Die verlorene Ehre
Freitag, 6. Januar 2012
Kurz nach Neun klingelte es. De Lapuente nahm sich noch vier, fünf Sekunden Zeit, um einen Satz, über dem er brütete, zu einem glimpflichen, hoffentlich stilsicheren Abschluss zu führen. Der Publizist, Blogger und Schriftsteller saß gerade über einem Manuskript, das vielleicht zu einem Buch taugen könnte, und konnte im Augenblick eigentlich keine Störungen gebrauchen. Und so vollendete sich der Satz, erstmal aus der Konzentration gerissen, nicht mehr - das heißt, ein Ende wies er schon auf, es war nur nicht zufriedenstellend und, hätte man den gesamten Satz nochmals gelesen, so wäre einem die Ungereimtheit in der Syntax aufgefallen. Dazu sollte es jedoch heute nicht mehr kommen - erst Wochen später würde De Lapuente die Datei wieder öffnen, den unstimmigen Satz streichen und mit ihm gleich auch noch das komplette Manuskript, das für ihn zu einem Memento mori geworden war.
Um kurz nach Neun klingelte es und es war der Postbote. Er stieg die sieben Stufen bis zur Haustüre des Empfängers hoch, trug ein microwellengroßes Paket vor sich her. De Lapuente erwartete keine Bestellung, ahnte aber, dass es sich um Naschwerk handeln könnte, das eine treue Leserin ihm gelegentlich zukommen ließ. Und diese mit Nougatcreme gefüllten Aufmerksamkeiten aß er stets mit Wonne. Freudig kritzelte er seine Unterschrift, ein De mit einem ansatzweisen L, das zu einem geschnörkelten Strich überging, auf das Display eines übergroßen Taschenrechners, den ihm der Postbote hinhielt, wobei das Plastikstäbchen, das wohl ein Stift sein sollte, nicht richtig anging. De Lapuente, verwickelt in ein Gemisch aus Freude auf Pralinen und geistiger Erarbeitung eines vertrackten Gedankens, den er ins Manuskript bannen wollte, schlurfte in die Küche, las das Etikett und staunte darüber, dass als Absender nicht besagte Leserin, ja ein Name stand, den er überhaupt nicht kannte. Olaf D. Ehlrit las er - den Namen hatte er zuvor noch nie gelesen. Ehlrit aus Zwickau. Sei es, wie es sei, dachte sich der Autor und durchschnitt mit einem Küchenmesser das Klebeband, fummelte die eingeklappten Seitenflügel der Kartonage beiseite, was nicht einfach klappen wollte, vermutlich waren die Flügel fixiert, riss sie sodann gewaltsam auseinander - und flog unter Donnergrollen und Pulverdampf quer durch die Küche, gegen die Anrichte.
Die nicht sehr professionell konzipierte Brief- beziehungsweise Paketbombe, riss dem Publizisten Daumen und Zeigefinger von der rechten, den Ringfinger von der linken Hand. Das Küchenmesser, mit dem er gerade noch das Klebeband durchtrennt hatte, rammte sich wie ein Geschoss in seinen Unterbauch. Das erwies sich als Glück - nur der Unterbauch. Etliche Rippenbrüche, Prellungen und Verbrennungen ersten und zweiten Grades. Beide Trommelfelle geplatzt. Dass die Paketbombe ein relativ stümperhafter Zusammenbau aus Haushaltsutensilien, Plastik und schlecht gelöteten Metallteilen war, teilte die Polizei später mit. Für De Lapuente schien sie gar nicht so unprofessionell - er hatte vermutlich während der Explosion gedacht, einem Bombenexperten höchster Weihen in die Falle geraten zu sein. Wenn er überhaupt gedacht hatte, denn diesen Anschein hatte es zunächst nämlich überhaupt nicht. Denn nach der Detonation irrte er verwirrt durch die Küche, wie die beiden Beamten, die zuerst am Tatort waren, später in ihrem Bericht festhielten.
Die Nachbarn alarmierten umgehend die Polizei, die erstmal herbeigeeilt, stürmisch klingelte. Und als niemand öffnete, entschieden die Beamten "Gefahr in Verzug" und brachen die Haustüre ohne richterliche Verfügung auf. In der Küche, die vom Eingangsbereich einblickbar war und ist, fanden sie einen aufräumenden De Lapuente vor. Er musste bereits Kugelschreiber und Notizblöcke, das was davon übrig war, aufgeklaubt haben. Auch Töpfe stapelten sich säuberlich auf dem Küchenboden. Überall lag Küchenrollenpapier über zermatschtem Obst. Scheinbar hatte er auch versucht, zerborstene Flaschen aufzukehren - die Glasscherben lagen noch in der Schaufel, der Besen obenauf. In einer Ecke lag verkohlter Karton, aus dem noch vereinzelt Flammen züngelten. Überall unvollendete Aufräumarbeiten, die das Chaos nur noch vergrößerten. Nur Sekunden bevor die Beamten in der Küche standen, hatte De Lapuente seinen Zeigefinger im Spülbecken gefunden. Erstaunt, schockiert und völlig verwirrt gaffte er den Finger an, nahm noch die Polizisten wahr und brach dann mit kreidebleichem Gesicht in sich zusammen.
Drei Wochen sollte er im Klinikum seiner Heimatstadt bleiben.
BILD Online berichtete noch am selben Tag darüber. Dort konnte man Blicke auf Fotos einer verwüsteten Küche richten. Wer hatte Journalisten dort hineingelassen? War das üblich nach so einem Ereignis? Das sind natürlich Fragen, die sich De Lapuente erst Wochen später, nachdem er die Berichterstattung chronologisch auswertete, stellte. Ominös schien allerdings das Motiv. Wer hatte Interesse daran, einen unbedeutenden Publizisten zu töten, fragten tagsdrauf eine Handvoll Feuilletonisten. Eine "motivarme Tat, die die polizeiliche Arbeit erschwere", urteilte ein Ermittler, Experte für Bombenattentate.
