Welche Ausgabe Deutschlands bejubelt Merkel?

Freitag, 27. Juni 2014

»Ein Hoch auf das was uns vereint ...« dudelte dieser Bourani aus dem Autoradio. Die ARD hat das Lied zum WM-Song ihrer Berichterstattung erklärt und nun hört man es dauernd. »... dass es das Beste für uns gibt ...«. Der Mann hat es für eine Freundin geschrieben, ganz ohne Hintergedanken. Jetzt soll es die nationale Identität umschmeicheln. »Auf uns« heißt es ja zufälligerweise passenderweise. Wie gesagt, ich ertrug es gerade, wie es so aus dem Radio schallte, da schnitt mich ein Mercedes mit angebrachten Deutschlandfahnen. Ich hupte. Er zeigt mir den Stinkefinger. »Ein Hoch auf das was uns vereint.«

   »Kommst du aus der Gosse, oder was?«, schrie ich aus meinem offenen Fenster.
   »Halt dein Maul, du Wichser!«, röhrte der geschniegelte Affe zurück. Er hupte nochmals und war um die nächste Ecke verschwunden.
   Blödes Arschloch, dachte ich mir. Was da alles so einen Führerschein haben darf. Bourani schrie immer noch aus dem Radio. »Ein Hoch auf das was vor uns liegt / dass es das Beste für uns gibt.«

Kurz danach quasselte eine aufgebrachte Moderatorin etwas von »Heute zählt es« und »... stehen wie ein Mann hinter unserer Mannschaft«. »Ganz Deutschland im WM-Fieber« sagte eine männliche Stimme und alle zusammen, ganz Deutschland drücke jetzt »vereint Jogis Jungs die Daumen«. Danach Nachrichten. Hartz IV soll verschärft werden. Öffentliche Entrüstung wird es deswegen nicht geben. Man kann schon froh sein, wenn die »Bildzeitung« nicht wieder eine Serie über Schmarotzer startet. Ob wohl die betroffenen Leistungsberechtigten auch etwas haben, »was uns vereint«? Ob sie bei Bourani mitsummen? Sind sie dazu eingeladen? Oder sind sie selbst dazu zu faul?

Oh Mann, Leute, ihr könnt euch alle in Trikots zwängen und so tun, als sei die ganz dicke Einigkeit ausgebrochen. Ich weigere mich! Bei mir fängt sie bei Gerechtigkeit an. Und deswegen ist »eure Einigkeit« mit mir nicht zu machen. Da draußen laufen so viele Idioten rum, die mir ein Bedürfnis nach Vereinigung regelrecht austreiben. Bin ich einig mit Gauck, von der Leyen und Steinmeier? Was ist unser kleinster gemeinsamer Nenner? Wie sollte ich mir vorstellen können, neben Merkel und Kauder für ein Nationalteam zu sein, das sich von dieser Frau politisch missbrauchen lässt? Ist Lindners Deutschland das meinige? Und Lucke was vereint uns? Und wenn wir schon mal dabei sind Herr Märholz, mit was finden wir verschwörerisch zusammen?

»Einigkeit und Recht und Freiheit« kann man nett singen. Und die Einigkeit ist ja in diesen Tagen auch als dünne Lackschicht aufgetragen. Wo ist aber das Recht und besser noch: Wo die Gerechtigkeit? Nein, auch dieser farbenfrohe Partynationalismus leidet unter einem ganz großen Irrtum: Er macht Armut und Reichtum unkenntlich und setzt den Menschen Flausen in den Kopf, dass es diese ökonomischen Unterschiede mal für eine Weile nicht gibt. Gibt es aber! Gerade jetzt. Siehe Verschärfung der Sanktionspraxis. Was verbindet mich mit diesen fußballerischen Millionären, die nicht den blassesten Schimmer davon haben, wie es ist, Tag für Tag aufzustehen, nur um an einen Arbeitsplatz zu eilen, der das monatliche Auskommen nicht sichert. Das Deutschland für das Özil oder Müller spielt und für das sie stehen, ist ein ganz anderes Land als das Deutschland, das mir täglich widerfährt.

Als dieses Arschloch aus der Upper Class mit seinem Mercedes und seinem Stinkefinger an mir vorbeifuhr, da war mir wieder schlagartig klar, dass ich mit meiner Ansicht nicht falsch liege. Der Typ lebt in einem ganz anderen Deutschland wie ich. Welche Ausgabe Deutschlands bejubeln die Leute eigentlich, wenn sie sich für Deutschlands Nationalelf zum Idioten machen? Bouranis Song war für eine Freundin gedacht. Und dafür taugt er auch. So wie er jetzt gebraucht wird, ist er nur Verarsche. Sonst erklärt die Oberschicht alle naslang, dass es eine volle Gleichheit nicht geben kann. Aber für vier Wochen sollen Ausbeuter und Ausgebeutete nebeneinanderstehen und jubeln, oder wie? Das wird man als politisch Linker nie begreifen können. Dazu fehlt es mir an ausreichend infantiler Phantasie.

