Nur abstrakte Armut zugelassen
Mittwoch, 10. Oktober 2012
Sie weigern sich partout arm zu sagen. Das sind die Schliche, wie man systematisch, das meint: innerhalb des Systems, vor der Realität flüchtet. Wie die letzthin in den Medien durchgenommene Schulstudie ebendort sprachlich abgehandelt wurde, verrät genug über den Charakter eines Systems, das sich weigert die Armut als gegeben und als abwürgende Kraft für eine gesamte Gesellschaftsschicht anzuerkennen.
Man konnte letzte Woche verfolgen, wie in Radio-Nachrichten und Teletexten, wie im Fernsehen und auf Webportalen, die genannte Schulstudie zu einer der Hauptgegenstände der Berichterstattung inszeniert wurde. Der Tenor und die verwendeten Phrasen waren überall beinahe identisch. Zentrale Erkenntnis der Studie war demnach, dass wohlhabende Grundschüler besser abschnitten als bildungsferne - das ist tatsächlich Orginalton gewesen. Es gab zwar auch andere Einsichten, aber schieben wir die jetzt mal beiseite, denn letztlich laufen sie auf dasselbe hinaus. Dass man nämlich wohlhabend und bildungsfern sozusagen als Antonyme konfrontierte, das erlaubte doch schon tiefe Einblicke. Das Gegenteil von wohlhabend ist nicht bildungsfern - besitzlos oder finanzschwach wären treffliche Worte gewesen; Synonyme für arm. Keines davon fiel jedoch.
Das darf als die sture Haltung der Studien- und Wahrheitsmacher und ihrer Berichterstatter angesehen werden, die tunlichst darauf achten, die Armut nicht zu sehr zu strapazieren. Sie soll nicht genannt werden, damit sie nicht zu sehr ins Blickfeld rutscht, damit sie inexistent bleibt. Arme Kinder sind daher als bildungsfern zu kennzeichnen, das vernebelt die Realität und tut so, als habe diese Gesellschaft keine massiven Probleme mit verstärkter Herausbildung von Schichten, die verarmen.
Natürlich stimmt auch, dass man die Armut hin und wieder kolportiert. Immer dann, wenn Studien zu Reichtum und Armut bemüht werden, nennt man die Armut auch. Aber dort bleibt sie abstrakt, als Zahlenspiel bestehen, als Durchschnittseinkommen und als durchschnittlich nicht erzieltes Einkommen. Dort sind Leute auch nicht arm, sie leben in Armut - das klingt wiederum ein Stückchen abstrakter und auch so, als hätte man die Wahl gehabt. Sprachlich kann man so gesehen nämlich in Armut oder in Miami leben - in etwas zu leben riecht nach Alternative, die derjenige, der in Armut lebt, ganz sicher nicht hat.
Dort aber, wo das Armsein als Auslöser diverser Benachteiligungen figurativ wird, vermeidet man die Nennung der Armut, weicht man ihr begrifflich aus. Als abstrakte Messgröße bei Armutsberichten bekommt sie zwar einen Namen, jedoch erhält sie kein Gesicht. Entwerfen aber konkrete Studien zu konkreten Themengebieten ein Bild davon, wie Armut anschaulich und greifbar wirkt, wie sie hineinstrahlt in den Alltag, wie sie benachteiligt, diskriminiert und schädigt, wie sie frustriert und Resignation begünstigt, wie sie Wege abschneidet und theoretischen Gleichheiten Hohn spottet - wenn also die Konkretion dinglich darlegt, dass Armut in allen Lebenslagen ein Begleiter ist, der die Gleichheitsansprüche unterwandert und Partizipation einschränkt, dann tauft man sie um, macht sie unverdächtig. Dann ist Armut nicht mehr das Gegenteil von Wohlhabenheit, dann wird Bildungsferne gesagt, wenngleich letztere eher ein Symptom der Armut ist als der Gegenspieler.
