Ein Tag im Leben eines vom Profit Verfolgten

Freitag, 11. April 2014

»Ich hätte Hoeneß eine sehr hohe Strafe zahlen lassen, aber nicht eingesperrt«, sagte er zu mir.
   Mir lief fast der Kaffee aus den Nasenlöchern. Na ja, nicht schade drum.
   »Aha?«
   Ich hatte meinen Kollegen eher als vernünftigen Menschen kennengelernt.
   »Was haben wir denn jetzt davon, dass er in den Knast geht? Er kostet Geld. Hätte man ihn lieber mit der doppelten Steuerschuld belastet, dann hätte jeder was davon.«
   Das klang logisch. Ich gebe es ja zu. Aber ist Strafe und Rechtssprechung mittlerweile auch etwas, was man der bestechenden Logik von Kosten und Nutzen unterziehen darf?
   »Und wenn einer mit viel Geld einen tötet? Soll er dann enteignet werden und kann frei bleiben?«
   Er nippte am Kaffee und gab keine Antwort.
   »Strafe kann doch nicht nach dem, was gerade nützlich wäre, gestaltet werden. Du liegst völlig daneben, Norbert.«
   Die Pause lag in den letzten Zuckungen und er machte sich auf den Weg. Wahrscheinlich kam es ihm gelegen. Seine innovative Ansicht war ein Rohrkrepierer.
   »Und der, der nicht genug Geld hat, um sich freizukaufen, was geschieht mit dem?«
   Ich wollte ihn noch fragen, ob der einen billigen Kredit beim Jobcenter kriegt. Aber da war keine Zeit mehr zum Schwatzen. Ich schüttete meinen Kaffee in den Busch und bedauerte die Pflanze dafür. Wir Menschen sind alle grausam zur Natur. Jeder so wie er gerade kann.

Kurz nach Feierabend ging es mal wieder um Fußball. Der übliche Zeitvertreib der Männer am Arbeitsplatz. Und dass ich den FC Bayern München verabscheue und mich über eine baldige Niederlage im Europapokal freuen würde, wissen sie alle.
   »Komischer Bayer bist du - freust dich, wenn die verlieren«, spöttelte einer und versuchte sich bayerisch anzuhören.
   »Dabei sollte jemand wie du, der dem anderen Verein in München anhängt, doch ein Interesse am Wohl der Bayern haben. Das tut der Stadt gut und den Menschen in der Region auch. Und den Sechzgern!«
   Man muss als jemand, der die Bayern immer verachtet hat, also neuerdings für die Bayern sein, weil deren Erfolg ökonomisch wertvoll ist. Meine Güte, dachte ich mir, was ist nur aus der Passion der Leute von heute geworden? Ökonomisch denkend bis in den Zeitvertreib hinein.
   »Das sind ja auch Arbeitsplätze, die so ein erfolgreicher Verein entstehen lässt«, fügte Norbert hinzu.
   »Ja. Komm, zahl deine Rechnungen bitte nicht mehr und stabilisiere so Arbeitsplätze der Inkasso-Industrie. Sei so gut.«
   Einer grinste nach diesem Einwand. Die anderen nuckelten am Kaffee und sprachen von der Eintracht und vom FC Bayern.
   Ich ging dann heim. Mich drückte ein Text und wenn ich denn nicht gleich rausließ, würde er mir im Hirn steckenbleiben und meine Verdauung belasten.

Daheim angelangt musste ich zuerst mal auf die Schüssel. Ich hasse es, wenn der Schiss vor dem Schrieb kommt. Aber das kann man schlecht ändern. Ich nahm den Willemsen mit aufs Klo. Las dort weiter in seinem außerordentlich lesenswerten Buch »Das Hohe Haus«. Darüber wird noch zu berichten sein. Ich stolperte über eine Passage, in der eine Parlamentarierin über die »Kultur- und Kreativwirtschaft« redet und sie als »eine der wichtigsten Zukunftsressourcen in unserem Land« bezeichnet. Daher heiße es, in Kulturschaffende zu investieren, »um so Arbeitsplätze und Wirtschaftskraft auch in Zukunft zu erhalten«. Willemsen macht sich auch so seine Gedanken dazu und schreibt: »Auch hier wird deutlich: Die Frage der Zukunft ist synonym für Rendite. Flankiert von einer Ökonomisierung aller Lebensbereiche, gibt der Zustand der Wirtschaft die Idee dessen vor, was Zukunft ist. Ja, selbst auf kulturellen Gebiet setzt man auf Wachstum und Gewinnmaximierung. Warum nicht auf Beständigkeit oder Vergangenheit?«

