Ich ekle mich - also zappe ich
Freitag, 30. März 2012
Warum bin ich eigentlich so erkaltet? Ich meine, ich lese und sehe täglich Leid - nicht unbedingt unmittelbar, ich glotz' TV, wie das eine zerschminkte Schreckschraube mal grölte. Neulich, da in Toulouse, ich habe es nur am Rande mitbekommen, da muß wohl ein Polizist oder Soldat oder ein Soldatenpolizist von diesem Mehrfachmörder erschossen worden sein - ich glaube erschossen, sagen wir daher lieber: ... getötet worden sein. Ein Polizist oder Soldat, der eine hochschwangere Verlobte hinterließ. Einige Medien berichteten - sie schrieben, sie dürfe ihn posthum dennoch heiraten. Sarkozy, Fachmann für ans Herz gehende Rührseligkeiten, die ihn als Staatsmann sympathisch machen sollen, hat sein Einverständnis gegeben. Das ist eine tragische Geschichte, voreheliche Witwe mit erwarteten Nachwuchs - aber mich berührt das nur peripher. Ich sage das nicht stolz oder provokativ, denn das betrübt mich, enttäuscht mich von mir selbst. Ich erkenne doch, dass es Tragik ist, dass es zum Heulen wäre. Mir geht es komischerweise nicht viel anders, wenn es Katastrophen gibt, Unglücke, wenn irgendwo ein Anschlag Menschen in den Tod riss. Die Heimsuchung, die der Mensch zuweilen erdulden muß, die vermag ich sehr wohl zu erkennen, die politischen Dimensionen auch - klar, darüber schreibe ich ja. Aber mehr ist da nicht. Ich scheine in diese Richtung derart erkaltet, blättere weiter, zappe weg, zucke mit den Achseln.
Damals, als das World Trade Center sich in den Erdboden bohrte, war es noch leicht anders. Ich weinte nicht, aber ich fühlte mit. Damals war ich elf Jahre jünger, elf Jahre weniger erfahren, um elf Jahre leichter manipulierbar. Geschähe das heute nochmals, ich würde es sicherlich verfolgen, einige Minuten, würde die Sentimentalität mit der Bekloeppel berichtete, seine Leichenbittermiene und das geheuchelte Mitgefühl nicht sehr lange ertragen, dann zappen, switchen, Was gibt es sonst noch Neues?, emotional kühl genug sein, um mich davon nicht ergreifen zu lassen. Man verstehe mich mal nicht falsch, natürlich legte ich wert darauf, dass die Drahtzieher nach rechtsstaatlichen Normen verurteilt würden - aber mit Taschentuch teilnehmen, Rotznase und Warum nur? Warum? stammeln, das könnte ich nie, dazu bin ich zu eisig.
Die Medien sind, so ist es mein Eindruck, ohne Anspruch auf Richtigkeit, ein Hinterbliebenen- und Dabeigewesenen-Begleitservice. Keiner, der sehr herzlich und warm mit dieser Klientel umgeht, der aber da ist, in der schweren Stunde zur Seite steht und wahrnimmt. Vorallem die Exklusivrechte an einer Story. Ich habe so den Eindruck, dass das tägliche Programm, die tägliche Schreibe, nichts weiter ist, als das Ablichten und Inszenieren emotionaler Unverbindlichkeiten, von denen der Konsument ergriffen sein soll. Wenn da die junge Schwangere aus Toulouse weint, dann wirkt das auf mich nicht mehr realistisch. Es scheint so, als weine sie, weil das Drehbuch der Aufführung es vorschreibe. Das ist natürlich Unsinn, sie weint wirklich, ihr Schmerz ist echt. Der mediale Begleitservice aber, der sich auf die Hinterbliebenen stürzt, deren Harm ausweidet, degradiert die Wirklichkeit zur Daily Soap. So drängt sich mir, erfahren durch jahrelange Sozialisierung der Medien, das Kümmernis auf, dass diese Frau nur weint, um mich zu unterhalten, meine Emotionen zu wecken, mein tristes Dasein mit Entertainment erträglicher zu machen. Ich glaube Neil Postman war es, der mal irgendwo schrieb, dass es kein Problem sei, wenn das Fernsehen Unterhaltung biete - problematisch sei nur, dass es uns jedes Thema als Unterhaltung bieten wolle. Wobei ich Fernsehen durch Boulevard ersetzen würde.