Erst zwei Tage später trudelte dann ein Bekennerschreiber bei der Ingolstädter Polizei ein. Mit Nationalsozialistischer Untergrund war das unterschrieben. Zwar ordnete die Polizei es recht schnell als Trittbrettfahrerei ein, denn der "NSU-Sumpf ist trockengelegt, wie uns das der Verfassungsschutz garantiert", gleichwohl war der rechtsextreme Impetus durchaus nachvollziehbar. Das mit NSU firmierte Blatt sprach davon, dass "ein Exempel statuiert" worden sei. Jemand, der selbst "lediglich der Sohn eines Gastarbeiters" sei und der "fortlaufend anständige Deutsche beschmutzt", ständig Partei für "asoziales Ausländerpack" und "muslimische Parasiten" ergreife, die "rassische Vermischung des Multikulturalismus" predige, täglich gegen "Deutschland hetzt" und damit "dem Vaterlande gezielt schadet", müsse mit jedem nur denkbaren "patriotischem Eifer" zur Einsicht gebracht werden.
Es war die grobe, pathetisch dümmliche Wortwahl, die die Beamten an der Echtheit der NSU zweifeln ließ. Das Milieu aus dem das Paket stammte, schien aber bewiesen. Ein findiger Beamter verwies darauf, dass der Name Olaf D. Ehlrit, ordnet man die Buchstaben in anderer Reihenfolge an, Adolf Hitler bedeuten könnten - dennoch sei der Wohnort des Absenders, Zwickau, kein Hinweis auf die NSU, die man ja auch als Zwickauer Gruppe kenne.
Die Medien berichteten in den ersten Tagen rege darüber. Das Bild der zertrümmerten Küche flimmerte durch die Wohnzimmer des Landes. Der Innenminister schaltete sich ein, besuchte De Lapuente für etwa drei Minuten am Krankenbett, woraus die Presse später "mehr als eine halbe Stunde" machte und stammelte etwas von "rückhaltloser Aufklärung" - nach seiner überstürzten Flucht aus dem Krankenzimmer, die er mit "Termine, Termine" entschuldigte, fing ihn eine Schar Journalisten vor dem Eingangsbereich des Ingolstädter Klinikums ab. Diese fragte wild durcheinander nach "seinen Gefühlen nach diesem Besuch" und nach "den jetzigen Plänen des Innenministeriums". Der Minister beschwichtigte, sprach von einem "bisherigen Einzelfall" und von "Prüfungen, die nun stattfinden müssen, um zu klären, ob es tatsächlich ein rechtsextremes Motiv war, das der Tat zugrunde lag". Zu seinen Gefühle sagte er nichts. Abends dann sah man ihn bei Plasberg, dort er sprach selbstsicher zum Thema "Hier stehe ich, ich kann nicht anders - vom Lohn der Geradlinigkeit".
De Lapuente selbst, obwohl ansprechbar, empfing niemanden von der Presse. Erst nach zwei Wochen räumte er zwei Journalisten, einem von der Jungen Welt und einem freien seiner Zunft namens Jens Berger, exklusiv ein Interview ein, das er von seinem Krankenbett aus geben wollte. Die BILD bat bereits am Tag der Explosion um einige Sätze - De Lapuente verweigerte das. Drei Tage später nochmals dieselbe Prozedur. Und als er nach einer Woche abermals ablehnte, gab es im Hause Springer kein Halten mehr und das einstige Opfer, mit dem man mitleidig litt, geriet nun in den Verdacht, "verfassungsfeindliche Texte publiziert" zu haben, "getragen auf einer Welle des Hasses gegen die BILD", wie ein fleißiger BILD-Journalist schrieb, der gleich noch einige Zitate De Lapuentes, die er auf seinem Blog ad sinistram veröffentlicht hatte, feilbot und die unterstreichen sollten, wie sehr der "Hass auf BILD mitwirkte, jemanden, dessen Vater hier als Gastarbeiter alle Chancen und Segnungen des Sozial- und Rechtstaates genossen habe, in die linke, linksextreme Ecke zu bugsieren".
Franz Josef Wagner, der am Tag nach dem Attentat noch seinen täglichen Brief mit "Lieber, Roberto D." überschrieb und der De Lapuente schnelle Genesung wünschte und Solidarität versprach, der schrieb, dass er "weinte, als er davon erfuhr, wie dieser junge Mann den Hass dieser rechten Dreckschweine erleiden musste" und der nachschob, dass er "nochmals weinte", diesmal vor Freude, "als er erfuhr, dass dieser junge Mann es überleben würde" (schrecklich dramatisiert, denn De Lapuente schwebte nicht eine Sekunde in Lebensgefahr!) - derselbe Wagner schrieb nun, dass er es für "eine Vergeudung von Talent - ja, De Lapuente, Sie haben Talent, ich gebe das zähneknirschend zu" halte, wenn man "schmutzige Hasstexte gegen BILD, gegen Sarrazin oder andere Leistungsträger der Gesellschaft" verfasse. "Schreiben Sie Liebesromane, nutzen Sie Ihr Talent, rate ich Ihnen - oder halten Sie Ihr Maul", beschloss er seinen Brief, der diesmal mit "Lieber Hassprediger aus dem Internet" begann. Aus Roberto D. war nun in der Springer-Presse De Lapuente geworden - es gab keinen Grund mehr für die Redaktion, Anonymität oder gar Pietät zu wahren.
Genesungswünsche erreichten den Blogger und Schriftsteller. Von Bekannten und Freunden - von solchen, die sich plötzlich wieder an ihn erinnerten. Natürlich auch Schmähschriften landeten am Krankenbett. Wer aber nun dachte, dass solche ehrabschneidende Zettel, auf denen Sachen standen wie "Verdient hast du es, Kommunistensau!" oder "Du hast dich aufgegeilt als Guttenberg am Boden lag. Jetzt geilen wir uns an deinem Schicksal auf!" oder "Wir beten jeden Abend, dass du noch verrecken tust!" - wer also nun dachte, dass solches Schmierwerk nur anonym auf Zettel gekritzelt wird, der täuschte sich arg. Als das Interview mit De Lapuente in der Jungen Welt und bei den NachDenkSeiten gleichzeitig erschien, was nebenbei gesagt, beiden Webpräsenzen Zugriffszahlen wie nie zuvor bescherte (die Printvariante der jW blieb leider von größeren Verkaufszahlen unbehelligt), da dämmerte das Thema De Lapuente, das bereits vom adenda setting zu verschwinden drohte, wieder herauf. Ein namhafter Kolumnist der BILD, der schon für Bundespräsidenten Bücher schrieb und diese von Vorständen aus Versicherungsgesellschaften finanzieren ließ, schrieb einen Tag nach Veröffentlichung des Interviews, dass dieses Land nun "die Stilisierung einer linken Opfermentalität erlebe" und, was man ehrlich sagen müsse, dass "De Lapuente vielleicht nicht selbst schuld an seinem Schicksal sei, wohl aber mitschuldig". Sicherlich müsse man den "Verbrechern nachjagen, aber nicht nur denen, sondern auch den ehrlosen geistigen Verbrechern, die mit ihren Worten Menschen dazu animieren, Gewalt zu ergreifen".
