Abschreckend sozial

Dienstag, 13. November 2012

Die FDP feierte sich letzte Woche als Partei sozialen Ausgleiches. Sie erklärte diesen sozialen Ansatz damit, dass sie sich für eine Abschaffung der Praxisgebühr aussprach. Zehn Euro pro Quartal ist der FDP ein sozialer Anstrich schon wert. Es ist für sie eine Investition, die ihr nicht schwerfällt, denn sie sieht die Praxisgebühr ohnehin für gescheitert an. Sie habe nie erfüllt, was man sich von ihr versprochen habe, denn sie hat nicht ausreichend vor Arztbesuchen abgeschreckt. So sagte das jedenfalls irgendein FDP-Landesminister nach dem sozialen Entschluss. Eine Erklärung, die deutlich macht, welches soziale Herz in der Brust dieser Partei pocht.

"Wie viel Bekenntnis zum Sozialstaat steht etwa hinter Aussagen wie beispielsweise jener, dass die Praxisgebühr gescheitert sei, weil sie leider keine abschreckende Wirkung gezeigt hätte? Ist es etwa sozialstaatlich, Patienten vorm Arzt zurückschrecken zu lassen? Und was schlussfolgert man daraus? Etwa höhere Gebühren, die effektiver verschrecken sollen? Eine Rechnung für jeden Arztbesuch? Wäre das der Krankenschreck schlechthin? [...] Wird erst mal mit abschreckenden Wirkungen über Patienten verfügt, so ist es um den Gehalt von Demokratie und Sozialstaat schlecht bestellt. Zum Arztbesuch ermuntern - das wäre sozial, das würde Verantwortung zeigen! Aber Erkrankte abschrecken - das ist, wie gesagt, rüpelhaft und verantwortungslos", schrieb ich vor etwa zwei Jahren in meinem Essay Worte.

Klar, sie haben die Gebühr nicht erhöht, so wie es mir im obigen Text schwante, sie sind gegenteilig von ihr abgefallen. Aus taktischen Gründen. Nichtsdestotrotz machen sie eine verbitterte Miene, sind sichtlich enttäuscht, weil sie nicht so wirkte, wie sie sich das vorgestellt hatten. Kranke vom Gesundheitswesen fernzuhalten ... oder halt, seien wir doch mal detailverliebter, sagen wir es richtig: Arme Kranke vom Gesundheitswesen fernzuhalten, das war die Absicht. Nun war die Gebühr ein Rohrkrepierer.

"Das Schlechte und Verhindernswerte, das Verbrechen, bedarf der Abschreckung - wenn Patienten abgeschreckt werden sollen, konnotiert man sie mit dem Schlechten und Verhindernswerten. Nicht die Krankheit soll verhindert werden, sondern der Kranke. Plötzlich sitzen die Abgeschreckten im gleichen Boot. Der Verbrecher wird nicht Patient, aber der Patient wird unterbewusst zum Verbrecher. Krankheit als Verbrechen! Krankheit als Schuldfrage! Willkommen im Mittelalter, in dem Krankheit als Strafe, Gesundheit als Bedrohung über einen kam. Dies lässt sich auch etymologisch zurückverfolgen: Das etwas aus der Mode gekommene Synonym für Qual oder Leid, das Wörtchen 'Pein' (englisch pain, spanisch pena, französisch peine), es entstammt dem lateinischen poena, 'der Schuld'. Der von Schmerz, Übelkeit, Fieber Gepeinigte, er trägt die Schuld also schon begrifflich mit sich herum. Abschreckende Wirkungen besinnen sich dieser Wortherkunft ...", schrieb ich damals weiter.

Obgleich die FDP die generöse Sozialpartei mimt, schlägt doch ihre Weltanschauung hervor. Es läßt sich nicht leugnen, nicht verbergen. Man kann einem Schimpansen Hosen anziehen und ein Hemd überwerfen, er bleibt doch immer ein Schimpanse. Wenn diese Partei ihre wichtigtuerischen Minister auflaufen läßt, die einheitlich die fehlende abschreckende Wirkung bedauern, unter der die Praxisgebühr litt, dann zeigt sie sehr genau die soziale Beschaffenheit, mit der sie nun vorgibt, eine Partei für die Menschen sein zu wollen.