Denn Schulstudien, so viel man sie auch wegen ihrer Erhebungskriterien tadeln kann, konkretisieren jene Armut, die in Armutsberichten relativ vage bleiben. Sie zeigen die Auswirkungen von Armut, die fehlenden Mittel für Nachhilfe, die fehlende Zeit von working poor-Eltern, die nicht selten an zwei Arbeitsplätzen arbeiten, die mangelnde Kraft von Alleinerziehenden, das Gefühl von Alleingelassenheit arbeitsloser Familien. All das hat die Studie nachgezeichnet, man nannte es nur Bildungsferne, damit die Armut nicht zu sehr ins Blickfeld rutscht.
Man kann auch im Mainstream von Armut sprechen - das ist schon wahr. Nur da darf sie als Begriff, nicht aber als Auswirkung dienen. Das würde brüskieren, beunruhigen, müsste ja geradezu zum Umdenken anstimmen. Oder anders gesagt: Es würde die zum Denken anregen, die sich sonst darüber wenig Gedanken machen.
Daher beschreibt man die Schulstudie wie dargelegt, daher sind neben Bildungsferne auch Migrationshintergründe wesentlich zu machen. Aber in letzter Instanz, wenn man all diese Begrifflichkeiten auf ihren letzten Nenner herunterbricht, dann bleibt da die Armut als Faktor ungleicher Schülerleistungen. Denn ein Zufall, dass wohlhabende Eltern bessere Schüler hervorbringen, ist es nicht - und eine Auslegung nach Prädestinationsart, wonach Geld und Klugheit übereinstimmen, mag etwas für calvinistische Sektierer sein, kein Erklärungsansatz aber, der sich soziologischer Ansprüche verpflichtet. Nein, das ist kein Zufall, dass Geld besser abschneidet - und es ist noch weniger Zufall, dass man die Armut hier nicht beim Namen nennen will.
Man konnte letzte Woche verfolgen, wie in Radio-Nachrichten und Teletexten, wie im Fernsehen und auf Webportalen, die genannte Schulstudie zu einer der Hauptgegenstände der Berichterstattung inszeniert wurde. Der Tenor und die verwendeten Phrasen waren überall beinahe identisch. Zentrale Erkenntnis der Studie war demnach, dass wohlhabende Grundschüler besser abschnitten als bildungsferne - das ist tatsächlich Orginalton gewesen. Es gab zwar auch andere Einsichten, aber schieben wir die jetzt mal beiseite, denn letztlich laufen sie auf dasselbe hinaus. Dass man nämlich wohlhabend und bildungsfern sozusagen als Antonyme konfrontierte, das erlaubte doch schon tiefe Einblicke. Das Gegenteil von wohlhabend ist nicht bildungsfern - besitzlos oder finanzschwach wären treffliche Worte gewesen; Synonyme für arm. Keines davon fiel jedoch.
Das darf als die sture Haltung der Studien- und Wahrheitsmacher und ihrer Berichterstatter angesehen werden, die tunlichst darauf achten, die Armut nicht zu sehr zu strapazieren. Sie soll nicht genannt werden, damit sie nicht zu sehr ins Blickfeld rutscht, damit sie inexistent bleibt. Arme Kinder sind daher als bildungsfern zu kennzeichnen, das vernebelt die Realität und tut so, als habe diese Gesellschaft keine massiven Probleme mit verstärkter Herausbildung von Schichten, die verarmen.
Natürlich stimmt auch, dass man die Armut hin und wieder kolportiert. Immer dann, wenn Studien zu Reichtum und Armut bemüht werden, nennt man die Armut auch. Aber dort bleibt sie abstrakt, als Zahlenspiel bestehen, als Durchschnittseinkommen und als durchschnittlich nicht erzieltes Einkommen. Dort sind Leute auch nicht arm, sie leben in Armut - das klingt wiederum ein Stückchen abstrakter und auch so, als hätte man die Wahl gehabt. Sprachlich kann man so gesehen nämlich in Armut oder in Miami leben - in etwas zu leben riecht nach Alternative, die derjenige, der in Armut lebt, ganz sicher nicht hat.
