Doppelsieg für Merkel?
Mittwoch, 11. Januar 2012
Bald schon wird abermals das Unwort des vergangenen Jahres gekürt. Vielleicht gelingt dabei Merkel der große Wurf - vielleicht schwingt sie sich auf, nach 2010 auch 2011 den Sieg einzufahren. Nicht in persona, nicht unmittelbar sie, denn alternativlos: das wurde natürlich nicht nur von ihr 2010 im Munde geführt. Aber sie war die schärfste Vertreterin des TINA-Prinzips (There is no alternative) - und damit gebührt ihr das Verdienst, die Alternativlosigkeit zur Unwörtlichkeit geführt zu haben. 2011 erfand sie dann die marktkonforme Demokratie. Aspirant auf das Unwort des Jahres 2011 - und: das fast alternativlos.
Das Unwort des Jahres ist die goldene Himbeere der politischen Rhetorik. Die Doppelung zweier Siege innerhalb eines Negativpreises ist selten. Zuletzt gelang das Madonna 1987 und 1988 - die himbeerigen Preise holte sie nie ab. Auch beim Unwort gibt es nichts abzuholen. Und Merkel, die vielleicht bald die Madonna der Sprachjonglage sein könnte, würde auch von sich weisen, Mutter des Unwortes zu sein. Aber sie, in exponierter Stellung, ist selbstverständlich für die Verbreitung solcher Wortkonstrukte verantwortlich. Und dass sie, die bissige Alternativlose, nochmals etwas gebiert, das die ganze Misere auf den Punkt bringt, hätte man ihr nicht zugetraut.
Alternativlos war deshalb Unwort, weil in einer Demokratie eigentlich verschiedene Alternativen gegeben sein sollten. Das Attribut alternativ galt ursprünglich als demokratisch. Alternativlosigkeit war das Metier der Diktatur. Wo keine Alternativen sind, da gibt es keine Wahl - eine Wahl zu haben: damit haben Demokratien immer geworben, als sie noch im Weltanschauungskalterkrieg mit der östlichen Hemisphäre lagen. In dieselbe Richtung neigt sich die marktkonforme Demokratie. Die Demokratie hat sich demnach den Spielregeln des Marktes unterzuordnen. Sie hat Konformität mit dem Markt herzustellen - nicht andersherum. Vor einigen Jahren sprach man noch davon, im Rahmen von Debatten, die den abgeschwächten Staat rechtfertigen sollten, dass der Staat, die Demokratie damit, nur Rahmenbedingungen schaffen könne - die marktkonforme Demokratie suggeriert jedoch: nicht mal das ist mehr das Geschäft der Demokratie. Die Rahmenbedingungen schafft der Markt und die Demokratie hat sich darin einzurichten.
Alternativlos und marktkonforme Demokratie schlagen in dieselbe Kerbe. Zweimal Diktat. Einmal sagt man, es bleibe keine Wahl - und einmal ist die Wahl schon getroffen: für die Tyrannei des freien Marktes. Die Demokratie von Marktes Gnaden ist letzthin gar keine Demokratie - sie ordnet sich den diktatorischen Wirtschaftsinteressen unter, die keinen Sinn für das Allgemeinwohl kennen, weil sie der buchhalterischen Bilanz ihrer Unternehmen verantwortlich sind - nur ihr. Die marktkonforme Demokratie ist somit eine privatisierte Demokratie, weil sie ihm Rahmen privatisierter Unternehmensinteressen gestaltet wird - übergeordnete Ansprüche haben im Markt, wo Pragmatismus und die schnelle Entscheidung heimisch sind, nichts mehr verloren. Würde des Menschen: das kann sich ein Staat leisten, der keine Überschüsse für den shareholders value erwirtschaften muß - eine Demokratie aber, die im Markt eingebettet ist, zwischen privaten Unternehmen und Konzernen, die verschleudert Geld, wenn sie Unkostenfaktoren wie die Menschenwürde bewahrt.
Ein demkoratiekonformer Markt: das wäre ein Bekenntnis gewesen. Bewusst hat man sich dafür nicht entschieden. Die marktkonforme Demokratie unterstreicht die Wirtschaftspolitik Europas auch sprachlich. Vielleicht wäre das ein Ansatz, für eine Laudatio. Unwort des Jahres 2011, marktkonforme Demokratie; Begründung: Das Wort flankiert inhaltlich angemessen eine Politik, die sich in Rückzugsgefechten mit den treibenden Kräften des Kapitalismus befindet. Es unterstreicht sprachlich, was sich praktisch abzeichnet - dass das Primat der Politik aufweicht, um die kapitalistische Wirtschaft damit zu betrauen.