Das ist selbstverständlich Quark. Das weiß ich auch. Die bald zur Witwe Verheiratete weint nicht für ihr Publikum. Aber so weit sind wir schon: wir könnten uns nämlich vorstellen, dass sie es tut! Das Gegeifere jener Medien, die sich der Abbildung von Elend und Kümmernis verschrieben haben, bedient sich nur ihrer, inszeniert sie nicht. Doch ihr täglicher Sturzflug auf Tränen, auf Trauer, auf menschliche Talsohlen erzeugt keine nachhaltige Kultur der Anteilnahme, sondern eine der Abstumpfung. Irgendwann ertrinkt man im Meer der Tränen. Eine Weile mag man selbst traurig werden, wenn man diesen Berichten folgt. Aber irgendwann, wenn das Weh, mit dem sie einen Tag für Tag zuscheißen, einen erstickt, wenn die Tränen, die sie einfangen, einen schier ersaufen lassen, dann wendet man sich ab, zuckt mit den Achseln und fragt sich, weshalb die Not anderer Menschen mein Problem sein soll. Diese Kälte, die auch mich, Kind dieser Mediengesellschaft, teilweise befällt, erschreckt mich stark. So bin ich eigentlich nicht, bin ich doch eher zu nah am Wasser gebaut - aber seit Jahren habe ich den Eindruck, jede vergossene Träne, die bei Katastrophen, bei Anschlägen, bei Unfällen und Unglücken, bei Amokläufen und Verbrechen und allerhand anderen Ereignissen, die Weinen machen - seit Jahren also habe ich den Eindruck, man will den Konsumenten der News ertränken im Unglück anderer Menschen.
Das war irgendwo immer das Metier von Print und Broadcast, könnte man einwenden - stimmt wahrscheinlich auch. Aber so boulevardesk waren die Zeiten nie zuvor, so schamlos hat man wahrscheinlich nie zuvor mit der Trauer hantiert, so ein dankbares Publikum, das die eigene Lebenslangeweile dankbar mit solchen Rührstücken bereichert, gab es möglicherweise zuvor auch noch nie. Die Vereinzelung des Menschen unter Menschen: die Anteilnahme integriert den Vereinzelten wieder in eine Masse, in gleichgesinnte Betroffene - eine Ansammlung vereinzelter Konsumenten, die erlesene und durch bewegte Bilder erzeugte Betroffenheit mit Trauer verwechseln. Darüber schrieb ich schon mehrfach, daher kein weiterer Ausflug dorthin. Am Ende steht die Abstumpfung. Das ist, mit Verlaub, man gestatte mir diesen Vergleich, wie im Krieg. Der erste Tote, den man sieht, erschüttert den eigenen Kosmos. Gut, was weiß ich vom Krieg, aber ich habe das mehrfach gelesen. Ein, zwei oder drei Tote waren noch irgendwie zu ertragen, auch wenn man betroffen war, wenn man weinte, es einem speiübel wurde und man final kotzte. Heute, in Zeiten der Massenmedien und des Massengeschmacks für ein Massenpublikum, in einer Zeit, da Klasse immer auch Masse bedeutet, heute würde man auch mit hundert, zweihundert oder dreihundert Toten seinen erbrochenen Frieden machen können. Irgendwann ist eine Grenze überwunden, man kotzt nicht mehr, man nimmt den Tod nicht mehr wahr, man riecht die Verwesung nicht mehr, beziehungsweise, man riecht sie schon, verwechselt sie aber mit dem Duft frischer Luft - der Tod schreckt nicht mehr, wird zum harten, zum groben Naturgesetz, man fängt an, über Tote nicht mehr zu weinen, sondern sie zu verscharren, sie nicht mehr ideell, sondern materiell zu sehen. Nicht mehr als verstorbenen Menschen, sondern als störenden Biomechanismus, der bald bestialisch stinkt, wenn er nicht zu den Würmen hinabgelassen wird. Kurzum: Man stumpft ab.
