Die Empörten, die man satt hat, weil man satt ist

Samstag, 28. Juni 2014

Der oberste Hirte und Feldherr mobilisiert das deutsche Gemüt, aber seine Kritiker müssen mit juristischer Verfolgung rechnen. Unter anderem erging es auch dem Parlamentarier Norbert Müller von »Die Linke« so, der Gauck einen »widerlichen Kriegshetzer« nannte.

Dass eine solche Äußerung schon reicht, um die Staatsanwaltschaft auf den Plan zu rufen, ist ohnehin schon schlimm genug. Dass die Genossen seiner Partei jedoch nicht Partei für ihn ergreifen, sich wieder mal »distanzieren«, wie schon im Falle von Sevim Dağdelen, die Göring-Eckardts Ansichten zur Ukraine mit einem Brechtzitat beantwortete, ist vielleicht noch viel schlimmer. Denn wenn die Partei, die man mit gewisser Berechtigung als die einzige Alternative zur derzeitigen Politik ansieht, nun beginnt, Freunde des offenen Wortes in den eigenen Reihen zu bremsen, dann macht sie sich beliebig.

In meinem ersten Buch »Unzugehörig« gibt es gleich auf den ersten Seiten einen Text, der »Wo es stinkt, herrscht Wahrheit« heißt. Im Grunde ist es ein Plädoyer für eine Sprache, die nicht verkappt und tarnt, sondern Scheiße auch Scheiße nennen darf. Das sehe ich heute noch genauso. Wenn der Kriegshetzer kein Kriegshetzer mehr sein darf, dann wird alles alternativlos. »Drastische Worte gibt es nicht«, schrieb ich damals, »es gibt nur wahre Worte, die freilich drastisch werden, wenn sie Besitz- und Machtverhältnisse antasten.« Und wenn eben einer »Kriegshetzer« zu diesem Bundespräsident sagt, dann tastet er diese Besitzverhältnisse an. Denn dieser Bundespräsident gehört den Eliten. Und das soll man bitte auch sprachlich honorieren.

Von einer Partei wie »Die Linke« fordere ich Solidarität mit Abgeordneten, die sich nicht hinter falscher Schicklichkeit verstecken. Distanziert euch nicht! Seid froh, dass ihr noch solche Leute in euren Reihen habt. Es kommen auch andere Zeiten, wenn ihr euch parlamentarisch verbraucht habt. Dann habt ihr so gut wie nur noch Konformisten in euren Reihen, die so glatt und glitschig sind wie ein Aal. Schaut euch die Grünen an! Aber solange es noch Leute bei euch gibt, die noch nicht völlig vom Plenumsduktus eingelullt sind, solltet ihr jeden Tag laut »Danke!« rufen. Denn genau so lange besteht die Möglichkeit auf Alternative. Und wenn ihr das alles nicht wollt, wenn ihr euch distanziert, weil euch das so schrecklich unangenehm ist, solchen »Verbalpöbel« in eurer Partei zu haben, dann muss ich feststellen, dass ihr auf einem ganz falschen Dampfer seid.

Denn wer seine Empörung verliert oder seine Empörten maßregelt, der gibt die Kraft aus der Hand, die Dinge auch anders zu sehen als es das etablierte Weltbild tut. Oder habt ihr solche Leute satt, weil ihr etwa selbst so satt seid? Ich verlange, dass Leute, die einen Kriegshetzer ganz berechtigt als solchen bezeichnen, nicht von der Parteispitze auf Distanz gehalten werden, sondern begrüßt und unterstützt werden. Distanziert euch doch lieber mal vor einer Gesetzgebung, die dem Bundespräsidenten erlaubt jemanden als »Spinner« zu bezeichnen, die dem Bürger aber einen Maulkorb verpassen will, wenn man die Spinnereien dieses Mannes mit drastischen, aber wohl wahren Worten ahndet.

Mir hallen da immer Ditfurths Worte über die Grünen nach. »Vielleicht acht bis 15 Jahre spekulierten wir, bevor die Anpassungsmechanismen dieser Gesellschaft das Projekt verschluckt haben würde«, schrieb sie in »Das waren die Grünen«. »Die Linke« wurde 2007 gegründet. Vor sieben Jahren. Verdammt nochmal, langsam wird es echt eng. Am pikierten »Sichdistanzieren« merkt man es besonders.


11 Kommentare:

Anonym 28. Juni 2014 um 12:09  

Ganz deiner Meinung. Die Diskussion muss endlich eröffnet und klar gemacht werden, dass Gauck der Prediger von Vorhaben ist, die bis 1992 zurückgehen. Wenn die Linke nicht mehr ausschreit, dass der Kaiser nackt ist, wird es keiner mehr machen.

Carla 28. Juni 2014 um 12:29  

Dann muß ich mich leider auch distanzieren und zwar von den Sich-Distanzierenden. Denn dieser Mann IST ein widerlicher Kriegstreiber, der uns Alle ins Elend stürzen will und auch Frau Dağdelen hat völlig Recht mit ihrer Ansicht. Wie sehr schlecht vetreten fühle ich mich nun von diesen Leuten, die diese klaren & so großartig humanistischen Meinungen herabwürdigen und auch andere, wichtige Themen immer mehr versanden lassen. Wie traurig und schade...:-(

Anonym 28. Juni 2014 um 14:27  

Das Wasser, so sagt man, geht immer den Weg des geringsten Widerstandes.

Viele Menschen gehen auch so vor. Zum Glück nicht alle.

Rainer N.

