Eine Moral verwertbaren Abfalls

Samstag, 2. März 2013

Lasagne al cavallo für Hartz IV-Empfänger, vor Jahren BSE-Rinder für Hungerregionen. Wie kommen wir eigentlich dazu, das, was wir für die Gesellschaft als Abfall deklarieren, dennoch an bestimmte Gesellschaftsschichten verteilen zu wollen? Sind die Habenichtse die Säue dieses postagrarischen Zeitalters, denen man allerlei Unrat, das was sonst nicht gegessen wird, vor die Schnauze kippen kann?

Nach demselben Muster funktioniert das Die Tafeln-System. Was vom Aggregatzustand Ware zum Zustand des Abfalls hinübergleitet, wird zum Artikel für die Tafeln. Bevor es weggeworfen wird, in der Müllverbrennungsanlage landet, ist es doch besser, wenn das Produkt im Körper des Mittellosen als Kalorien verbrannt wird. Der Hartz IV-Bezieher als Rostfeuerung.
Hier weiterlesen...

11 Kommentare:

Anonym 2. März 2013 um 11:25  

...in den Globus-Märkten werden sogar noch nicht abgelaufene Lebensmittel einige Tage vorher aussortiert....

Anonym 2. März 2013 um 15:40  

Wieder scharfsinnig und hervorragend auf den Punkt gebracht. Erinnert mich auch an den Forscher und Tafelkritiker Stefan Selke, der mit Recht den "Nachhaltigkeitspreis" für die Tafeln kritisierte. Aber ja, genau das ist eben "Nachhaltigkeit" in der neoliberalen Ökonomie.

baum 2. März 2013 um 15:40  

bravo. toller artikel

ulli 2. März 2013 um 15:54  

Das Problem ist eine Lebensmittelindustrie, die man nur noch als vollkommen irrsinnig bezeichnen kann. Beispielsweise: Laut ARD werden von den in Deutschland erzeugten Bio-Kartoffeln schon von den Produzenten die Hälfte weg geschmissen: Zu groß, zu klein, zu schief, nicht EU-genormt, nicht "schön" genug. Schätzungsweise wird von allen frischen Lebensmitteln von Bauern und Handel rundein Drittel weggeschmissen. Gemüse wird unter absoluten Schweinebedingungen in Spanien produziert (auf den Felden leben und arbeiten illegale Immigranten aus Afrika, für einen Elendslohn und inmitten aller Schadstoffe; die lokalen Erzeuger erhalten kaum Geld für ihre Produkte; in den deutschen Läden arbeiten Geringverdiener, Leiharbeiter, Menschen mit Werkverträgen.) Die Devise lautet: Kostensenken mit allen Mitteln. Und dann wird ohne Ende weggeschmissen. Ist in einer Schale Tomaten eine Frucht angematscht, landet die ganze Schale im Müll, denn es wäre zu teuer, jemanden zu bezahlen, der die Schale öffnet, die verdorbene Frucht entsorgt und den Rest als lose Ware auslegt. Und wenn jemand zu den Mülltonnen der Supermärkte geht und die guten Früchte herausnehmen will, wird er sofort wegen Diebstahls angezeigt und verurteilt. Diese Verhältnisse sind vollkommen pervers.

Ein erster Schritt wäre ein Gesetz, dass den Handel zwingt, alles, was weggeschmissen wird, irgendwo vor dem Laden auszulegen, damit jeder sich kostenlos mitnehmen kann was er will.

Anonym 2. März 2013 um 17:00  

"Es ist an Effizienz und Verwertbarkeit geknüpft und fragt fortwährend, ob man Ressourcen noch für etwas einsetzen kann."

Ich sehe hier einen Denkfehler. Der Neoliberalismus fragt doch wohl eher ob man noch einen Profit mit dem Abfall machen kann, was bei den Tafeln eher fraglich ist. Diese scheinen mir auf einer älteren Ideologie zu beruhen, nämlich der protestantisch-kapitalistischen herablassenden Mitleidsethik.

Anonym 2. März 2013 um 19:02  

Reichtum und Verschwendung, absolute Verachtung oder wenigstens Geringschätzung von Menschen und Leistungen menschlicher Arbeit eineseits, Armut und Hunger, Not und Elend, persönliche Verzeiflung, dazu von den jeweiligen Eliten angestiftete endlose Kriege um Profite und Resourcen sowie politischer oder religiöser Wahn andererseits, hat uns der weltweite Kapitalismus, die welteite "Marktwirtschaft", also gesamtsystemisch, jemals ein anderes Schauspiel in den letzten 300-400 Jahren geboten?
Sollen wir nun deswegen BLOß flennen und jammern?

Fragt mal so ganz echt marktwirtschaftlich in die Runde.....


