Armut findet in der Postdemokratie nicht statt
Donnerstag, 1. November 2012
Romney habe letzthin behauptet - bei einem der Phrasenduelle mit Obama war es -, dass er die Mittelschicht entlasten wolle. Das hat ihm Lob eingebracht, auch bei der hiesigen Presse. Er habe damit kundgetan, dass es ihm nicht ausschließlich um die Oberschicht gehe, aus der er selbst kommt. Natürlich ergreift in diesem Wahlkampf, wie nirgends in der westlichen Welt, niemand Partei für die, die man als Unterschicht bezeichnen könnte; für diejenigen, die dem Mantra Wir sind alle Mittelschicht! nicht nachkamen, die jämmerlich krepiert sind auf ihren Weg in die Mitte, gibt es selbst in Zeiten dicker Versprechungen, im Wahlkampf also, keine Hoffnungsfunken - klassischer gesagt, niemand übernimmt Verantwortung für die, die im relativen Elend leben. Dass der US-Wahlkampf keine Rücksicht auf die nimmt, die qua ihres sozialen Standes Hilfe benötigen, ist der übliche Schmu der Veranstaltung. Hierzulande ist das nicht anders.
Wann haben wir zuletzt erlebt, dass eine der etablierten Parteien erklärte, sie wolle die Situation der Arbeitslosen und Arbeitsunfähigen verbessern? Das kündigt nur Die Linke an und erntet dafür die Verachtung des Establishments. Alle Politik in der westlichen Welt und in jenen Landstrichen, in denen der furor neoliberalis raste, hat sich davon verabschiedet, denjenigen Klassen, denjenigen sozialen Schichten ein besseres Leben zu ermöglichen, die ganz unten angelangt sind. Denn diejenigen, die aus der Mittelschicht herausfallen oder nie drin waren, existieren nicht mehr. Als Witzfiguren im TV schon, auch als Wutentflammer in Zeitungsberichten - politisch sind sie aber tot. Wer sich ihrer politisch annimmt, landet in der Bedeutungslosigkeit - die Diktatur der Mittelschicht verübelt es einem sehr, wenn nicht sie umworben wird, sondern all die Untermenschen, denen man die Armut als selbstverantwortlichen Fehltritt anhängt.
Dass man die südamerikanische Haltung gegen den Neoliberalismus, die dort unter dem Namen bolivarianische Revolution bekannt ist, im Westen so verächtlich macht, liegt auch daran, dass sie sich auf die Massen verarmter, unterpriviligierter Menschen stützt. Der Bolivarianismus war kein Putsch, sondern wurde an den Urnen entschieden - sieht man mal von Kuba ab, das man zur Anti-Washington-Consensus-Achse hinzuzählt - und das unmöglich wahltechnisch veränderbar gewesen wäre; in Venezuela, Bolivien und Ecuador gelangten Personen in Machtpositionen, die nicht nur Reformen zur Besserstellung versprachen, sondern diese auch, indem man sich von den Vereinigten Staaten löste, realpolitisch umsetzte.
Der Westen hat kein Problem mit Chavez, weil er mit dem typischen Machismo jener Weltgegend auftritt, die Berichte über seine Diktatur, sein Endlosmandat und Wahlmanipulationen sind Legende. Ein Putsch vor Jahren blieb von kurzer Dauer, endete damit, dass ihm seine Descamisados ins Amt zurückpressten. Dasselbe gilt für Morales, den man einen Enteigner nennt, der aber auch an die Macht gelangte, weil er einen Gegenentwurf zum asozialen Imperialismus des Westens aufbauen wollte, einen, in dem die Menschen seines Landes nicht die Verfügungsmasse höherer Interessen sind, sondern Subjekte mit Menschenrechten. Es sind Märchen, die über das linksfaschistische Südamerika erzählt werden. Man hat ein Problem damit, dass da jemand Politik betreibt, die für die Armen eintritt - das kommt nämlich im Westen gar nicht mehr vor, man ist dort darüber hinweg.
Der Bolivarianismus hat die Ressourcen des Landes der Allgemeinheit zurückgegeben. Die erzielten Mittel wandern in Sozial- und Bildungsprogramme. Unter Chavez steigt die Alphabetisierungsrate; die schlimmste Armut wird gelindert - aber es bleibt noch viel zu tun, wie Tariq Ali berichtet. Dennoch sind Fortschritte zu spüren und die ökonomisch Benachteiligten merken, dass es Verbesserungen für sie gibt. Natürlich ist die Frage berechtigt, was nach dem Erdöl kommt. Bricht der Bolivarianismus zusammen? Danach Schocktherapie mit Sozialabbau und Privatisierungen? Daran muss die südamerikanische Auflehnung gegen den Neoliberalismus heute arbeiten - sie darf nicht nur als Ressourcenlieferant ihren Widerstand finanzieren, sie muss autark genug werden, sich selbst zu stützen.
