Die biologische Klasse und die Auflösung von Klasseninteressen
Mittwoch, 28. November 2012
Das große Geld hat der Unterklasse so lange eingeflüstert, dass es so etwas wie Klasseninteressen gar nicht gibt, bis die es geglaubt hat. Das an sich war schon durchtrieben. Sie hat alsdann neue Klassen eingeführt, die nicht auf ökonomische Prämissen zurückzuführen sind, sondern auf biologische Gemeinsamkeiten. Diese biologisch konzipierten Klassen anstelle eines ökonomisch verstandenen Klassenbegriffes nehmen dem Sozialabbau, der Entrechtung, der Vereinsamung und Zersparung der öffentlichen Hand das Wind aus den Segeln. Wenn sich Menschen plötzlich nicht mehr als nahestehend begreifen, weil sie in denselben Prekärbeschäftigungen verarscht werden, sondern weil sie zum Beispiel beide weiblich sind, dann zieht man die Verantwortlichen für die soziale Schieflage aus der Schusslinie.
Die Biologisierung des Klassenbegriffes unterschlägt die ökonomischen Ungleichheit
Schwarze sind nicht gleich Schwarze. Obamas Kinder und die Kinder eines afroamerikanischen McDonalds-Angestellten aus Harlem haben nicht dieselben Probleme.
Während ökonomisch privilegierte Frauen um die "Gleichberechtigung von Frauen in Führungspositionen" (so schrieb es die taz) kämpfen, zählt die Wartefrau jenen Teil ihres Lohnes, der der Willkür der Stehpinkler geschuldet ist, auch Trinkgeld genannt.
Unterdessen Schäuble jede Nische dieser Republik und Europas erreichen kann, wissen weniger reiche Querschnittsgelähmte viel über Barriereunfreiheit zu erzählen.
Sind alle Kinder gleich? Das Kindergeld eines Kindes aus einer Bedarfsgemeinschaft ist anzurechnendes Einkommen, inzwischen Millionärskinder nicht über ihrer Kindergeldbedürfigkeit Rechenschaft ablegen müssen.
Vural Öger kann vermutlich seine Rechnungen begleichen, der nette Türke am Eck nicht immer.
Alleinerziehende Mütter sind nur im Wehgeklage gleich: die eine beklagt sich, weil sie das Zuwenig an Zeit noch nicht mal finanziell niederschlägt, die andere, weil die Tagesmutter keine Zeit aufbringen will, um den kleinen Oliver-Pascal während ihres Leadership Live Experience zu versorgen.
So viele biologische Gruppen, deren Gemeinsamkeit nur ist, entweder dieselbe Hautfarbe, eine Vagina, eine Behinderung, Jugend, ethnische Herkunft oder Familienstand zu haben. Mehr auch nicht. Dahinter verschwindet der ökonomische Rang, aus dem die soziale Stellung destilliert wird. Dahinter gehen Privilegien und Unterprivilegierung flöten.
Die "biologische Klasse"* kanalisiert soziale Diskrepanzen
Die politische Linke warf Alice Schwarzer zuweilen vor, mit ihrem Geschlechterkampf den Klassenkampf zu spalten und gar aufzulösen. Das Konzept des Geschlechterkampfes ist ein biologisches und hebt die ökonomische Grundlage der Klassen auf, dividiert Klasseninteressen auseinander. Es gibt keine gemeinsamen Klasseninteressen zwischen Frauen oder Schwarzen oder Kindseltern - es gibt innerhalb dieser Gruppen jedoch ökonomisch-klassenspezifische Interessen. Biologische Gruppen haben den Zufall als Grundlage, nicht die ökonomische und somit soziale Stellung. Und nur sie machen die Klasse.