MfG Bakunin

Anonym 2. März 2013 um 23:01  

"Ich sehe hier einen Denkfehler. Der Neoliberalismus fragt doch wohl eher ob man noch einen Profit mit dem Abfall machen kann, was bei den Tafeln eher fraglich ist. Diese scheinen mir auf einer älteren Ideologie zu beruhen, nämlich der protestantisch-kapitalistischen herablassenden Mitleidsethik."

Das trifft einerseits zu. Andererseits sparen die Firmen, die für die Tafel "spenden", jedoch die Entsorgung von "Abfall", und können dies noch als Spende von der Steuer absetzen. Hier sind "traditioneller" konservativer Paternalismus und "moderner" Neoliberalismus eine problematische Verbindung eingegangen.

pillo 3. März 2013 um 12:21  

Ich lese gerade das Buch von Kathrin Hartmann "Wir müssen leider draußen bleiben", das ich als Lektüre zum Thema nur wärmstens empfehlen kann.

Sie beschreibt sehr eindrücklich, wie die Tafeln die herrschenden Zustände zementieren. Das Verhältnis von oben und unten wird bis auf die Ebene der Essensausgabe heruntergebrochen. Die "Gäste" der Tafel haben gefälligst keine Ansprüche zu stellen und dankbar für die milden Gaben zu sein. Wehe dem, der gewisse Dinge beanstandet oder sich sonst irgendwie nicht dankbar genug verhält. Das kann bis zum Ausschluß aus der Lebensmittelvergabe führen.

Schließlich ist die Tafel eine freiwillige, private Leistung, und somit können deren Betreiber nach Gutdünken entscheiden, wer etwas bekommt und wer nicht. Die Währung der Armen heißen also Dankbarkeit und Wohlverhalten.

Und wem wird (wenn überhaupt) die mediale Aufmerksamkeit zuteil? Genau, vorwiegend den Ehrenamtlichen und Initiatoren der Tafel. Die Armen müssen sich auch hier zumeist mit der Statistenrolle begnügen.

Wenn uns 1990 jemand erzählt hätte, das es in zwanzig Jahren in Deutschland solche Zustände geben würde, wir hätten es nicht für möglich gehalten. Eine Refeudalisierung der Gesellschaft binnen weniger Jahre. Unfassbar!

Hartmut 3. März 2013 um 16:17  

@pillo
Vielen Dank für den Buchhinweis.

@Roberto

Danke für den außerordentlich und wichtigen Beitrag zu dieser Unmoral.

Die Tafel in Anspruch nehmen zu müssen, halte ich in diesem reichen Land für das Erniedrigenste wie man mit hilfsbedürftigen, hungernden und armen Menschen umgeht. - Es ist ein SKANDAL und schreit zum Himmel ! Zu "verdanken" ist es einer Politiker - Kaste, die sich im Wohlstand suhlt.

Aus Rechtsansprüchen (Hilfe zum Lebensunterhalt) sind Almosen geworden, die nach Gutdünken verteilt werden - welch eine Schande !

Ein afr. Sprichwort lautet: "Wer dein Brot hat, hat deine Würde !"
Doch hier ist es verfassungsmäßig von den Gründungsvätern den (noch) geltenden Artikeln unseres GG im Art. 1 vorangestellt: Die Würde des Menschen ist unantastbar.......
und die Tafeln sind entwürdigend.....

Anonym 3. März 2013 um 22:25  

@Bakunin

Mich auch hier anschließ ;-)

Den wenigsten ist bewußt, dass bereits Robert Kurz, Autor des "Schwarzbuch des Kapitalismus" vor Jahren schrieb, dass man vor 200 Jahren Arme mit Sägemehl-Brot abspeiste während die Reichen schon damals.....

Tja, der Kapitalismus ist eben unbelehrbar....

...wieder mal so eine Ähnlichkeit zum anno 1992 gescheiterten sozialistisch-kommunistischen Gegenmodell Erich Honeckers....

Amüsierte Grüße
Bernie

PS: Hat nicht auch Adam Smith, einer der angeblichen Väter des "modernen Kapitalismus" vor Jahrhunderten ähnliches geschrieben was die Versorgung ärmerer Bevölkerungsschichten angeht?....

Anonym 3. März 2013 um 22:28  

@Pillo

Ich will mich dem Dank von Hartmut anschließen, da mir das lesenswerte Buch von Kathrin Hartmann bestens bekannt ist.

Was "die Tafeln" angeht, die sind doch nichts anderes als die Suppenküchen, die es anno 1929 - zur letzten großen Depression - schon gab.

Orwell sei dank heißen die nun eben "Die Tafeln" - Klingt einfach besser als "Suppenküchen"....

Zynischer Gruß
Bernie

  © Free Blogger Templates Columnus by Ourblogtemplates.com 2008

Back to TOP