Bekennt sich heute noch jemand dazu, der personalisierten Armut unter die Arme greifen zu wollen? Das bedeutete auch, Vermögenssteuer einzuführen, Spitzensteuersätze hochschrauben, Unternehmens- und Körperschaftssteuer auf ein vernünftiges Maß zurückzuführen. Wer die Armen zum Gegenstand seiner Politik macht, wer ihnen helfen will, der disqualifiziert sich bei denen, die nicht arm sind. Nicht nur bei den Reichen, sondern auch bei den Mittelschichtsmenschen, die stets erklärt bekommen, dass sie für alles zahlen müssten. Nicht nur für vernünftige Dinge wie Straßen und Polizisten, sondern auch für so unvernünftige Einrichtungen wie Arbeitslosen- oder Krankengeld. Wer wie Die Linke die Unterschicht als Basis ins Boot holt, bekommt insofern auch die kalte Wut dieser Ausgebeuteten und Beraubten aus der Mitte zu spüren. Und man bekommt intellektuelle Vorwürfe zu hören, wie jenen, es handle sich bei dieser Methode um dumpfen und machtversessenen Bonapartismus, der das Lumpenproletariat einsammelt, nur um zur Macht zu gelangen - wohlweislich wird dabei unterschlagen, dass die marxistische Analyse durchaus nachvollziehbar offenlegte, dass eben jener Bonapartismus nicht als die Urform humanistischer Gesellschaftsentwürfe, sondern als die des Faschismus anzuerkennen ist.
Ist es nicht das Wesen der Politik, das Zusammenleben zu regeln? So zu regeln, dass diejenigen, die aus etwaigen Gründen benachteiligt werden, dennoch ein Leben führen können, das als lebenswert zu bezeichnen ist? Um wen, wenn nicht um die, die wenig haben, nicht weiterkommen, denen das Leben Strapaze und Existenzangst ist, sollte sich denn Politik sonst kümmern? Bedeutet Demokratie nicht, dass diese Menschen alle Möglichkeiten haben sollten, ihre Interessen in den Diskurs zu werfen? Wie demokratisch ist es, wenn man unumwunden so tut, als gäbe es Interessen von denen da unten gar nicht?
In postdemokratischen Zeiten ist die politische Solidarität und ein hoffnungsfroher Ausblick für die ökonomisch Niedergehaltenen ein Frevel. Postdemokratie will Rituale, die sich darauf erstrecken, hin und wieder Reformen zu versprechen, das Leben einer Klientel zu erleichtern. Das sind meist Sonntagsreden, die von den Medien gleichgeschaltet zu Bekenntnissen hochstilisiert werden. In der Postdemokratie, dem politischen System der nivellierten Mittelstandsgesellschaft, nach Schelsky, ist es Populismus, Arme politisch anzusprechen - es ist jedoch kein Populismus, der Mittelschicht den Bauch zu pinseln.
Wann haben wir zuletzt erlebt, dass eine der etablierten Parteien erklärte, sie wolle die Situation der Arbeitslosen und Arbeitsunfähigen verbessern? Das kündigt nur Die Linke an und erntet dafür die Verachtung des Establishments. Alle Politik in der westlichen Welt und in jenen Landstrichen, in denen der furor neoliberalis raste, hat sich davon verabschiedet, denjenigen Klassen, denjenigen sozialen Schichten ein besseres Leben zu ermöglichen, die ganz unten angelangt sind. Denn diejenigen, die aus der Mittelschicht herausfallen oder nie drin waren, existieren nicht mehr. Als Witzfiguren im TV schon, auch als Wutentflammer in Zeitungsberichten - politisch sind sie aber tot. Wer sich ihrer politisch annimmt, landet in der Bedeutungslosigkeit - die Diktatur der Mittelschicht verübelt es einem sehr, wenn nicht sie umworben wird, sondern all die Untermenschen, denen man die Armut als selbstverantwortlichen Fehltritt anhängt.