Diese falsche Definition von Klasse wird aktuell bemüht, um die Frauenquote für Frauen in Führungspositionen zu popularisieren. Besonders arglistig ist hierbei, dass man Frauen für dieses Vorhaben gewinnt, die keinerlei Interesse an der Bevorzugung ökonomisch bessergestellter Frauen haben können. Arglistig, weil sie Frauen zu elitären Klassenkämpferinnen macht, die nichts mit dieser Elite gemein haben, außer den zufälligen Umstand, mit einer Vagina ausgestattet zu sein. Die Lebenswirklichkeiten für Kassiererinnen und Verkäuferinnen sind andere als jene, die eine Frau aus dem oberen Segment der Gesellschaft kennt. Für eine Frau, die nicht monatlich zusehen muss, wie sie ihr (Über-)Leben finanziert, die nicht Verzicht übt aus Mangel, die nicht Haushalt, Lohnarbeit und Familie unter einen Hut bringen muss, weil sie selbst bei Mutterschaft Personal engagieren kann, sollen sie geradestehen, um der Frauenquote in Führungspositionen Nachdruck zu verleihen.
Die "biologische Klasse" deklassiert und schafft Kasten innerhalb der Klasse
Die biologisch konzipierte Klasse ist nicht nur falsch, sie ist gefährlich. Sie ist prädestiniert dazu, ohnehin privilegierten Klassen Pfründe und Monopole zu sichern. Innerhalb dieser künstlich erschaffenen Klasse ziehen genau diejenigen den Kürzeren, die in der ökonomisch-sozialen Definition von Klasse wahrgenommen würden. Natürlich verwenden die biologischen Klassisten nicht den Begriff des Klasseninteresses oder gar -kampfes. Es ist altes Vokabular, das verpönt ist. Sie haben sich aber ohne Nutzung dieser Begriffe eine Klasse entworfen, in der es Fußvolk gibt, das für höhere Interessen und zu dessen eigenen Nachteil mobilgemacht werden kann. So boxt man Frauenquoten durch oder betreibt man Familienpolitik zugunsten reicher Kinder und ihrer Eltern.
Die biologische Klasse baut nicht auf Prämissen der Gleichheit und sie will auch keine Gleichheit herstellen. Sie deklassiert und macht Menschen zu Einzelkämpfern, zu Subjekten ohne Einordnung, wirft auf Individualinteressen zurück, schaltet Klasseninteressen aus. So kämpfen Schwarze zwar für die Präsidentschaft eines Mannes, der dieselbe Hautfarbe hat, gleichwohl die Benachteiligung von Menschen aus ihrer Gesellschaftschicht mit Desinteresse betrachtet und folglich hingenommen wird, weil der Benachteiligte beispielsweise asiatischer Herkunft ist. Die biologische Klasse ist das falsch eingeimpfte Klassenbewusstsein zur Auflösung des Klassenkampfes, der die Besitz- und Eigentumsverhältnisse und die Produktionsverhältnisse hinterfragt und aufgreift.
*Anmerkung: "Biologisch" ist hier sicherlich großzügig ausgelegt. Türke zu sein ist nicht unbedingt biologisch bedingt. Alleinerziehende Mutterschaft auch nicht. Hier soll aber die künstlich entworfene Klasse deutlich werden.
Die Biologisierung des Klassenbegriffes unterschlägt die ökonomischen Ungleichheit
Schwarze sind nicht gleich Schwarze. Obamas Kinder und die Kinder eines afroamerikanischen McDonalds-Angestellten aus Harlem haben nicht dieselben Probleme.
Während ökonomisch privilegierte Frauen um die "Gleichberechtigung von Frauen in Führungspositionen" (so schrieb es die taz) kämpfen, zählt die Wartefrau jenen Teil ihres Lohnes, der der Willkür der Stehpinkler geschuldet ist, auch Trinkgeld genannt.
Unterdessen Schäuble jede Nische dieser Republik und Europas erreichen kann, wissen weniger reiche Querschnittsgelähmte viel über Barriereunfreiheit zu erzählen.
Sind alle Kinder gleich? Das Kindergeld eines Kindes aus einer Bedarfsgemeinschaft ist anzurechnendes Einkommen, inzwischen Millionärskinder nicht über ihrer Kindergeldbedürfigkeit Rechenschaft ablegen müssen.
Vural Öger kann vermutlich seine Rechnungen begleichen, der nette Türke am Eck nicht immer.
Alleinerziehende Mütter sind nur im Wehgeklage gleich: die eine beklagt sich, weil sie das Zuwenig an Zeit noch nicht mal finanziell niederschlägt, die andere, weil die Tagesmutter keine Zeit aufbringen will, um den kleinen Oliver-Pascal während ihres Leadership Live Experience zu versorgen.