In der Münchner Runde, ausgestrahlt im Bayerischen Fernsehen, traf der Kolumnist dann auf den Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern Bedford-Strohm, der De Lapuente verteidigte. Man dürfe so nicht argumentieren, richtete er sich durchaus zornig gegen den Kolumnisten, man könne "niemanden Schuld dafür geben, Opfer von Gewalt geworden zu sein". Gleichwohl haben die Nationalsozialisten gesprochen, als sie meinten, dass die "Juden aufgrund ihres Verhaltens selbst schuld seien, dergestalt gehasst zu werden" - wo käme man hin, wenn "Vergewaltiger, sich damit vor Gericht verteidigen könnten, dass das Opfer selbst schuld sei, weil es doch einen Minirock trug"? De Lapuente sei Opfer, meinte Bedford-Strohm weiter. Auf zwei Ebenen sogar. Gewaltopfer und Opfer linker ideologischer Verblendung. Er brauche nun keine Moralpredigt, sondern Hilfe und Verständnis - gesühnt habe er nun wahrlich genug.
Zeitweilig verwiesen dann auch seriösere Blätter darauf, dass das Bombenattentat kein Verbrechen sei wie jedes andere, sondern nur so eine Art "Extremistenkampf, in dem Knallköpfe von rechts einen linken Knallkopf umbringen wollten", wie es ein Kommentator der FAZ schrieb. Natürlich habe die Justiz nun die Aufgabe, die Täter zu verurteilen, doch man müsse "auch die Beweggründe berücksichtigen und damit De Lapuente als Brandstifter des gegen ihn selbst entfachten Brandes entlarven". Solche Kommentare füllten nur noch kleine Spalten und bald schon war das Thema ziemlich abgehakt.
De Lapuente verließ das Klinikum nach drei Wochen. Er schrieb am Tag seiner Entlassung bei ad sinistram, das jetzt höher frequentiert wurde und dauerhaft Thema bei PI war, dass er noch Ruhe brauche, sich aber vornehme, seine Leidenschaft, das Schreiben, weiterzuverfolgen. Die Kommentarfunktion schaltete er ab - die Berge an Boshaftigkeiten, die dort hinterlassen wurden, wurden ihm zunehmend unerträglich.
Die mediale Ausschlachtung des eigenen Schicksals wäre nun der nächste Schritt gewesen, der üblicherweise nach Medienhofprotokoll vollzogen wird. Angebote trudelten auch ein. Angebote, bei Lanz oder Beckmann vorzusprechen, lehnte De Lapuente ab. RTL bat telefonisch darum, er möge in Stern TV auftreten. Woher hatten die eigentlich seine Telefonnummer? Die ARD klopfte an, bei Jauch wäre ein Stuhl frei, auch der Innenminister, der De Lapuente damals so nett besucht hätte, würde da sein. Der Spiegel stellte sich eine Story mit Fotos vor, acht Seiten - nachdem der Blogger auch das ablehnte, schrieb das Magazin einen zweiseitigen Bericht ohne Zutun De Lapuentes und verglich darin das Attentat mit jenem, das im Dezember 1993 dem Wiener Bürgermeister Zilk die Hand kostete. Seine Witwe empörte sich daraufhin öffentlich, weil ihr verstorbener Gatte mit "so einem Menschen" verglichen wurde.
Seit jenen Tagen bloggt De Lapuente nur noch sporadisch. Manuskripte für Bücher ruhen. Das Manuskript, an dem er saß, als der Postbote jenes Paket brachte, hat er, wie schon erwähnt, vernichtet. Denn als er es neuerdings geöffnet hatte und sich hineindachte, da entbrannte die Erinnerung in ihm und er brach geistig und moralisch zusammen.
Die Täter wurden nicht gefasst. Weder der Innenminister noch ein Mitarbeiter seines Stabes hat sich je nochmals bei De Lapuente gemeldet. Auch nicht, als er schriftlich anfragte, ob man bereits Vermutungen hege - darauf bekam er nie Antwort. Auf den Fall De Lapuente angesprochen, äußerte der Innenminister einige Monate später in einem Interview, dass man unter Umständen davon ausgehen müsse, dass das Attentat fingiert war - er sagte das "mit aller gebotenen Vorsicht", aber denkbar wäre schon, dass da jemand versuchte, die "rechte Gewalt zu dramatisieren, indem er sich selbst eine Bombe schickte und ein Bekennerschreiben von einem Komplizen an die Polizei schicken ließ". Beweise habe man keine - man untersuche das noch. Von wirklich rechten Gewalttätern gehe man aber mittlerweile nicht mehr aus...
Um kurz nach Neun klingelte es und es war der Postbote. Er stieg die sieben Stufen bis zur Haustüre des Empfängers hoch, trug ein microwellengroßes Paket vor sich her. De Lapuente erwartete keine Bestellung, ahnte aber, dass es sich um Naschwerk handeln könnte, das eine treue Leserin ihm gelegentlich zukommen ließ. Und diese mit Nougatcreme gefüllten Aufmerksamkeiten aß er stets mit Wonne. Freudig kritzelte er seine Unterschrift, ein De mit einem ansatzweisen L, das zu einem geschnörkelten Strich überging, auf das Display eines übergroßen Taschenrechners, den ihm der Postbote hinhielt, wobei das Plastikstäbchen, das wohl ein Stift sein sollte, nicht richtig anging. De Lapuente, verwickelt in ein Gemisch aus Freude auf Pralinen und geistiger Erarbeitung eines vertrackten Gedankens, den er ins Manuskript bannen wollte, schlurfte in die Küche, las das Etikett und staunte darüber, dass als Absender nicht besagte Leserin, ja ein Name stand, den er überhaupt nicht kannte. Olaf D. Ehlrit las er - den Namen hatte er zuvor noch nie gelesen. Ehlrit aus Zwickau. Sei es, wie es sei, dachte sich der Autor und durchschnitt mit einem Küchenmesser das Klebeband, fummelte die eingeklappten Seitenflügel der Kartonage beiseite, was nicht einfach klappen wollte, vermutlich waren die Flügel fixiert, riss sie sodann gewaltsam auseinander - und flog unter Donnergrollen und Pulverdampf quer durch die Küche, gegen die Anrichte.