Dort aber, wo das Armsein als Auslöser diverser Benachteiligungen figurativ wird, vermeidet man die Nennung der Armut, weicht man ihr begrifflich aus. Als abstrakte Messgröße bei Armutsberichten bekommt sie zwar einen Namen, jedoch erhält sie kein Gesicht. Entwerfen aber konkrete Studien zu konkreten Themengebieten ein Bild davon, wie Armut anschaulich und greifbar wirkt, wie sie hineinstrahlt in den Alltag, wie sie benachteiligt, diskriminiert und schädigt, wie sie frustriert und Resignation begünstigt, wie sie Wege abschneidet und theoretischen Gleichheiten Hohn spottet - wenn also die Konkretion dinglich darlegt, dass Armut in allen Lebenslagen ein Begleiter ist, der die Gleichheitsansprüche unterwandert und Partizipation einschränkt, dann tauft man sie um, macht sie unverdächtig. Dann ist Armut nicht mehr das Gegenteil von Wohlhabenheit, dann wird Bildungsferne gesagt, wenngleich letztere eher ein Symptom der Armut ist als der Gegenspieler.
Denn Schulstudien, so viel man sie auch wegen ihrer Erhebungskriterien tadeln kann, konkretisieren jene Armut, die in Armutsberichten relativ vage bleiben. Sie zeigen die Auswirkungen von Armut, die fehlenden Mittel für Nachhilfe, die fehlende Zeit von working poor-Eltern, die nicht selten an zwei Arbeitsplätzen arbeiten, die mangelnde Kraft von Alleinerziehenden, das Gefühl von Alleingelassenheit arbeitsloser Familien. All das hat die Studie nachgezeichnet, man nannte es nur Bildungsferne, damit die Armut nicht zu sehr ins Blickfeld rutscht.
Man kann auch im Mainstream von Armut sprechen - das ist schon wahr. Nur da darf sie als Begriff, nicht aber als Auswirkung dienen. Das würde brüskieren, beunruhigen, müsste ja geradezu zum Umdenken anstimmen. Oder anders gesagt: Es würde die zum Denken anregen, die sich sonst darüber wenig Gedanken machen.
Daher beschreibt man die Schulstudie wie dargelegt, daher sind neben Bildungsferne auch Migrationshintergründe wesentlich zu machen. Aber in letzter Instanz, wenn man all diese Begrifflichkeiten auf ihren letzten Nenner herunterbricht, dann bleibt da die Armut als Faktor ungleicher Schülerleistungen. Denn ein Zufall, dass wohlhabende Eltern bessere Schüler hervorbringen, ist es nicht - und eine Auslegung nach Prädestinationsart, wonach Geld und Klugheit übereinstimmen, mag etwas für calvinistische Sektierer sein, kein Erklärungsansatz aber, der sich soziologischer Ansprüche verpflichtet. Nein, das ist kein Zufall, dass Geld besser abschneidet - und es ist noch weniger Zufall, dass man die Armut hier nicht beim Namen nennen will.
16 Kommentare:
Als soziologische Kategorie gibt es im Neusprech keine Armut in @de. Offiziell heißt das jetzt "Wohlstandsdelle".
Es gibt noch eine andere beliebte Bezeichnung für Arme, man heißt die Leute "sozial Schwache". Ist das schon wieder out?
ANMERKER MEINT:
Lieber Roberto, mal wieder den Nagel auf den Kopf getroffen – spitze!
Ich denke hinter dieser aufgezeigten mainstreamigen Sprachregelung
versteckt sich nichts anderes als die angeblich „neutrale“, sprich objektive Wissenschaft,
die sich so in political correctness präsentiert, aber nichts weiter ist und zu nichts weiterem benötigt wird als zur Verschleierung der Realität.
Womöglich haben die Damen und Herren Wissenschaftler_innen noch ein gutes Gewissen mit ihrer Diktion, tun sie doch den eigentlich Betroffenen so nicht weh bzw. meinen dies. Andererseits wissen wir: Herrschaftssprache ist die Sprache der Herrschenden und dient genau diesen. Deshalb ist Aufklärung, wie im vorliegenden Artikel, immer wieder notwendig – im Sinne dieses Begriffes!
Danke
ganz genau und treffend beschrieben.