Ist das Leben insgesamt nur noch als Profit denkbar? Dass die Leute im Bundestag gar nicht mehr anders können, als so zu ticken, muss man wohl verschmerzen. Diese Leute kommen ja nicht raus. Stubenhocker entwickeln sich manchmal komisch. Dass aber normale Typen mit dieser Logik vom Profit argumentieren, das macht doch nachdenklich. Die Berieselung vieler Jahre hat Wirkung gezeigt. Leben ist kein Akt zwischen verschiedenen Schauplätzen mehr, in dem verschiedene Grundprinzipien walten, sondern das Grundprinzip ist nun überall dasselbe. So gestattet man der Justiz eben nicht mehr die Prinzipien »Strafe« und »Sühne« - sie werden durch eine »profitablere Wahrnehmung« ersetzt. »Gerechtigkeit« muss sich wieder lohnen! Und was sich nicht rechnet scheint unhaltbar zu sein.

Nachdem ich abgedrückt hatte versuchte ich mich an einem Text, landete dann aber über Umwege bei einem Artikel über die »Pisa«-Studie. Ich sondierte auch die Kommentare, die mitteilsame Leute drunter angebracht hatten. Da ging es ganz schnell wieder um Geld und ob das Geld auch dort, wo man es fordert, wirklich Nutzen abwerfen würde. Mancher wollte mal wieder »unsere Kinder fit für den Arbeitsmarkt machen«. Ein anderes Bildungsideal scheint es gar nicht mehr zu geben. Dabei gehen die Kinder doch nicht zur Schule, um dann mal fit für einen Arbeitgeber zu sein, sondern um etwas zu erfahren, Wissen zu sammeln, um für sich selbst fit zu sein. Das hat auch etwas mit Würde zu tun. Aber Würde ist ohnehin so ein Begriff, der sich so schlecht ökonomisch deuten lässt.

Wieder mal so ein Tag, an dem mir das Leben nur als Profit begegnete. Als dann mein Kind abends beim Essen erzählte, dass es mit der Halbwüchsigen von gegenüber nicht mehr befreundet sein will, weil sie ständig Ärger macht und es seine Ausführungen mit »Was habe ich davon?« beendete, da war das Maß voll.
   »Wenn sie dich nervt - gut. Dann bin ich froh. Die bereitete dir bislang nur Kummer. Aber was du davon haben solltest, das verstehe ich nicht.«
   »Bringt mir ja nichts«, antwortete es nun »ausführlicher«.
Ich schaute es etwas ratlos an und kaute auf den Reis herum.
   »Freundschaften geht man nicht ein, damit sie einem was bringen. Und man beendet sie nicht, weil sie einem nichts bringen.«
   »Weiß ich doch, Papa.«
   »Und warum sagst du das dann so?«
So weit haben wir es gebracht. Selbst Zwischenmenschliches wird nach Mehrwert sondiert und der Nutzen hochgerechnet.
   »Entweder man mag sich oder man mag sich nicht. Das ist die Grundlage für Freundschaft.«
   Fast hatte ich nun den Drang, meinem Kind diese Freundschaft wieder einzureden. Aber dieses Mädchen von gegenüber ist ja nicht ohne, wiegelt ständig Kinder gegeneinander auf und erpresst überall Anerkennung. Armes Ding eigentlich.
   »Mensch, Papa, ich weiß das doch. Und ich mag sie nicht, also bringt mir das nichts.«
Auch wieder wahr.

Ich ging an diesem Tag früh zu Bett. Ich war geschafft und wollte mehr von der Nacht haben. Eine Stunde Schlafprofit rausholen. Gewinn machen. Einen Überschuss erschlafen. Meine Kosten nicht durch Wachsein erhöhen und meinen Nutzen schlafend mehren. Es sollte ein Bombengeschäft sein. Aber ich erwachte abgekämpft und matt. War immer noch müde. Was hat mir das frühe Zubettgehen gebracht? Damit hatte ich nichts gewonnen. Nur einen weiteren Tag in der Profitlastigkeit. Aber wenigstens war ich heute kraftlos genug, die ganze Profit-Rhetorik zu überhören.