So viele biologische Gruppen, deren Gemeinsamkeit nur ist, entweder dieselbe Hautfarbe, eine Vagina, eine Behinderung, Jugend, ethnische Herkunft oder Familienstand zu haben. Mehr auch nicht. Dahinter verschwindet der ökonomische Rang, aus dem die soziale Stellung destilliert wird. Dahinter gehen Privilegien und Unterprivilegierung flöten.
Die "biologische Klasse"* kanalisiert soziale Diskrepanzen
Die politische Linke warf Alice Schwarzer zuweilen vor, mit ihrem Geschlechterkampf den Klassenkampf zu spalten und gar aufzulösen. Das Konzept des Geschlechterkampfes ist ein biologisches und hebt die ökonomische Grundlage der Klassen auf, dividiert Klasseninteressen auseinander. Es gibt keine gemeinsamen Klasseninteressen zwischen Frauen oder Schwarzen oder Kindseltern - es gibt innerhalb dieser Gruppen jedoch ökonomisch-klassenspezifische Interessen. Biologische Gruppen haben den Zufall als Grundlage, nicht die ökonomische und somit soziale Stellung. Und nur sie machen die Klasse.
Diese falsche Definition von Klasse wird aktuell bemüht, um die Frauenquote für Frauen in Führungspositionen zu popularisieren. Besonders arglistig ist hierbei, dass man Frauen für dieses Vorhaben gewinnt, die keinerlei Interesse an der Bevorzugung ökonomisch bessergestellter Frauen haben können. Arglistig, weil sie Frauen zu elitären Klassenkämpferinnen macht, die nichts mit dieser Elite gemein haben, außer den zufälligen Umstand, mit einer Vagina ausgestattet zu sein. Die Lebenswirklichkeiten für Kassiererinnen und Verkäuferinnen sind andere als jene, die eine Frau aus dem oberen Segment der Gesellschaft kennt. Für eine Frau, die nicht monatlich zusehen muss, wie sie ihr (Über-)Leben finanziert, die nicht Verzicht übt aus Mangel, die nicht Haushalt, Lohnarbeit und Familie unter einen Hut bringen muss, weil sie selbst bei Mutterschaft Personal engagieren kann, sollen sie geradestehen, um der Frauenquote in Führungspositionen Nachdruck zu verleihen.
Die "biologische Klasse" deklassiert und schafft Kasten innerhalb der Klasse
Die biologisch konzipierte Klasse ist nicht nur falsch, sie ist gefährlich. Sie ist prädestiniert dazu, ohnehin privilegierten Klassen Pfründe und Monopole zu sichern. Innerhalb dieser künstlich erschaffenen Klasse ziehen genau diejenigen den Kürzeren, die in der ökonomisch-sozialen Definition von Klasse wahrgenommen würden. Natürlich verwenden die biologischen Klassisten nicht den Begriff des Klasseninteresses oder gar -kampfes. Es ist altes Vokabular, das verpönt ist. Sie haben sich aber ohne Nutzung dieser Begriffe eine Klasse entworfen, in der es Fußvolk gibt, das für höhere Interessen und zu dessen eigenen Nachteil mobilgemacht werden kann. So boxt man Frauenquoten durch oder betreibt man Familienpolitik zugunsten reicher Kinder und ihrer Eltern.
Die biologische Klasse baut nicht auf Prämissen der Gleichheit und sie will auch keine Gleichheit herstellen. Sie deklassiert und macht Menschen zu Einzelkämpfern, zu Subjekten ohne Einordnung, wirft auf Individualinteressen zurück, schaltet Klasseninteressen aus. So kämpfen Schwarze zwar für die Präsidentschaft eines Mannes, der dieselbe Hautfarbe hat, gleichwohl die Benachteiligung von Menschen aus ihrer Gesellschaftschicht mit Desinteresse betrachtet und folglich hingenommen wird, weil der Benachteiligte beispielsweise asiatischer Herkunft ist. Die biologische Klasse ist das falsch eingeimpfte Klassenbewusstsein zur Auflösung des Klassenkampfes, der die Besitz- und Eigentumsverhältnisse und die Produktionsverhältnisse hinterfragt und aufgreift.
