Abweichler als begriffliche Weichmacher

Montag, 12. November 2012

Was genau wird von der EU in Griechenland gerettet? Der Euro natürlich!, antwortet die rechtslastige Presse europaweit. Dass es die Interessen internationaler Konzerne und Finanzunternehmen sind, können und wollen sie nicht schreiben. Eines ist aber sicher, die Demokratie, dieses stolze europäische Gebilde etwaiger Sonntagsreden, ist es jedenfalls nicht. Die Auflagen Europas an Griechenland sorgen dafür, dass politische Willensbildung nicht mehr stattfinden kann, dass die Alternativlosigkeit Programm wird. Wer an den Sparauflagen innerhalb des griechischen Regierungsbündnisses zweifelt, der wird aus der jeweiligen Fraktion geworfen. So geschehen letzte Woche - berichtet wurde allerdings wenig davon, bestenfalls in Nebensätzen wusste man davon zu erzählen.

Es geht ja schließlich um den Euro. Wieso an einigen Abgeordneten aufhalten, die nicht gewillt waren, die europäischen Interessen in Griechenland zu vertreten? Aber halt, die Presse spricht kaum von Abgeordneten, sie nennt diese Volksvertreter Abweichler. "... Venizelos musste noch in der Nacht sechs Abweichler aus der Fraktion ausschließen", las man da. Würde da nun zu lesen stehen, es handelte sich um sechs Abgeordnete, dann hätte das einen negativen Geschmack. Mancher intelligente Leser könnte sich dann ja fragen, wie es um die Demokratie in Griechenland bestellt ist, wenn man vom Volk gewählte Leute einfach abserviert. Abweichler liest sich doch schon viel zielgerichteter. Abweichen hört sich an wie: nicht folgen, unanständig sein, ausscheren, gebratene Extrawurst, nicht anpassungsfähig. Abweichler sind keine Menschen, die autonom handeln oder denken, sind keine Leute, die Courage haben; Abweichler sind querulantisch und egoman, sind windige Gestalten.

Begrifflich wird eine Tyrannei der Abweichlerei bemüht, um die Diktatur der Troika zu kaschieren. Nur nicht solchen Abweichlern die Möglichkeit geben, den alternativlosen Kurs zu beenden. Das alles mieft fatal stalinistisch. Abweichler sind die begrifflichen Aufweicher, die Weichmacher der Diktatur...

Die griechische Demokratie hatte vormals Defizite, alleine der Sitzebonus für den Wahlsieger ist irrational und verfälschend. Das stört die EU freilich derzeit nicht, denn das Plus an Parlamentssitze fiel den Konservativen zu, die den Kurs der Europäischen Union zu gehen versprach. Hätte nur die Linke gewonnen! Mit Hineinstoßen der Troika in innergriechische Verhältnisse ist die Demokratie dort nicht erstarkt, sondern in Schnipseln beseitigt worden. Dass nun Volksvertreter, die weitere Sparmaßnahmen nicht mehr tragen wollen, ausgeschlossen werden, dass man darüber in Europa nebensächlich berichtet, zeigt deutlich, was die europäische Zukunftsvision ist. Demokratie ist darin eine Option, eine Möglichkeit, sofern sie nicht ökonomisch aneckt. Ein Muss ist sie nicht.

Dieses Europa unter EU-Fuchtel scheint bereits zu abgestumpft zu sein, um Demokratiedefizite und -zersetzungen zu erkennen. Es nimmt hin, was es nicht zu ändern können scheint. So genannte Sachzwänge nötigen Europa Entwicklungen und Entscheidungen auf, bei denen Abweichler nicht gefragt werden können, bei denen die, die anders denken, ausgesperrt werden sollen. Man feiert die EU als ein stolzes Gebilde der Demokratiesicherung, als eine Institution, die demokratische Prozesse verfestigt - und im Namen derselben EU werfen griechische Sozialisten und Konservative Leute aus ihrer Fraktion, die mit den EU-Diktaten nicht mehr konform gehen.