Die nicht sehr professionell konzipierte Brief- beziehungsweise Paketbombe, riss dem Publizisten Daumen und Zeigefinger von der rechten, den Ringfinger von der linken Hand. Das Küchenmesser, mit dem er gerade noch das Klebeband durchtrennt hatte, rammte sich wie ein Geschoss in seinen Unterbauch. Das erwies sich als Glück - nur der Unterbauch. Etliche Rippenbrüche, Prellungen und Verbrennungen ersten und zweiten Grades. Beide Trommelfelle geplatzt. Dass die Paketbombe ein relativ stümperhafter Zusammenbau aus Haushaltsutensilien, Plastik und schlecht gelöteten Metallteilen war, teilte die Polizei später mit. Für De Lapuente schien sie gar nicht so unprofessionell - er hatte vermutlich während der Explosion gedacht, einem Bombenexperten höchster Weihen in die Falle geraten zu sein. Wenn er überhaupt gedacht hatte, denn diesen Anschein hatte es zunächst nämlich überhaupt nicht. Denn nach der Detonation irrte er verwirrt durch die Küche, wie die beiden Beamten, die zuerst am Tatort waren, später in ihrem Bericht festhielten.
Die Nachbarn alarmierten umgehend die Polizei, die erstmal herbeigeeilt, stürmisch klingelte. Und als niemand öffnete, entschieden die Beamten "Gefahr in Verzug" und brachen die Haustüre ohne richterliche Verfügung auf. In der Küche, die vom Eingangsbereich einblickbar war und ist, fanden sie einen aufräumenden De Lapuente vor. Er musste bereits Kugelschreiber und Notizblöcke, das was davon übrig war, aufgeklaubt haben. Auch Töpfe stapelten sich säuberlich auf dem Küchenboden. Überall lag Küchenrollenpapier über zermatschtem Obst. Scheinbar hatte er auch versucht, zerborstene Flaschen aufzukehren - die Glasscherben lagen noch in der Schaufel, der Besen obenauf. In einer Ecke lag verkohlter Karton, aus dem noch vereinzelt Flammen züngelten. Überall unvollendete Aufräumarbeiten, die das Chaos nur noch vergrößerten. Nur Sekunden bevor die Beamten in der Küche standen, hatte De Lapuente seinen Zeigefinger im Spülbecken gefunden. Erstaunt, schockiert und völlig verwirrt gaffte er den Finger an, nahm noch die Polizisten wahr und brach dann mit kreidebleichem Gesicht in sich zusammen.
Drei Wochen sollte er im Klinikum seiner Heimatstadt bleiben.
BILD Online berichtete noch am selben Tag darüber. Dort konnte man Blicke auf Fotos einer verwüsteten Küche richten. Wer hatte Journalisten dort hineingelassen? War das üblich nach so einem Ereignis? Das sind natürlich Fragen, die sich De Lapuente erst Wochen später, nachdem er die Berichterstattung chronologisch auswertete, stellte. Ominös schien allerdings das Motiv. Wer hatte Interesse daran, einen unbedeutenden Publizisten zu töten, fragten tagsdrauf eine Handvoll Feuilletonisten. Eine "motivarme Tat, die die polizeiliche Arbeit erschwere", urteilte ein Ermittler, Experte für Bombenattentate.
Erst zwei Tage später trudelte dann ein Bekennerschreiber bei der Ingolstädter Polizei ein. Mit Nationalsozialistischer Untergrund war das unterschrieben. Zwar ordnete die Polizei es recht schnell als Trittbrettfahrerei ein, denn der "NSU-Sumpf ist trockengelegt, wie uns das der Verfassungsschutz garantiert", gleichwohl war der rechtsextreme Impetus durchaus nachvollziehbar. Das mit NSU firmierte Blatt sprach davon, dass "ein Exempel statuiert" worden sei. Jemand, der selbst "lediglich der Sohn eines Gastarbeiters" sei und der "fortlaufend anständige Deutsche beschmutzt", ständig Partei für "asoziales Ausländerpack" und "muslimische Parasiten" ergreife, die "rassische Vermischung des Multikulturalismus" predige, täglich gegen "Deutschland hetzt" und damit "dem Vaterlande gezielt schadet", müsse mit jedem nur denkbaren "patriotischem Eifer" zur Einsicht gebracht werden.
Es war die grobe, pathetisch dümmliche Wortwahl, die die Beamten an der Echtheit der NSU zweifeln ließ. Das Milieu aus dem das Paket stammte, schien aber bewiesen. Ein findiger Beamter verwies darauf, dass der Name Olaf D. Ehlrit, ordnet man die Buchstaben in anderer Reihenfolge an, Adolf Hitler bedeuten könnten - dennoch sei der Wohnort des Absenders, Zwickau, kein Hinweis auf die NSU, die man ja auch als Zwickauer Gruppe kenne.
Die Medien berichteten in den ersten Tagen rege darüber. Das Bild der zertrümmerten Küche flimmerte durch die Wohnzimmer des Landes. Der Innenminister schaltete sich ein, besuchte De Lapuente für etwa drei Minuten am Krankenbett, woraus die Presse später "mehr als eine halbe Stunde" machte und stammelte etwas von "rückhaltloser Aufklärung" - nach seiner überstürzten Flucht aus dem Krankenzimmer, die er mit "Termine, Termine" entschuldigte, fing ihn eine Schar Journalisten vor dem Eingangsbereich des Ingolstädter Klinikums ab. Diese fragte wild durcheinander nach "seinen Gefühlen nach diesem Besuch" und nach "den jetzigen Plänen des Innenministeriums". Der Minister beschwichtigte, sprach von einem "bisherigen Einzelfall" und von "Prüfungen, die nun stattfinden müssen, um zu klären, ob es tatsächlich ein rechtsextremes Motiv war, das der Tat zugrunde lag". Zu seinen Gefühle sagte er nichts. Abends dann sah man ihn bei Plasberg, dort er sprach selbstsicher zum Thema "Hier stehe ich, ich kann nicht anders - vom Lohn der Geradlinigkeit".