Aus eigener Erfahrung möchte ich folgendes hinzufügen:
das Armsein zieht folgendes nach sich:
Kontakte werden rarer - Einsamkeit nimmt zu - Depressionen werden häufiger - Unzufriedenheit nimmt Raum - kurzum: die Isolation bahnt sich per Armut ihren Weg !
Noch ein Wesentliches: arme Menschen bekennen sich so gut wie nie zu ihrer Armut - dies ist eine Tatsache, die so gut wie nie zur Sprache kommt. (Verständlicherweise hängt dieses natürlich mit einem Mischgefühl aus Stolz und Scham zusammen)
Armut mit kürzester Formel zu beschreiben heißt:
ARMUT = ERNIEDRIGUNG
Hartmut
@Keynesianer: Es gibt noch eine ganz andere Bezeichnung für Arme: Minderbemittelte
Die Schande der Reichen?
Wenn Armut als das bezeichnet werden würde, was sie ist, dann wäre sie die Schande der Reichen, was sie auch ist. Es ist davon auszugehen, dass die Wohlhabenden in unserer Gesellschaft letztlich dazu gezwungen sind, Verdrängungsarbeit im Akkord zu leisten. Sonst würden sie ihres Lebens nicht länger froh.
Denn wir sind soziale Wesen, deren Überleben sozialgeschichtlich wie auch evolutiv vom gemeinsamen Teilen der verfügbaren Güter abhängt. Das erste, was wir in unserem Leben erfahren, ist elterliche Zuwendung und noch nie hat ein Mensch dafür im Nachhinein seine Eltern finanziell entlohnen müssen.
Wenn jemand sagen wir zehn Millionen Euro sein eigen nennt, dann müsste er davon eigentlich 9,99 Millionen verschenken um sich nicht wie ein egoistischer Scheißkerl zu fühlen.
Da wir jedoch in einer auf Konkurrenz basierenden Tauschgesellschaft leben, die weit davon entfernt ist, einer echten Solidargemeinschaft auch nur zu ähneln, herrscht allenthalben Ungewissheit beim Blick auf die Zukunft. Jeder behält daher sein Geld, vermeidet jegliches Teilen - und sei es durch Steuerabgaben - und ist froh, dass es im Moment nur die Griechen und Spanier, Portugiesen und Italiener trifft.
Noch sind wir einigermaßen sicher in der Mitte der Goldmünze angesiedelt, aber die Angst kriecht vom Rand aus stetig auf das Zentrum zu. Und eben diese Angst, diese gelenkte Angst ist es, die die Entstehung einer echten Zivilisation effizient verhindert.
"Das Gegenteil von wohlhabend ist nicht bildungsfern"
Ja, Sprache kann so verräterisch sein. Auch das Nichtgesagte.
der Herr Karl
@keynesianer,
>sozialschwach< war schon immer
eine begriffliche Totgeburt: die
finanziell Benachteiligten müssen
nämlich im Sozialen sehr stark sein,
so sie denn überleben wollen.
Na. und die begriffsentsprechend
sozial Starken sind doch wohl eher
die mit den sozialen Defiziten …
@mann_von_nebenan
Ganz genau!
"Sozial schwach" soll suggerieren, dass jemand der wenig Geld/Vermögen hat, zugleich asozial ist, wenig Empathie hat und nur an sich denken würde.
In Wahrheit ist es oft genug umgekehrt: je reicher jemand ist, desto eher ist er skrupellos, egoistisch, mateialistisch, frei von Empathie und so weiter.
Wieder ein sehr schöner, scharfsinniger und treffender Kommentar. Den Begriff "bildungsfern" finde ich schon lange problematisch, schuldzuweisend und beleidigend. Meinem Eindruck nach wird er oft schon in vorauseilendem Gehorsam verwendet, weil viele Journalisten das propagandistische Mantra, nicht mangelnde finanzielle Ressourcen, sondern ein Mangel an Bildung, eine "falsche" Lebensart sei das Problem "Unterschicht", inzwischen selbst verinnerlicht haben. So wird die Armut zum Makel und mehr oder weniger mit geringer Bildung, gar Dummheit, gleichgesetzt, obwohl sie in Wahrheit doch die Ursache ist, nicht die Wirkung, und Chancen im Leben versperrt.
