Zuletzt gezweifelt
Samstag, 14. Juni 2014
Man liest jetzt viel, was Schirrmacher gewesen sein soll. Seine größte Bedeutung war vielleicht, dass er als Journalist den neoliberalen Reformismus überwunden hat und plötzlich Zweifel an »den Märkten« anmeldete.
Wendepunkt war wohl die Krise des neoliberal-kapitalistischen Finanzsystems. Vorher fiel Schirrmacher weniger durch Kritizismus als durch Herunterleiern von neoliberaler Agenda auf. Sein »Methusalem-Komplott« von 2004 war dafür exemplarisch. Er griff die Diskussionen zum demographischen Wandel auf und seine Rezepte zur Lösung klangen so wie die eines neoliberalen Spin-Doctors. Er hat damals stark an der Zerrüttung des Vertrauens gegenüber der umlagefinanzierten Rente mitgewirkt. Vor drei Jahren schrieb er dann in der »Frankfurter Allgemeinen«, dass er »zu glauben [beginne], dass die Linke recht hat«. Nach Jahren der Krise und der Erkenntnis, dass das neoliberale Reformkonzept nicht gefruchtet, sondern die Situation nur noch verschlimmert hatte, näherte sich Schirrmacher linken Wirtschaftspositionen an - freilich ohne gleich Linker zu werden. Diese Einsicht gipfelte in seinem Buch »Ego: Das Spiel des Lebens«, in dem er den radikalen Egoismus ohne Moral verurteilte, der das amtierende Wirtschaftssystem kennzeichne.
In den letzten Jahren wurde Schirrmacher wieder ein kritischerer Chronist des Zeitgeschehens. Es war so, als ob ihn Selbstzweifel plagten. War er einst auf dem richtigen Zug gesprungen? Oder irrte auch er sich, wie so viele Journalisten in Zeiten der Anpassung? Nach all den Jahren, in denen der Konservatismus von der Marktliberalen übernommen wurde, schien sich an seiner Person die Befreiung von diesem Zugriff zu manifestieren. Er war das prominente Vorzeigebild dafür, dass die ehemaligen Befürworter des neuen Kurses in der Wirtschafts-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik, in eine Sinnkrise geraten waren. Andere Konservative haben das mit einer weiteren Radikalisierung beantwortet und »eingesehen«, dass nur noch mehr Reformen und weitere Einschnitte zu einem Ausweg aus dem Dilemma führen. Schirrmacher wandte sich davon ab. Fand zurück zu einer eher klassischen konservativen Haltung in diesen Fragen, zog sich aus der neoliberalen Hysteriemaschinerie heraus, die Erkenntnisgewinn zugunsten von Meinungsmache unterdrückte.
Es ist Schirrmachers Verdienst, dass er das Feuilleton der FAZ wieder auf die Pfade von Aufklärung und Besonnenheit geführt hat. Manchmal sah es fast so aus, als ob »sein« Feuilleton eine linke Bastion zwischen Legionen aus konservativ-rechten Artikeln war. Der Mann hat bewiesen, dass auch Konservative umdenken können. Das macht Hoffnung, dieses falsche Wirtschaftssystem doch noch irgendwie überwinden zu können.
Gleichwohl bleibt mir Schirrmacher aber auch als jemand in Erinnerung, der als zuletzt »linksliberaler« Wirtschaftsdenker, immer auch sonderbare Positionen vertrat. Ich erinnere mich da an einen Text, in dem er junge Muslime in Deutschland mit den Nationalsozialisten verglich. Diese Seite seines Wirkens darf nicht unterschlagen werden. Und so bleibt er mir als Konservativer in Erinnerung, der trotz aller Affekte, die man sich in diesem politischen Milieu so anlegt, den Mut hatte, sich aus den Klauen des Neoliberalismus zu winden. Das FAZ-Feuilleton wird ohne ihn sicher wieder ungenießbar - und in Wirtschaftsfragen marktorientierter.
In den letzten Jahren wurde Schirrmacher wieder ein kritischerer Chronist des Zeitgeschehens. Es war so, als ob ihn Selbstzweifel plagten. War er einst auf dem richtigen Zug gesprungen? Oder irrte auch er sich, wie so viele Journalisten in Zeiten der Anpassung? Nach all den Jahren, in denen der Konservatismus von der Marktliberalen übernommen wurde, schien sich an seiner Person die Befreiung von diesem Zugriff zu manifestieren. Er war das prominente Vorzeigebild dafür, dass die ehemaligen Befürworter des neuen Kurses in der Wirtschafts-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik, in eine Sinnkrise geraten waren. Andere Konservative haben das mit einer weiteren Radikalisierung beantwortet und »eingesehen«, dass nur noch mehr Reformen und weitere Einschnitte zu einem Ausweg aus dem Dilemma führen. Schirrmacher wandte sich davon ab. Fand zurück zu einer eher klassischen konservativen Haltung in diesen Fragen, zog sich aus der neoliberalen Hysteriemaschinerie heraus, die Erkenntnisgewinn zugunsten von Meinungsmache unterdrückte.
Es ist Schirrmachers Verdienst, dass er das Feuilleton der FAZ wieder auf die Pfade von Aufklärung und Besonnenheit geführt hat. Manchmal sah es fast so aus, als ob »sein« Feuilleton eine linke Bastion zwischen Legionen aus konservativ-rechten Artikeln war. Der Mann hat bewiesen, dass auch Konservative umdenken können. Das macht Hoffnung, dieses falsche Wirtschaftssystem doch noch irgendwie überwinden zu können.
