehren und Widerstand gegen neue Anlagen und Stromtrassen" geben darf, damit sollte man nicht nur nicht konform gehen - man muß es gezielt als antidemokratischen Akt begreifen. Man mag das Begehren derer, die pro Atomenergie und damit für eine vermeintlich billigere Lösung wären, ja nicht teilen. (Diejenigen, die protestieren würden, weil sie billigen Solar- oder Windstrom haben möchten, fände man freilich sympathischer.) Aber ihnen das Recht aberkennen zu wollen, ihre Ansichten öffentlich zu vertreten, das ist eine Aufforderung von geradezu faschistoidem Verständnis. Denn was Schäfer hier postuliert ist die Einheitsfront. "Der Wähler" habe entschieden - wobei nicht mal klar ist, ob mit der Installierung der Grünen auch wirklich eine solche Entscheidung getroffen wurde! - und weil er das hat, so muß "der Wähler" nun auch einheitlich hinter seiner Entscheidung stehen. "Proteste, Bürgerbegehren und Widerstand gegen neue Anlagen und Stromtrassen darf es nicht mehr geben!" - nicht mehr geben! Da schwingt Verachtung mit, es liest sich so als wolle Schäfer damit sagen: genug geschwätzt, genug queruliert, Ende mit dem Debattierklub namens Demokratie. Jetzt gibt es kein Querulantentum mehr!
Für Schäfer und seine Postille ist das fürwahr alltägliches Denken. Proteste begleiten sie stets mit dem verächtlichen Ton solcher, die "den Staat" mit einer Einheitsfront der Interessen gleichsetzen. Es dünkt ihnen seltsam, dass in einer Demokratie verschiedene Interessen gegeneinander abgewogen werden - das ist freilich nicht immer einfach, zeitigt oft ärgerliche Resultate, ist aber unumgänglich. Demokratische Partizipation und das Recht auf Äußerung der Meinung anzufeinden: das galt auch dem braunen Zirkel in den Zwanzigerjahren als selbstverständlich. Die Demokratie koste Zeit, Nerven und es kehre nie Ruhe ein - eine Ruhe, die Schäfer nun auch fordert. Man ist freilich flexibler geworden, ist nicht starr ideologisch; jedenfalls nicht in kleinen Sparten, die Ideologie ist universeller, denn sie lautet: Profitmaximierung! Ob die mit Solarenergie oder mit Atomstrom geschieht, das ist nicht so wichtig - die Ideologie ist ein Ziel, kein Weg dorthin. Man arrangiert sich damit, dass möglicherweise viele Menschen saubereren Strom möchten. Aber dann bitte Ruhe, damit der Betrieb nicht gestört wird. Keine Gegenmeinung mehr, kein Aufbäumen, kein Protest gegen hohe Kosten, die nicht sein müssten, betriebe man eine zielgerichtete Energiepolitik und würde diese obendrauf auch noch vergesellschaften. Demokratie soll sein, wenn alle an einem Strang ziehen - die Wiederbelebung des Bonapartismus!
6 Kommentare:
das ist ja offen diktatorisch. bei BILD wundert mich gar nichts mehr. frage mich, ob wir es hier mit einer kriminellen vereinigung zu tun haben?
»...Und dass die Energiepolitik in staatliche Hand gehört... ...ist keine kommunistische Losung...«
Danke (umarm, konfettischmeiß)! Grundversorgung gehört nun mal in öffentliche Hände und darf nicht von den Gewinnerwartungen einiger weniger abhängig gemacht werden. Fragen? Keine. anke.
Denn wollen wir mal auflisten, was so alles dazu gehört:
Strom (s.o.),
Wasser (letztlich noch wichtiger als Strom)
Müll (ein privater Müllverwerter, der sich öffentlich für Müllvermeidung einsetzt ist nicht denkbar),
Schule und Studium (schon gesehen, wie viele Zettel mit Copyrightsvermerken die Kinder mit nach Hause bringen?),
Rente (wozu soll ich eigentlich mit meinen Rentenbeiträgen die Anteilseigner der Versicherungswirtschaft finanzieren???),
Telekommunikation (die freie Wirtschaft darf sich gern, wie beim Straßenbau, beteiligen),
Verkehr (Busse und Bahnen sind für viele Menschen unverzichtbar, was private Unternehmen nicht ausschließt).
Ich hab bestimmt ein paar vergessen, aber sei´s drum. All das war schon einmal in Volkes Hand - nicht im real siechenden Sozialismus sondern Jahrzehnte lang unter CDU- und SPD-Regierungen.
Damals hieß es noch: "Ruf doch mal an" und "Alle reden vom Wetter, wir nicht". Heute heißt es "Three Strikes" und "Pleiten, Pech und Pannen".
Schon wieder ein hervorragender Kommentar!
Wobei mir seit geraumer Zeit ähnliche Gedanken durch den Kopf schwirren. Einheitsfront, dass ist ein schönes Wort für diese Entwicklung.
Wo das hingehen könnte ist mir schon länger klar: Keine Medizin mehr für "Alte", Arbeitsdienst für ALG-II Bezieher usw.
Steter Tropfen höhlt den Stein, durch ständige mediale Propaganda MUSS dem Michel klargemacht werden was zu geschehen hat, alternativlos!
"Es dünkt ihnen seltsam, dass in einer Demokratie verschiedene Interessen gegeneinander abgewogen werden"
Klarer gesagt: Es geht um die Frage der Aufwertung der Straße zu einer Art Spontanplenum, auf dem sich, abseits der Wahlurne, der eigentliche Volkswille artikuliert. Jede Demonstration lebt seit 1968 von dem Gedanken, dass ein paar tausend Menschen, die Schilder halten und Verse vortragen, ernster zu nehmen sind als parlamentarische Mehrheiten.
@ninjaturkey
Ich würde noch hinzufügen: Das Geldmonopol muss zurück in Staatshand. Dass der Staat sich sein Geld bei privaten Banken leiht, ist verdreht. Die Eurostaaten müssen ihr Geld direkt bei der europäischen Zentralbank beziehen.
Länder die im Strudel der Finanz- und Eurokrise in die Schuldenfalle geraten sind, bekommen keine Kredite mehr zu Bedingungen, für die sie zumindest irgendwann mal die Zinsen erwirtschaften. Das ist Irrsinn und treibt die Länder immer tiefer in die Krise.
@strangeai: Danke, die Finanzwirtschaft habe ich glatt übersehen. Alternativ könnte man es aber auch wie die Herrschenden im späten Mittelater machen, und einfach nichts zurückzahlen, bzw. den Verleiher bei unbotmäßigem Verhalten (beharren auf Rückzahlung oder keine neuen Kredite) einfach einen Kopf kürzer machen.
Das Problem besteht nur darin, dass unsere Politiker mindestens ebenso gierig sind, wie die Finanzlenker.
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