De Lapuente selbst, obwohl ansprechbar, empfing niemanden von der Presse. Erst nach zwei Wochen räumte er zwei Journalisten, einem von der Jungen Welt und einem freien seiner Zunft namens Jens Berger, exklusiv ein Interview ein, das er von seinem Krankenbett aus geben wollte. Die BILD bat bereits am Tag der Explosion um einige Sätze - De Lapuente verweigerte das. Drei Tage später nochmals dieselbe Prozedur. Und als er nach einer Woche abermals ablehnte, gab es im Hause Springer kein Halten mehr und das einstige Opfer, mit dem man mitleidig litt, geriet nun in den Verdacht, "verfassungsfeindliche Texte publiziert" zu haben, "getragen auf einer Welle des Hasses gegen die BILD", wie ein fleißiger BILD-Journalist schrieb, der gleich noch einige Zitate De Lapuentes, die er auf seinem Blog ad sinistram veröffentlicht hatte, feilbot und die unterstreichen sollten, wie sehr der "Hass auf BILD mitwirkte, jemanden, dessen Vater hier als Gastarbeiter alle Chancen und Segnungen des Sozial- und Rechtstaates genossen habe, in die linke, linksextreme Ecke zu bugsieren".
Franz Josef Wagner, der am Tag nach dem Attentat noch seinen täglichen Brief mit "Lieber, Roberto D." überschrieb und der De Lapuente schnelle Genesung wünschte und Solidarität versprach, der schrieb, dass er "weinte, als er davon erfuhr, wie dieser junge Mann den Hass dieser rechten Dreckschweine erleiden musste" und der nachschob, dass er "nochmals weinte", diesmal vor Freude, "als er erfuhr, dass dieser junge Mann es überleben würde" (schrecklich dramatisiert, denn De Lapuente schwebte nicht eine Sekunde in Lebensgefahr!) - derselbe Wagner schrieb nun, dass er es für "eine Vergeudung von Talent - ja, De Lapuente, Sie haben Talent, ich gebe das zähneknirschend zu" halte, wenn man "schmutzige Hasstexte gegen BILD, gegen Sarrazin oder andere Leistungsträger der Gesellschaft" verfasse. "Schreiben Sie Liebesromane, nutzen Sie Ihr Talent, rate ich Ihnen - oder halten Sie Ihr Maul", beschloss er seinen Brief, der diesmal mit "Lieber Hassprediger aus dem Internet" begann. Aus Roberto D. war nun in der Springer-Presse De Lapuente geworden - es gab keinen Grund mehr für die Redaktion, Anonymität oder gar Pietät zu wahren.
Genesungswünsche erreichten den Blogger und Schriftsteller. Von Bekannten und Freunden - von solchen, die sich plötzlich wieder an ihn erinnerten. Natürlich auch Schmähschriften landeten am Krankenbett. Wer aber nun dachte, dass solche ehrabschneidende Zettel, auf denen Sachen standen wie "Verdient hast du es, Kommunistensau!" oder "Du hast dich aufgegeilt als Guttenberg am Boden lag. Jetzt geilen wir uns an deinem Schicksal auf!" oder "Wir beten jeden Abend, dass du noch verrecken tust!" - wer also nun dachte, dass solches Schmierwerk nur anonym auf Zettel gekritzelt wird, der täuschte sich arg. Als das Interview mit De Lapuente in der Jungen Welt und bei den NachDenkSeiten gleichzeitig erschien, was nebenbei gesagt, beiden Webpräsenzen Zugriffszahlen wie nie zuvor bescherte (die Printvariante der jW blieb leider von größeren Verkaufszahlen unbehelligt), da dämmerte das Thema De Lapuente, das bereits vom adenda setting zu verschwinden drohte, wieder herauf. Ein namhafter Kolumnist der BILD, der schon für Bundespräsidenten Bücher schrieb und diese von Vorständen aus Versicherungsgesellschaften finanzieren ließ, schrieb einen Tag nach Veröffentlichung des Interviews, dass dieses Land nun "die Stilisierung einer linken Opfermentalität erlebe" und, was man ehrlich sagen müsse, dass "De Lapuente vielleicht nicht selbst schuld an seinem Schicksal sei, wohl aber mitschuldig". Sicherlich müsse man den "Verbrechern nachjagen, aber nicht nur denen, sondern auch den ehrlosen geistigen Verbrechern, die mit ihren Worten Menschen dazu animieren, Gewalt zu ergreifen".
In der Münchner Runde, ausgestrahlt im Bayerischen Fernsehen, traf der Kolumnist dann auf den Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern Bedford-Strohm, der De Lapuente verteidigte. Man dürfe so nicht argumentieren, richtete er sich durchaus zornig gegen den Kolumnisten, man könne "niemanden Schuld dafür geben, Opfer von Gewalt geworden zu sein". Gleichwohl haben die Nationalsozialisten gesprochen, als sie meinten, dass die "Juden aufgrund ihres Verhaltens selbst schuld seien, dergestalt gehasst zu werden" - wo käme man hin, wenn "Vergewaltiger, sich damit vor Gericht verteidigen könnten, dass das Opfer selbst schuld sei, weil es doch einen Minirock trug"? De Lapuente sei Opfer, meinte Bedford-Strohm weiter. Auf zwei Ebenen sogar. Gewaltopfer und Opfer linker ideologischer Verblendung. Er brauche nun keine Moralpredigt, sondern Hilfe und Verständnis - gesühnt habe er nun wahrlich genug.
Zeitweilig verwiesen dann auch seriösere Blätter darauf, dass das Bombenattentat kein Verbrechen sei wie jedes andere, sondern nur so eine Art "Extremistenkampf, in dem Knallköpfe von rechts einen linken Knallkopf umbringen wollten", wie es ein Kommentator der FAZ schrieb. Natürlich habe die Justiz nun die Aufgabe, die Täter zu verurteilen, doch man müsse "auch die Beweggründe berücksichtigen und damit De Lapuente als Brandstifter des gegen ihn selbst entfachten Brandes entlarven". Solche Kommentare füllten nur noch kleine Spalten und bald schon war das Thema ziemlich abgehakt.
De Lapuente verließ das Klinikum nach drei Wochen. Er schrieb am Tag seiner Entlassung bei ad sinistram, das jetzt höher frequentiert wurde und dauerhaft Thema bei PI war, dass er noch Ruhe brauche, sich aber vornehme, seine Leidenschaft, das Schreiben, weiterzuverfolgen. Die Kommentarfunktion schaltete er ab - die Berge an Boshaftigkeiten, die dort hinterlassen wurden, wurden ihm zunehmend unerträglich.