Gleichwohl bleibt mir Schirrmacher aber auch als jemand in Erinnerung, der als zuletzt »linksliberaler« Wirtschaftsdenker, immer auch sonderbare Positionen vertrat. Ich erinnere mich da an einen Text, in dem er junge Muslime in Deutschland mit den Nationalsozialisten verglich. Diese Seite seines Wirkens darf nicht unterschlagen werden. Und so bleibt er mir als Konservativer in Erinnerung, der trotz aller Affekte, die man sich in diesem politischen Milieu so anlegt, den Mut hatte, sich aus den Klauen des Neoliberalismus zu winden. Das FAZ-Feuilleton wird ohne ihn sicher wieder ungenießbar - und in Wirtschaftsfragen marktorientierter.
8 Kommentare:
Das, was Du befürchtest, das die FAZ wieder durchgehend und nicht nur partiell, konservativer im Sinne von Strukturkonservativ (Erhalt und Ausbau der betehenden Besitz- und machtverhältnisse)sein wird, davon gehe ich auch aus.
Also, hinter (fast) jeder FAZ steckt ein strukturkonservativer Kopf! So, wie beim SPIEGEL, der WELT, der ZEIT, der....!
MfG:M.B.
Was aber wollen die Konservativen eigentlich bewahren? Ganz allgemein ist westlicher Konservatismus wohl so etwas wie ein Bekenntnis zur Bewahrung von strikten und durchaus sehr steilen Hierarchien innerhalb einer Gesellschaft, die unhinterfragt bleiben müssen, weil man an eine Art Naturwüchsigkeit derselben glaubt. Sie sind nur sehr schwer von den Neoliberalen abzugrenzen, weil die Basis der Hierarchiebildung das Privateigentum ist. Sprechen sich Neoliberale z.T. eher offen für das Verhungernlassen der Dritten Welt aus, scheut der Konservative vor solchen Konsequenzen eher zurück.
....der wird halt jetzt von allen möglichen Seiten in den Himmel gehoben.....dabei hat ihn die Lage der Menschen des unteren Drittels der Bevölkerung in Wahrheit auch nicht interessiert.....
@Anonym 14. Juni 2014 19:28
Rein altruistisches Mitgefühl mit Menschen, die weniger Glück haben als man selber, kann man vermutlich von den Wenigsten erwarten. Aber es würde ja schon reichen, wenn Mitglieder der arrivierten Mittelschicht bemerken würden, dass sie selbst immer mehr zu Getriebenen werden und sich aus purer Absturzangst immer schlimmere Dinge gefallen lassen.
Will man aber erfolgreich gegen eine solche Entwicklung kämpfen, muss man sich mit den übrigen Opfern solidarisieren - und nicht noch länger mit den Tätern. Solidarität mit Schwächeren wäre dann kein Altruismus mehr, sondern durchaus egoistisch begründbar.
Falls es Schirrmacher gelungen sein sollte, diese Idee in die Köpfe einiger FAZ-lesender Studienräte einzupflanzen, wäre das aus meiner Sicht ein Erfolg.
Luna
Habe mir ein Interview mit ihm (2011), das anlässlich seines Todes erneut ausgestrahlt wurde, angehört.
Ohne je eines seiner Bücher gelesen zu haben:
Er greift im Komplott doch wohl lediglich Altbekanntes auf. Dieser Dreischnitt wurde bereits vor +-100 Jahren entwickelt und dient heute lediglich einem einzigen Zweck.
http://www.swr.de/swr2/programm/sendungen/radioakademie/evolution/darwin-jahr-2009-swr2-radio-akademie-evolution-evolution-und-politik/-/id=4520228/did=4605868/nid=4520228/1m3jueo/
Im Interview bewegt er sich strikt innerhalb der gängigen Argumentationslinien:
Wir lassen uns zu leicht ablenken, das Gehirn als Muskel.
(Wurde von Spitzer in einem Buch verarbeitet, wer wen beeinflusst hat entzieht sich meine Kenntnis)
Nicht alle Bänker...
Die Fehler liegen eigentlich immer bei der Politik.
Die Familie als Basis, das/sein konservative(s) Frauenbild lässt er sich empirisch absichern.
Die Schnittmenge mit "den Linken" scheint mir ausschließlich im Rückgriff auf den Erhards "Soziale Marktwirtschaft" zu bestehen.
Übrig bleibt lediglich der Ursprung des "homo oeconomicus".
Von der Wissenschaft geboren (Nash), Anwendung in der Militärstrategie, von dort in die Wirtschaftwissenschaften, Finanzindustrie, etc.
Was die Überwachung angeht, hier unterscheidet er sich von manch anderem Konservativen.
Ob sich das Weltbild dieses Mannes in den letzten 2 Jahren maßgeblich verändert hat weiss ich natürlich nicht.
http://www.swr.de/swr2/programm/sendungen/zeitgenossen/swr2-zeitgenossen-frank-schirrmacher-faz-herausgeber/-/id=660664/did=13231270/nid=660664/sdpgid=931203/2i17v/index.html
PS: Ich finde Deinen blog toll.
"Was aber wollen die Konservativen eigentlich bewahren?"
Konservativ stammt aus der Zeit des Kaiserreichs - und genau darauf bezieht es sich auf. Es bedeutet eben keineswegs, dass jemand die Werte der Demokratie oder der allgemeinen Menschenrechte (nebenbei beide links einzuordnen, da sie auf der Gleichwertigkeit aller Individuen beruhen)bewahren will, sondern im Gegenteil, die Weltsicht bevor sich diese Werte (so halb) durchsetzten.
Sieht man sich das Denken und Handeln der Union (und nicht nur der) an, so fällt das auch durchgehend auf.
Wenn ich richtig gehört habe bist Du eben in der Medienkolumne des WDR5 zu Schirrmacher als Robert De Lapuente zitiert worden. Man kann eben nicht alles haben ;-)
Ich kann damit leben, ninjaturkey. Ausnahmsweise ;)
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