Dass man die südamerikanische Haltung gegen den Neoliberalismus, die dort unter dem Namen bolivarianische Revolution bekannt ist, im Westen so verächtlich macht, liegt auch daran, dass sie sich auf die Massen verarmter, unterpriviligierter Menschen stützt. Der Bolivarianismus war kein Putsch, sondern wurde an den Urnen entschieden - sieht man mal von Kuba ab, das man zur Anti-Washington-Consensus-Achse hinzuzählt - und das unmöglich wahltechnisch veränderbar gewesen wäre; in Venezuela, Bolivien und Ecuador gelangten Personen in Machtpositionen, die nicht nur Reformen zur Besserstellung versprachen, sondern diese auch, indem man sich von den Vereinigten Staaten löste, realpolitisch umsetzte.
Der Westen hat kein Problem mit Chavez, weil er mit dem typischen Machismo jener Weltgegend auftritt, die Berichte über seine Diktatur, sein Endlosmandat und Wahlmanipulationen sind Legende. Ein Putsch vor Jahren blieb von kurzer Dauer, endete damit, dass ihm seine Descamisados ins Amt zurückpressten. Dasselbe gilt für Morales, den man einen Enteigner nennt, der aber auch an die Macht gelangte, weil er einen Gegenentwurf zum asozialen Imperialismus des Westens aufbauen wollte, einen, in dem die Menschen seines Landes nicht die Verfügungsmasse höherer Interessen sind, sondern Subjekte mit Menschenrechten. Es sind Märchen, die über das linksfaschistische Südamerika erzählt werden. Man hat ein Problem damit, dass da jemand Politik betreibt, die für die Armen eintritt - das kommt nämlich im Westen gar nicht mehr vor, man ist dort darüber hinweg.
Der Bolivarianismus hat die Ressourcen des Landes der Allgemeinheit zurückgegeben. Die erzielten Mittel wandern in Sozial- und Bildungsprogramme. Unter Chavez steigt die Alphabetisierungsrate; die schlimmste Armut wird gelindert - aber es bleibt noch viel zu tun, wie Tariq Ali berichtet. Dennoch sind Fortschritte zu spüren und die ökonomisch Benachteiligten merken, dass es Verbesserungen für sie gibt. Natürlich ist die Frage berechtigt, was nach dem Erdöl kommt. Bricht der Bolivarianismus zusammen? Danach Schocktherapie mit Sozialabbau und Privatisierungen? Daran muss die südamerikanische Auflehnung gegen den Neoliberalismus heute arbeiten - sie darf nicht nur als Ressourcenlieferant ihren Widerstand finanzieren, sie muss autark genug werden, sich selbst zu stützen.
Bekennt sich heute noch jemand dazu, der personalisierten Armut unter die Arme greifen zu wollen? Das bedeutete auch, Vermögenssteuer einzuführen, Spitzensteuersätze hochschrauben, Unternehmens- und Körperschaftssteuer auf ein vernünftiges Maß zurückzuführen. Wer die Armen zum Gegenstand seiner Politik macht, wer ihnen helfen will, der disqualifiziert sich bei denen, die nicht arm sind. Nicht nur bei den Reichen, sondern auch bei den Mittelschichtsmenschen, die stets erklärt bekommen, dass sie für alles zahlen müssten. Nicht nur für vernünftige Dinge wie Straßen und Polizisten, sondern auch für so unvernünftige Einrichtungen wie Arbeitslosen- oder Krankengeld. Wer wie Die Linke die Unterschicht als Basis ins Boot holt, bekommt insofern auch die kalte Wut dieser Ausgebeuteten und Beraubten aus der Mitte zu spüren. Und man bekommt intellektuelle Vorwürfe zu hören, wie jenen, es handle sich bei dieser Methode um dumpfen und machtversessenen Bonapartismus, der das Lumpenproletariat einsammelt, nur um zur Macht zu gelangen - wohlweislich wird dabei unterschlagen, dass die marxistische Analyse durchaus nachvollziehbar offenlegte, dass eben jener Bonapartismus nicht als die Urform humanistischer Gesellschaftsentwürfe, sondern als die des Faschismus anzuerkennen ist.
Ist es nicht das Wesen der Politik, das Zusammenleben zu regeln? So zu regeln, dass diejenigen, die aus etwaigen Gründen benachteiligt werden, dennoch ein Leben führen können, das als lebenswert zu bezeichnen ist? Um wen, wenn nicht um die, die wenig haben, nicht weiterkommen, denen das Leben Strapaze und Existenzangst ist, sollte sich denn Politik sonst kümmern? Bedeutet Demokratie nicht, dass diese Menschen alle Möglichkeiten haben sollten, ihre Interessen in den Diskurs zu werfen? Wie demokratisch ist es, wenn man unumwunden so tut, als gäbe es Interessen von denen da unten gar nicht?