Das Unwort des Jahres ist die goldene Himbeere der politischen Rhetorik. Die Doppelung zweier Siege innerhalb eines Negativpreises ist selten. Zuletzt gelang das Madonna 1987 und 1988 - die himbeerigen Preise holte sie nie ab. Auch beim Unwort gibt es nichts abzuholen. Und Merkel, die vielleicht bald die Madonna der Sprachjonglage sein könnte, würde auch von sich weisen, Mutter des Unwortes zu sein. Aber sie, in exponierter Stellung, ist selbstverständlich für die Verbreitung solcher Wortkonstrukte verantwortlich. Und dass sie, die bissige Alternativlose, nochmals etwas gebiert, das die ganze Misere auf den Punkt bringt, hätte man ihr nicht zugetraut.
Alternativlos war deshalb Unwort, weil in einer Demokratie eigentlich verschiedene Alternativen gegeben sein sollten. Das Attribut alternativ galt ursprünglich als demokratisch. Alternativlosigkeit war das Metier der Diktatur. Wo keine Alternativen sind, da gibt es keine Wahl - eine Wahl zu haben: damit haben Demokratien immer geworben, als sie noch im Weltanschauungskalterkrieg mit der östlichen Hemisphäre lagen. In dieselbe Richtung neigt sich die marktkonforme Demokratie. Die Demokratie hat sich demnach den Spielregeln des Marktes unterzuordnen. Sie hat Konformität mit dem Markt herzustellen - nicht andersherum. Vor einigen Jahren sprach man noch davon, im Rahmen von Debatten, die den abgeschwächten Staat rechtfertigen sollten, dass der Staat, die Demokratie damit, nur Rahmenbedingungen schaffen könne - die marktkonforme Demokratie suggeriert jedoch: nicht mal das ist mehr das Geschäft der Demokratie. Die Rahmenbedingungen schafft der Markt und die Demokratie hat sich darin einzurichten.
Alternativlos und marktkonforme Demokratie schlagen in dieselbe Kerbe. Zweimal Diktat. Einmal sagt man, es bleibe keine Wahl - und einmal ist die Wahl schon getroffen: für die Tyrannei des freien Marktes. Die Demokratie von Marktes Gnaden ist letzthin gar keine Demokratie - sie ordnet sich den diktatorischen Wirtschaftsinteressen unter, die keinen Sinn für das Allgemeinwohl kennen, weil sie der buchhalterischen Bilanz ihrer Unternehmen verantwortlich sind - nur ihr. Die marktkonforme Demokratie ist somit eine privatisierte Demokratie, weil sie ihm Rahmen privatisierter Unternehmensinteressen gestaltet wird - übergeordnete Ansprüche haben im Markt, wo Pragmatismus und die schnelle Entscheidung heimisch sind, nichts mehr verloren. Würde des Menschen: das kann sich ein Staat leisten, der keine Überschüsse für den shareholders value erwirtschaften muß - eine Demokratie aber, die im Markt eingebettet ist, zwischen privaten Unternehmen und Konzernen, die verschleudert Geld, wenn sie Unkostenfaktoren wie die Menschenwürde bewahrt.
Ein demkoratiekonformer Markt: das wäre ein Bekenntnis gewesen. Bewusst hat man sich dafür nicht entschieden. Die marktkonforme Demokratie unterstreicht die Wirtschaftspolitik Europas auch sprachlich. Vielleicht wäre das ein Ansatz, für eine Laudatio. Unwort des Jahres 2011, marktkonforme Demokratie; Begründung: Das Wort flankiert inhaltlich angemessen eine Politik, die sich in Rückzugsgefechten mit den treibenden Kräften des Kapitalismus befindet. Es unterstreicht sprachlich, was sich praktisch abzeichnet - dass das Primat der Politik aufweicht, um die kapitalistische Wirtschaft damit zu betrauen.
13 Kommentare:
Danke, für diesen deutlichen Artikel.
In dieser sprachanalytischen und politische Erkenntnisse darstellenden Abhandlung bemerke ich den tatsächlichen Hintergrund dieser Unworte.
Ich weiß nicht mehr, ob ich zornig oder traurig darüber sein kann.
All diese Tatsachen erschüttern mich.
In diesem Zusammenhang möchte ich abermals auf eine Rede Angela Merkels vom 16.6 2005 (60 Jahre CDU hinweisen).