Anonym - da die anderen Wahlmöglichkeiten bei mir nicht zutreffen.

Kein Google, kein Facebook, kein Twitter ... kein Handy ...

Es ist erstaunlich wie viele Dinge es gibt, deren ich nicht bedarf.

Dirk 28. Juni 2014 um 17:15  

Man kann natürlich auch die Frage stellen, wie sinnvoll es ist, inhaltlich völlig berechtigte und wichtige Kritik in so drastische Worte zu verpacken. Gibt man doch damit zuallererst dem politischen Gegner eine Steilvorlage, sich gar nicht erst mit dem Inhalt der Kritik auseinandersetzen zu müssen.

Anonym 28. Juni 2014 um 21:12  

Zum Thema des distanzierens von den Sich-Distanzierenden.
http://www.brecht-hat-recht.de/

Anonym 28. Juni 2014 um 22:03  

@Dirk: Wenn aber nun schon jemand diese "inhaltlich richtige" Kritik in so harte Worte packt, hat man als Parteimidgleid auch einfach mal das Maul zu halten. Und wenn ich schon was sagen muss, dann sage ich was zu den lächerlichen Äußerungen Oppermanns, aber auch im Fall von Dağdelen und enthalte mich ansonsten.

Wie DIE LINKE zu Auslandseinsätzen steht, muss sie nicht jedes Mal inhaltlich neu darstellen. Das weiß ja hoffentlich mittlerweile jeder, der es wissen will. Und schon gar nicht dann, wenn Herr Oppermann der Ansicht ist, irgendeinen Landtagsabgeortneten, den keine Sau kennt und der auf Facebook irgendwas gepostet hat, zitieren zu müssen. Hier geht es doch gar nicht um diese Äußerung, hier spielt die SPD ein taktisches Spielchen und die Führung von DIE LINKE springt natürlich prompt über dieses Stöckchen, welches ihr hingehalten wurde, weil sie es - und wie ich immer mehr den Eindruck habe, ganz besonders Gregor Gysi - gar nicht mehr erwarten kann, endlich auch mal mitregieren zu dürfen.

Anonym 29. Juni 2014 um 02:33  


Die Linke in Deutschland ist ein Witz.Sie macht bei der "Uns geht es doch noch gut"-Propaganda der Massenmedien mit ohne die Menschen auf die Straßen zu bringen.

http://www.ekhn.de/aktuell/detailmagazin/news/tafeln-versorgen-mehr-als-zwei-millionen-menschen.html

Bald iat die 3 Millionen-Marke überschritten.Drei Millionen Bundesbürger die sich aus eigener Kraft nicht mal mehr was zu essen kaufen können.

Wer bringt die Deutschen auf die Strasse?

Wolfgang 29. Juni 2014 um 12:44  

Den Kreuzritter von Fort Bellevue als "widerlichen Kriegstreiber" zu bezeichnen ist natürlich keine "Verunglimpfung". Denn eine Verunglimpfung erfordert laut StGB m.W. daß

"der ethische oder soziale Wert des Beleidigten muß geringer dargestellt werden, als er tatsächlich ist".

Ich habe lange nach sprachlichen Mitteln gesucht, dies auf Herrn Gauck anzuwenden, aber meine bescheidenen verbalen Fähigkeiten sind mit dem Vorhaben offensichtlich völlig überfordert.

Selbst solche Metaphern wie etwa "militant nekrophiler Hunnenpfaffe" wären im Vergleich zu dem Verhalten, das Herr Gauck höchstselbst maximalobszön zur Schau stellt, nur ein sträflich verharmlosender, ja geradezu gefährlich beschönigender Euphemisums.

Und ihn als muslimischen Geistlichen darzustellen oder als "Dschihadisten" zu bezeichnen, wie das das ex-Lord-Stahlhelmchen Todenhöfer in seiner bodenlosen Insuffizienz an gesellschaftshistorischem Einfühlungsvermögen verbrochen hat, ist natürlich eine infame und inhaltlich gänzlich impertinente Beleidigung jedes muslimischen Geistlichen und jedes aufrechten Widerstandskämpfers gegen NATO-Besatzungstruppen.

Denn von der diskursiven und PR-Kompetenz sowie der humanistischen Gesinnung etwa eines Muhammad Hussein Fadlallah ist der möchtegern-Amateurmilitarist, der sich um den NVA-Wehrdienst so bemerkenswert effizient gedrückt hat, noch um einige Jahrhunderte an zivilisatorischem Entwicklunsrückstand entfernt. Und natürlich haben die afghanischen Mudschahedin-Kämpfer niemals außerhalb ihrer eigenen Heimat "Verantwortung übernommen".

Die Katze aus dem Sack 29. Juni 2014 um 22:36  

Soweit ich das verstanden habe, hat der nicht den Bundespräsidenten als einen widerlichen Kriegshetzer bezeichnet sondern die Person Gauck. Der Gauck ist aber nicht die Institution Bundespräsident sondern vertritt diese Position lediglich temporär. Für mich stellt sich dabei dann auch eine ganz andere Frage: Ist die Kriegshetzerei von Gauck nun widerlich oder ist sie es nicht?

Anonym 30. Juni 2014 um 08:37  

....widerlich ist die Person Gauck, der Bundespräsident dagegen ist nur einflach überflüssig...

garfield 30. Juni 2014 um 12:57  

Super! Der Artikel spricht mir aus der Seele. Ich hatte bereits die erste Distanzierung von Sevim Dağdelen mit Befremden aufgenommen.
Und Danke an den Kommentator für den Link zu www.brecht-hat-recht.de

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