Ich drückte auf die CD-Taste, entfloh dieser schwachköpfigen Einigkeit, und plötzlich sang Lennon »Working Class Hero«. »Keep you doped with religion and sex and TV / And you think you're so clever and classless and free / But you're still fucking peasants as far as I can see«, trällerte ich laut mit. Ihr seid immer noch verdammte Bauern - Lennon hatte recht. Nur dass ihr jetzt in Trikots steckt. Oh Mann, John, du bist das Deutschland, wie ich es kenne. Du bist ein Stück Heimat.


19 Kommentare:

Anonym 27. Juni 2014 um 07:06  

gehen sie doch weg von deutschland, wenn es ihnen nicht gefällt. vaterlandsloser idiot!!!

ad sinistram 27. Juni 2014 um 07:10  

Doch, mir gefällt es gut. Hier sind die Leute so nett.

Drahtwerker 27. Juni 2014 um 07:34  

Der Kollege um 07:06 ist wohl Mercedes-Fahrer.
:-)

An sonsten bin ich - wie so oft - bei Dir, sehe es genau so.

Anonym 27. Juni 2014 um 07:46  

Dies ist einer dieser hirnlosen Sprüche. "Gehen Sie doch weg." Das zeigt eigentlich nur die Denkweise. Völlig eingelullt, das Motto "Brot und Spiele" hat bei diesem schlichten Gemüt voll gegriffen. Nicht mehr im mindesten in der Lage, selbst zu denken. Das ist ja anstrengend. Aber wenn es einen dann selbst trifft (z.B. mit H4), dann ist das Geschrei groß. "Gehen Sie doch weg." Und vor allem der Zusatz "wenn es Ihnen nicht gefällt." Nein, mir gefällt es auch nicht, nicht im geringsten. Aber warum sollte ich dann weggehen? Was würde das ändern? Nur damit die Schlafschafe nicht mehr ab und zu geweckt werden? Aber es ist wahrscheinlich wirklich so, daß die Wahrheit keiner mehr hören will.

Nichts desto trotz, dein Artikel hat mir voll aus der Seele gesprochen. Ich habe mir seit Jahren schon kein einziges Spiel mehr angeschaut. Warum soll ich Millionäre füttern? Und vor allem: Wovon? Ich weigere mich, diesen Schwachsinn mitzumachen!

In diesem Sinne: Einen schönen Tag. Mach weiter so.

herbert 27. Juni 2014 um 08:05  

Herrlich geschrieben,spricht mir aus der Seele

Clara 27. Juni 2014 um 08:19  

Großartig...vielen, vielen Dank, lieber Roberto, für die klaren Worte, die mein Un-Behagen in diesen scheußlichen Wochen so gut formulieren!

Stephie 27. Juni 2014 um 08:25  

Du hast es wieder auf dem Punkt gebracht. Genauso fühle ich mich, wenn diesen jubelenden Idioten zusehe, denen man die Butter auf dem Brot nicht gönnt aber "Deutschlaaaaand, Deutschlaaand" gröhlen.
Vermutlich so jemand wie Anonym.

ninjaturkey 27. Juni 2014 um 09:19  

Ich hab Dich auch lieb, Anonym. Du bist so - whua - so deutsch, wenn Du Dich aufregst. ♥︎

Bin selbst seit einem halben Jahrhundert ein vaterlandsloser deutscher Geselle, schlage regelmäßig die Hände über dem Kopf zusammen wenn ich einen deutschen Politiker bramarbasieren höre und meine Mituntertanen brav dazu nicken sehe - und fühle mich trotzdem wohl hier. Wahrscheinlich würden meine Deutschen allein nicht klar kommen (Herd anlassen, im Pyjama durch den Supermarkt irren, die FDP wählen). Nein, wir werden hier gebraucht!

Anonym 27. Juni 2014 um 11:55  

Ach so! Das ist gar kein WM Song und der Musiker ist auch noch ägyptischer Herrkunft.
Das wusste ich bisher nicht und dachte immer, was für ein nationalistischer Bullshit.

So manche Textstellen bekommen für mich gleich eine andere Bedeutung.
Bisher dachte ich bei so einigen Sätzen, dass könnte jetzt auch aus einem Marschlied der SA stammen.