In postdemokratischen Zeiten ist die politische Solidarität und ein hoffnungsfroher Ausblick für die ökonomisch Niedergehaltenen ein Frevel. Postdemokratie will Rituale, die sich darauf erstrecken, hin und wieder Reformen zu versprechen, das Leben einer Klientel zu erleichtern. Das sind meist Sonntagsreden, die von den Medien gleichgeschaltet zu Bekenntnissen hochstilisiert werden. In der Postdemokratie, dem politischen System der nivellierten Mittelstandsgesellschaft, nach Schelsky, ist es Populismus, Arme politisch anzusprechen - es ist jedoch kein Populismus, der Mittelschicht den Bauch zu pinseln.
19 Kommentare:
Sehr gut beschrieben, diese Seuche des Neoliberalismus.
Die (aus)führenden Organe sind hierbei die Medien und diese marktkonforme, demokratiefeeindliche Politik wird von Großkonzernen mit dem dahinterstehenden Kapital gelenkt. - Was interessiert Institutionen(Konzerne) arme, kranke und damit hilfsbedürftige Menschen ?
Sie gehören aber nunmal zu jeder Gesellschaft wie der Tod zum Leben gehört. Den Tod aber kann man nur so lange ignorieren(verdrängen) bis er eintritt. An dieser Stelle möchte ich B. Brecht zitieren: "Wenn es keine Armen gäbe, gäbe es auch keine Reichen." Hinzufügen möchte ich, daß es ein Verbrechen ist, armen und notleidenden Menschen die Schuld bzw. die Ursache hierfür anzulasten. -
Zur "Sparpolitik" möchte ich noch anfügen: "Wenn ich einem Armen sage, er soll sparen, so ist es das Gleiche, wie wenn ich einem Verhungernden sage, er soll weniger essen."
Anmerker meint:
Lieber Roberto!
Wie immer eine brillante Analyse.
Allerdings hätte ich für die Überschrift ein paar andere Vorschläge:
- Armut ist in der „Postdemokratie“ unerwünscht
- Bist Du arm – pfleg Dein Harm
- Ohne Armut geht gar nichts in der „Postdemokratie“
- Es lebe die „Mittelschicht“
- Mittig geboren – fast schon verloren
- Armut in der „Postdemokratie“ – ein Schlag ins Gesicht der Menschenwürde
-
Diese wenigen Vorschläge für einen andere Überschrift zeigen schon, worauf meine Anmerkungen/Ergänzungen hinauslaufen sollen:
- Armut ist in unserem Gesellschaftssystem, eine conditio sine qua non, denn ohne den drohenden Abstieg in selbige keine Mittelschicht, die funktioniert, wie sie das soll: angepasstes Handeln, das belohnt wird und Abstiegsandrohung für Unbotmäßigkeit
- Der Mittelschicht muss also ihre Bedeutung vorgegaukelt werden, damit sie das System weiterhin trägt
- Sie lässt sich das auch gerne vorgaukeln, weil sie nur so ihre Identität zu bewahren können glaubt
- Wie anders wär der auch bei uns grassierende Zynismus dieser Schicht zu erklären, der nach dem amerikanischen Vorbild argumentiert: Jeder ist seines Glückes Schmied oder Jede/r kann es schaffen, wenn sie/er nur will und damit alle Armut auf die individuelle Schiene schiebt und somit hilft , sie auszublenden
- Was machen also Kandidaten diesseits und jenseits des großen Ozeans, sie geben die Gaukler, um das Zirkuspublikum bei Laune zu halten: Ich glaube, so was nennt man heutzutage „zielführendes Handeln“
-
Bei all dem ist es natürlich wichtig, „Störenfriede“ auszuschalten, auf die Strafbank zu setzen. Das möglichst ohne zu viel Aufsehen. Bei uns geschieht dies, wie leider zu wenig im vorliegenden Artikel betont, dadurch, dass die Mainstreammedien, die einzige politische Kraft, die die ganze Heuchelei noch benennt, „DIE LINKE“, einfach nicht wahrnehmen, benennen, darstellen, weil es anscheinend ein herrschaftlichen Grundkonsens gibt in unserem Land gibt: „Links“, das ist Igitt. Das Schlimme an dieser Konsenshaltung ist, dass uns in diesem Zusammenhang auch die SPD vorgaukelt, sie sei für die Bedürftigen da und einen „Kanzlerkandidaten ins Rennen schickt, der als Millionär ja sicher genau weiß, was Armut bedeutet. Gauckelei(sic!) ohne Ende!
"Unser Ziel ist es, dass auch Beziehern niedriger Löhne und Gehälter aus einer legalen Beschäftigung ein existenzsicherndes Einkommen zuwächst.