Die mediale Ausschlachtung des eigenen Schicksals wäre nun der nächste Schritt gewesen, der üblicherweise nach Medienhofprotokoll vollzogen wird. Angebote trudelten auch ein. Angebote, bei Lanz oder Beckmann vorzusprechen, lehnte De Lapuente ab. RTL bat telefonisch darum, er möge in Stern TV auftreten. Woher hatten die eigentlich seine Telefonnummer? Die ARD klopfte an, bei Jauch wäre ein Stuhl frei, auch der Innenminister, der De Lapuente damals so nett besucht hätte, würde da sein. Der Spiegel stellte sich eine Story mit Fotos vor, acht Seiten - nachdem der Blogger auch das ablehnte, schrieb das Magazin einen zweiseitigen Bericht ohne Zutun De Lapuentes und verglich darin das Attentat mit jenem, das im Dezember 1993 dem Wiener Bürgermeister Zilk die Hand kostete. Seine Witwe empörte sich daraufhin öffentlich, weil ihr verstorbener Gatte mit "so einem Menschen" verglichen wurde.
Seit jenen Tagen bloggt De Lapuente nur noch sporadisch. Manuskripte für Bücher ruhen. Das Manuskript, an dem er saß, als der Postbote jenes Paket brachte, hat er, wie schon erwähnt, vernichtet. Denn als er es neuerdings geöffnet hatte und sich hineindachte, da entbrannte die Erinnerung in ihm und er brach geistig und moralisch zusammen.
Die Täter wurden nicht gefasst. Weder der Innenminister noch ein Mitarbeiter seines Stabes hat sich je nochmals bei De Lapuente gemeldet. Auch nicht, als er schriftlich anfragte, ob man bereits Vermutungen hege - darauf bekam er nie Antwort. Auf den Fall De Lapuente angesprochen, äußerte der Innenminister einige Monate später in einem Interview, dass man unter Umständen davon ausgehen müsse, dass das Attentat fingiert war - er sagte das "mit aller gebotenen Vorsicht", aber denkbar wäre schon, dass da jemand versuchte, die "rechte Gewalt zu dramatisieren, indem er sich selbst eine Bombe schickte und ein Bekennerschreiben von einem Komplizen an die Polizei schicken ließ". Beweise habe man keine - man untersuche das noch. Von wirklich rechten Gewalttätern gehe man aber mittlerweile nicht mehr aus...
30 Kommentare:
Habe ich das richtig verstanden, Roberto?
Eine widerliche Drecksau hat Dir eine Bombe ins Paket gepackt?
Ist das wahr?
Also... jetzt mal halblang. Fiktion und Möglichkeit von Realität unterscheiden ;)
Treffende Zustandsbeschreibung eines möglichen Ablaufes in unserem "mediengeilen" Land.
Großartig geschrieben. Ganz großes Tennis! Neid- aber liebevolle Anerkennung!
Gruß
Pantoufle
Ich finde das nicht lustig.
Werde den Text später nochmal in Ruhe lesen.
Ich denke, du solltest in einem Epilog den fiktionalen Charakter deiner Darstellung klarstellen - andernfalls ist der Text wirklich eine Quelle für Mißverständnisse ...
Wer mich liest, der weiß, dass ich ab und an fiktionale Texte schreibe. Ich weiß auch, dass ich ein sprachlich und literarisch gescheites Publikum habe. Kein Epilog, das entweiht ja alles... ;)
@ anonym: Als Belustigung war das auch gar nicht gedacht - musst also nicht lachen, wenn Du es später liest.
Erst mal Luft holen.....
nachdem ich Ihren Text eilig durchgelesen hatte.
Seit ca einem halben Jahr kommentiere ich ab und an die Texte.
Hier war ich zuerst sehr erschrocken;
dann legte sich mein Schreck...als ich begriff :Fiktion....
Ist schon toll oder doll der Text....
Nun denke ich, Orwell läßt grüßen....
Gruß
Hartmut
Roberto, da gibt es auch nichts zu lachen.
Bei dem Text denke ich an die Opfer der rechten Gewalttäter, daran, wie lange Zeit mit den Opfern umgegangen wurde, daran, dass man den Angehörigen zum Teil selbst die Schuld gab, weil ihnen unterstellt wurde, in einem kriminellen Umfeld zu leben, also dass die Täter evt. aus dem eigenen Umfeld stammen könnten.
Weiterhin denke ich an die vielen jungen Menschen, die in Norwegen von einem "Einzeltäter" ermordet wurden und ich denke daran, wie schnell die Berichterstattung und die Aufklärung abgeschlossen wurde.
Nazis morden, das ist ein Fakt.
Dobrindt will jetzt wieder versuchen, die Linke zu verbieten.
Das ist alles aberwitzig, zumal die Rechten extra für die Linken angeheuert werden. Gladio...
Ist ja ganz nett gedacht, die Geschichte, aber doch viel zu umständlich ausgedrückt. Zu lange verschachtelte Sätze und teils untreffende Begriffe.
Mit "Donnergrollen" verbindet man ein über Sekunden anhaltendes Grollen in der Ferne, was überhaupt nicht zu der Briefbombensituation passt.
Die Haupteindrücke sind in so einem Moment der ohrenbetäubende Knall und das grelle Licht. Ich weiss, wovon ich rede, war als Kind Feuerwerksbastler und hatte mich gelegentlich fast selbst in die Luft gesprengt ;)
Auch der analysierende Gedanke, um welchen Professionalitätsgrad es sich bei der Briefbombe handele, ist im Moment der Explosion vollkommen unrealistisch. Man denkt in diesem Schockmoment definitiv nicht.
Die medialen Folgen beschreibst du im Folgenden als weitaus größer als sie im Falle der Briefbombe an Josef Ackermann waren. Auch dies ist schlicht unrealistisch.
Auch ist die linear chronologische Erzählweise der Geschichte der Spannung abträglich. Im Moment der Erwähnung des unbekannten Absenders war zumindest mit der folgende Verlauf und die Stossrichtung des Artikels schon klar, und es kam nur noch das Erwartete.