Hier ein Auszug:
"Politik ohne Angst. Politik mit Mut - das ist heute erneut gefragt. Denn wir haben wahrlich keinen Rechtsanspruch auf Demokratie und soziale Marktwirtschaft auf alle Ewigkeit. Unsere Werte müssen sich auch im Zeitalter von Globalisierung und Wissensgesellschaft behaupten. Und wenn sie sich behaupten sollen, dann müssen wir bereit sein, die Weichen richtig zu stellen. Auch da sind wieder Widerstände zu überwinden. Es sind wieder Prioritäten zu setzen. Ist dem Wichtigen der Vorrang vor dem weniger Wichtigen zu geben"
Damit erklärt sich doch einiges oder ?
In einer alternativlosen marktkonformen Demokratie müssen folglich zwangsläufig auch marktkonforme Menschen leben. Der Umerziehungsprozess dahin ist ja bereits seit einigen Jahren in vollem Gange und wird am Ende bis auf ein paar "spinnerte Sozialromantiker" und "unverbesserliche Linksterroristen" erfolgreich abgeschlossen sein.
Das sich die Mehrheit unserer "lieben Mitbürgerinnen und Mitbürger" im Zuge der Einführung einer totalen Wirtschafts- und Finanzmarktdiktatur - natürlich ebenfalls absolut alternativlos - gegen ihre Vereinnahmung als ausschließlicher "homo oeconomicus" zur Wehr setzen wird halte ich leider für ausgeschlossen.
Man sollte sich vielleicht auch fragen, warum es so leicht ist für die Herrschenden scheinbare alternativlose Lösungen zu propagieren. Hat es vielleicht nicht damit zu tun, dass unserer Sprachgebrauch sehr missbräuchlich ist ? Wir werfen relative und absolute Urteile durcheinander wie Kraut und Rüben. Ein Beispiel: jeder versteht den Satz : was ist der richtige Weg von A nach B. Eben der Weg, der mich ohne große Mühen nach B. bringt. Also ein relatives Urteil. Nur hirngespinstige Menschen würden daraus ein absolutes Werturteil sehen in dem Sinne, wenn das nicht der richtige Weg ist, dann bringe ich mich eben um. Die Herrschenden bauen bewusst oder unbewusst auf diesen Missbrauch der Sprache auf, der meiner Meinung nach nicht nur sprachliche Gründe hat, sondern auch in der Diktatur des Ministaates Familie liegen kann , wo doch für viele die Erfahrung gemacht wird, dass es ein Oben und Unten gibt und man man nur durch Konformismus weiterkommen kann. Wie dem auch sei, es wäre schon viel geholfen, wenn wir uns der “Verhexung durch die Sprache“ (Ludwig Wittgenstein) bewusst wären.
Ein 'demokratiekonformer Markt' - oder klarer ein demokratiekonformer Kapitalismus - wäre in der Tat eine Ansage gewesen. Aber hätte sie sich auch verwirklichen lassen? Ich zweifele daran. Privateigentum und Profitmaximierung gebären demokratisch nicht legitimierte Macht, die mit der demokratisch legitimierten notwendig immer wieder aneinandergerät und ab einer gewissen Größe (wir nennen das jetzt 'systemisch') ihre eigenen 'Gesetze' macht. Wachstumsbeschränkung auch von Einzelkapitalen jedoch wäre allenfalls(!) global durchsetzbar, da jeder nationale Alleingang 'deren' Unternehmen in eine konkurrenztechnisch höchst brisante und letztlich unhaltbare Lage brächte. Es istbzwar nicht unmöglich (Zerschlagung von Standard Oil oder AT&T), aber man muss es sich dann 'als Nation' (bzw als Demokratie) schon leisten können...
Und das Primat der Politik? Hat's das wirklich je gegeben? Wenn ja, was waren die (besonderen) Umstände? Steht nicht ansonsten alle Politik in diesem Wirtschaftssystem immer unter Imperativ des 'Wachstums'...?
...und nächstes Jahr küren wir dann -im demkoratiekonformen Markt- die unternehmensfreundliche Familie und fordern nicht länger das familienfreundliche Unternehmen...
...Marktfonformität und Nutzwert über Alles: das sind die wahren WERTE im Newspeak der neoliberalen Gesellschaft.
Traurig aber wahr.