*Anmerkung: "Biologisch" ist hier sicherlich großzügig ausgelegt. Türke zu sein ist nicht unbedingt biologisch bedingt. Alleinerziehende Mutterschaft auch nicht. Hier soll aber die künstlich entworfene Klasse deutlich werden.
5 Kommentare:
"Biologische Gruppen haben den Zufall als Grundlage, nicht die ökonomische und somit soziale Stellung."
Ökonomische und soziale Gruppen haben doch genauso den Zufall als Grundlage. Man wird hineingeboren.
Den Satz besser nochmal überarbeiten...
Über den Begriff "Biologische Klassen" lässt sich trefflich streiten.
Anmerker meint:
Auch wenn der Klassenbegriff ja soziologisch eindeutig von Marx definiert wurde und leider jahrzehntelang als "kommunistischer Kampfbegriff" diffamiert wurde, hilft alles nichts: Die ökonomische Lage der Menschen zeigt uns an, in welcher Klasse sie sich befindet. Es wird also höchste Zeit den Klassenbegriff wieder eindeutig zu verwenden!Das könnte vieleicht wieder Orientierung geben im verordneten Klassenchaos. Ein beliebter Begriff in diesem bewusst betriebenen Durcheinander ist ja auch der der "Politischen Klasse". Allerdings bringt der, bei aller Verwirrung, wenigstens eines auf den Nenner: Die da oben - wir da unten und kann insofern ein wenig zur politischen Bewusstseinsbildung beitragen. Dennoch wäre es aller Mühe wert, den Klassenbegriff wieder adäquat und offensiv zu verwenden und so die Orientierung im politökonömischen Dschungel wieder möglicher werden lassen.
Herzliche Grüße
ANMERKER
Die Geburt ist gerade kein Zufall. Das sagt man zwar gerne so dahin. Aber dass das Kind reicher Eltern reich ist und das Kind armer Eltern am, ist kein Zufall, sondern Klassendefinition.
Vor fünf Jahren gegen Ende des Studiums beobachtete ich am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften eine Veränderung bei den Lehrkräften und Lehrinhalten, die das Geschlechterverhältnis thematisierten. Während anfangs soziale Ungleichheit betrachtet wurde ging die Tendenz immer mehr und immer offensichtlicher dahin, die Kategorie Geschlecht in den Vordergrund zu rücken. Es wurde gesagt, man hätte jahrelang den Blick auf Benachteiligte, etwa einkommensarme Frauen gelegt und müsse jetzt davon wegkommen, denn Frauen seien wegen ihrer Eigenschaft Frau zu sein und kein Mann generell benachteiligt und Sozialromantik dürfe man sich nicht leisten. Ich habe mich sehr unwohl gefühlt bei so viel Ignoranz. Erst einmal zu behaupten, die feministische Bewegung hätte in den letzten Jahren viel gegen Ausgrenzung und soziale Ungleichheit argumentiert empfinde ich anmaßend. Und dann zu behaupten, man müsse den Blick jetzt davon abwenden und hin zu einer stärkeren Fokussierung auf die biologische Kategorie Geschlecht richten zeigt für mich nur, dass diese Feministinnen eben nicht für die Beseitigung sozialer Ungleichheiten eintreten sondern die bestehenden Machtverhältnisse zementieren. Ganz besonders in Erinnerung geblieben ist mir, dass, wenn ich mich richtig erinnere, Alice Schwarzer 2005 sich freute, dass mit Angela Merkel eine Frau Kanzlerin geworden ist. Aber was für eine Frau? Eine Machtpolitikerin, die vieles tut, vielleicht manches richtig, viel kritikwürdiges aber eben eine Kanzlerin der Konzerne, der Banken und Großindustrie und nicht etwa von Frauen aller Schichten ist.
Nach meiner Erfahrung macht es sehr wohl einen Unterschied, ob eine Frau in Führungsposition ist und mit den biologischen Eigenheiten von Frauen vertraut ist.
Das steht eigentlich außer Frage, dass es einen Unterschied ausmacht, wenn man sich mit Problemen von Frau an Frau wendet oder von Frau an Mann.
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