Man hätte mit dem Schock und der Verwirrung im Moment der Explosion und in den Sekunden danach anfangen müssen, das hätte den Leser gefangen genommen und Fragen aufgeworfen, wie es dazu kam. Die Polizeibericht-ähnliche chronologische Aneinanderreihung der Ereignisse ist selten eine geschickte Form für einen Roman oder eine Kurzgeschichte.
Du bist eben kein Romanschreiber, hast andere Qualitäten.
Das Ganze ist also (nur) ein Märchen?
Das sollte man deutlicher ausdrücken, als nur in einem kurzen Kommentar nach dem ersten erschreckten Kommentar eines Lesers da drunter schreiben: "Also... jetzt mal halblang. Fiktion und Möglichkeit von Realität unterscheiden ;)"
Denn ich - als nur sporadischer Leser hier - habe die Geschichte ebenfalls geglaubt. Und fühl' mich nun verarscht.
- Jeeves
Ein spannender Text, der mich schwer ins Grübeln bringt, was schon lange nicht mehr passiert ist.
Mir stellt sich die Frage, was geschehen wäre, hätte Roberto die gewünschten Interviews gegeben. Hätte er auf der andauernden Existenz der rechtsextremen Szene bestanden, die ja vom Staat geleugnet wurde. Hätte sich die Bild tatsächlich auf seine Seite gestellt????
Oder wäre unser Roberto dann zum Schluß nicht nur ohne Ehre gewesen sondern evtl. sogar lebenslanger Insasse einer psychiatrischen Anstalt?
Könnte es in dieser Geschichte auch ein "Happy-End" geben und falls ja, wo müßte man dann ansetzen?? Denn offensichtlich versagt ja nach den 3 Gewalten im Staate die vierte Gewalt ganz offensichtlich auch.
Für jemanden der den Spiegel noch unter Augstein und den Stern noch unter Nannen erlebt hat ist das eine sehr schmerzhafte Sache.
Gruß, Babs
Finde deine fiktionalen Texte besser, die überraschend sind. Hier findet man nur das trist-trübe Erwartbare vor. Gerade durch die Beschreibung einer Utopie würde einem die Realität noch drastischer vor Augen geführt. Stichwort Kontrasteffekt.
Auch müßte man bei einem utopischen Ansatz die Opferrolle nicht so betonen.
Ferner fehlt hier doch etwas das Gespür für lyrisches/prosaisches Schreiben. Beim Hinarbeiten auf den Knall würde man z.B. überlegen, wie man die Atmosphäre eines ruhigen, unschuldigen Morgens einfängt. Sekundenangaben, wie lange ein Satz vervollständigt wird, oder der genaue Ablauf der Unterschriftabgabe haben da keine Funktion, sind unfokussiert.
Der gute Wille zählt
http://ad-sinistram.blogspot.com/2009/08/der-gute-wille.html
um Lapuentes Texte nicht kopflos
http://ad-sinistram.blogspot.com/2009/10/kopflos.html
zu begegnen.
Vornehme Sprache, genau abgestimmte Sätze und ein bildgewaltiges Szenario. 100 Punkte von 100.
Wieso denn verarscht fühlen? Wer hat die BILD-Schlagzeilen, die ich thematisiere, irgendwo gelesen? Am Ende schreibe ich, Monate seien ins Land gegangen - spätestens da hätte man es doch merken müssen, oder?
Hab von Ihnen die Empfehlung beherzigt und Houellebecqs Buch KarteGebiet gelesen. Es war super. Ihr Text Erinnert mich ein wenig daran. die Stilfragen die hier gestellt wird ist Quatsch. Jeder schreibt seinen Stil. Sie sollten Romane schreiben Sie können dass.
Die Geschichte besagt auch, dass man letztlich nur mit Freunden kommunizieren sollte und generell nicht mit den "Bösen". Irgendwie stehen die Prämissen für Vermittlung unter den Menschen damit immer noch am Anfang der Menschheitsgeschichte ohne Fortschritt.
Wir stehen immer noch bei Null.
Das macht mich depressiver als jede andere (unüberraschende) Aussage des Artikels.
unter den blogern ist es nur delapuente der so schreibt. CHAPEU!!!!
Ein wenig makaber, aber schmackhaft.
Das Mediengeschwurbel nach dem "Vorfall" klingt sehr realistisch.
Vor allem die Reihenfolge, erst bekannt machen und dann nach rechts drehen (armer Junge, ist doch selber schuld).
Zum Glück sind ja noch alle Finger dran am fleißigen Roberto.
Den fiktiven Finger aus dem Waschbecken hätte ich aber doch gerne, zum Zwecke des "damit draufzeigens".
Weiter so!
Roberto, ich fühle mich nicht verarscht.
Die Reihenfolge mit allem Drum und Dran (Medien, Polizei usw.) könnten in Deutschland so ablaufen.
Was Nazis in D schon veranstalteten ist bekannt. Bekannt ist auch die Verschleierungstaktik sämtlicher Behörden und der Medien.
Bekannt ist ebenfalls, dass Opfer rechter Gewalt lange Zeit verhöhnt wurden.
Das ist der eigentliche Skandal in dem so "Hochgepriesenen Rechtsstaat".
Nichts für ungut von Anonym 1.
Ich hatte den Text nur kurz überflogen und war wirklich zuerst erschrocken.
Rechte Gewalt in Deutschland wird von den Medien kleingehalten. Warum?
Das ist ein Thema, an dem man verzeifeln könnte.
Ich glaube, das "Braunsein" hat sich die deutsche Oberschicht bewahrt. Wir müssen in die Geschichte zurückblicken und recherchieren, wer und wie viele von der alten Nazigarde wieder in Amt und Würden sass.
Mach weiter mit Deinen Texten.
Vor allem die Wortgewaltigkeit ist es, die Dich von anderen unterscheidet.
"Am Ende schreibe ich, Monate seien ins Land gegangen - spätestens da hätte man es doch merken müssen, oder?"
.
Wieso?
Ich glaube, Du schließt aus Deinem Erleben, Deinem Medienkonsum, Deiner Erziehung, Deiner Gedankenwelt, Deinen Ideen und Vorstellungen, aus Deiner Welt ...darauf, das Andere genau so ticken? Weit gefehlt:
Andere lesen und leben manchmal (oft, meist) was anderes.
Sowas sollte man berücksichtigen, wenn man öffentlich so etwas wie hier oben schreibt.
.