@Epikur: volle Zustimmung. Der Begriff "sozial Schwache" mag gut gemeint sein, angesichts seiner negativen Konnotationen hat er die genau gegenteilige Wirkung.
"In Wahrheit ist es oft genug umgekehrt: je reicher jemand ist, desto eher ist er skrupellos, egoistisch, mateialistisch, frei von Empathie und so weiter."
Genau das behauptet diese Studie:
http://newsbloggers.ch/2012/02/28/studie-reiche-verhalten-sich-unmoralischer/
Ich finde das nicht überraschend. Schon allein, weil Arme, wenn sie beim Brechen einer (geschrieben oder ungeschriebenen) Regel "erwischt" werden, zumeist stärker sozial sanktioniert werden als Menschen mit höherer sozialer Stellung. Sie haben zudem weniger Ressourcen, um die Folgen einer Sanktion "abzufedern". Sowohl, was finanzielle Ressourcen, wie, was das kulturelle und soziale Kapital bzw. das Vorhandensein von unterstützenden, "auffangenden" "Netzwerken" angeht. Daher haben sie ein verhältmäßig größeres Interesse daran, sich an die gesellschaftlichen Regeln zu halten. Dies "greift" allerdings dann nicht mehr, wenn sie in der eigenen Wahrnehmung (oder auch tatsächlich) so weit "unten" angekommen sind, dass sie sich nicht mehr als Teil der Solidargemeinschaft fühlen, dem eigenen (bewussten oder unbewussten) Empfinden nach "nichts mehr zu verlieren haben". Daher ist die Neigung, sich an gesellschaftlich vereinbarte Regeln zu halten, "oben", wo die Gefahr des "Absturzes" gering ist, und "unten", wo man im Grunde nicht mehr "fallen" kann, am niedrigsten ausgeprägt.
Selbst Marx sprach vom "Lumpenproletariat". Wortwörtlich "Lumpenproletariat".
Warum sich mit vagen Vokabeln wie "Armut" abgeben?
@all,
heute ist ja permanent von
Rettungsschirmen die Rede.
Und rein physikalisch kann ein
Fallschirm (= Rettungsschirm) erst
ab ca. 70 m Freifallhöhe seine
Wirkung entfalten.
Alle unterhalb dieses Fallniveaus
sind per Physik geliefert.
Nur das Armut und Reichtum eben keine rein physikalische Angelegenheit sind, obwohl die
Neolibs es auf Teufel komm raus
so dargestellt haben wollen …
Dazu passt vielleicht auch der dämliche Ausdruck "aus gutem Haus" oder "aus besserer Familie".
Was hab ich mich darüber schon geärgert! Ich stamme aus der Arbeiterschicht, das war damals in den Fünfzigern ff übrigens noch keine Schande. (Unsere Wohnung war voller Bücher, von wegen bildungsfern!) Was sollte an Familien besser sein, nur weil sie mehr Geld hatten als wir?
Eher schien mir das Gegenteil richtig: Wir hatten keinen Ruf zu wahren. Wir mussten keine Verbrechen begehen, um eine vermeintliche Schande zu vertuschen, wir hatten keine Leichen im Keller. Meine Eltern haben sich redlich um ihr Einkommen bemüht und haben ihre Kinder zu ehrlichen, gut sozialisierten Menschen erzogen, nicht zu überheblichen Schnöseln. Also was zum Teufel war an meiner Familie nicht gut?
Sich wegen des Kontostandes für etwas Besseres zu halten... typische Verwechslung von Haben und Sein, scheint mir.
Das Problem liegt letztlich im Netz, das mehr Fluch als Segen ist.
Früher saßen die Leute zusammen und gingen dann auch mal auf die Straße.
Heute sitzt jeder für sich vor dem Rechner und geilt sich an den neuesten Aufdeckungen und Katastrophenmeldungen und an der Bestätigung des eigenen Weltbilds auf und fällt dann mit dem Gefühl, politisch rege und involviert zu sein, ins Bett... Es bleibt dann auch kaum Zeit mehr für anderes.