Unser gesellschaftspolitisches Ziel heißt, dass die soziale Herkunft junger Menschen nicht über ihre Zukunft entscheiden darf.
[klappt nur leider bisher nicht so ganz]
Massenarbeitslosigkeit ist unerträglich und
nicht hinnehmbar.
... brauchen bessere Beschäftigungschancen für Geringqualifizierte und Langzeitarbeitslose sowie
Ältere."
Kaum zu glauben - das steht alles im Grundsatzprogramm der CDU.
Venezuela? Die schier verheerenden "Kollateralschäden", die Chávez' Massnahmen im letzten Jahrzehnt in Venezuela angerichtet haben, gehören zum Grausamsten, was auf diesem Planeten Menschen zugefügt wurde und wird.
Jeder Linke müßte da eigentlich vor Grauen zur Salzsäule erstarren und sich dann übergeben.
Die Mordrate stieg unter Chávez von 19 pro 100.000 Einwohner im Jahr 1998 auf 43 im Jahre 2006 um mehr als das Doppelte.
"Eines der größten Probleme Venezuelas ist die Kriminalität, welches sich seit Amtsantritt Chávez' noch einmal deutlich verschärft hat.
Nach UNO-Angaben hat Venezuela im Jahr 2007 die weltweit höchste Rate an Verbrechen mit Schusswaffengebrauch."
http://de.wikipedia.org/wiki/Venezuela#Sicherheit
Ähnlich wie in den USA wird auch hier die Armut der unteren Schichten immer mehr ignoriert. Der Grund: Man hat das preußische Dreiklassenwahlrecht so modernisiert, dass es ohne entsprechende Gesetzgebung auskommt. Arme haben nicht nur keine Lobby, man hat ihnen auch beigebracht, dass ihr Urnengang völlig vergeblich ist. In Amerika funktioniert das schon recht gut, zumal man sich dort registrieren muß, um wählen zu gehen. Die steigende Zahl der Nichtwähler (USA: 45%) läßt ahnen, dass es nicht die Mittel- und Oberschicht ist, welche am Wahltag zuhause bleibt...
Mit dem Begriff "Gleichschaltung" für die Medien wird die eigentlich noch schlimmere Wahrheit verdeckt, dass es eben keine Gleichschaltung ist, die von oben verordnet ist, sondern dass sie sich freiwillig auferlegt wird.
Siehe dazu auch Stefan Sasse in den Kommentaren hier:
"Gleichschaltung ist etwas anderes. Man kann sie sich nicht selbst auferlegen, sie wird auferlegt. Opportunismus ist etwas völlig anderes - und sollte entsprechend benannt werden. Bei einem Drittel abweichender Meinungen noch von Gleichschaltung zu sprechen ist absurd. In der gleichgeschalteten Welt gibt es keine Abweichungen."
http://oeffingerfreidenker.blogspot.de/2012/08/darf-man-begriffe-benutzen-die-bisher.html
Das eine: der unten gehaltene Mensch muss, wenn er schon befördert werden muss, dann zur Artikulationsfähigkeit befördert werden. Er braucht keine Almosen, er braucht lebbare Freiheit. Daran muss sich der Westen abarbeiten: seit 2500 Jahren ist er der Meinung verfallen, so oder so weste eine Wissenshierarchie die wahrer sei als eine bloße Machthierarchie und es legitimierte, von Regeln Betroffene von der Regelsetzung auszuschließen. Die andere Seite seite dieser Medaille ist der Marginalisierungsprozess, über Jahrhunderte hin bis in die psychophysischen Dispositionen hinein, der Prozess der materiellen Beraubung, die damit Hand in Hand geht und die Artikulationslosigkeit zementiert und über Generationen hin festsetzt. Dies ist die große Erbsünde, nichts anderes. Nicht dass der Aufenthalt in der Mittelschicht mehr Leben hergäbe. Natürlich nicht. Fundamental betrachtet sind sie indifferent. Nur sind wir umgeben von Illusionen, die uns beuteln können und die wir zur Gänze sind und die wir nicht ohne weiteres ablegen wie ein Paar übel riechende Socken. Dieser weg, der Weg der Entschälung von Illusionen ist ein gangbarer Weg, aber ein schwieriger und wenig entfalteter. Vielleicht wäre er den Unterdrückten ein Weg. Derweil setzt man traditionell auf das Gegenteil: nicht der Schritt zurück, der psychophysische Entzug der Anerkennung der Ordnung, sondern der Schritt nach vorn, der Kampf gegen die Ordnung. So bilden sich immer neue Kampfeshierarchien, mal auf dieser und dann auf jener Seite. Und daran nagen alle vom unteren Ende der Mittelschicht hinauf bis ganz nach oben. Man braucht boden, auf dem man stehen kann. Dort oben bilden sich alle möglichen Gestalten aus: der rücksichtslose Ausbeuter, der prätentiöse Streber, der brave Bürger, der gute Gutmensch, der sich von seinen Klassengenossen abheben will durch einen Anstrich von Mitleid für die da unten. Aber das Zepter will man nicht abgeben.