Außerdem fand ich die Anmerkungen im Kommentar des "Marcel" nicht übel. Wenn schon "Literatur", dann sollte man die Regeln kennen (& viel mehr).
-Jeeves
@Anonym 7. Januar 2012
Wir müssen in die Geschichte zurückblicken und recherchieren, wer und wie viele von der alten Nazigarde wieder in Amt und Würden sass.
Angesichts des leicht erklärbaren Personalmangels, angesichts dessen, was eine Lösung die Alliierten gekostet hätte (das bezieht sich auf das Warum), ist eigentlich längst recherchiert, dass der überwiegende Teil derer, die vorher Ämter bekleideten, ihren "Job" nicht wechseln mussten.
Ganz besonders brisant, die Ämter zur Staatsgewalt (Polizei etc. pp.), wie auch denen der juristischen Säulen eines Staates. Dies gilt sowohl für den gehobenen Dienst, wie insbesondere für jene in den unteren Rängen.
Dazu gibt es umfangreiches Material zu googlen ... Doch die meisten davon dürften längst das Zeitliche gesegnet haben ... mittlerweile. Das ändert jedoch nichts am Gedankengut hinter dem Gedankengut, so etwas vererbt sich ... unabhängig davon, was man auf die Verpackung drauf schreibt.
Gruss
rosi
Literatur hat also ganz viele feststehende Regeln. So ist das also. Heißt, letztlich produziert Literatur damit am Fließband. Was darf nicht sein? Dass man seinen eigenen Namen benutzt? Das haben andere mehrfach getan und zuletzt, wie schon ein Kommentator sagte, auch Houellebecq, der sich selbst zerstückelt hat im Roman. Oder muß man drüber schreiben, dass es sich um Fiktion handelt? Hat das Attac gemacht, als sie eine gefakte ZEIT rausbrachte? Hätte Attac das gemacht, wäre es sinnlos gewesen. Wo man Fiktion drüberschreiben muß, ist alles nichts...
Die große Literatur(Weltliteratur)
folgt keinen Regeln.
Sie entstammt aus dem Irrationalen.
@Roberto J. De Lapuente
Literatur hat also ganz viele feststehende Regeln.....
Lieber Herr De Lapuente,
Sie werden es sich zwar nicht einreden lassen ;) ... doch ich formuliere es trotzdem derart:
Lassen Sie sich nicht reinreden. Stil ist Stil. Passt man ihn an, folgt man den "Wünschen" der Kritiker, geht es auf Kosten der Aussagekraft des Werkes. Selbst Tolstoi hatte dies schon erkennen müssen. Man kann es nicht jedem Recht machen, würde man es versuchen, wäre es mitnichten Stil und erst recht nicht kreativ, sondern ein leicht verdaulicher Einheitsbrei (wie sie schon anmerkten).
Literatur ist Kunst, Kunst ist Kreativität, Kreativität basiert auf Phantasie und diese kennt kaum Regeln. Eigentlich nur eine, der Phantasie Raum zu geben.
Und: Die Fiktion war zu erkennen - machen Sie auch nicht zum ersten Male - solche "Merker" waren in der transportierenden Symbolik mit verarbeitet. Die Dimension der Zeit könnte man bspw. benennen und, das geschilderte Spektakel in den Medien wäre nicht an uns vorbei gegangen. Wer unsicher gewesen wäre, hätte schlicht fragen können.
Gehe davon aus, der Text sollte Emotionen wecken, Emotionen transportieren und anregen, auf mögliche, drohende Gefahren aufmerksam machen und - anhand dieses fiktiven Beispiels - an den nahezu schon "laxen" Umgang in den Köpfen der Menschen rühren, wie er gleichsam einen gespiegelten Seitenhieb auf die Behördenmaschinerie und die Presse abgeben konnte.
Dass es möglicherweise dazu kommen könnte, dass die dadurch ausgelösten Emotionen das Ratio überwältigen (u.U. die Logik ausschalten), war sicherlich einkalkuliert bzw. in Kauf genommen.
Das steht dem Künstler, dem Kreativen völlig frei. Es gibt die Regel nicht, mit seiner Phantasie andere nicht erschrecken zu dürfen.
Und Sie sind mitnichten der einzige Kreative, der diese Form benutzt, um wachzurütteln. Hin und wieder nutzt gar so etwas selbst die Mainstreampresse.
Von Hollywood ganz zu schweigen ;-)
Lange Rede, kurzer Sinn, ich fand den Text gut, die Wirkung auch. Es schadet nicht im geringsten, wenn die Kreativität zuerst die Emotionen anspricht und dann infolge das Denken bemüht, welches dann möglicherweise Aufgewühltes in den Griff bekommen sollte. Auch dazu ist Kunst da, i.Ü. eine von ihr gern gewählte Aufgabe.
Ansonsten, geregelte und konforme, recht "unaufgeregte Kunst" findet man hier:
http://www.gdk-research.de/db/apsisa.dll/ete
Dazu ein Artikel der Welt:
http://www.welt.de/kultur/history/article13669404/Hitlers-Mythos-der-Nazi-Kunst-freigeschaltet.html
Lieben Gruß
rosi
Beim Lesen derjenigen Kommentare, die Roberto Täuschung oder doch zumindest Mißverständlichkeit vorwerfen, muss ich mich wundern.
Wenn ich zum Beispiel Becketts Roman Malone Dies lese, der Roman beginnt mit dem Satz "Ich werde endlich doch bald ganz tot sein" und endet mit den Worten
"nichts
mehr".
Als ich dieses Buch von Beckett zum ersten Mal 1967 gelesen habe, bin ich nicht auf die Idee gekommen, Beckett stirbt oder Malone stirbt, Malone, der die letzten Wochen seines Lebens beschreibt.
So habe ich den Text von Roberto als Fiktion gelesen, als eine Fiktion allerdings, die sehr lebensecht wirkt. So könnte es sein, ist es aber glücklicherweise nicht.
an Klaus Baum: "Als ich dieses Buch von Beckett zum ersten Mal 1967 gelesen habe, bin ich nicht auf die Idee gekommen, Beckett stirbt oder Malone stirbt"
Hä? War Beckett ein Blogger, der sich alle paar Tage mit Aktuellem zu Wort meldet, oder ein Romanautor?
Wie kann man das denn mit Lapuente vergleichen?
Beckett war kein Blogger - er wusste damals nicht, wie man die Blogware bedient...
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