Der Verdienst der Medien scheint mir zu sein, dass sie die Abstumpfung, nicht aber die "mitfühlende Gesellschaft" forcieren. Die Erkaltung, die ich an mir spüre, meine emotionale Abschaltung ist der Dauerberieselung geschuldet. Natürlich weiß ich, dass es tragische Sequenzen hienieden gibt - mehr als mir lieb sein können. Und ich weiß auch, dass jedes dieser medial herausgeputzten Kümmernisse der Zusammenbruch einer Welt ist, für diejenigen, die direkt davon betroffen sind. Aber ich wische es weg, zappe weiter, gebe mich kühl, bin angeekelt von denen, die sich wie Aasgeier auf die Gefühlsregungen derer stürzen, die übermannt werden von den Fährnissen des Lebens. Ich nähme ihr Leid doch gerne wahr - aber nicht, wenn es der Boulevard ist, der darüber berichtet; ich bin ja dafür, dass ihnen geholfen wird - aber ich bin kein Psychologe, kein Bestatter, kein Polizist - wie kann ich also helfen? Ich ekle mich vor dieser Berichterei, die von der Salinität vergossener Tränen erzählt, die das Salz dissoziiert, um daraus den Grad des Leides zu ermessen. Ich ekle mich, also zappe ich. Dazu bin ich mittlerweile abgestumpft genug...
Damals, als das World Trade Center sich in den Erdboden bohrte, war es noch leicht anders. Ich weinte nicht, aber ich fühlte mit. Damals war ich elf Jahre jünger, elf Jahre weniger erfahren, um elf Jahre leichter manipulierbar. Geschähe das heute nochmals, ich würde es sicherlich verfolgen, einige Minuten, würde die Sentimentalität mit der Bekloeppel berichtete, seine Leichenbittermiene und das geheuchelte Mitgefühl nicht sehr lange ertragen, dann zappen, switchen, Was gibt es sonst noch Neues?, emotional kühl genug sein, um mich davon nicht ergreifen zu lassen. Man verstehe mich mal nicht falsch, natürlich legte ich wert darauf, dass die Drahtzieher nach rechtsstaatlichen Normen verurteilt würden - aber mit Taschentuch teilnehmen, Rotznase und Warum nur? Warum? stammeln, das könnte ich nie, dazu bin ich zu eisig.
Die Medien sind, so ist es mein Eindruck, ohne Anspruch auf Richtigkeit, ein Hinterbliebenen- und Dabeigewesenen-Begleitservice. Keiner, der sehr herzlich und warm mit dieser Klientel umgeht, der aber da ist, in der schweren Stunde zur Seite steht und wahrnimmt. Vorallem die Exklusivrechte an einer Story. Ich habe so den Eindruck, dass das tägliche Programm, die tägliche Schreibe, nichts weiter ist, als das Ablichten und Inszenieren emotionaler Unverbindlichkeiten, von denen der Konsument ergriffen sein soll. Wenn da die junge Schwangere aus Toulouse weint, dann wirkt das auf mich nicht mehr realistisch. Es scheint so, als weine sie, weil das Drehbuch der Aufführung es vorschreibe. Das ist natürlich Unsinn, sie weint wirklich, ihr Schmerz ist echt. Der mediale Begleitservice aber, der sich auf die Hinterbliebenen stürzt, deren Harm ausweidet, degradiert die Wirklichkeit zur Daily Soap. So drängt sich mir, erfahren durch jahrelange Sozialisierung der Medien, das Kümmernis auf, dass diese Frau nur weint, um mich zu unterhalten, meine Emotionen zu wecken, mein tristes Dasein mit Entertainment erträglicher zu machen. Ich glaube Neil Postman war es, der mal irgendwo schrieb, dass es kein Problem sei, wenn das Fernsehen Unterhaltung biete - problematisch sei nur, dass es uns jedes Thema als Unterhaltung bieten wolle. Wobei ich Fernsehen durch Boulevard ersetzen würde.
Das ist selbstverständlich Quark. Das weiß ich auch. Die bald zur Witwe Verheiratete weint nicht für ihr Publikum. Aber so weit sind wir schon: wir könnten uns nämlich vorstellen, dass sie es tut! Das Gegeifere jener Medien, die sich der Abbildung von Elend und Kümmernis verschrieben haben, bedient sich nur ihrer, inszeniert sie nicht. Doch ihr täglicher Sturzflug auf Tränen, auf Trauer, auf menschliche Talsohlen erzeugt keine nachhaltige Kultur der Anteilnahme, sondern eine der Abstumpfung. Irgendwann ertrinkt man im Meer der Tränen. Eine Weile mag man selbst traurig werden, wenn man diesen Berichten folgt. Aber irgendwann, wenn das Weh, mit dem sie einen Tag für Tag zuscheißen, einen erstickt, wenn die Tränen, die sie einfangen, einen schier ersaufen lassen, dann wendet man sich ab, zuckt mit den Achseln und fragt sich, weshalb die Not anderer Menschen mein Problem sein soll. Diese Kälte, die auch mich, Kind dieser Mediengesellschaft, teilweise befällt, erschreckt mich stark. So bin ich eigentlich nicht, bin ich doch eher zu nah am Wasser gebaut - aber seit Jahren habe ich den Eindruck, jede vergossene Träne, die bei Katastrophen, bei Anschlägen, bei Unfällen und Unglücken, bei Amokläufen und Verbrechen und allerhand anderen Ereignissen, die Weinen machen - seit Jahren also habe ich den Eindruck, man will den Konsumenten der News ertränken im Unglück anderer Menschen.