8 Kommentare:

ninjaturkey 11. April 2014 um 08:05  

»...Dabei gehen die Kinder doch nicht zur Schule, um dann mal fit für einen Arbeitgeber zu sein, sondern um etwas zu erfahren, Wissen zu sammeln, um für sich selbst fit zu sein...«

Bitte, wie? Diese Hoffnung habe ich bei meinen beiden schon in der Grundschule begraben. Willst Du wissen, wie viele Lieder die Kinder in den nahezu 10 Jahren Schule in Musik gelernt haben? NULL! Gedichte, NULL! Literatur die den Namen verdient, NULL! Dafür sind sie in Powerpoint und Excel ganz gut, und können in Gruppen passable Plakate basteln.
Natürlich kennen meine Kinder einen Haufen Lieder, Gedichte und Geschichten, denken selbständig, gern auch kritisch und sind sozial engagiert. Das haben sie von Ihren Eltern und nicht aus der Schule. Ihr tieferes Verständnis für Mathematik, Englisch, Physik, Biologie, Politik und Deutsch übrigens auch. Was bleibt uns bei einer Ausfall-/Vertretungsquote im Unterricht von ca. 25% anderes übrig. Oder wenn Schule nur noch aus sogenannten Lernstandserhebungen und der Verwaltung personellen Mangels besteht. Dabei bleiben alle Kinder auf derStrecke, deren Eltern nicht ganztägig zur Verfügung stehen, weil sie nicht zuhause arbeiten oder nicht das Geld und die Zeit haben, um mit den Kindern ins ins Kino, Theater, Oper, Museum zu gehen.

Peinhart 11. April 2014 um 09:16  

Es ist doch nur die Konsequenz des nach Totalität strebenden 'prozessierenden Widerspruchs'. Fast alles, was in dieser Gesellschaft passiert, beruht auf oder hängt ab von gelungener Geldvermehrung. Dass irgendwann auch der noch verbleibende Rest von dieser 'Logik' durchdrungen ist, kann doch nicht verwundern. Die gängige Klage, man habe doch 'soviel in diese Beziehung investiert', ist mir das erste Mal schon vor über 30 Jahren aufgefallen. Vorgetragen ausgerechnet von 'irgendwie' ökolinksalternativen PH-Studenten, mit diesem merkwürdig singenden 'Du-hu' als Ansprache und Einleitung.

Unknown 11. April 2014 um 10:10  

Einmal mehr mein Dank für diese Analyse!
Was mich fast noch mehr fertig macht als dieses allgegenwärtige ökonomisierte Denken ist, dass so viele meiner Mitmenschen gar so selbstverständlich daran aufzugehen scheinen. Sind WIR die Freaks, die den Draht zum Leben, zur Realität verloren haben? Wie auch immer, wir stehen auf verlorenem Posten...

stefanbecker 11. April 2014 um 11:44  

Sie haben offenbar vergessen sich den Ar... abzuwischen. Etwa aus Sparsamkeit ? ;-)
Aber im Ernst:
Ich finde den Text genial, er zeigt wohin Profitdenken in allen Lebensbereichen führt und es selbst bei Kindern nicht ohne Wirkung bleibt.
Wobei jüngere Kinder sicherlich keinen materiellen Mehrwert im Auge haben. Oder etwa doch ?

Sledgehammer 11. April 2014 um 13:57  

Die sukzessiv progressive Mathematisierung des profanen Lebens, sowie die damit kohärierende Mittelwertorientierung, kennt im Wesentlichen nur noch Profit oder Defizit.

Anonym 11. April 2014 um 14:28  

Sie kennen einen Norbert, ich kenne einen Erwin, der auch meinte, Uli sollte mit einer Geldstrafe davonkommen ...

... wenn Dummheit weh täte, das Geschrei in Deutschland wäre nicht zu ertragen.

ad sinistram 11. April 2014 um 14:44  

Ach wissen Sie, Erwins sind auch nur Norberts.

Art Vanderley 11. April 2014 um 20:13  

Immerhin wirkt dummes Geschwafel über den FC Bayern verdauungsfördernd , vielleicht ist das ja der Profit eines solchen Tages , als medizinische Innovation bei Verstopfungen und damit als Gewinnperspektive für die Pharma-Industrie.

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