Die Abschaffung ist insofern nicht als Erleichterung für die Bürger gedacht, sondern als Beendigung eines erfolglosen Konzepts, das dafür ersonnen wurde, kranke und sieche Menschen mit ihrer Not alleine zu lassen. Und das verkauft die FDP als soziales Gewissen. Ich nannte das im damaligen Essay "ein schamloses Gemeinwesen, das seine Kranken abzuschrecken versucht" - die FDP ist der offizielle Vertreter dieser Schamlosigkeit. Auch wenn sie momentan versucht, dieses Weltbild bis zur nächsten Wahl nicht zu sichtbar zu vertreten ...



15 Kommentare:

MKM 13. November 2012 um 07:16  

Hallo

Ich meine ich habe in einem Nebensatz in den Medien gehört, das die Praxisgebühr mit Steuermitteln den Krankenkassen auch nach der Abschaffung weiterhin gezahlt wird..

baum 13. November 2012 um 07:29  

Die Praxisgebühr >habe nie erfüllt, was man sich von ihr versprochen habe, denn sie hat nicht ausreichend vor Arztbesuchen abgeschreckt.<

Toller Satz, der die Gesinnung dieser Partei auf hervorragende Weise verrät.

Man wollte also Menschen, denen 10.-- Euro wehtun, weil sie arm sind, vom Arztbesuch abhalten.
hahahahaha

ninjaturkey 13. November 2012 um 07:30  

»...Auch wenn sie momentan versucht, dieses Weltbild bis zur nächsten Wahl nicht zu sichtbar zu vertreten ...«

Nur darum geht es, sich über die nächste Wahl zu retten und danach mit mehreren Jahren "demokratischer Legitimation" unter den Füßen neue Repressionen auszubrüten. Der deutsche Michel und seine Frau sind ja hinreichend dement um ihnen dann vor der übernächsten Wahl wieder ein paar Brosamen hinzuwerfen und das Spiel von vorn zu beginnen.
Die politische Fixierung allein auf die nächste Wahl sieht man u.a. auch an Verkehrsrowdy Ramsauer. Focus Online (die ich sicherlich nicht gewohnheitmäßig lese) schreibt:

»...Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer legt seine Pläne für eine Pkw-Maut auf Eis. Vor der Bundestagswahl 2013 sei mit dieser Abgabe für Autofahrer nicht zu rechnen...«

Also danach mit Sicherheit. Bis dain wird der Plan nicht begraben, sondern "auf Eis gelegt" mithin also bis zu Zeitpunkt der Durchsetzung frisch gehalten.

Diese Wahlfixierung zeigt die ausschließliche Fixierung auf den Machterhalt und den fehlenden Willen zur gesellschaftlichen Auseinandersetzung zu den wichtigen Fragen besser als alles andere.

Anonym 13. November 2012 um 08:54  

Die Praxis gebühr hat durchaus erreicht, dass Menschen seltener zum Arzt gingen, allerdings trifft das nur auf die Ärmeren zu. Bei den anderen hat die Praixgebühr genau das Gegenteil erreicht von dem, was man wollte. Patienten bezahlt haben, haben dies dann eher wie eine Flatrate betrachtet, sodass Arztbesuche sogar zunahmen. Unser Gesundheitssystem ist einfach vollkommen verkorkst und ich sehe niemanden, der daran wirklich etwas ändern wollte.