„Wir haben Flügel, schwör'n uns ewige Treue
Vergeuden uns diesen Tag
Ein Leben lang ohne Reue
Vom ersten Schritt bis ins Grab“

Toomuch65 27. Juni 2014 um 12:20  

Tja, Herr De Lapuente, es gibt Menschen hier in Deutschland, denen geht es noch viel schlechter als Ihnen.
Ihre obe stehenden Beobachtungen und Gedanke kann ich voll und ganz nachvollziehen. Leider bin ich und sind auch alle meine Vorfahren in Deutschland (bzw. auf dem Gebiet, das jetzt deutschland ist) geboren. Mir bleibt also nicht einmal die Option mich woandershin zu begeben. Das finde ich angesichts der von Ihnen genannten Personen, mit denen man sich einig sein sollte, noch viel beklemmender :(

kevin_sondermueller 27. Juni 2014 um 14:53  

Melde mich als vaterlandsloser
Mitidiot von R.d.L. (Vaterlands-Loser?) zu Wort:
Wenn ich solche Anonym-Statements
lese, fällt mir ein Antinazi-Slogan aus den frühen 90ern –
der Zeit der Brandanschläge in Solingen, Mölln etc. – polternd ins Bewusstsein:»Liebe Ausländer,
lasst uns mit DIESEN Deutschen nicht allein!«

Anonym 27. Juni 2014 um 16:34  

Lieber Herr De3 Lapuente,
woher willst Du wissen, ob der Spinner im Mercedes zur Upper class gehört? Viele solcher Spiesgesellen finanzieren ihre Karossen doch und machen dann auf dicke Hose.
Ich wünsche mir das "wir" schnell raus fliegen. Der WM Titel würde dem grassierenden Nationalismus noch mehr Futter geben. Außßerdem würde ich den Titel einem Land gönnen, dessen Bevölkerung es weitaus schlimmer geht als dem Germanen.

dein Vaterlands Verräter

L´Andratté 27. Juni 2014 um 18:49  

Gestern Hamburg St.Pauli, Fußweg über dem alten Elbtunneleingang, ca. 20.45:

Ich mische mich dümmlicherweise mit einer kritischen aber nicht aggressiven Bemerkung ein, als mehrere mit Deutschlandfahnen behängte junge Männer grölend den Hitlergruß zeigen. Mit den Worten "Wir sind reine Arier!" werde ich gegen eine Balustrade gedrängt, hinter der es 10m nach unten geht.

Zwei Polizisten, die ein paar Meter entfernt stehen reagieren nicht auf meinen Ruf um Hilfe sondern schauen weg. Ich bin ein ziemlich großer Fettsack, vielleicht deswegen und weil ich äußerlich völlig ruhig bleibe, kommt es nicht zum Äußersten, die Schläger lassen sich von ihren zeternden Freundinnen wegziehen.

Alles die Wahrheit. Und nichts Besonderes.

Ich würd´ nicht mal auf die Deutsche Flagge pissen, wenn sie brennt.

ad sinistram 27. Juni 2014 um 18:49  

Der Typ rechts erklärt dem links doch nur: So hoch springt mein Hund.

Andreas S 27. Juni 2014 um 19:52  

Lieber Roberto,
wenn Du John Lennon hörst, geht es Dir wie mir, wenn ich Dein Blog oder Feynsinn lese. Auch wenn ich politisch/gesellschaftlich und ökologisch keine Hoffnung mehr habe, dass die Zukunft sich zum Positiven wendet, weiss ich wenigstens, dass ich mit meiner Sicht der Dinge nicht ganz alleine stehe. In diesen Zeiten kommen all jene aus ihren Löchern, die nach dem Motto leben "Ich bin dumm und stolz darauf". Hoffen wir, dass das nächste Spiel das letzte ist und wieder etwas Ruhe einkehrt

Anonym 27. Juni 2014 um 19:54  

Super Eintrag. Diesen mit Größenwahn geschmückten medialen Hype muss ich alle 2 Jahre ertragen. Das ähnelt immer mehr einem grotesken Karneval, wo man ohne schlechtes Gewissen seine Alltagsrassismen ausleben kann.

Troptard 27. Juni 2014 um 21:03  

Ich habe nichts gegen Deutsche! Einige meiner besten Freunde sind Deutsche!

Lis 27. Juni 2014 um 23:57  

Hm, ist es denn wirklich so, dass er das Lied nur für eine Freundin geschrieben hat? Als ich das vor Monaten erstmals gehört habe, habe ich schon gedacht, dass das eigentlich darim bettelt, WM-Song zu werden. Ich glaube, das genau sagte ich damals auch zu meiner Frau "Ist schon WM."

Ansonsten kann ich dem Kollegen da oven ja nur zustimmen, gell? Geh' doch nach Hause!,, Ach, tatsächlich kann ich diesen ganzen, spätestens seit 2006 national übertriefenden BrotUndSpiele-Nonsens wirklich nicht mehr ertragen. Ich frage mich, warum die Leute da mitspielen. Es muss sich doch um eine Art Kollektiventscheidung handeln, diese Dinge NICHT zu durchschauen, um jene Art von Guilty Pleasure wie BILD wegen des Sportteils lesen und dergleichen, von denen man häufig nur GLAUBT, dass man sie kontrolliert, während man tatsächlich nur immer unkritischer wird - und vor allem unangenehme Gegenansichten garnicht hören will.

Anonym 28. Juni 2014 um 16:00  

Lennon? Ich würde eher Zappa anhören -

The Slime

Your mind is totally controlled
It has been stuffed into my mold
And you will do as you are told
Until the rights to you are sold


Rainer N.

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