Man muss sagen, dass es nicht in allen Ländern gleich ist. So kann man in südlicheren Gegenden Europas durchaus eine Unter- und Mittelschicht übergreifende Lebenshaltung erfahren, die das Hickhack auf der finanziellen Gesellschaftsleiter ohnehin für ein korruptes Lebenselement und daher für nebensächlich hält. Der Ehre tut es wenig an. Der Deutsche hingegen hat diese Projektion einer finanziellen Gesellschaftsleiter zum Lebensmittelpunkt erhoben. Von der Kaffeetasse über den Fahrstil und das dazugehörige Auto samt Wohnort bis zur Qualität der Ausscheidungen sieht er Differenzen gemäß dem Spross auf der Leiter. Hier oben kackt es sich besser, da unten stinkt es. Man muss den Europäern sagen, orientiert euch nicht an den Deutschen. Sie sind einer zwangsneurotischem Gesellschaftsfantasma verfallen. Man muss Psychohygiene betreiben.
Solch erhellende Artikel waren früher mal Aufgabe des "Spiegel" R.I.P.
Leider liest man in den "Qualitätsmedien" seit langer Zeit immer nur den selben neoliberalen M***t.
Gut, dass es Leute wie Sie gibt, Herr De Lapuente.
Herzliche Grüße!
Diese triste Situation hängt nach meiner Wahrnehmung sehr damit zusammen, dass diese ganz Armen und gänzlich Prekarisierten halt auch alles mit sich machen lassen. Wenn man (hier in Berlin) zu einer Demo gegen Sozialabbau, für Occupy oder ähnliches geht - man trifft immer nur auf Middle-Class Leute. Keine Spur von den Opfern dieser Politik. Wenn man Bekannte, die von Hartz leben müssen, auf so eine Veranstaltung hinweißt, heißt es in der Regel: Ich habe keine Zeit. Außer gelegentlichem Lamentieren nichts gewesen. Wer alles mit sich machen lässt, soll sich dann auch nicht wundern, wenn genau das passiert. Natürlich sind das meine subjektiven Erfahrungen, aber so sind sie halt.
Noch ein Nachtrag: Ein interessanter blog zum Thema: http://www.gespenst-der-armut.org/
der besondere witz an der sache ist, daß ein großteil der "mittelschicht" sich einkommensmäßig eher im bereich der "unterschicht" bewegt aber am lebhaftesten für die belange der "wahren oberschicht" kämpft. und so etwas kann nur bei einer wahrhaft meisterlichen volksverdummungsstrategie funktionieren.
@ Matthew
Genau das ist es, was Tariq Ali über die neoliberalen Systemmedien schreibt. Sie zeichnen ein Bild von Venezuela, wie es nicht statthaft ist. Alleine die Übertreibung von "verheerendsten Kollateralschäden", dann die Nennung der Mordrate - Pinochet vergessen? All die anderen Pinochetíns außenrum? Wie hat sich die Mordrate in den USA erhöht unter dem Neoliberalismus?
Erbärmlich, mit welchen Stilmitteln man unbedingt beweisen will, dass Chavéz eine Gefahr ist. Lächerlich...
ulli 1. November 2012 13:50
"Diese triste Situation hängt nach meiner Wahrnehmung sehr damit zusammen, dass diese ganz Armen und gänzlich Prekarisierten halt auch alles mit sich machen lassen."
Ja, weil verraten, verkauft, im Stich gelassen, häufig sogar noch angepöbelt von der Masse jener, die noch, festangestellt und mit Tarifvereinbarungenn einigermaßen gepampert, für das Kapital lohnknechten dürfen, dieses System so Tag für Tag reproduzieren, reproduzierend damit auch Tag für Tag alle jenen Armen, Präkarisierten, einschließlich jenes "braunen Sumpfes", wogegen sie dann als "Sozialdemokraten", "Grüne" und (meist verbeamtete) "Gewerkschafter" oder so genannte "Linke" heuchlerisch "auf die Straße" gehen.