Was meint Ihr?
Diese Sprachregelungen gibt es für nahezu alle "Informationen" der so genannten Qualitätsmedien.
Schon einmal gemerkt, dass im Zusammenhang mit Krieg und Sanktionen nie von der Nato gesprochen und geschrieben wird?
Da wird Nato grundsätzlich durch Internationale Gemeinschaft ersetzt.
Wer da nicht zugehört, gehört folglich auch nicht zur Internationalen Gemeinschaft! :-)
Verschweigen als machtdurchtränkte Sprachregelung.
Der Arme schweigt ohnehin lieber und dieser Trupp von Investigatoren setzt dort an und ersieht dort die Beliebigkeit der Sprachregelung. In der Privation der Macht steht die eigene Versprachlichung zur Disposition. Die Kraft fehlt, sich einen Namen zu geben oder einen Namen abzulegen. Derart setzt der Investigator einen Namen nach Gutdünken, er schaut dort, wie es jene machen, hier, was ihm passend erscheint und dahin nicht, von wo her er die Wahl schon längst getroffen hat.
Die spitzbübische Haltung, man spreche sachlich, neutral und objektiv über da-vor-liegende Tatbestände ist ein seit jeher grassierender Verfallssog in der Sozialwissenschaft. Man versteht sich nicht als Sender, sondern als passiver Empfänger von Daten. Oder man übt sich ein sprachliches Etablissement zu reproduzieren, eine Sprache mit modrigem Geruch alteingessener Abgeschottetheit, die, für den, der sehen kann, ringsum an ihrem Welterschließungstrom gewaltige Scheuklappen mit sich führt und mit Schallisolierung nach unten hin abgesichert ist, damit ja nie eine Interferenz da herauf hallte. Dies ist zweifellos die elegantere Methode und gegenwärtig die übliche. Was die kosmopolitische scientific community erfasst, ist erfassbar, der Rest nicht. Und selbstredend, man erkennt anonyme, subjektlose Kräfte, Tendenzen und Bewegungen, Veränderungen wie sie analog der Astrophysiker in den entfernten Marsstürmen erkennt. So etabliert und erhält man, schlicht gesagt, einen herrschenden Diskurs. Ein Marx war, und herauf bis Marcuse waren es noch einige, in der Lage, die Sache in ihrer Grauenhaftigkeit zu bezeichnen, sie Rückzubeziehen zu einem verständlichen Begriff eines und jeden Menschen. Erniedrigung, Knechtung, Entfremdung duch Armut, Lohnarbeit und Niedertracht muss zuallerst zur Erniedrigungsdiagnose führen und nicht zur Armutsdiagnose, die dann nach Geschmack gewertschätzt wird oder auch nicht. Hier wird erniederigt, hier werden meinesgleichen Menschen gegängelt, zu Leid verdammt, gequält, ihnen wird Lebenszeit verdorben bis zum Erbrechen. Charakterlos, wer so tut, als wäre die Armutsdiagnose ein Tatbestand wie die Diagnose der herrschenden Jahreszeit. Diesem gefällt der Herbst, jener mehr die Armut. Ich bin so froh, es ist Sommer und ich bin im Schwimmbecken. Ich auch, es herrscht Armut und ich bin wohlhabend.
In der allgemeinen akademischen Stiefelleckerei wird man mancherorts nachdenklich darüber, ob nun Armut denn überhaupt schlecht sei. Man weiß es nicht genau. Es gäbe neueste Erkenntnisse, die Zweifel anmeldeten. Etwas positives wird es auch hieran geben. Man kann es nicht so sagen. Man ist doch im 'Nur'-Modus und doch tut man schon viel mehr, als man denkt. Man verhindert die Eigenversprachlichung mit und verschweigt diese Verhinderung, man verschweigt die Fremdversprachlichung, man verschweigt die Falschversprachlichung, man verschweigt deren Umbennnung in wahre Sprache, man verschweigt die selektive Wahl an den Nichtartikulierern entlang der eigenen Versprachlichungspräferenz, man nimmt sie, wie man sie braucht, man verschweigt überhaupt die Hälfte.
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