Das war irgendwo immer das Metier von Print und Broadcast, könnte man einwenden - stimmt wahrscheinlich auch. Aber so boulevardesk waren die Zeiten nie zuvor, so schamlos hat man wahrscheinlich nie zuvor mit der Trauer hantiert, so ein dankbares Publikum, das die eigene Lebenslangeweile dankbar mit solchen Rührstücken bereichert, gab es möglicherweise zuvor auch noch nie. Die Vereinzelung des Menschen unter Menschen: die Anteilnahme integriert den Vereinzelten wieder in eine Masse, in gleichgesinnte Betroffene - eine Ansammlung vereinzelter Konsumenten, die erlesene und durch bewegte Bilder erzeugte Betroffenheit mit Trauer verwechseln. Darüber schrieb ich schon mehrfach, daher kein weiterer Ausflug dorthin. Am Ende steht die Abstumpfung. Das ist, mit Verlaub, man gestatte mir diesen Vergleich, wie im Krieg. Der erste Tote, den man sieht, erschüttert den eigenen Kosmos. Gut, was weiß ich vom Krieg, aber ich habe das mehrfach gelesen. Ein, zwei oder drei Tote waren noch irgendwie zu ertragen, auch wenn man betroffen war, wenn man weinte, es einem speiübel wurde und man final kotzte. Heute, in Zeiten der Massenmedien und des Massengeschmacks für ein Massenpublikum, in einer Zeit, da Klasse immer auch Masse bedeutet, heute würde man auch mit hundert, zweihundert oder dreihundert Toten seinen erbrochenen Frieden machen können. Irgendwann ist eine Grenze überwunden, man kotzt nicht mehr, man nimmt den Tod nicht mehr wahr, man riecht die Verwesung nicht mehr, beziehungsweise, man riecht sie schon, verwechselt sie aber mit dem Duft frischer Luft - der Tod schreckt nicht mehr, wird zum harten, zum groben Naturgesetz, man fängt an, über Tote nicht mehr zu weinen, sondern sie zu verscharren, sie nicht mehr ideell, sondern materiell zu sehen. Nicht mehr als verstorbenen Menschen, sondern als störenden Biomechanismus, der bald bestialisch stinkt, wenn er nicht zu den Würmen hinabgelassen wird. Kurzum: Man stumpft ab.
Der Verdienst der Medien scheint mir zu sein, dass sie die Abstumpfung, nicht aber die "mitfühlende Gesellschaft" forcieren. Die Erkaltung, die ich an mir spüre, meine emotionale Abschaltung ist der Dauerberieselung geschuldet. Natürlich weiß ich, dass es tragische Sequenzen hienieden gibt - mehr als mir lieb sein können. Und ich weiß auch, dass jedes dieser medial herausgeputzten Kümmernisse der Zusammenbruch einer Welt ist, für diejenigen, die direkt davon betroffen sind. Aber ich wische es weg, zappe weiter, gebe mich kühl, bin angeekelt von denen, die sich wie Aasgeier auf die Gefühlsregungen derer stürzen, die übermannt werden von den Fährnissen des Lebens. Ich nähme ihr Leid doch gerne wahr - aber nicht, wenn es der Boulevard ist, der darüber berichtet; ich bin ja dafür, dass ihnen geholfen wird - aber ich bin kein Psychologe, kein Bestatter, kein Polizist - wie kann ich also helfen? Ich ekle mich vor dieser Berichterei, die von der Salinität vergossener Tränen erzählt, die das Salz dissoziiert, um daraus den Grad des Leides zu ermessen. Ich ekle mich, also zappe ich. Dazu bin ich mittlerweile abgestumpft genug...