Gruß Jule

Jutta Rydzewski 13. November 2012 um 11:29  

Wenn "Gelb" vom sozialen Ausgleich spricht, ist, richtig hingeschaut, der blanke Zynismus nicht mehr fern. Das wird auch mal wieder an der gelben Begründung für die Abschaffung der Praxisgebühr deutlich. Wenn ich allerdings an die "innovative" Idee des so genannten Pflegeexperten der "christlichen" Partei, Willi Zylajew, denke, der Pflegebedürftige ins billigere Ausland abschieben will, steht die "schwarze" Menschenverachtung der "gelben" in nichts nach. Aber auch über den abscheulichsten geistigen Unrat, wird sich in diesem kranken Land, was täglich kränker wird, gar nicht mehr aufgeregt. Frei nach Wilfried Schmickler: “Dat is doch normaal”. Über Zynismus, Rassismus, Faschismus und pure Menschenverachtung, vielleicht, wenn überhaupt, ein kleiner Artikel, die systemischen, regierungsamtlichen Öffentlich-Rechtlichen haben über diesen "Vorschlag" m.W. gar nicht berichtet, und das war es dann auch schon. Schnell vergessen bzw. alles normal. Mich hat dieser angedachte "Export" von "nutzlosen" und "teuren" Pflegebedürftigen, Alten und Kranken, an ein Szenario vor einigen Jahrzehnten erinnert: Großer Sammelplatz, die Betroffenen "fahren" in ihren Rollstühlen vor, auf eine Art Rampe, und warten auf die Waggons mit denen sie in den Osten transportiert werden. ... Alles schon wieder normal!? Ich verstehe einfach nicht, warum so ein Wlli Zylajew nicht sofort als Pflegeexperte rausgeschmissen wird. Wie kann eine derartige Type, in einer sich christlich nennenden Partei, überhaupt Pflegeexperte sein. Alles normal!? Ich verstehe auch nicht, warum z.B. ein gewisser Helmut Schmidt, der ja vorgeblich so hochverehrt ist, anstatt ständig über die allmächtigen Märkte und China zu schnaseln, zur Abwechslung z.B. nicht mal diese unglaubliche Menschenverachtung beim Namen nennt, zumal er doch selbst pflegebedürftig ist und im Rollstuhl sitzt. Offensichtlich ist das tatsächlich alles schon normal. Ist Wert, weniger Wert, gar nix Wert, Unwert, auch schon wieder oder immer noch normal? Genauso wie nix gesehen, nix gemerkt, nix gehört, nix gewusst? Aber sicher doch, denn jeder ist schließlich seines Glückes Schmied, bzw. jeder kann es schaffen, wie es die "freie-Märkte-Religion" verheißt. Klar, kann es jeder schaffen ... bis auf die Rampe, oder zumindest unter die nächste Brücke.

Übrigens, lieber Roberto, Ihr Hinweis auf Ihr Büchlein - Auf die faule Haut - möchte ich dick unterstreichen. Das Kapitel, Worte, in dem ich besonders immer wieder gerne "stöbere", passt gut zum Thema.

Zum Schluss für alle Zylajews, einschließlich geistloser Mitstreiter, aus dem Talmud:

Achte auf Deine Gedanken, denn sie werden Worte. Achte auf Deine Worte, denn sie werden Handlungen. Achte auf Deine Handlungen, denn sie werden Gewohnheiten. Achte auf Deine Gewohnheiten, denn sie werden Dein Charakter. Achte auf Deinen Charakter, denn er wird dein Schicksal. ...

mfg
Jutta Rydzewski

Anonym 13. November 2012 um 12:05  

Kranke vom Gesundheitswesen fernzuhalten? Das finde selbst ich als FDP-Hasser an den Haaren herbeigezogen. Man muss nicht auf diese Weise einen Prügel herbeireden, wo es doch genug unzweiffellose gibt, die man gegen die Partei verwenden kann.
Es ist das gleiche wie mit "Schutzgebühren" für Broschüren - ein kleiner Obolus, um Leute davon abzuhalten, sie umsonst mitzunehmen, obwohl sie sie gar nicht brauchen.
Natürlich kann man auch dies so auslegen, dass dadurch Leute ausgeschlossen werden sollen, die die Information darin dringend bräuchten.
Aber diese Zurechtlegung geht einfach zu weit.

ad sinistram 13. November 2012 um 13:37  

@ anonym von 12:05 Uhr:

Ja, geht alles zu weit. Diese Leute sprechen ernsthaft von "abschreckender Wirkung" und wer eins und eins zusammenzählen kann und die Gesundheitsprogramme des Thatcherismus und der Reaganomics kennt, der weiß, wie abschreckende Wirkungen gemeint sind. Das mit Broschüren zu vergleichen, gleicht einem geistigen Offenbarungseid.

Anonym 13. November 2012 um 15:31  

Die FDP ist wie eh und je von allen Parteien diejenige des Nichtsozialen bis hin zur Partei der asozialen Arroganz, man denke nur an Kraftausdrücke wie "Partei der Besserverdienenden" und "spätrömische Dekadenz".

Anonym 13. November 2012 um 15:42  

Ich habe das Argument der FDP - man wolle vor Arztbesuchen abschrecken -nie wirklich verstanden.

Die Ärzte und die Apotheker sind doch das typische Klientel der FDP und ausgerechnet diese Interessensgemeinschaft will dafür sorgen, dass weniger "Kunden" kommen und somit weniger Geld verdient wird? ....rofl...