Das Europa der Konzerne nimmt die Demokratie hin, solange sie Profite ermöglicht, solange sie nicht im Weg herumsteht. Das Europa der Konzerne ist jederzeit bereit, sich pragmatisch von ihr zu trennen, wenn es notwendig erscheint. Das ist die einzige Lehre der Euro-Rettung. Je mehr die Sachzwänge über Europa gestülpt werden, desto mehr werden wir von Abweichlern lesen, die man aussortiert hat. Das werden sie jedoch weiterhin Demokratie nennen - als Reminiszenz an längst vergangene Tage.



6 Kommentare:

Lutz Hausstein 12. November 2012 um 12:49  

Wie sagte schon Admiral-General Aladeen so treffend?

Was habt ihr gegen Diktaturen? Der gesamte Reichtum des Landes könnte 1 Prozent der Bevölkerung gehören. Ihr könntet euren reichen Freunden helfen, indem ihr deren Steuern senkt und sie unterstützen, wenn sie sich an den Börsen verzockt haben. Ihr könntet den Wunsch der Armen nach Gesundheitsfürsorge ignorieren. Eure Medien könnten vortäuschen frei zu sein, würden aber im geheimen von einer Familie geführt. Ihr könntet ausländische Gefangene foltern. Ihr könntet Lügen erfinden, um Kriege anzufangen. Ihr könntet eure Gefängnisse mit einer bestimmten Ethnie füllen und keiner würde sich darüber beschweren. Ihr könntet die Menschen mithilfe der Medien so verängstigen, dass sie eine Politik unterstützt, die nicht einmal ansatzweise ihre Interessen vertritt.*

* nichtauthorisierte Mitschrift der Rede Admiral-General Aladeens vor den Vereinten Nationen

Anonym 12. November 2012 um 15:29  

Anmerker meint:
Tja und dazu wurde ja der Friedensnobelpreis für die EU passgenau verliehen. Dynamit zur Herstellung von Friedhofsruhe, damit das Kapital ungestört seinen explosiven Kurs gewinnbringend weiter verfolgen kann. Da knallen doch die Sektkorken und nicht nur die!

Anonym 12. November 2012 um 16:42  

Zum Demokratieabbau ist hier viel gesagt.
Die Richtung ist festgelegt. Voran das griechische Volk soll ausgehungert werden. Dann kommen die übrigen europäischen Völker. Alles unter dem "Sachzwang" bzw. der Euro muß gerettet werden - Menschen brauchen dann wohl nicht mehr gerettet zu werden.
Wann kommt der Tag, an dem die Menschen begreifen, daß Reichtum mehr bedeutet als viel Geld ? Wann wird endlich klar, dass Diktaturen, egal welcher Art, immer zur unmenschlichen(barbarischen) Unterdrückung der Völker führen ?

maguscarolus 12. November 2012 um 17:59  

In Massen hätten wir verhungerte und im Winter erfrorene Arme auch in Deutschland, wenn nicht die Besorgnis da wäre, dass dann doch mal Vielen die Scheuklappen abfallen.

Fazit: Zuerst müsste die verfasste Infrastruktur so weit entdemokratisiert werden, dass die "Eliten" von demokratischen Prozessen nicht mehr behelligt werden können.

So weit ist es in Deutschland noch nicht, aber bei einer derart verschlafenen und verblödeten Bevölkerung ist nicht auszuschließen, dass es so weit kommt, bevor signifikante Mehrheiten davon etwas merken.

Anonym 12. November 2012 um 22:18  

Schon wieder so ein Begriff, der mir beweist wie nah sich doch eigentlich todfeindliche Ideologien sind:

"Abweichler"?

Die gab es schon in der alten UDSSR, der ehemaligen DDR bzw. dem Ostblock, und wie man da mir "Abweichlern" verfuhr ist in Zeiten neoliberaler Geschichtslosigkeit in Vergessenheit geraten - Die Troika arbeitet daran dies mit anderen ideologischen Vorzeichen wiederzubeleben.....welch Ironie der Geschichte.....eine totalitäre Diktatur abgewählt, um über die Hintertür eine andere zu bekommen -nur diesmal eben eine kapitalistisch-neoliberale statt einer autoritär-sozialistischen.....

Gruß
Bernie

Reinard 12. November 2012 um 23:15  

Der letzte Absatz erklärt doch alles. Wir müssten also nur noch die Menschen finden, die das noch lesen und begreifen können. Das wird immer schwieriger...

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