Rein in die Schulden

Montag, 23. Juni 2014

Das Ergebnis einer Studie des DGB kam letzte Woche viel zu kurz. Bei mir kam sie lediglich als kurze Meldung in den Radionachrichten vor. Und das auch nur um acht Uhr morgens. Später nahm ich diese Studie nirgends mehr wahr. Dabei ist sie erleuchtend, denn sie besagt, dass mindestens zwei Millionen erwerbsfähige Langzeitarbeitslose Schulden- und Suchtprobleme haben. Aber offenbar interessiert sich kaum jemand dafür. Stattdessen las man viel mehr über die geplante Verschärfung der Sanktionen von Hartz IV.

Genau das ist das Klima, in dem ich mich bewegte, als ich selbst noch Hartz IV bezog. Ich sah meine Ersparnisse schmelzen, der Kontostand verabschiedete sich in den negativen Bereich, nistete sich dort nachhaltig ein - aber in den Zeitungen stand, dass ich genug Geld hätte und auch schwer sanktioniert werden sollte, wenn ich mich weigere, eine Arbeit anzunehmen. Dass diese Schuldenfalle namens Hartz IV lähmt und desillusioniert, ließ man als »sonstigen wichtigen Grund«, der die »Ausübung von Arbeit« nicht zulasse, nicht gelten.

Aber so ist es phasenweise wirklich. Man ist so ohnmächtig, dass man handlungsunfähig wird. Die Gewissheit, dass man aus diesem Sumpf selbst mit einer im Niedriglohnsektor liegenden Arbeit kaum besser dasteht, raubt einem sämtlichen Restoptimismus. Schulden nehmen einem die Kraft. Jedenfalls dann, wenn man weiß, dass nichts reinkommt, um die Schulden irgendwie wieder in den Griff zu bekommen. Die Ohnmacht vergeht nicht gerade, wenn man dann täglich den Gazetten entnimmt, dass man eigentlich ein gut alimentierter Schmarotzer sei, dem man durch weiteren Entzug finanzieller Mittel mal Beine machen müsse.

Alles wird unsicher. Ein »dummer Fehler« und schon ist man noch ärmer. Wielange kann ich hier noch wohnen? Was wenn die Jeans reißt? Und hoffentlich bringt das Kind nicht schon wieder eine Aufforderung zum Bezahlen von Kopiergeld aus der Schule mit. Diese Unsicherheit paralysiert, ist wie die Verabreichung schwacher K.o.-Tropfen, die einen auf Sparflamme laufen lässt. Mental ist man wie betäubt. Es ist wie ein Teufelskreis. Der Dispo gerät an seine Grenzen und selbst tut man das auch. An eine Arbeitsfähigkeit ist in einem solchen Zustand kaum noch zu denken. Aber der Medizinische Dienst attestiert sie einem trotzdem. Meist »nach Aktenlage«.

Jetzt haben wir seit geraumer Zeit eine Arbeitsministerin, die sich eine Weile als Opposition zu Hartz IV verkauft hatte. Doch was hat sich verbessert? Langzeitarbeitslose werden keinen Anspruch auf Mindestlohn haben. Das heißt, man gibt ihnen nicht mal die Hoffnung, jemals aus dieser Schuldenfalle auszubrechen. Faktisch ist es eh so, dass der geplante Mindestlohn keine großen Sprünge erlauben wird. Unter dieser Sozialdemokratin bleibt Hartz IV ein System der Repression bei gleichzeitiger Zermürbung der privaten und finanziellen Verhältnisse.

Ja, nicht mal das Agenda Setting hat sich seither verändert. Dafür kann sie natürlich nichts. Noch immer zieht man Meldungen, die Erwerbslose kriminalisieren und Prävention gegen Schmarotzer versprechen, denen vor, die das harte Los der Arbeitslosen in der Wohlstandsgesellschaft beschreiben. Aber dass Nahles diese Absichten nicht richtig dementiert und ihr Ministerium die Meldungen in Warteschleife stellt, dafür kann sie was. Warum reagiert sie nur auf solche Meldungen und nicht auf jene, die die Lebenswirklichkeit von Arbeitslosen zum Thema haben?

Die Studie des DGB zeigt deutlich, dass Hartz-IV-Leistungsberechtigte nicht noch mehr Drohungen brauchen. Das lähmt Menschen mit Schulden-, Sucht- und psychosozialen Problemen nur noch mehr. Wo fördert dieses Ministerium unter Nahles diesen Personenkreis wirklich? Mit warmen Empfehlungen als Zwischenton, die zum Beispiel großkotzig verkünden, man werde den Banken eine Beratungspflicht in Sachen Dispo-Sanierung auferlegen, ist es sicher nicht getan. Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik hat mehr zu sein, als der billige Abklatsch eines RTL-Schuldenberaters. Und mit der Abdeckung des wirklichen Existenzminimums und der Regulierung des Niedriglohnsektors kann man mehr bewirken, als einfach nur zu beraten.


1 Kommentare:

S. Tillmann 23. Juni 2014 um 08:46  

Dazu passt diese Studie, die sich mit der Einschränkung kognitiver Fähigkeiten durch Armut befasst. Armut reduziert die Denkfähigkeit, dies führt zu Fehlentscheidungen, dies führt zu Armut.

Mani, A., Mullainathan, S., Shafir, E., & Zhao, J. (2013). Poverty Impedes Cognitive Function. Science, 341(6149), 976–980. doi:10.1126/science.1238041

Abstract:

The poor often behave in less capable ways, which can further perpetuate poverty. We hypothesize that poverty directly impedes cognitive function and present two studies that test this hypothesis. First, we experimentally induced thoughts about finances and found that this reduces cognitive performance among poor but not in well-off participants. Second, we examined the cognitive function of farmers over the planting cycle. We found that the same farmer shows diminished cognitive performance before harvest, when poor, as compared with after harvest, when rich. This cannot be explained by differences in time available, nutrition, or work effort. Nor can it be explained with stress: Although farmers do show more stress before harvest, that does not account for diminished cognitive performance. Instead, it appears that poverty itself reduces cognitive capacity. We suggest that this is because poverty-related concerns consume mental resources, leaving less for other tasks. These data provide a previously unexamined perspective and help explain a spectrum of behaviors among the poor. We discuss some implications for poverty policy.

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