Anonym 13. November 2012 um 17:17  

Anmerker meint:
Ein Problem bei diesem "liberalen" Häuflein Elend liegt M.E. darin, dass die immer wieder zum für die Wirtschafteliten richtigen Zeitpunkt von den Leitmedien wie BILD und folgsam nachtrabend den Mainstreammedien "hof-fähig" gemacht werden und dann den verwirrten WählerInnen wieder wählbar resp. unentbehrlich erscheinen. Dennoch ist nichts hilfreicher als stete Aufklärung, gemäß dem alten Spruch: Steter Tropfen höhlt den Stein. Also weiter höhlen, lieber Roberto.

Anonym 13. November 2012 um 21:18  

Dieser anonyme Mensch der heute Mittag hier kommentiert hat, lebt hinter dem Mond. An den Haaren herbei gezogen ist nur der Unsinn den er verbreitet. FDP-Hasser jaja lach!!

Trojanerin 14. November 2012 um 00:28  

Wenn ein FDP-Politiker davon spricht, dass die Praxisgebühr nicht ausreichend vor Arztbesuchen abgeschreckt hat, dann bekomme ich Angst.

Mir fallen auch gleich eine Reihe anderer Maßnahmen ein, die vielleicht besser abschrecken könnten

Die Realität ist doch in vielen Fällen noch zynischer als die Äußerungen irgendwelcher FDPler. Kranke Menschen werden von ihren Krankenkassen „gebeten“, darüber nachzudenken, die Krankenkasse zu wechseln.
Solch ein Anruf von einem Krankenkassenmitarbeiter hebt die Stimmung sicher ungemein, wenn man sich mit einer Erkrankung beschäftigen muss.
Andere sprechen davon, Pflegebedürftige in Länder zu verbringen, wo die Pflege kostengünstiger erbracht wird. Die Slowakei wurde, glaube ich, genannt.
Das ist wirklich eine großartige Idee. Wer möchte nicht im Alter möglichst weit weg von den Menschen aus seinem bisherigen Umfeld versorgt werden. In den slowakischen Heimen leben dann die Menschen aus Deutschland und die slowakischen Pflegebedürftigen gehen dann noch weiter ostwärts, weil die Heime in ihrem Land zu teuer und außerdem von deutschen Pflegebedürftigen belegt sind.

Wie nennt man das?
Globalisierung? Neoliberalismus? menschenverachtend?

Anonym 14. November 2012 um 19:41  

Immer und immer wieder outen sich diese asozialen Gangster von der FDP als absolute Menschenfeinde. Mit ihrem sozialfaschistoiden Gedankengut, das von der Systempresse mundgerecht zubereitet in typischer Werbemanier unters Volk gebracht wird, sind sie weit schlimmer als das Dumpfbackengesindel von der NPD. Bevor diese im Vergleich zu den Kubickis/Brüderles/Röslers/Niebels geradezu harmlosen Spinner als Partei verboten wird, sollte man in allererster Linie darüber nachdenken, wie man die FDP praktisch als Synonym für Verfassungsfeindlichkeit zu verbieten !

Anton Chigurh

Anonym 14. November 2012 um 20:15  

...denn man hat sie nicht ausreichend vor Arztbesuchen abgeschreckt.

Dieser Satz hat mich dermaßen an das dritte Reich erinnert, daß ich allein hierdurch schockiert war.

Eine Partei in der ein Mitglied so etwas äußert ist zum kotzen...

Klaus Annuß 15. November 2012 um 19:08  

Die abschreckende Gebühr wurde von der Schröder/Fischer-Regierung ins Sozialgesetzbuch geschrieben. Es ging dabei nicht um Abschreckung (Regierungspropaganda), sondern um die Senkung der "Lohnnebenkosten" für das Kapital. Teilten sich die Sozialbeiträge Arbeitnehmer und Arbeitgeber paritätisch, so wurden nun die Kranken zusätzlich an den Krankheitskosten beteiligt, Arzneimittel-, Heilmittel, Krankenhaus-, Kurzuzahlung. Die Pflegeversicherung wird nur von Arbeitnehmern bezahlt, dafür wurde der Buß- und Bettag als Feiertag abgeschaft. Das Ziel ist die vollständige Entlastung des Kapitals von den Sozialkosten. Dieses Ziel vertreten fast alle Parteien in dieser Republik. Deshalb werden scheibchenweise die solidarischen Sozialkassen vor die Wand gefahren, damit die Privatisierung des Sozialen, Kranken- und Rentenversicherung, ohne grossen Widerstand umgesetzt werden kann. Es macht mich immer wieder wütend, dass SPD und Grüne hier die Steigbügelhalter für die Abschaffer der Sozialkassen sind.

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