Danke, Sie bringen die Sache auf den Punkt. Der Ausdruck "marktkonforme Demokratie" ist so einzuordnen wie beispielsweise "parteikonforme Demokratie" für die Zustände in der DDR. Frau Merkel musste allerdings bei voll entwickelter innerer Leere nicht viel tun, um dort anzukommen. Statt "die Partei hat immer recht" heißt es eben "der Markt hat immer recht". Sie hat ja auch den Charme, ja die Physiognomie des Vorsitzenden des Zentralkomitees. Nur war in der DDR alles einfacher gestrickt. Zum Beispiel naive Transparente zu den Errungenschaften statt der derzeitigen Hochglanzpropaganda zu den Beschäftigungserfolgen. Die Frage ist, wann Frau Merkel erstmalig von der „voll entwickelten marktgerechten Persönlichkeit“ sprechen wird.
@Aldo
Wer von der Diktatur des Staates FAMILIE spricht hat keine Ahnung von Familie.
Wo sonst gibt es für die Kinder einen Ort, an dem sie NEIN sagen können ohne verstoßen oder in eine Schublade gesteckt zu werden.
Es wird höchste Zeit, daß das begriffen wird und den Eltern die Achtung der Gesellschaft entgegengebracht wird.
Denn es bedarf viel Kraft, das NEIN sagen seiner Kinder immer aushalten zu können.
Und wie gesagt- woanders ist dies kaum möglich zu lernen
Sollte man >Demokratie< nicht endlich in >Deimokratie< umbenennen?
Schließlich ist doch jederman von
einer Angst um seine Existenz besessen, auf freilich sehr unterschiedlichen Niveaus: Shareholder befürchten u.U. eine geringere Rendite als 20% ihrer Spekulations-Portfolios, während ALG II-Empfänger jederzeit existenzbedrohende bis
-vernichtende Sanktionen zu befürchten haben.
>Der Anfang aller Weisheit ist MARKTfurcht< müsste es demnach (korregiert) biblisch heissen.
"Marktkonforme Demokratie" halte ich für eine treffliche Beschreibung unserer politischen Verhältnisse.
Dass Demokratie eben nicht marktkonform sein kann, steigert nur die analytische Präzision der Aussage.
Denn, ergo haben wir keine Demokratie (im Sinne und Inhalt des Wortes).
Die Lust an der Überlegenheit.
Die Freude daran, "den Längeren" zu haben, das dickere Auto vor der Tür stehen zu haben.
Mit Glück herabsehen zu können auf "Unterlegene" und "Minderwertige" und sei dies auch nur im Traum, im Wunsch.
Das hat uns hierhin geführt, denn der abghoulionischen Auffassung nach ist die Politik auch ein Spiegel der Gesellschaft.
So rational sich das Ganze gibt, so ist es doch von Trieben und Lüsten verursacht.
Diese haben wir als Gruppe, als Menschheit, noch lange nicht überwunden und ein saftiger Brocken Fleisch, auch aus dem Leid anderer, lässt den Speichel fließen.
Was willst du machen...?
Sapere aude (so ziemlich das einzige was ich mir je auf Latein gemerkt habe)
Das mit der "Aufklärung" wird oft so behandelt als ob es ein schon vor langer Zeit abgeschlossener Prozess war, dem ist offensichtlich noch lange nicht so..
Das wäre ein "verdienter" Doppelsieg für Merkel, aber leider wird sie damit keine Probleme haben. Schon viel zu lange wird die "Verhülsung" der Worte vorangetrieben, werden Worte ihrer eigentlichen Bedeutung beraubt oder in fataler Weise umgedeutet. Inzwischen machen sich "unsere" Politiker ja nicht einmal mehr "die Mühe", ihre Worte zu "verkleiden" um ihre eigentliche Intention und Einstellung zu verschleiern, um so wenigstens noch den Schein von Wahrhaftigkeit und politischer/demokratischer Integrität zu wahren. Die beiden "Unworte" sind dafür der beste Beweis. Offensichtlicher kann man doch kaum noch zugeben, dass die allzu gerne zitierte Demokratie (wenn es gegen Despoten und Tyrannen anderer Staaten geht) im eigenen Land nicht mehr als ein Hindernis im globalen wirtschaftlichen Wettrennen. In minen Augen ein Zeichen widerlicher Arroganz und Ausdruck der Macht. Man kann nur hoffen, dass sie und alle anderen dieses Kalibers sich täuschen mögen in der von ihnen vorausgesetzten Dummheit des Wahlvolkes.
Danke für den Artikel!
hat heute erwähnung gefunden. dieses hätte ich nicht gedacht.
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