Die Armen, die Prekarisierten, ob in Deutschland oder anderswo, wissen einfach nur zu gut, aus einfachster Lebenserfahrung, dass keine blödsinnige Herumlatscherei auf öffentlichen Plätzen mit selbstgefertigten Pappschildern und jämmerlichen bittstellerischen "Forderungen" ohne jegliches wirkliche Macht dahinter irgend etwas an ihrer Situation ändert. (ebensowenig das "Wählen" von wem auch immer.)
Sollen sie sich für alle anderen braven Bürger- und Kleinbürgerärsche zu Hohn und Spott machen?
Ebenso hätten die damals ebenfalls gesellschaftlich total stigmatisierten "Juden" oder KPDler in den 30er Jahren "auf die Straße" gehen können um "mehr Rechte" zu fordern!
Wärest du damals gern mit einem "Gelben Stern" an der Jacke oder unter einer KPD-Fahne "auf die Straße" gegangen und dir die Verachtung oder den Spott deiner "Volksgenossen" zugezogen?
Frage dich, bei schärfster Prüfung deiner mehrheitlichen heutigen "Volksgenossen", mal selbst!
MfG Bakunin
Blogger Roberto J. De Lapuente hat gesagt...
@ Matthew
"Genau das ist es, was Tariq Ali über die neoliberalen Systemmedien schreibt. Sie zeichnen ein Bild von Venezuela,"
Seit 1917 könnte jeder Mensch wissen, dass eine andere Politik, eine Politik im Interesse der Mehrheit jener Menschen, die über keinen Reichtum, keinen Besitz verfügen möglich ist, so unterschiedlich diese Politik auch unter verschiedensten historischen und geographischen, ökonomischen und nicht zuletzt militärischen(!) Bedingungen betieben wurde und in zur Zeit leider wenigen Ausnahmen noch wird.
Aufgabe der System-Medien ist es doch schon ganz logisch, diese Erkenntnis für die Massen der Beherrschten, Ausgebeuteten, ob bei uns oder anderswo, zu vereiteln, wenigstens zu vernebeln, verächtlich zu machen, den Status Quo als "gottgegeben", die "beste aller Welten" darzustellen.
Die Massenmedien sind eines von vielen Machtmitteln der heute Herrschenden und Ausbeutenden, folglich allen anderen gegenüber genuin feindliche Einrichtungen.
Hat man das einmal erkannt, kann man sich allen Ärger, alles Geschimpfe über sie ersparen.
Ärgern wir uns etwa über einen Hai, die einen kleineren Meeres- "MitbeBewohner" so ganz einfach verschlingt, oder über Anacondas?
MfG Bakunin
Neulich, in einem Gottesdienst, predigte der Pfarrer sinngemäß, dass die Armen in der Bundesrepublik zu beneiden seien, da sie nicht ständig Angst um ihren Besitz haben müssen.
Ich bin mir nicht sicher, aber vielleicht hat der das wirklich geglaubt.
Ich bin mir jedoch sicher, dass es weder Romney noch Obama in den USA noch Merkel oder Steinbrück hierzulande darum geht, die Situation der Arbeitslosen zu verbessern.
Im Gegenteil: Wir dürfen doch nicht von den Profiteuren der gesellschaftlichen Zustände erwarten, dass sie Änderungen der Verhältnisse zulassen .
„In postdemokratischen Zeiten ist die politische Solidarität und ein hoffnungsfroher Ausblick für die ökonomisch Niedergehaltenen ein Frevel.“
Alles andere wäre ja abwegig, denn erst aktiv die Menschen „ökonomisch niederhalten“ und sich dann wegen dieser Unterdrückung mit ihnen solidarisieren macht keinen Sinn.
Vielen Dank für den Text. Aber warum die Armen alles mit sich machen lassen, ist mir immer noch ein Rätsel. Allerdings gibt es in Deutschland einfach keine politische Kultur des "Links-Seins", nur eine Kultur der Scham. Lieber Uli, vielen Dank für den Hinweis auf meinen Blog! Viele Grüße
Elke
Als ehemaliger FDP und SPD- Wähler frage ich: warum wähle die "Armen" nicht die Linkspartei? Meine Frau und ich tun es seit der Agenda 2010, obwohl wir zu den Wohlhabenden im Lande gehören. Seit Schröder nimmt die SPD nicht mehr die Interessen der "Kleinen Leute" wahr. Also - warum ist die Linke so schwach?
Elke hat gesagt...
"Aber warum die Armen alles mit sich machen lassen, ist mir immer noch ein Rätsel. "
Wirklich?
MfG Bakunin
Geld bewegt die Welt, Geld regiert die Welt, heißt es. - Wie kann es sein, dass ein wenig bedrucktes Papier (bzw. Stoff) ohne nennenswerten Materialwert stärker ist als Politik, Religion, Ethik und Überzeugung? - Die Informationen, die es ermöglichen Antworten darauf zu finden sind nicht erst mit dem Internet frei verfügbar.
Es ist eigentlich ziemlich einfach. Jeder Einzelne ist wirtschaftlich tätig, wirtschaftliche Leistung wird mit Geld ausgetauscht. Vermögen wird mit Geld bewertet. Finanzen sind das stoffliche, verbindende Element zwischen allen Menschen, welche ihre materiellen Bedürfnisse nicht vollständig selbst decken wollen. Für jeden dieser Menschen ist ein Einkommen zum Leben notwendig, da er ja auch Ausgaben an Andere hat, die ebenfalls Einkommen erwirtschaften müssen. Ist das Einkommen höher als die Ausgaben kann der Einzelne durch sparen oder investieren Vermögen ansammeln. Wer kein Einkommen oder Einkommen nur in Höhe seiner Ausgaben hat ist gezwungen entweder für diejenigen mit Geld zu arbeiten, direkt für die Investoren oder indirekt für die Sparer, oder Almosen zu beziehen welche aus den Ausgaben der meisten Wirtschaftenden mit Einkommensüberschuss durch Politik, Religion und Ethik umverteilt werden. Wie kommt nun dieser starke Stoff, der scheinbar die Welt regiert, ins Dasein? - Auch das ist prinzipiell ziemlich einfach. Sinnvoll wäre es, wenn Geld direkt aus den geschaffenem wirtschaftlichen Werten entstehen würde, da es ja zum Austausch dieser Werte verwendet werden soll. Geld wird jedoch auf der Grundlage von Vermögen in einer Kettenreaktion geschaffen. Eigentümer von Banken organisieren die Vermehrung ihres Vermögens durch die Vermietung von Zahlungsmitteln. Sie vergeben Kredit durch Bilanzverlängerung. Der Kreditnehmer verpflichtet sich das kreditierte Geld in Zukunft zu tilgen und zusätzlich Zinsen auf die Kreditsumme zu zahlen. Der Schuldner wird verpflichtet eigenes Vermögen als Sicherheit zu verpfänden. Nun ist es aber heutzutage so, das nahezu alle Zahlungsmittel durch Kredite geschaffen wurden. Der darauf zu entrichtende Zins ist jedoch nicht Teil der Kreditsumme und muss zur Erfüllung der Kreditverpflichtung von anderen Kreditnehmer durch wirtschaftliche Tätigkeit beschafft werden. Zinsen können nicht getilgt, sondern nur durch neue Kredite refinanziert werden. Dadurch bleibt Geld knapp unabhängig von der Geldmenge. Die Knappheit allein, besser: das Rechte Maß, ist sinnvoll für Wertstabilität der Währung, nur für die Weiterverwendung Zins zu verlangen ist falsch. Die Kreditsummen vergrößern die Handelskapazität der Märkte. Als Nebeneffekt entsteht dadurch die Abhängigkeit der Marktteilnehmer vom Cash-Flow. In den Marktpreisen sind die Zinsen enthalten. Durch die Preise werden zunehmend mehr erwirtschaftete Werte von den Arbeitenden zu den Vermögenden gelenkt. Wird die Kreditverpflichtung nicht erfüllt fällt das verpfändete Sachvermögen an die Eigentümer der Bank. Das Bankgeschäft ist, abgesehen vom Totalausfall von Forderungen der Gläubiger, nahezu risikofrei. Hat es ein Vermögender geschafft, das seine Ausgaben kleiner als seine Einnahmen aus Zinsen sind entsteht der Zinseszinseffekt, bei dem Zinsen erneut als Vermögensbasis für Kredite verwendet werden. Die Aussprüche "Die erste Million ist die schwerste", "Die Reichen werden reicher und die Armen zahlreicher" haben hier ihre Wurzel. Kapital wirkt monopolisierend. Kapital ist alles was in irgendeiner Form Zinsen oder leistungslose Rendite einbringt. Wer eine solche Kredit, Zins und Zinseszins basierte Währung kontrolliert steht über Recht und Gesetz und muss sich nur begrenzt Gedanken über ethische Fragen machen. Alle Menschen im Nutzungsbereich dieser Währung arbeiten auf lange Sicht für ihn. Und falls dieses Geldsystem unkontrolliert wirkt, bedeutet es doch die Versklavung aller Nutzer und die unnatürliche Beschränkung unserer Handlungsmöglichkeiten, sowie die Unausweichlichkeit von Armut und Krieg.
s.d.
n.l.v.a.a.d.l.v.
Kommentar veröffentlichen